Hakenkreuz an der Tür (Symbolfoto) © DortmundQuer @ flickr.com (CC 2.0), bearb. MiG
Hakenkreuz an der Tür (Symbolfoto) © DortmundQuer @ flickr.com (CC 2.0), bearb. MiG

Eine Übersicht

Neonazistische Aktivitäten am Jahrestag der antijüdischen Pogrome

Rund um den Jahrestag der antijüdischen Pogrome vom 9. November 1938 gab es wie in den früheren Jahren auch wieder eine Reihe von neofaschistischen Aktionen. Sie zeigen eine neue Ebene der rechtsmotivierten Gewalt. Von Michael Lausberg

Von Dienstag, 15.11.2016, 8:19 Uhr|zuletzt aktualisiert: Dienstag, 15.11.2016, 16:01 Uhr Lesedauer: 3 Minuten  |  

Die neonazistische Gruppe „Freie Kräfte Berlin-Neukölln“ (FKBN) hat die Adressen jüdischer Einrichtungen in Berlin auf einer Stadtkarte, die an Listen erinnert, wie sie zur „Reichspogromnacht“ veröffentlicht wurden, auf Facebook unter dem Titel „Juden unter uns“ gepostet. Auf der Karte werden unter anderem die israelische Botschaft, mehrere jüdische Zeitungen, Kitas und Schulen, Restaurants und Lebensmittelgeschäfte, das Holocaust-Mahnmal und mehrere jüdische Friedhöfe mit Adressen genannt. Darüber steht der Kommentar: „Heute ist wirklich ein schöner Tag“.

Die Facebook-Post war am 10.11.2016 von der Berliner Mobilen Beratung für Rechtsextremismus gefunden worden, woraufhin die Polizei ein Ermittlungsverfahren wegen Volksverhetzung eingeleitete. Das Jüdische Forum für Demokratie und Antisemitismus sprach von einem Aufruf zu Straftaten gegen jüdische Menschen und Einrichtungen und forderte Facebook auf, den Neonazi-Beitrag umgehend zu löschen. Er war bis Donnerstagmittag im Netz zu finden, nach zwischenzeitlichen Löschungen tauchte er noch mehrmals auf.

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Der jüdische Autor Shahak Shapira reagierte auf den Facebook-Eintrag auf seine Weise: er wandelte die Liste in eine Art Werbung für jüdische Einrichtungen um. So kommentierte er auf seiner Facebook-Seite die Karte, auf der die Einrichtungen verzeichnet sind, etwa mit den Worten „Geiles Essen“ oder „Tinder für Juden“. Hinter den Schriftzug „Juden unter uns!“ schrieb Shapira „Juhu!„.

Zunahme rechter Propaganda

Berlin-Neukölln hat in den letzten Monaten mit der Zunahme rechter Propaganda zu kämpfen: Rechte Attacken auf Personen und Initiativen aus der Zivilgesellschaft nahmen in Neukölln besorgniserregend zu. So wurden bereits im Juni das Auto eines örtlichen SPD-Politikers und im Juli der Wagen eines Erziehers, der Aufkleber von den Falken und gegen die AfD an seinem PKW hatte, angezündet. Zudem kam es im Sommer zu mehreren Sachbeschädigungen an Privatadressen und Lokalen durch Neonazis. Die Facebook-Seite FKBN veröffentlichte in dem Zeitraum eine Karte mit diversen linken und zivilgesellschaftlichen Einrichtungen sowie Parteibüros unter der Überschrift „Neukölln wehrt sich gegen Linksextreme“ und dem Hinweis: „Damit jeder weiß, wer der Feind ist und wo er seine Räumlichkeiten hat.“

Lokalen Neonazis gelang es mal wieder, die Gedenkfeier am jüdischen Mahnmal in Dortmund-Dorstfeld zu stören. Seit mehreren Jahren verunglimpfen Neonazis in Dorstfeld erfolgreich die Gedenkfeiern der Bezirksvertretung Innenstadt-West, die an einem Mahnmal an die Opfer der nationalsozialistischen Gewaltherrschaft erinnert. Mit antisemitischen Parolen gingen die Neonazis auch am 9. November 2016 wieder gegen die Gedenkfeier vor. Wegen eines israelfeindlichen Zwischenrufs musste Bezirksbürgermeister Friedrich Fuß seine Rede sogar für einen kurzen Augenblick unterbrechen. Erst nachdem die Neonazis eine Reichskriegsflagge entrollt hatten, schritt die Bereitschaftspolizei ein, die neun Platzverweise aussprach.

Auf das linke Chemnitzer Kulturzentrum „Lokomov“ ist schon in der Nacht zum 8.11.2016 ein Sprengstoffanschlag verübt worden. Zum Glück hielten sich zu diesem Zeitpunkt keine Personen dort auf, so dass nur leichter Sachschaden zu beklagen ist. Eigentümer Lars Fassmann wertet den Anschlag als neonazistische Reaktion auf die Tatsache, dass sich das Kulturzentrum an dem Chemnitzer Theaterprojekt „Unentdeckte Nachbarn“ beteiligt, das sich mit der Terrorgruppe „Nationalsozialistischer Untergrund“ auseinandersetzt. Der Anschlag reiht sich in eine ganze Serie von Vorfällen ein, bei denen die Scheiben eingeschmissen, die Fassade des Clubs mit Farbbeuteln beworfen oder Besucher der Veranstaltungen im Kulturzentrum von Neonazis zusammengeschlagen wurden. Schon seit ein paar Monaten hinterlassen Neonazis sichtbare Zeichen im Quartier wie Graffitis mit dem Aufdruck „Nazi-Kiez“ und anderer Aufkleber.

Die Polizei ermittelt nun wegen Sachbeschädigung. Die Chemnitzer Grünen-Politikerin Petra Zais sieht dagegen die Schwelle zum Terrorismus überschritten: „Mit diesem traurigen Höhepunkt einer ganzen Reihe von Angriffen auf Einrichtungen, die sich gegen Rechtsextremismus engagieren, ist eine neue Ebene der politisch motivierten Gewalt aus der rechten Szene erreicht“.

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