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Interview mit DIW-Präsident Fratzscher

„Wichtiger als Obergrenzen wären klare Bekenntnisse zur Integration“

Union und SPD wollen nach eigenem Bekunden "den sozialen Zusammenhalt in Deutschland stärken". DIW-Präsident Marcel Fratzscher zufolge gehen die Verabredungen in Migrationsfragen jedoch nicht in Richtung eines Zusammenhalts der Gesellschaft.

Von Markus Jantzer Donnerstag, 18.01.2018, 6:24 Uhr|zuletzt aktualisiert: Sonntag, 21.01.2018, 13:49 Uhr Lesedauer: 3 Minuten  |  

Inwieweit sind die Sondierungsbeschlüsse von CDU, CSU und SPD geeignet, eine Politik in Deutschland zu verwirklichen, die wirksam die große Ungleichheit bei Einkommen, Vermögen und Chancen reduziert?

Marcel Fratzscher ist ein deutscher Ökonom. Er leitet seit 1. Februar 2013 das Deutsche Institut für Wirtschaftsforschung (DIW) und ist Professor für Makroökonomie an der Humboldt-Universität zu Berlin.

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Marcel Fratzscher: Die Ergebnisse der Sondierungen gehen in vielen Punkten grundsätzlich in die richtige Richtung. Es werden zahlreiche wichtige Themen angesprochen und einiges vorgeschlagen. Die Vorschläge zur Grundsicherung im Alter sind positiv zu bewerten, ebenso wie der Fokus auf Langzeitarbeitslose – wobei man sich hier ambitionierte Zielsetzungen wünschen würde. Insgesamt ist mein Eindruck, dass den Koalitionären die Bedeutung des Themas Ungleichheit bewusst ist, dass aber, was die tatsächliche Politik angeht, vieles noch konkretisiert werden muss.

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Wird eine Regierungspolitik auf der Basis der Sondierungsbeschlüsse den gesellschaftlichen Zusammenhalt in Deutschland stärken?

Marcel Fratzscher: Das lässt sich natürlich ganz schwer abschließend sagen. Positiv ist grundsätzlich, dass das Sondierungspapier an vielen Stellen tatsächlich die Schwächsten in den Fokus nimmt. Es gibt auch gute Ansätze zum Beispiel im Bereich Bildung. Ich denke da insbesondere an die Lockerung des Kooperationsverbots, die es erlauben wird, die Bildungspolitik ein Stück voranzubringen. Gerade da liegen die großen Herausforderungen: Das Bildungssystem in Deutschland muss sozial durchlässiger werden, und zwar nicht nur die Schule, sondern auch die berufliche Bildung und die Weiterbildung, damit alle Menschen die Chancen, die die Digitalisierung und der Wandel der Arbeitswelt eröffnen, auch ergreifen können. Die Verabredungen zu Migrationsfragen wiederum gehen nicht unbedingt in Richtung eines Zusammenhalts der Gesellschaft.

„Um sich in Deutschland zu integrieren und überhaupt integrieren zu wollen, brauchen diese Menschen eine Perspektive für sich und ihre Familien. Wenn aber bei den Regelungen zum Familiennachzug ein Riegel vorgeschoben wird, wirkt es genau in die andere Richtung.“

Wird mit den neu beschlossenen Restriktionen mit jährlichen Obergrenzen und engen Voraussetzungen beim Familiennachzug in der Flüchtlingspolitik die Integration von Migranten besser gelingen?

Marcel Fratzscher: Wichtiger als Obergrenzen und Verbote wären klare Bekenntnisse zur Integration gewesen. Ich vermisse bisher einen klaren Plan, wie Geflüchteten die Sprache besser vermittelt werden kann, wie sie im Bildungs- und Qualifikationssystem ihren Platz finden. Um sich in Deutschland zu integrieren und überhaupt integrieren zu wollen, brauchen diese Menschen eine Perspektive für sich und ihre Familien. Wenn aber bei den Regelungen zum Familiennachzug ein Riegel vorgeschoben wird, wirkt es genau in die andere Richtung.

Eine neue große Koalition will erklärtermaßen möglichst schnell die Situation in der Pflege verbessern. Dazu zählen vor allem mehr Fachpersonal und höhere Gehälter. Wann rechnen Sie mit spürbaren Verbesserungen für Pflegekräfte und Pflegebedürftige?

Marcel Fratzscher: In diesem extrem wichtigen Punkt bleiben die Sondierungsergebnisse konkrete Antworten schuldig. Die Bekundungen der Koalitionäre zeugen davon, dass diese sich des Ernstes der Lage bewusst sind. Es ist zu hoffen, dass dieser Punkt in den tatsächlichen Verhandlungen ausgearbeitet wird. (epd/mig) Aktuell Interview

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  1. holger rohrbach sagt:

    Nun, Herr Fratscher sagt 2x, daß die möglichen Koalitionäre „sich des Problems bewußt“ seien. Davon kann aber in den geenannten Bereichen keine Rede sein; ein Beleg dafür findet sich auch nicht. Sowohl im Bereich der Grundsicherung im Alter, der Langzeitarbietslosen und der Plege sind die Probleme seit Jahren bekannt, die CDU/CSU sperrt sich aber, dort substanzielle Verbesserungen zuzugestehen. Es kostet schließlich viel Geld. Und da steht die „schwarze Null“ und die Verweigerung von Steuererhöhungen davor. Die SPD-Führung hat zumindest die letzten beiden Schranken, genauso wie die Grünen, akzeptiert. Sie legen sich damit unnötig Fesseln an. Nur deren Beseitigung garantiert die nötigen Milliardeninvestitionen in die marode Infrastruktur und um Sozialberufe wieder attraktiver zu machen.
    Herr Fratscher spricht diese Probleme gar nicht an, weil er, wie bekannt, ein Anhänger der neoliberalen Marktwirtschaft ist.