Jane Grote, Ellen Kollender, kolumne, migazin, ohne migrationshintergrund
Ellen Kollender (r.) und Janne Grote (l.) © privat, bearb. MiG

Kolumne ohne Migrationshintergrund

Diskriminierende und rassistische Sprachgewohnheiten – eine Selbstbeobachtung

Die eigene Sprache überdenken, weil sie Rassismen transportiert? Ellen Kollender und Janne Grote sind im beruflichen und alltäglichen Umgang mit dieser Frage häufig auf Abwehr gestoßen. Zum Auftakt ihrer neuen MiGAZIN-Kolumne versuchen sie sich an einer Systematik 'weißer' Abwehrstrategien und schlussfolgern: Es fehlt an einer Haltung, in der sich die kritische Reflexion von Sprache mit der Frage nach damit verbundenen Diskriminierungsverhältnissen verbindet.

Von und Dienstag, 31.03.2015, 8:24 Uhr|zuletzt aktualisiert: Montag, 30.01.2023, 8:38 Uhr Lesedauer: 8 Minuten  |  

Sprache ist machtvoll. Sie operiert auf einer Bühne der Unterscheidungen und teilt Menschen in Haupt- und Nebendarsteller 1 ein. Wir, die Autoren dieser Kolumne, befinden uns ebenfalls auf dieser Bühne. Anders jedoch als viele andere, die hier auf MiGAZIN schreiben, sprechen wir nicht aus einem „wir“ mit (offensichtlichem) Migrationshintergrund. Das heißt wir bekommen auf dieser Bühne selten die Herkunftsfrage gestellt bzw. man bedrängt uns nicht mit der Frage, wo wir „eigentlich“ herkommen. Auch wurde uns nie allein aufgrund unseres Nachnamens ein Job oder eine Wohnung verwehrt – von strukturellen Diskriminierungs- und Rassismuserfahrungen mal ganz abgesehen.

In unserer Arbeit, aber auch im Austausch mit Freunden und Bekannten diskutieren wir oft über folgende Fragen: Welche Vorstellungen von „wir“ und „den Anderen“ empfinden wir eigentlich als „normal“ und „gegeben“? Inwiefern spiegeln sich solche vermeintlichen Normalitäten in unserer Alltagssprache wider? Und wie werden über ein solches normales Sprechen möglicherweise gesellschaftliche Ungleichheits- und Diskriminierungsverhältnisse reproduziert?

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Die Auseinandersetzung mit diesen Fragen löst oftmals Irritationen aus. Etwa dann, wenn wir darauf hinweisen, dass es sich bei den z.B. als „Ghanaer“ – häufiger noch als „Afrikaner“ – bezeichneten und hier lebenden Jugendlichen (auch) um Deutsche handelt. Oder dann, wenn wir zur Diskussion stellen, ob die nationale Etikettierung als „Türke“ wirklich ein sinnvolles bzw. „ganz normales“ Synonym für die Berufsbezeichnung „Gemüsehändler“ ist – wie es in einigen Regionen Deutschlands der Fall ist. Wir sind überzeugt, dass mit diesen und weiteren Zuschreibungen symbolische und faktische Ausschlüsse verbunden sind. Sie reduzieren Menschen auf ihr vermeintlich nicht-deutsches ‚Aussehen‘ und damit verbundene natio-ethno-kulturelle Zuschreibungen. Zudem werden in diesen Bezeichnungen (unbewusst) Überbleibsel eines völkisch-rassistischen Verständnisses von Deutsch-Sein mittransportiert, das vor allem durch Weiß-Sein und den Familienstammbaum bestimmt wird. Kurz: Einseitige sprachliche Kategorisierungen wie der Zwang zur nationalen Vereindeutigung machen einen Unterschied. Sie haben Konsequenzen auf Zugehörigkeitsdiskussionen, -praktiken und -gefühle.

Es fällt uns auf, dass besonders Angehörige einer weißen 2 Mehrheitsgesellschaft häufig mit Abwehr auf Fragen und Diskussionen dieser Art reagieren. Diese werden wahlweise als anmaßend oder kleinlich, als gängelnd oder auch als Gelegenheit empfunden, eigene rassistische und diskriminierende Positionen zu bestätigen. Im Folgenden wollen wir vier solcher Abwehrstrategien einmal nachgehen:

Abwehrstrategie Nr. 1: Die Diskussion wird kleingeredet.

Ob nun „Farbiger“ oder „Schwarzer“, ob „Ausländer“ oder „Deutsche mit Migrationsgeschichte“ – da gäbe es doch wirklich Wichtigeres als sich mit Begrifflichkeiten oder der (Selbst-)Bezeichnung einzelner Gruppierungen zu beschäftigen. Sicher scheint: Den „großen“ Problemen „unserer Gesellschaft“ könne man mit einer solchen Debatte nicht begegnen.

Interessant ist hier: Über die Relevanz einer solchen Diskussion über Bezeichnungen wird vor allem von jenen entschieden, die von den zur Debatte stehenden Zuschreibungen und damit verbundenen Diskriminierungen nicht betroffen sind. Es sind diejenigen, die sich selbstverständlich als „Deutsche“ fühlen und bezeichnen können – wenn sie denn wollen –, und denen dabei nicht mit Irritation begegnet wird. Es sind zugleich diejenigen, denen über Werbung, Fernsehserien, Schulbücher etc. eine selbstverständliche Zugehörigkeit zur Gesellschaft vermittelt wird.

Das Argument wird zudem meist von jenen angebracht, die selbst wenige oder keine Lösungsansätze für die von ihnen angemahnten „großen und eigentlichen“ Probleme benennen können, geschweige denn auf dieser Ebene aktiv sind.

Abwehrstrategie Nr. 2: Die Sprachdiskussion wird emotional aufgeladen.

Dies geschieht meist zunächst auf persönlicher Ebene. Entweder durch Empörung („Willst du mir jetzt etwa unterstellen, dass ich diskriminiere? Das muss ich mir ja wohl nicht anhören. Ich arbeite schon seit 25 Jahren im sozialen Bereich!“); durch lautstarke Unschuldsbekundungen („Früher haben wir immer N*küsse gesagt. Das haben wir doch nicht rassistisch gemeint!“); oder Trotz („Also wenn wir jetzt nicht mal mehr Ausländer sagen dürfen, dann dürfen wir bald gar nichts mehr sagen!“). Letzteres mündet oft im Ruf nach einer Grundsatzdiskussion über die „eigene“ und gesellschaftliche Meinungs- und Sprachfreiheit.

Diese Reaktionen zeigen, dass es in der Debatte um mehr geht als um Begriffe. Es geht auch um Identität und Machtansprüche einer Mehrheit gegenüber Minderheiten. Dabei schwingt die Annahme mit, man habe eine Art „Etabliertenvorrecht“ in Sachen „deutsche Sprachkultur“: In „seine“ Sprache lässt man sich von „Anderen“ nicht hineinreden – schon gar nicht, wenn diese Anderen vermeintlich nicht Teil des Eigenen sind (was sie nach dieser Logik jedoch auch nicht werden können). Es scheint in diesem Zusammenhang auch nichts auszumachen, dass mit dem Beharren auf die eigene Sprachfreiheit Anderen diese Freiheit abgesprochen wird. Eigene weiße Befindlichkeiten werden über die Tatsache gestellt, dass viele Menschen die gewaltvollen Auswirkungen bestimmter Begriffe tagtäglich zu spüren bekommen. Den Befindlichkeiten werden meist auch die Anstrengungen verschiedener Gruppierungen untergeordnet, die sich teils seit Jahrzehnten aufgrund eigener rassistischer und diskriminierender Erfahrungen für alternative (Selbst-)Bezeichnungen einsetzen (z. B. die Initiative Schwarzer Menschen in Deutschland).

Abwehrstrategie Nr. 3: Es wird darauf hingewiesen, dass sich „die Betroffenen“ doch selbst so nennen würden und die Bezeichnungen deswegen ja nicht so „schlimm“ sein könnten.

Tatsächlich kommt es vor, dass beispielsweise einige Schwarze Rapper in ihren Songs das „N*-Wort“ verwenden. Oder sich Gruppen und Einzelpersonen als „Kanaken“ bezeichnen. Es gibt dafür unterschiedliche Gründe, die wir nicht für diejenigen beantworten können und wollen, die von den Zuschreibungen betroffen sind. Viele haben sich zudem bereits zur Thematik geäußert (z. B. hier, hier und hier). Zusammenfassend nur so viel: Auch in solchen Selbstbezeichnungen können sich herrschende und gesellschaftliche Sprachroutinen widerspiegeln. Es kann damit aber auch die Strategie verbunden werden, in die Offensive zu gehen, sich gegen die abwertende Bezeichnung durch Selbstaneignung dieser zu wehren – mit dem langfristigen Ziel, damit verbundene Sprachrassismen zu dekonstruieren. Bei einer solche Strategie ist allerdings entscheidend, wer sie anwendet bzw. wer hier spricht.

Trotzdem bleibt es unwahrscheinlich, dass die Gemüsehändlerin sich selbst als „Türkin“ bezeichnet, wenn sie nach ihrem Beruf gefragt wird.

Abwehrstrategie Nr. 4: Es wird behauptet, dass man bestimmte Bezeichnungen selbstverständlich nicht in den Mund nehmen würde, wären „betroffene Personen“ im Raum.

Eigentlich ist man sich hier also der diskriminierenden, nicht so ganz korrekten Konnotation seiner Sprache bewusst. Im Akt, diese „trotzdem“ und „unter uns“ zu verwenden, werden exklusive weiße Räume geschaffen. Unter den Anwesenden wird dabei ein (Sprach-)Konsens vorausgesetzt, mit diskriminierenden und rassistischen Zuschreibungen d’accord zu gehen, diese zu dulden bzw. zu decken. Ausschlüsse werden hierüber weiter gefestigt, bestehende (Sprach-)Herrschaftsverhältnisse weiter reproduziert. Zudem kann ein solcher Umgang mit der eigenen diskriminierenden und rassistischen Sprachpraxis negativen Einfluss darauf haben, „betroffene Personen“ in weiße Kreise – sei es im Freundeskreis, im Verein oder an der Arbeitsstelle – selbstverständlich miteinzubeziehen. Schließlich wären damit (sprachliche) Anstrengungen verbunden…

Neben diesen vier Abwehrstrategien beobachten wir aber auch ein gegenteiliges Phänomen. Es handelt sich hier um Situationen, in denen kritische Begriffsreflexionen auf Seiten einer meist bildungsprivilegierten Gruppe überraschend schnell Konsens in Form von kollektiver Empörung auslösen. Die Forderung nach einem kritischen Kanon der Migrationsbegriffe scheint hier dem Selbst- und Abgrenzungszweck zu dienen. Sie wird zugleich zum Statusmerkmal einer gebildeten Gruppe, die sich zu Herrschenden in der moralischen Arena über Sagbares und Nicht-Sagbares auftut („Wie du sagst noch ‚Farbiger‘? Das heißt doch ‚People of Color‚!“). Manchmal wird diese Sprachsensibilität zusätzlich mit einer gewissen „Wohltätigkeitsattitüde“ zur Schau getragen. Den betroffenen Personen wird dann unterschwellig das Gefühl vermittelt, dankbar sein zu können, gerade nicht sprachlich diskriminiert zu werden. Dies schafft weitere subtile Formen des Ausschlusses und verweist zugleich auf mögliche Fallstricke in der Sprachdiskussion…

Eine Auseinandersetzung mit Bezeichnungen und Begriffen wirkt dann nachhaltig, wenn wir uns die Diskriminierungsverhältnisse und -strukturen bewusst machen, die sich in unserer Alltagssprache abgelagert haben. Welche historischen Kontinuitäten an gewaltvoller Ausgrenzung werden über Sprache sichtbar und in die Gegenwart getragen? Und wie werden durch Sprache diskriminierende und rassistische Diskurse aufrechterhalten, die auch darauf Einfluss nehmen, wie Staat und Gesellschaft handeln, wenn es um die vermeintlich „Anderen“ geht? Um diese Dynamiken und Wirkmechanismen zu identifizieren, muss sich auch der persönlichen Verstrickung in diese Verhältnisse bewusst gemacht werden. Dazu gehört, den Blick von den vermeintlich Anderen auf das Eigene zu richten – in diesem Fall: die Migrationsgesellschaft ohne Migrationsvordergrund.

Beim Eigenen ansetzen bedeutet dann auch, sich in der Diskussion um sprachliche Rassismen nicht im Kampf um das bessere Argument zu verlieren, sondern die (Diskriminierungs-/Rassismus-)Erfahrungen und -Gefühle Anderer anzuerkennen und als solche in der Debatte stehen und wirken zu lassen…

Auch stellt die Reflexion über einzelne Sprach- und Denkbausteine keinen singulären Akt dar, der einmal vollzogen und dann ad acta gelegt werden kann. Er muss von der Offenheit begleitet werden, sich sprachlich immer wieder neu irritieren zu lassen. Reibungen, die dabei entstehen, helfen, gängige Normalitätsvorstellungen in Frage zu stellen.

Sicher ist die Sprachdiskussion und -reflexion nur einer von vielen Schritten hin zu einem anti-diskriminierenden und anti-rassistischen Zusammenleben. In den kommenden Kolumnen wollen wir auf MiGAZIN weitere Aspekte und Gedanken hierzu teilen – wohlwissend, dass auch diese Gedanken sich in einem Zwischenraum befinden, die sich mit wandelnden gesellschaftlichen Realitäten überholen oder bereits überholt sind. In dem Fall hilft vor allem eins: wenn wir darauf hingewiesen werden.

Zum Thema:

  1. Diese Kolumne kann auch in gendersensibler Sprache auf elalemelalem.de gelesen werden. MiGAZIN verzichtet zu Gunsten der Leserfreundlichkeit auf diese Schreibweise.
  2. Weiß und schwarz bezeichnen hier nicht die Hautfarben von Menschen, sondern stehen für politische und gesellschaftliche Konstruktionen. Diese sind historisch gewachsen bzw. von einer Geschichte des Rassismus geprägt und beeinflussen die Position, die Menschen in der Gesellschaft einnehmen. Weiß verweist in dem Sinne auf dominante gesellschaftliche Positionen und damit verbundene Privilegierungen, die meist unausgesprochen bleiben. (vgl. glokal e.V. und brauner mob)
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  1. Leya sagt:

    Vielen Dank für diese neue Kolummne. Ich empfinde es immer wieder positiv mein Sprachverhalten gerade in diesem Bereich zu überdenken und anzupassen.

  2. Noni sagt:

    Ich finde den Artikel eigentlich inhaltlich hervorragend. Was mich aber ins grübeln bringt ist, dass direkt zu Beginn anhand einer Fußnote darauf hingewiesen wird, dass man aber aufgrund der Lesbarkeit eine Differenzlinie (Geschlecht) hier diskriminieren möchte. ????

  3. Ellen und Janne sagt:

    Vielen Dank für die vielen Gedanken und die Kritik zu unserem Artikel!

    @ Petra:
    Wir schließen uns Maries Antwort an.
    Wir können uns vorstellen, dass Sie mit der Verwendung des N*Wortes und sonstiger Bezeichnung keine intendiert rassistischen Absichten haben bzw. dies nicht rassistisch meinen. Das ändert aber nichts daran, dass Sie die Bedeutung und Wirkung historisch und gesellschaftlich geprägter Begrifflichkeiten – und in diesem Fall dessen Funktion im europäischen Imperialismus, ‚wissenschaftlichen’ Rassismus, Exotismus und Faschismus – mit Ihrer persönlichen Konnotation des Begriffes nicht ändern können. Der Begriff bleibt mit einer Vielzahl von rassistischen und eurozentristischen Stereotypen belegt. Das mit dem N*Wort verbundene rassistische Konzept findet noch heute in einer Vielzahl von Handlungen Ausdruck – sei es in direkter und krasser Form wie in rassistischer (sprachlicher wie körperlicher) Gewalt oder auf ‚subtilere‘ Weise, z.B. in Form von Verniedlichung und „Infantilisierung“ wie es in der Werbung oder in Ihrem Post passiert.

    Was Ihre Definition angeht, möchten wir hier erneut auf den „braunen mob“ verweisen: „Oft stößt man bei der Rechtfertigung für die Verwendung des Wortes ‚N*’ auf Konstrukte, die auf dem Versuch der Herleitung etwa eines ‚Gewohnheitsrechtes’ für ebendiese Verwendung basieren. Fast ebenso häufig wird die ‚linguistische’ Information hierzu strapaziert, das Wort ‚N*’ leite sich lediglich aus „negro“ (=schwarz) ab. Da das Wort ‚Negro’ sich aber bis dato zu keiner Zeit im deutschen Sprachgebrauch befand und Schwarze Menschen auch nicht als ‚Negro’ bezeichnet wurden, sondern als ‚N*’, ist dieser Rechtfertigungsversuch hinfällig. […] Es ist auffällig, dass Einzelne heute noch versuchen, die Verwendung von Bezeichnungen zu legitimieren, die die benannte Gruppe bekanntermaßen geschlossen als Beleidigung auffasst. Diese Information allein sollte eigentlich schon Anlass genug sein, eine Bezeichnung zu wählen, die nicht diskriminiert und keine Rassismen enthält. Die reale Zumutung, von Angehörigen der Dominanzgesellschaft auf rassistische Art bezeichnet zu werden, ist zweifellos größer als die gefühlte ‚Zumutung’, auf gewaltvolle Sprache zu verzichten. Als Pendant zu ‚Weiße’ (auf deren rassifizierte Zuschreibung, etwa als Arier, in deutschen Publikationen generell ja auch verzichtet wird) gilt im Übrigen keinesfalls ‚N*’ sondern ‚Schwarze’, das den Vorteil birgt, dass es eine selbstgewählte und sich nicht auf rassi(sti)sche Theorien stützt sondern eine soziopolitische Bezeichnung ist, die einen gemeinsamen Erfahrungshintergrund ausspricht.“ – http://www.derbraunemob.info/shared/download/warum_nicht.pdf

    @ Gerrit:
    Unsere Kritik an der Herkunftsfrage bezieht sich vor allem auf die Nachfrage. Konkret: „Wo kommen Sie EIGENTLICH bzw. WIRKLICH her?“ Hier möchten wir noch einmal auf den im ersten Absatz unseres Beitrags verlinkten MiGAZIN-Artikel von Tupoka Ogette „Perspektivwechsel – Woher kommst Du? Ich meine wirklich?“ verweisen, in dem sehr deutlich wird, was hier gemeint ist: http://www.migazin.de/2014/11/13/woher-kommst-du-ich-meine-wirklich/

    @ aloo masala:
    Wir stimmen Ihnen zu, dass es in der Debatte nicht nur um Begriffe gehen kann. Die Sprachebene ist nur eine Handlungsebene, die Gefahr der Euphemismus-Tretmühle besteht. Dieses Dilemma sprechen wir gen Ende unseres Artikels an – auch dass es deswegen nicht damit getan ist, dass man sich den Begriffen „fügt“. Wir denken aber, dass die Auseinandersetzung auf der Begriffsebene dennoch Sinn macht. Zum einen, weil Personen, die ansonsten von rassistisch konnotierten und/oder gemeinten Ansprachen betroffen sind, ganz unmittelbar entlastet werden, wenn bestimmte Begriffe nicht (mehr) verwendet werden. Zum anderen, weil sich über die Reflexion von Begriffen auch Strukturen reflektieren lassen (müssen) bzw. die Auseinandersetzung mit gesellschaftlichen Strukturen auch von der Begriffsebene ausgehen kann. Für ein solches Ineinandergreifen von persönlicher und gesellschaftlicher Reflexionsebene und Kritik setzen wir uns – wie es auch schon seit langem durch zahlreiche andere Personen und Initiativen geschieht – in dem Artikel ein.

    Wir glauben aber, dass die Auseinandersetzung mit gesellschaftlich/ institutionell/ strukturell verankertem Rassismus in diesem Zusammenhang häufig zu wenig Berücksichtigung findet. Indem wir in unserem Artikel häufig von „Rassismus“ und „rassistisch“ sprechen, fokussieren wir diese Notwendigkeit. Dass wir diese Begriffe verwenden, spricht aber unserer Meinung nach – anders als von Ihnen vertreten – nicht gegen eine sachliche Debatte. Vielmehr wundert es uns, dass die Verwendung des Begriffes „Rassismus“ oder die Bezeichnung „rassistisch“ stets mit einer „emotional aufgeladenen“, „unsachlichen“ Argumentation verbunden wird. Die Frage in dem Zusammenhang könnte auch sein: Warum ist das so?

    Ihren Vorwurf, wir selbst würden rassistisch agieren, indem wir Menschen „aufgrund eines äußeren Merkmals (Sprachmuster) in eine höherwertige und in eine minderwertige Gruppe“ einteilen, können wir nachvollziehen, sehen es aber – wie von Ihnen schon vermutet – anders. Es geht uns hier nicht darum, einer bestimmten Gruppe unveränderliche Eigenschaften zuzuschreiben. Unsere gesamte Kolumne basiert auf der Überzeugung, dass die Macht der Sprache nicht von einzelnen ausgeht, Sprachpraxis zudem stets im Wandel und veränderbar ist. Das Denken in „höher- und minderwertig“, auf dem ja zum Teil auch Sprachdominanzen basieren bzw. ein diskriminierender und rassistischer Sprachgebrauch von Einzelnen legitimiert wird, stellen wir in unserem Artikel als zentrales Problem in der Diskussion um Sprachgewohnheiten dar.

    Ihren Vorschlag zur Verwendung des Begriffs Dysphemismus anstelle von Rassismus finden wir nicht überzeugend. Der Dysphemismus steht ja für eine bewusste sprachliche Abwertung. Sprachlicher Rassismus äußert sich jedoch in viel mehr Formen bzw. sprachlichen Ausdrücken (u.a. auch im Euphemismus), wohingegen der Dyspehmismus eine ganze Reihe von negativen Wertungen fasst, die lange nicht alle rassistisch konnotiert sein müssen. Warum also ein solches Fachwort verwenden, wenn es der Begriff „Rassismus“ doch eigentlich ganz gut fasst?

    …auch die Kritik in Bezug auf das generische Maskulinum, die bereits auf unterschiedlichen Kanälen geäußert wurde, finden wir sehr berechtigt und freuen uns, dass unser Artikel dazu beitragen konnte, die Sprachdiskussion auch zu diesem Aspekt auf MiGAZIN in Bewegung zu bringen. Vorerst möchten wir hier jedoch weiter auf die gendersensible Version auf unserem Blog http://www.elalemelalem.de verweisen…

    Herzliche Grüße

    Janne und Ellen

  4. aloo masala sagt:

    Hallo Janne und Ellen,

    herzlichen Dank für Ihre Antwort.

    Als erstes möchte ich ein Missverständnis ausräumen. Ich werfe Ihnen nicht vor rassistisch zu agieren. Ich bin im Gegenteil davon überzeugt, dass Sie beide eine zutiefst menschliche Denkweise haben. Das was für Sie wie ein Rassismus-Vorwurf aussieht, ist eine Kritik an Ihrer Argumentation im Artikel.

    Unsere Meinungsverschiedenheit begründet sich im „Rassismus-Vorwurf“. Vielleicht lässt sich das am besten anhand Ihrer Antwort zeigen:

    „Dass wir diese Begriffe [Rassismus / rassistisch] verwenden, spricht aber unserer Meinung nach – anders als von Ihnen vertreten – nicht gegen eine sachliche Debatte. Vielmehr wundert es uns, dass die Verwendung des Begriffes „Rassismus“ oder die Bezeichnung „rassistisch” stets mit einer „emotional aufgeladenen“, „unsachlichen“ Argumentation verbunden wird. Die Frage in dem Zusammenhang könnte auch sein: Warum ist das so?“

    Kein Mensch läuft gerne böse durch die Welt. Wer seinen Stiefel im Nacken eines im Staube liegenden afrikanischen Sklaven presset, braucht dafür eine gute Rechtfertigung. Wer Indianern die Lebensgrundlage entzieht, ihr Land raubt und sie nahezu ausrottet, benötigt ebenfalls eine gute Rechtfertigung. Wer industriell Juden und Sinti & Roma vergast, weiß warum er das tun muss. Die gemeinsame Rechtfertigung der größten Verbrechen an die Menschen ist die Minderwertigkeit der Anderen und die eigene Höherwertigkeit.

    Umgangssprachlich verbinden Menschen mit Rassismus abscheuliche Verbrechen und / oder eine menschenverachtende Geisteshaltung. Einmal mit diesen Vorwurf konfrontiert ist keine sachliche Debatte mehr möglich, selbst wenn der Vorwurf zutreffen sollte. Denn wer wird schon gerne als Gesinnungs-Abschaum der Gesellschaft hingestellt?

    Was erwartetet man für eine Reaktion, wenn man gutherzigen Menschen strukturellen Alltagsrassismus vorwirft, weil gerade ein Wort über die Jahre mit negativen Konnotationen verschlissen wurde? Sind Menschen die „Behinderter“, „taub“ und „Taubstummer“ sagen strukturelle Alltagseugeniker? Verharmlost man mit solchen Vorwürfen nicht eher das wahre Ausmaß einer menschenverachtenden Gesinnung? Der entscheidende Punkt ist: Rassismus ist in erster Linie eine Geisteshaltung. Wie können Sie aufgrund sprachlicher Muster Rückschlüsse auf die Geisteshaltung einer Person ziehen ohne unzulässig zu generalisieren?

    Der Begriff Rassismus ist ebenfalls vorbelastet und mich erstaunt, dass ausgerechnet Sie sich wundern, dass dieser Begriff stets mit einer „emotional aufgeladenen“, „unsachlichen“ Argumentation verbunden wird. Ich wurde Nigger, Kanake und dergleichen genannt und mir wurde auch Rassismus vorgeworfen. Was glauben Sie, was mich mehr verletzt hatte und wo ich emotionaler reagierte?

    Aus diesen Grund machte ich den Vorschlag (mit einem möglicherweise unpassenden Wort), die Menschen ohne Rassismus-Vorwurf auf bestimmte negativ belastete sprachliche Muster (z.B. Neger) aufmerksam zu machen und wie diese auf die Betroffenen (z.B. Afrikaner) wirken. Ich vermute, dass in den meisten Fällen die Abwehrstrategien entfallen und die Menschen Ihren Hinweisen aufgeschlossener gegenüber treten. Und das sollte doch eigentlich das übergeordnete Ziel sein?

    Beste Grüße

    al masala

  5. Mein Lieblingswort ist „getürkt“. Immer und immer wieder wird es von den allerprogressivsten Leuten verwendet. Wenn man auf den rassistischen Kontext verweist, bekommt man genau das, was die Autorin und der Autor beschreiben: Aggression, Abwehr, langatmige Debatten, Gesprächsabbruch. Übrigens auch bei sexistischem Sprachegebrauch. Wer denkt schon darüber nach, was „dämlich“ im Gegensatz zu „herrlich“ impliziert?

  6. aloo masala sagt:

    Das Wort „dämlich“ hat etymologisch mit dem Wort „Dame“ ebenso wenig zu tun wie das Wort „negativ“ mit „Neger“. Bedenkt man nun, dass das Wort „positiv“ aus dem lateinischen für „gesetzt“ steht, wissen wir nun, was „negativ“ im Gegensatz zu „positiv“ impliziert, nämlich dass „Neger“ nicht gesetzt sind.

    Dieser ganze Sprachunsinn erinnert mich an den „Zielscheibenfehler“ (Texas Sharpshooter Fallacy) in den empirischen Wissenschaften. Der Texas Sharpshooter ist ein Typ aus Texas, der sein Gewehr zufällig auf ein Scheunentor abfeuert. Anschließend malt er um die größte Trefferhäufung eine Zielscheibe auf dem Tor und proklamiert ein guter Scharfschütze zu sein. Mit diesem Beispiel beschreibt man den Denkfehler aus einer Häufung von Ereignissen auf einen kausalen Zusammenhang zu schließen. Dieser Denkfehler ist eng verwandt mit der Illusion in zufälligen Daten nicht vorhandene Muster zu sehen. Genau das schient hier zu passieren.

    Sorry für die langatmige Abwehrstrategie. Apropros „langatmige Debatte“. Ist doch interessant zu sehen, dass eine Auseinandersetzung nicht erwünscht zu sein scheint, die Geduld derjenigen mit der richtigen Gesinnung überstrapaziert und als Abwehrstrategie der Fehlgeleiteten abgetan wird.

  7. Ellen und Janne sagt:

    Hallo al masala,

    Ihr Vorschlag, in der Sprach-Diskussion Rassismus prinzipiell als solchen nicht zu benennen – „selbst wenn der Vorwurf zutreffen sollte“ –, weil sich die angesprochenen Personen dann erst recht gegen eine (Sprach-)Veränderung sperren würden, kann situativ durchaus eine Strategie sein. Auch wir beobachten, dass die Verwendung des Begriffes „Rassismus“ die Diskussion nicht weniger emotional macht. Wir halten es allerdings für wichtig, Rassismus in seinen verschiedenen Ausdrucksformen zu benennen, weil wir der Überzeugung sind, dass Rassismus fester Bestandteil der Gesellschaft bzw. institutionellen Alltagspraxis ist. Wir möchten hier Mark Terkessidis zitieren:

    „Historisch gehört Rassismus ebenso zur Moderne wie Demokratie. Das mag zunächst ein durchaus erschreckender Gedanke sein, doch erst dieser Gedanke macht Rassismus analytisch und politisch rational zugänglich. Niemand würde es besonders schwer fallen, zuzugeben, dass die Gesellschaft von Ungleichheit, gar von Klassen, durchzogen ist. Mittlerweile würden die meisten sogar anerkennen, dass die Gesellschaft strukturell Frauen benachteiligt. Doch im Falle des Rassismus steht dieser Anerkennung – insbesondere in Deutschland – offenbar ein moralisches Selbstbild entgegen, dass den Rassismus immer wieder auf ein Außerhalb verweist: Stets sind die politischen Extremisten oder die ungebildeten Randexistenzen für Rassismus verantwortlich […]. Anstatt jedoch weiter Rücksicht auf das erwünschte moralisch korrekte Selbstbild zu nehmen, ist es sinnvoller, davon auszugehen, dass es sich bei Rassismus um ein spezifisches Ungleichheitsverhältnis unter anderen innerhalb der Gesellschaft handelt.“ (aus: Die Banalität der Rassismus, S. 92) – dies stellt auch eine unserer Vorannahmen dar, die wir in unserer Kolumne nicht hintergehen wollen, sondern weiter im Diskurs etablieren möchten.

    Die Naturalisierung von Unterschieden diente als Legitimation „der größten Verbrechen an die Menschheit“, wie Sie schreiben. Dieses sich hier formierte rassistische Wissen hat sich in unterschiedlicher Form seinen Weg durch die Geschichte gebahnt, dabei seine Gestalt durchaus verändert und sich dabei vielfach auf subtile und komplexe Weise in die Gesellschaft und ihre Institutionen eingeschrieben. Um Rassismus in seiner historischen Persistenz und die Kontinuität rassistischen Wissens im Heute greifen, erkennen und bearbeiten zu können, muss dieses Wissen unserer Meinung nach beim Namen genannt und auch in der Sprachdiskussion direkt adressiert werden…

    Viele weitere Argumente und Hintergründe finden sich übrigens auch auf den von uns in der Kolumne verlinkten Seiten.

    Viele Grüße. Ellen und Janne

  8. aloo masala sagt:

    Hallo Ellen und Janne,

    das eine ist der akademische Diskurs, der in der Tat emotionslos geführt werden kann und wird. Das andere ist, was einfache Menschen von der Straße, wie z.B. ich unter dem Begriff Rassismus verstehen.

    Es mag sein, dass ich akademisch ein Rassist bin. Umgangssprachlich würde für mich jedoch eine Welt zusammenbrechen. Einfache Menschen wie ich verstehen den intellektuellen Diskurs der Akademiker über Rassismus nicht. Treten nun Akademiker an einfache Menschen wie mich heran und unterstellen mir rassistische Gewohnheiten, dann knüppeln sie mich regelrecht nieder.

    Die Frage, die ich mir nun stelle ist folgende: Sind die Abwehrstrategien in Ihrem Artikel eine Reaktion auf Begriffe wie „rassistisch“ und „diskriminierend“ oder eine Reaktion auf den Hinweis wie ein Wort (z.B. Neger) auf die Betroffenen wirkt?

    Beste Grüße

    aloo masala

  9. Selima sagt:

    Ich finde den Kommentar von R. Lotys vollkommen legitim und die Antwort der Redaktion darauf seltsam. „Bessere Lesbarkeit“ ist ja ziemlich individuell. Für mich liest sich ein Text, in dem ich mich in einer männlichen Form „mitdenken“ oder „mitgemeint fühlen“ soll, keineswegs „besser“, sondern er ärgert mich. Frauen sowie Trans*Inter*Queers werden durch eine androgegenderte Sprache unsichtbar gemacht. So eine Sprache als „besser lesbar“ zu bezeichnen ist absolut nicht zeitgemäß und sehr zynisch.

  10. Liebe Selima,

    Danke für deinen Eintrag. Wir können deine Kritik und dein Unverständnis gut nachvollziehen und haben daraus bereits Konsequenzen gezogen. Für unsere zweite Kolumne konnten wir eine gendersensible Schreibweise durchsetzen und freuen uns, dass sich die MiGAZIN-Redaktion hier offen für (notwendige) Veränderungen gezeigt hat…

    http://www.migazin.de/2015/06/08/wie-rassismus-ueber-das-leistungsprinzip-aus-der-mitte-spricht/

    Herzliche Grüße

    Janne & Ellen