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Flüchtlingspolitik

Schande über Dich, Europa!

Europa bekämpft nicht die Schleuser und die Menschenrechtsverletzungen in Libyen, sondern vielmehr die Flüchtlinge und diejenigen, die sie vor dem Ertrinken retten. Von Heiko Kauffmann

Von Freitag, 08.09.2017, 4:24 Uhr|zuletzt aktualisiert: Dienstag, 12.09.2017, 17:26 Uhr Lesedauer: 3 Minuten  |  

Die EU rüstet Libyen mit Hunderten Millionen Euro auf, um sich die Flüchtlinge vom Hals zu schaffen: Geld für eine zwielichtige Küstenwache und eine schwache Regierung, die der verbrecherischen und gewalttätigen Milizen im Land und in den Flüchtlingslagern nicht Herr wird. Lager, in denen – auch nach Erkenntnissen des Auswärtigen Amtes – KZ-ähnliche Zustände herrschen; eine Kooperation mit schlimmsten Folgen für Flüchtlinge: ein eklatanter Bruch von Völker- und Menschenrechten.

Die europäischen Regierungen haben ihr Ziel fast erreicht, das sie – gegen alle Bedenken und gegen jede Humanität – mit allen Mitteln und um jeden Preis verfolgten: die Schließung der zentralen Mittelmeerroute. Eurozentrismus, institutioneller europäischer Rassismus siegt über Menschlichkeit. Die Geringschätzung von Menschenleben, die Inkaufnahme ihres Todes: Ist das die politische und moralische Signatur Europas im frühen 21. Jahrhundert?

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„Wir werden … alles tun, um zu verhindern, dass weitere Opfer im Mittelmeer vor unserer Haustür umkommen… Das vereinbart sich nicht mit unseren Werten … Wir sind es uns insgesamt selbst schuldig, dass wir hier mehr tun“ (Angela Merkel). Hehre Worte, aber auch in Deutschland wird inzwischen anders gesprochen als gehandelt.

Im September 2016 verabschiedete die UN die ‚New Yorker Erklärung’ zum Schutz von Flüchtlingen. Darin heißt es: „Wir bekunden unsere tiefe Besorgnis angesichts der großen Zahl von Menschen, die auf ihrem Weg ums Leben gekommen sind. Wir würdigen die Anstrengungen, …Menschen aus Seenot zu retten. Wir verpflichten uns, die internationale Zusammenarbeit zur Stärkung von Such- und Rettungsmechanismen zu intensivieren…“. – Die EU und die Bundesregierung konterkarieren diese Verpflichtungen durch ihr praktisches Handeln, das diesen humanitären Bekundungen diametral widerspricht.

„Shame on you, Europe!“ („Schande über Dich, Europa!“): Diese Aufschrift trugen Banner, mit denen zivile Seenotretter auf der „Sea-Eye“ gegen die Ausdehnung der libyschen Hoheitsgewässer und die Sperrung zentraler Rettungsgebiete im Mittelmeer protestierten.

Zehntausende von Flüchtlingen begaben sich nicht auf die Flucht oder ertranken im Mittelmeer, weil Schlepper ihr Leid ausnutzten und sich an ihrem Elend bereicherten; sie gerieten in Lebensgefahr oder ertranken, weil kein EU-Staat bereit war, sie legal einreisen zu lassen und sich ernsthaft mit ihren Fluchtgründen auseinanderzusetzen. Die Toten im Mittelmeer waren Menschen, die in Europa auf ein Leben in Sicherheit und Würde hofften, das freilich von den EU-Innenministern nach zweierlei Maß gemessen wird: weil für Flüchtlinge, für Menschen anderer Herkunft nicht gilt oder nicht gelten soll, was wir, was unsere Verfassungen unter Menschenwürde und Menschenrechten verstehen und schützen.

Europa trägt durch Waffenlieferungen, durch die Unterstützung repressiver Regime und durch eine ungerechte Handels- und Wirtschaftsordnung mit dazu bei, dass Menschen ihre Länder verlassen müssen. Maßnahmen militärischer Grenzsicherung, die Abschreckung von Flüchtlingen und „Lager in Nordafrika“ sind keine Lösungen, sondern nicht anderes als Symptome rassistischer Abwehr – eine Missachtung der Freiheit und der Menschenwürde all derer, deren letzte Hoffnung in KZ-ähnlichen Lagern Libyens die Humanität Europas war.

Die Zivilgesellschaft ist heute gefordert, die kaltschnäuzige Heuchelei, Gleichgültigkeit und Gewissenlosigkeit der Politik im Umgang mit Flüchtlingen im Mittelmeer anzuprangern, sich mit aller Kraft für den Aufbau einer zivilen europäischen Seenotrettung einzusetzen und dringend einen Diskurs über das Humanitätsverständnis Deutschlands und Europas über Rechtsstaatlichkeit, Demokratie und Menschenwürde im 21. Jahrhundert zu initiieren. Aktuell Meinung

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  2. Bogdan Serowik sagt:

    Wen ich mit meinen beiden Kinder über Bodensee von der Schweiz nach Deutschland mittels einen Autoreifenschlauch transportiert hätte…Die Wasserschutzpolizei hätte mich festgenommen. Die Verantwortung für das eigene Leben sollte in allen Länder der Welt gültig sein. Das ist eine vielleicht eine neokolonialle Masche, dass wir für die ganzen Welt zuständig sind. Die Anderen sind nur eine kindische unterentwickelte Masse…Die Verantwortung macht Unterschied zwischen dem Sklawe und seinem Herr. Es ist Zeit mit Afrikaner, wie Herr zum Herr zu sprechen.
    Die westliche Wettbewerb um den Titel „der menschlichste Mensch der Westen gewinnt der, der nach Afrika unsere Kreuzschiffe und Charterflugzeuge sendet. Die Unternehmung kann sich sogar rechnen. Die Fluchtkosten sinken deutlich. Es wird bequem und sicher. Schlepper verlieren Boden unter der Füßen.

  3. Otto W sagt:

    Bei so viel Schaum vor dem Mund scheint zeitweise das logische Denken auszufallen.

    1. Nicht alle Menschen die aus Lybien zu uns kommen sind Flüchtlinge, die meisten sind Migranten ohne Chance auf Flüchtlingsstatus. Klar weiss der Autor das, aber wenn man die Begrifflichkeiten nicht beachtet, dann sieht es so aus, als ob man recht hätte.

    2. Lybien grenzt nicht nur am Mittelmeer sondern westlich östlich und südlich auch an anderen Ländern. Dorthin kann man auch vor den Zuständen in Libyen flüchten. Es gibt kein Menschenrecht sich mit dem Finger auf der Landkarte seine neue Heimat auszusuchen. Für solche Vorhaben bitte erst mal eine demokratische Mehrheit erlangen. Viel Glück.

    3. Die EU ist in keinster Weise für das Leben und Sterben der Migranten/Flüchtlinge zuständig. Wer sich in ein Schlauchboot aus China setzt oder sich aus Zentralafrika in Richtung Europa aufmacht riskiert sein Leben. Das ist ein Naturgesetz und nicht verhandelbar, die EU kann dieses nicht ausschalten. Die EU ist dafür verantwortlich die Einwanderung von innen zu steuern und sich diese nicht von aussen aufdrängen zu lassen.

    4. Die EU ist stets darum bemüht zusätzliche Pulleffekte zu vermeiden, denn die würden noch mehr Tote bringen. ProAsyl hat selbstverständlich nichts gegen Pulleffekte. Mit dem RobinHood Argument scheint alles gerechtfertigt. Sichere Wege nach Europa = Pulleffekt. Mal davon abgesehn, dass die Europäer sich militärisch Einsätze in Afrika planen müsste. Nein,danke! Die gibts schon genug. Riecht irgendwie auch schon nach Kolonialisierung.

    5. Durch die EU sterben auf dem Mittelmeer fast keine Menschen mehr. Durch die EU und nicht wegen irgendwelcher ominösen Seenotrettungsorganisationen. Und nur dadurch werden sich demnächst auch keine Menschen mehr nach Lybien auf machen.

    6. Es gibt Aufnahmekapazitäten die aus Gründen des sozialen Friedens nicht überschreitet werden sollten. Ob man ein Einwanderungsland ist und wie man dieses ist, wird in enem demokratischen Prozess festgelegt, es gibt keine Pflicht einen Freudentanz auf den Einwanderungsstaat zu machen. Die Osteueopäer haben sich da anders entschieden und das ist zu respektieren, davon abgesehn dass eh kein Flüchtling nach Osteuropa wollte.

    Dazu noch ein schönes Zitat von Juncker: „Wer an Europa zweifelt, wer an Europa verzweifelt, der sollte Soldatenfriedhöfe besuchen! Nirgendwo besser, nirgendwo eindringlicher, nirgendwo bewegender ist zu spüren, was das europäische Gegeneinander an Schlimmstem bewirken kann.“