Antisemitismus-Beauftragter
Parlament verabschiedet Antrag zur Bekämpfung von Judenhass
Die Beschimpfung eines jüdischen Restaurantbesitzers und brennende Israel-Flaggen in Berlin sorgten für Entsetzen. Am Donnerstag setzte der Bundestag ein Zeichen gegen Antisemitismus und forderte einen Beauftragten in der künftigen Regierung.
Freitag, 19.01.2018, 6:25 Uhr|zuletzt aktualisiert: Mittwoch, 24.01.2018, 18:02 Uhr Lesedauer: 3 Minuten |
Der Bundestag hat die künftige Bundesregierung zur Berufung eines unabhängigen Antisemitismus-Beauftragten aufgefordert. Ein gemeinsamer Antrag von Union, SPD, FDP und Grünen zur Bekämpfung von Judenhass wurde am Donnerstag einstimmig bei Enthaltung der Linksfraktion vom Parlament verabschiedet. Neben der Schaffung eines Beauftragten fordert der Antrag weitere Maßnahmen, um künftig wirksamer gegen Antisemitismus vorzugehen.
Aktueller Anlass der Debatte gut eine Woche vor dem Holocaust-Gedenktag waren unter anderem die Beschimpfung eines jüdischen Restaurantbesitzers und das Verbrennen der israelischen Flagge vor dem Brandenburger Tor in Berlin. Beides sorgte für Schlagzeilen und Entsetzen in Gesellschaft und Politik. Recherchen von „Übermedien“ zeigten später, dass viele Medienberichte über antisemitische Vorfälle bei Demonstrationen auf falschen Angaben beruhten.
Fast alle antisemitischen Straftaten kommen von rechts
Der Vorsitzende der Unionsfraktion, Volker Kauder (CDU), sagte, ein großer Teil des Antisemitismus komme nach wie vor aus der Richtung des Rechtsextremismus. 90 Prozent der antisemitischen Straftaten kämen von rechts, sagte die SPD-Politikerin Kerstin Griese. Es gebe aber auch eine wachsende Zahl antisemitischer Handlungen von Zuwanderern aus Nordafrika sowie dem Nahen und Mittleren Osten, ergänzte Kauder. Beides dürfe nicht zugelassen werden.
Im Antrag findet sich mit Blick auf Antisemitismus unter Zuwanderern die Forderung, bei möglichen Abschiebungen Aufrufe zu antisemitischem Hass als „besonders schwerwiegendes Ausweisungsinteresse“ zu werten und die Aufklärung über den Nationalsozialismus in den Integrationskursen zu verstärken. Zudem wird gefordert, zivilgesellschaftliches Engagement gegen Antisemitismus umfassender zu fördern und dabei auch muslimische Gemeinden als Partner zu gewinnen.
Forderung nach Antisemitismus-Beauftragten
Die zentralste Forderung des Antrags ist die nach dem Antisemitismusbeauftragten. Er ist eine der wesentlichen Empfehlungen der vom Bundestag eingesetzten Expertenkommission Antisemitismus, die im vergangenen Jahr ihren Abschlussbericht vorgelegt hatte. Der Beauftragte soll dem Antrag zufolge ressortübergreifend Maßnahmen der Bundesregierung gegen Judenhass koordinieren sowie Ansprechpartner für jüdische Gemeinden, Zivilgesellschaft und Bundesländer sein. Regierungsvertreter, darunter Bundesinnenminister Thomas de Maizière (CDU), haben dies bereits befürwortet. Kauder versprach am Donnerstag, dass die Union dies „auf jeden Fall“ in jeder Koalition durchsetzen werde.
Gefordert wurde solch eine Stelle auch vom Zentralrat der Juden. Ein Beauftragter könne „längerfristig und ohne Ressortdenken“ die Entwicklungen beim Thema Antisemitismus beobachten sowie Strategien und Maßnahmen zur Bekämpfung entwickeln und koordinieren, sagte dessen Präsident Josef Schuster. Der deutsch-israelische Historiker Michael Wolffsohn äußerte sich dagegen skeptisch. Dies sei eine „gute gemeinte, jedoch völlig naive Bürokratenidee“, deren Effektivität er anzweifle, sagte er dem MDR. Die frühere Zentralrats-Präsidentin Charlotte Knobloch begrüßte den Beschluss des Bundestages. „Endlich will Deutschland seiner Verantwortung gegen Judenhass angemessen gerecht werden“, erklärte sie in München.
AfD stimmt für Antrag
Die Festlegung auf eine Ansiedlung des Beauftragten im Bundesinnenministerium aus einer ursprünglichen Antragsfassung aus der Unionsfraktion findet sich im verabschiedeten Dokument nicht mehr. Die SPD plädiert dafür, dass der Beauftragte seinen Sitz im Kanzleramt hat.
Für den Antrag mit der Überschrift „Antisemitismus entschlossen bekämpfen“ stimmte auch die AfD. Als Rednerin im Parlament verwies Beatrix von Storch vor allem auf Antisemitismus unter Migranten.
Wer gegen Muslime hetzt, taugt nicht als Verteidiger gegen judenfeindlicher Angriffe. Es bleibt ein Widerspruch, gleichsam sich als Streiter gegen Antisemitismus oder pro-israelisch zu geben und dabei islamfeindlich u. rassistisch gegen Muslime u anderen Minderheiten zu agitieren
— Aiman A. Mazyek (@aimanMazyek) 18. Januar 2018
Schuster: AfD würde auch gegen Juden hetzen
Redner von SPD, FDP und Grünen warfen der Partei hingegen vor, in den eigenen Reihen weiter Björn Höcke auch nach seiner Rede mit der Kritik am Berliner Holocaust-Mahnmal zu dulden. Nicht überzeugt von der AfD-Zustimmung zeigte sich auch Aiman Mazyek, Vorsitzender des Zentralrats der Muslime. „Wer gegen Muslime hetzt, taugt nicht als Verteidiger gegen judenfeindlicher Angriffe“, schrieb Mazyek auf dem Kurznachrichtendienst Twitter.
Ähnliche sieht es Zentralrats-Präsident Schuster. „Nach meinem Eindruck versucht die AfD, das Thema Antisemitismus bei Migranten zu instrumentalisieren, um Migranten generell zu verunglimpfen“, sagte Schuster. Das lehnte er ab und ergänzte: „Ich gehe davon aus, dass die AfD auch gegen Juden hetzen würde, wenn es politisch für sie von Vorteil wäre.“ (epd/mig) Leitartikel Politik
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Dass „fast alle“ antisemitisch motivierten Straftaten „von rechts“ kommen, liegt an der Art und Weise der PMK-Statistik.
Die Zahlen trügen. In der Statistik werden antisemitische Straftaten in Deutschland entweder als rechtsradikal, als linksradikal oder unter dem Punkt Ausländerkriminalität eingeordnet. Wenn ein Hakenkreuz dabei ist oder die Urheberschaft unklar ist, wird die Tat als rechtsradikal eingestuft, selbst wenn sie von Muslimen erfolgte.
Aus diesem Grunde ist die Relativierung („Fast alle antisemitischen Straftaten kommen von rechts“) weder richtig noch dabei hilfreich, das Problem zu bekämpfen.