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Ärzte ohne Grenzen

Europa mitverantwortlich für Leid in Libyen

"Alle, mit denen ich geredet habe, fragten mich mit Tränen in den Augen immer wieder, wann sie freigelassen würden" - so schildert die Präsidentin von "Ärzte ohne Grenzen" Gespräche mit Migranten in Libyen. Europa nehme deren Leid in Kauf, meint sie.

Freitag, 08.09.2017, 4:25 Uhr|zuletzt aktualisiert: Mittwoch, 13.09.2017, 19:01 Uhr Lesedauer: 2 Minuten  |  

Für die Verbrechen an Migranten in Libyen tragen die europäischen Politiker laut „Ärzte ohne Grenzen“ eine Mitverantwortung. „Es handelt sich um ein florierendes Geschäft mit Entführungen, Folter und Erpressung. Die EU-Regierungen haben die bewusste Entscheidung getroffen, Menschen unter solchen Bedingungen einsperren zu lassen“, schreibt die Präsidentin der internationalen Hilfsorganisation, Joanne Liu, in einem am Donnerstag in Brüssel veröffentlichten Offenen Brief.

Liu hatte nach Angaben der Organisation in den vergangenen Tagen Lager in der libyschen Hauptstadt Tripolis besucht. Menschen würden dort in „dunkle, schmutzige und stickige Räume gepfercht“, heißt es in dem Brief. „Einige Männer erzählten uns, wie sie gezwungen wurden, so lange nackt über den Hof zu rennen, bis sie vor Erschöpfung zusammenbrachen. Frauen werden vergewaltigt und dann gezwungen, ihre Familien zu Hause anzurufen und von ihnen Geld zu verlangen, damit sie freikommen.“ Auf einer Pressekonferenz in Brüssel schilderte Liu, eine Schwangere habe ihr erzählt, dass sie gezwungen worden sei, stundenlang in der Hitze auf einem Bein zu stehen.

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Die Lager stünden unter der Kontrolle der international anerkannten Regierung, mit der die EU kooperiert, erklärte „Ärzte ohne Grenzen“ vor der Presse. Unter den Gefangenen seien auch Migranten, die von der libyschen Küstenwache aufgegriffen worden seien, teilte die Hilfsorganisation mit. Die EU unterstützt die libysche Küstenwache, die Migranten auf der Fahrt nach Europa stoppt, mit Ausrüstung und Ausbildung.

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EU verweist auf Hilfswerke

Die EU erkennt zwar eine schlimme Lage in Lagern in Libyen an, verweist aber zur Rechtfertigung ihrer Politik immer wieder darauf, dass sie das Flüchtlingshilfswerk UNHCR und die Internationale Organisation für Migration (IOM) bei der Verbesserung der Lage dort unterstützt.

Man sei sich der „inhumanen Bedingungen, unter denen bestimmte Migranten in den Aufnahmezentren in Libyen“ litten, bewusst, sagte eine Sprecherin am Donnerstag in Reaktion auf den Offenen Brief. „Wir versuchen diesen Organisationen zu helfen, damit sie Zugang zu diesen Lagern haben.“ Außerdem gehe es um Hilfe für freiwillige Rückkehr in die Heimatländer, sagte die Sprecherin. Parallel dazu arbeite man daran, „legale Wege“ nach Europa zu öffnen.

Patienten verschwinden über Nacht

„Ärzte ohne Grenze“ hatte sich schon zuvor gegen das Argument gewandt, dass Unterstützung für UNHCR und IOM das Zurückbringenlassen von Migranten nach Libyen rechtfertige. Denn die Präsenz der internationalen Organisationen dort sei minimal und sie hätten keine Macht, den bewaffneten Gruppen gegenüberzutreten. „Ärzte ohne Grenzen“ selbst habe immer wieder Probleme bei der Versorgung von Gefangenen, erklärte die Organisation.

Der Zugang zu den Lagern müsse immer wieder neu verhandelt werden und es könne passieren, dass Patienten über Nacht „verschwinden“. Arjan Hehenkamp, ein Mitarbeiter, sagte, in den 25 Jahren seiner Arbeit für „Ärzte ohne Grenzen“ habe er derartige Zustände noch nicht gesehen. (epd/mig) Leitartikel Politik

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