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Alte Hände © daoro auf flickr.com (CC 2.0), bearb. MiG

Studie

Beim Umgang mit Demenz von Migranten lernen

Bürokratische Hürden machen Demenz in Familien mit Migrationshintergrund zu einer besonders großen Herausforderung. Meistens übernehmen Familienangehörigen die Pflege. Das sind Ergebnisse einer aktuellen Studie.

Montag, 20.03.2017, 4:25 Uhr|zuletzt aktualisiert: Donnerstag, 23.03.2017, 17:52 Uhr Lesedauer: 2 Minuten  |  

Migrantenfamilien organisieren einer Studie zufolge die Pflege demenzkranker Angehöriger möglichst lange selbst. Trauer und Schmerz über das, was sich am Verwandten ändere, stehe bei den Pflegenden oft im Vordergrund, sagte der Gießener Theologe und Soziologe Reimer Gronemeyer am Wochenende dem Evangelischen Pressedienst in Gießen. Es gebe eine Orientierung an traditionellen Familienstrukturen und Gewissensfragen. Der Wissenschaftler und sein Team haben für eine Studie Interviews mit pflegenden Angehörigen geführt, um zu erforschen, wie Migrantenfamilien mit Demenz umgehen.

„Es gibt unter Migranten eine größere Selbstverständlichkeit, dass Pflege selbst organisiert werden muss“, berichtete der Soziologe Jonas Metzger. Auch in Migrantenfamilien seien meist die Frauen die Pflegenden. Teilweise schliefen sie sogar auf einer Matratze im Wohnzimmer, um die Eltern im Blick zu haben. Oft hätten die Interviewer gehört: „Sie hat so viel für uns getan, jetzt ist sie mal dran“, sagte Gronemeyer.

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Schwierigkeiten mit der Bürokratie

Die befragten Familien stammten hauptsächlich aus der Türkei und aus Russland. „Es wurde schnell deutlich, dass große Schwierigkeiten mit der deutschen Bürokratie bestehen“, sagte Metzger. Migrantengruppen erhielten oft nicht die Informationen, auf die sie ein Recht hätten und seien auf das Wohlwollen der Institutionen angewiesen. „Die Familien hatten lange Schwierigkeiten, bis ihnen eine Person aus dem deutschen Gesundheitswesen unter die Arme griff.“ Bis dahin hatten sie die Pflege meist so organisiert, dass sie die Dienste nicht mehr benötigten.

Die Interviews seien bewegend gewesen, aus vielen spreche eine poetische und emotionale Kraft, betonte Gronemeyer. „Es würde sich lohnen, mehr als bisher hinzuhören, wie Migranten mit Demenz umgehen.“ Auffällig sei, dass türkische und russische Migranten große Kraft aus der Religion schöpften und ihnen die Einstellung helfe: „Ich schaffe das, ich komme durch die schwere Zeit“, berichteten die beiden Forscher. „Aber es gibt auch Leiden und Belastung unter der Pflegesituation. Es ist nicht so, dass sie sagen: Wir wollen keine Unterstützung.“

Lernen von Migranten

Bei steigender Zahl von Demenzkranken und abnehmender Zahl an Pflegekräften müssten sich die Menschen auf die Frage besinnen: „Was können wir eigentlich selbst?“, sagte Gronemeyer. Er glaube, dass die Gesellschaft zu dieser Frage von Migrantenfamilien eine ganze Menge lernen könne.

Die vier beteiligten Wissenschaftler führten insgesamt 22 Interviews mit pflegenden Angehörigen sowie vier Gespräche mit Experten. Zudem fand eine Feldstudie in der Türkei statt. Außerdem sprachen sie mit pflegenden Angehörigen ohne Migrationshintergrund. (epd/mig) Leitartikel Panorama

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  1. Akademikerin sagt:

    Der Artikel zeugt von einer ungeheuren Ignoranz gegenüber den realen Zuständen in deutschen Familien. Erstens nehmen die meisten Herkunftsdeutschen keine üppigen Sozialleistungen Anspruch. Zweitens zahlen sie hohe Steuern und Abgaben. Beides führt dazu, dass sie wenig Kinder haben. Wer soll also pflegen? Wer soll v.a. dann pflegen, wenn Heimatort und Arbeitsort weit auseinanderliegen? Es ist ja nicht wie in Migrantenfamilien, dass man irgendwo in einer Stadt gemeinsam Arbeit sucht. Dazu sind die Deutschen zu hochqualifiziert. Die können sich nicht aussuchen, wo sie arbeiten wollen. Also was will man da „lernen“?
    Ist doch lächerlich. Das sind verschiedene Welten. Kann man gar nicht vergleichen.

  2. Michael sagt:

    Ich stimme hier zu. Der Vergleich kann nicht einfach so pauschal hergestellt werden, da der Deutsche eine ganz andere Lebensweise hat als ein Migrant, das fängt bei der Bildung, Wohnen, Freizeitgestaltung, usw. an.
    Viele Deutsche müssen 40 Std. die Woche arbeiten zu gehen, um die Familie zu ernähren und sich das Wohnen zu leisten. Oft bleibt keine Zeit mehr, um sich um Verwandte die Pflege benötigen zu kümmern. Daher kann man das nicht nur aus einer Sicht sehen.
    Zudem rückt das Thema Wohnen im Alter und Pflege im Alter auch von der Politik immer mehr in Fokus. In vielen kleinen Städten und Ortschaften werden sind neue Projekte für barrierefreie Wohnungen geplant bzw. im Aufbau. Pflegekräfte sind nach wie vor gesucht, jedoch sind auch hier Verbesserungen erkennbar, vor allem was Gehälter, etc. angeht.
    Ich selbst habe eine Mutter die an Demenz leidet und lebt in einer Seniorenwohnung von Augustinum https://www.augustinum.de/, wo sie die Pflege in Anspruch nehmen kann die sie benötigt. Diese Lösung ist für mich und auch meine Mutter eine sehr gute, um Job, Familie und Angehörige unter einem Hut zu bringen.