Entscheidung im Juni

EU-Kommission empfiehlt Visafreiheit für Türken

Die EU-Kommission hat empfohlen, die Visumpflicht für türkische Staatsbürger aufzuheben. Das stößt auf unterschiedliches Echo. Union- und SPD-Politiker äußern sich skeptisch, Grünen-Politiker sind dafür, die Bevölkerung mehrheitlich dagegen.

Freitag, 06.05.2016, 8:25 Uhr|zuletzt aktualisiert: Mittwoch, 11.05.2016, 18:03 Uhr Lesedauer: 4 Minuten  |  

Die von der EU-Kommission empfohlen Visafreiheit für türkische Staatsbürger stößt bei deutschen Unionspolitikern auf Skepsis. Der CDU-Innenexperte im Bundestag, Wolfgang Bosbach, sagte der Passauer Neuen Presse, in seiner Fraktion gebe es „erhebliche Bedenken“, weil sie „zu einer nicht unerheblichen Ausweitung der irregulären Migration führen könnte“. Auch die Konservativen im EU-Parlament äußerten Kritik und verlangten von der Türkei, zunächst die geforderten Bedingungen zu erfüllen.

Die EU-Kommission hatte am Mittwoch in Brüssel eine Empfehlung verabschiedet, wonach türkische Bürger mit biometrischem Pass spätestens ab Ende Juni ohne Visum in die EU einreisen dürfen. Die Türkei muss zuvor allerdings 72 Bedingungen erfüllen, die von fälschungssichereren Dokumenten über eine bessere Grenzsicherung bis zu den Grundrechten reichen.

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65 von 72 Bedinungen erfüllt

Die Kommission sieht 65 Bedingungen als bereits erfüllt an. Für weitere zwei Kriterien müsse die Türkei ebenfalls noch Zeit erhalten, sie seien in der gegebenen Frist objektiv nicht erfüllbar gewesen, erläuterte die Kommission. Entscheiden über die Visumsfreiheit müssen die EU-Staaten und das Europaparlament.

Der innenpolitische Sprecher der Unionsfraktion im Bundestag, Stephan Mayer (CSU), sagte, es bestehe die große Gefahr, dass die Visafreiheit für die Türkei nur als politische Frage und nicht als Sachfrage behandelt werde. „Es darf weiterhin keine politischen Zugeständnisse gegenüber der Türkei geben“, sagte er der Passauer Neuen Presse.

Özdemir für Visa-Erleichterungen

SPD-Fraktionschef Thomas Oppermann reagierte zurückhaltend auf die geplante Abschaffung der Visa-Pflicht. „Entscheidend ist, dass die Türkei alle vereinbarten Kriterien erfüllt“, sagte er der Rheinischen Post. Deutschland werde die getroffenen Vereinbarungen einhalten. „Es gibt aber keinen politischen Rabatt für die Türkei“, betonte der SPD-Politiker.

Bayerns Innenminister Joachim Herrmann (CSU) lehnt die Visafreiheit für Türken vehement ab. Er erinnerte an die gewalttätigen Auseinandersetzungen zwischen Kurden und Türken am Ostersonntag in Aschaffenburg. Dort hatten Ende März Kurden eine Demonstration nationalistischer Türken angegriffen. „Wir wollen solche Konflikte in unserem Land nicht haben“, sagte Herrmann dem Kölner Stadt-Anzeiger.

Der Grünen-Vorsitzende Cem Özdemir plädierte für die Visa-Erleichterungen. „Wichtig ist, dass die EU die gleichen Maßstäbe anlegt, wie bei ähnlichen Vereinbarungen mit Drittstaaten“, sagte er der „Mitteldeutschen Zeitung“ (Donnerstagsausgabe). Zugleich warf er Bundeskanzerlin Angela Merkel (CDU) vor, erst durch den Druck der Flüchtlingsdebatte bereit gewesen zu sein, diesen Schritt zu gehen.

Deutsche mehrheitlich für Visa-Pflicht

Nach dem EU-Türkei-Pakt sollen Asylsuchende und Migranten, die „irregulär“ über die Ägäis nach Griechenland gelangen, in die Türkei zurückgebracht werden, im Gegenzug soll eine begrenzte Zahl syrischer Flüchtlinge aus der Türkei legal nach Europa kommen dürfen.

Laut einer ARD-Umfrage ist nur jeder dritte Deutsche (33 Prozent) dafür, dass türkische Bürger künftig ohne Visum in die EU einreisen dürfen. Dagegen finden 62 Prozent der Bürger die Aufhebung des Visa-Zwangs für türkische Staatsbürger nicht gut, wie die am Mittwoch in Köln veröffentlichte Umfrage ergab.

Visapflicht ohnehin rechtswidrig

Unter Rechtsexperten ist die Visapflicht für türkische Staatsbürger ohnehin nicht vereinbar mit EU-Recht. Mehrere Entscheidungen des Europäischen Gerichtshofs, nationaler Gerichte und sogar ein Gutachten des Wissenschaftlichen Dienstes des Bundestages kommen zu dem Schluss, dass die Visapflicht gegen das Assoziationsabkommen zwischen der EU und der Republik Türkei verstößt.

Darauf macht auch der niedersächsische Landtagsabgeordnete Belit Onay aufmerksam. Die Empfehlung der EU-Kommission sei ein „wichtiger Schritt“. Es sei aber „ärgerlich, dass dies erst jetzt und in dieser politischen Gemeingelage geschieht, denn die Visapflicht für die Türkei widersprach bisher schon gegen europäisches Recht“, so der Grünen-Politiker auf Facebook.

Die Visafreiheit sei wichtig für viele Menschen in der Türkei und vor allem für junge Menschen, Schüler und Studierende. „Menschen also, mit denen der Austausch so ungemein wichtig ist.“ Aber auch für in Deutschland lebende Türken werde das Leben damit einfacher. „Es wird hoffentlich einfacher werden, Verwandte zu wichtigen Ereignissen einzuladen. Großeltern könnten dann ohne Schwierigkeiten zur Geburt der Enkel kommen, Verwandte zur Hochzeitsfeier oder Angehörige zur Beerdigung in Deutschland.“ Das sei in der Vergangenheit mit erheblichen Schwierigkeiten verbunden. „Das kann ich aus eigener, leidvoller Erfahrung nur bestätigen“, so Onay abschließend. (epd/mig) Leitartikel Politik

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  1. aloo masala sagt:

    Man stelle sich vor, Türken würden in Deutschland rassistisch verfolgt werden und entfliehen dem Terror in Richtung Dänemark. Viele türkische Flüchtlinge zieht es weiter nach Schweden. Schweden will aber keine weiteren türkischen Flüchtlinge aufnehmen und geht einen dreckigen Deal mit Dänemark ein, der gegen internationales Recht, gegen die UN-Charta und gegen das UN-Protokoll verstößt. Dänemark soll die Türken behalten und erhält dafür im Gegenzug wirtschaftliche Sonderrechte unter bestimmten Bedingungen.

    Und wie würde ein dänisch geprägtes Migazin in Schweden darüber berichten? Ein dänisches Migazin würde ignorieren, dass dieser Deal ein dreckiger Menschenhandel ist und völlig kontextfrei darüber berichten. Und wie würde das originale Migazin in Deutschland darüber berichten? Es hätte den Fokus ausschließlich auf die unmenschliche Behandlung der türkischen Flüchtlinge und würde sich für den Deal selbst kaum interessieren.

    Leider verhält sich das originale Migazin wie das fiktive dänische Migazin, weil die Flüchtlinge eben keine Türken sind und es hier um Belange geht, die nützlich und gut für Türken sind.