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Freital in Sachsen

Courage statt Couch

Freitalerin erhält Preis für Zivilcourage gegen Rechtsradikalismus

Ein Hasskommentar bei Facebook trieb die Kellnerin Steffi Brachtel zu ihrer ersten Kundgebung. Viel hat sich seither im sächsischen Freital verändert. Nun wird sie für ihre Zivilcourage ausgezeichnet. Von Michael Bartsch

Von Michael Bartsch Donnerstag, 03.11.2016, 8:23 Uhr|zuletzt aktualisiert: Donnerstag, 18.03.2021, 17:37 Uhr Lesedauer: 3 Minuten  |  

„Das ist meine erste Demo“, erklärte Steffi Brachtel aufgeregt im Juni 2015. Nach Aufrufen einer Initiative „Nein zum Heim“ hatten Einwohner und militante Nazis ein als Flüchtlingsunterkunft vorgesehenes ehemaliges Hotel im sächsischen Freital blockiert. Erneut machten Nachrichten aus Sachsen bundesweit Negativschlagzeilen. Zu denen, die sich den Blockierern entgegenstellten, gehörte die damals 40-jährige Steffi Brachtel.

Brachtel meldete seinerzeit die Gegenversammlung in Freital an. Journalisten versuchte sie zu erläutern, warum nach 1990 aus der ehemals roten Arbeiterstadt Freital eine Hochburg von AfD und „Pegida“ wurde. Für überforderte Nachbarn zeigte Frau Brachtel sogar ein gewisses Verständnis, nicht aber für Hasskommentare im Netz und Gewaltausbrüche.

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Grenze überschritten

Nun reiste Brachtel nach Berlin, um am Mittwoch im Beisein von Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) den „Preis für Zivilcourage gegen Rechtsradikalismus, Antisemitismus und Rassismus“ entgegenzunehmen. Die mit 3.000 Euro dotierte Ehrung hat der Förderkreis Denkmal für die ermordeten Juden Europas gestiftet.

Brachtels Empörung gegen die Empörung wurde im Herbst 2014 von einem anti-muslimischen Eintrag auf ihrer Facebook-Seite ausgelöst. In einem geposteten Comic erklärte ein Vater seinem Sohn, es gebe bei „Star Trek“ deshalb keine Muslime, weil die Serie in der Zukunft spiele. „Damit war für mich eine Grenze überschritten“, sagt die Preisträgerin, die sich politisch gar nicht einordnen will. Eine solche Gesinnung kollidierte mit ihrer Erziehung zu Mitmenschlichkeit, Respekt und Hilfsbereitschaft.

„Linke Zecke“, „Antifa-Hure“

Auf ihre Intervention bei Facebook hin wandten sich vermeintliche Freunde ab, blockierten sie auf der Plattform, beschimpften sie plötzlich als „linke Zecke“ und „Antifa-Hure“. „Das geht in eine ganz böse Richtung“, verständigte sich die alleinerziehende Mutter mit ihrem jetzt 17-jährigen Sohn, der ihr in den folgenden Auseinandersetzungen zur Seite stand.

„Es macht wütend, dass so viele Menschen einfach auf dem Sofa sitzen bleiben!“

Wie es zu diesem angestauten Frust und Hass kam, kann Steffi Brachtel nur bedingt verstehen. „Uns geht es verdammt gut“, verweist sie auf die Verhältnisse in den meisten anderen Ländern. Sie gehört als Kellnerin in einem Dresdner Café nicht gerade zu den Besserverdienenden und bezog schon einmal Grundsicherung. Lebensqualität misst sie jedoch nicht zuerst am Einkommen, sondern an „innerer Zufriedenheit“ und am Kontakt mit Wohlfühlmenschen. Allzuviele seien stattdessen „übersättigt und von Neid zerfressen“.

Plötzlich „mittendrin“

Als sie dann im Mai 2015 mit den beiden Freitaler Flüchtlingshilfe-Initiativen in Kontakt kam, war sie plötzlich „mittendrin“. Denn die „schweigende Mehrheit“ stört sie fast noch mehr als die harten Nationalisten: „Es macht wütend, dass so viele Menschen einfach auf dem Sofa sitzen bleiben!“

Wie angreifbar man durch Bekenntnis und Engagement werden kann, weiß die Preisträgerin nur zu genau. Der subtile braune Einschüchterungsterror ist ihr auch begegnet: mysteriöse Verfolgungsfahrten mit dem Auto, ein gesprengter Briefkasten, öffentliche Anfeindungen. Seit eineinhalb Jahren geht sie nicht mehr ohne Pfefferspray aus dem Haus.

Dabei ist es auch in Freital ruhiger geworden, geht es inzwischen um sehr alltägliche Hilfe. Wenn „Pegida“ montags in Dresden demonstriert, steht Steffi Brachtel allerdings nach wie vor oft an der „Front“. Von Angst will sie sich nicht besiegen lassen. „In mir steckt noch ein etwas naiver Glaube an das Gute im Menschen“, bekennt sie und möchte „die Welt jeden Tag etwas besser machen“. „Ich und meine Freunde machen das nicht, um einen Preis zu bekommen“, stellt sie klar. (epd/mig) Aktuell Gesellschaft

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  1. karakal sagt:

    Nur weil in Star Trek keine Muslime vorkommen, soll es in der Zukunft keine Muslime mehr geben. Das ist doch total einfältig und absurd! In Star Trek kommen auch keine Christen, Juden, Hindus und Buddhisten usw. vor, und völlig realitätsfern begegnen die Besatzungsmitglieder Angehörigen unbekannter Völker und Rassen und sprechen mit diesen fließend, ohne deren Sprache gelernt zu haben, noch daß diese die Sprache der Leute von Star Trek gelernt hätten. Selbst das Beamen von lebenden Menschen dürfte in der Zukunft wohl kaum realisierbar sein, aber trotzdem ist der Satz „Beam’ mich hoch, Scotty“ so bekannt geworden, daß er als „Me transmitte sursum, Caledoni!“ sogar ins Lateinische übersetzt wurde. Das ist die Verfremdung deutscher Kultur nicht durch muslimische Einwanderer, sondern durch den Tsunami von Amerikanismen, der über den Atlantik herüberschwappt: moderne Märchen und Hirngespinste fern der Realität, und in der Politik Lügen über Lügen, um gegen den Willen der Menschen Kriege zu führen. Wenn der Junge in jenem Comic erwachsen sein und sehen wird, wie die Muslime an Zahl zugenommen haben und integriert (nicht assimiliert) am gesellschaftlichen Leben teilnehmen, wird er vielleicht erkennen, daß sein Vater ihn belogen hat.

  2. Cinderella sagt:

    @karakal
    Welcher beruflichen Betätigung gehen Sie nach?

  3. Susanne sagt:

    Was hilft mir Mitmenschlichkeit, wenn ich aller Wahrscheinlichkeit nach so und so, selbst wenn ich fleißg bin, kaum oder keine Rente habe, wenn ich keine Kinder, die mich eines Tages versorgen? Soll nicht heißen, dass ich Hass befürworte, aber die Frage, ob man Rechts ist, ist letztlich eine Frage, des Rechenschiebers. Punktum.