5 Thesen zu kulturweit
Am deutschen Wesen soll die Welt genesen.
kulturweit ist ein Freiwilligendienst des Auswärtigen Amtes. Offiziell trägt sie zur Völkerverständigung bei. Tatsächlich werden aber die deutsche Sprache und Kultur verbreitet. Es geht also darum, dass sich die Welt auf deutsch verständigt. Von Genia Bless
Von Genia Bless Dienstag, 31.03.2015, 8:25 Uhr|zuletzt aktualisiert: Dienstag, 29.09.2020, 11:06 Uhr Lesedauer: 20 Minuten |
Spätestens seit 2008 der entwicklungspolitische Freiwilligendienstes weltwärts mit mehreren tausend Plätzen jährlich gestartet ist, gibt es in Deutschland eine größere kritische Debatte über den Sinn und Unsinn von internationalen Freiwilligendiensten: Junge, meist unausgebildete Deutsche reisen für ein Jahr lang in den Globalen Süden um in sogenannten Entwicklungsprojekten mit anzupacken. weltwärts wurde in den Medien, in der Wissenschaft und innerhalb der entwicklungspolitischen Szene selbst immer wieder scharf kritisiert: Als „Egotrip ins Elend“ oder als kolonial-rassistisches Programm. Als eine Person, die ich mich kritisch mit deutscher Außenpolitik befasse, überrascht mich in der Debatte die Ruhe um den kleinen Bruder kulturweit.
Der „internationale kulturelle Freiwilligendienst“ kulturweit ist der Freiwilligendienst des Auswärtigen Amtes und wird von der Deutschen UNESCO Kommission durchgeführt. Jährlich reisen etwa 400 Freiwillige für 6-12 Monate in Länder des Globalen Südens sowie nach Osteuropa um in einer Institution der deutschen auswärtigen Kultur- und Bildungspolitik, wie z.B. einem Goethe-Institut oder einer deutschen Schule mitzuarbeiten. kulturweit hat im Herbst 2014 seinen fünften Geburtstag gefeiert und bisher gab es ausschließlich positive Kritiken und Berichte. Es ist also durchaus an der Zeit, kulturweit einmal grundsätzlich infrage zu stellen.
Aber warum ist das nötig? Wurde nicht in einer Evaluation herausgearbeitet, dass kulturweit „eine außerordentlich positive Resonanz von Seiten der Freiwilligen und der Einsatzstellen“ erhält? Gerade weil alle beteiligten Akteure – von den Freiwilligen hin zu den Einsatzstellen und Partnerorganisationen, von den Mitarbeitenden und Trainern bis hin zum Auswärtigen Amt und der Deutschen Unesco Kommission – direkt von dem Programm profitieren und sich alle selbst-referenziell aufeinander beziehen, ist ein kritischer externer Blick auf das Programm von hoher Bedeutung, um kulturweit und seine Wirkungen beurteilen zu können.
Unterstützt wurde mein externer Blick durch zwei Interviews und ein Fokusgruppengespräch, die ich im Herbst 2014 mit fünf kritischen, ehemaligen kulturweit-Freiwilligen geführt habe, bei denen ich mich herzlich bedanken möchte. Über einen persönlichen Kontakt wurden mir schnell weitere Gesprächspartner empfohlen. Auf Wunsch sind ihre Namen geändert worden.
kulturweit ist ein imperiales Programm
Im neuen Imageclip wirbt kulturweit-Initiator und Außenminister Steinmeier mit folgenden Worten für das Programm: „Für viele Menschen, gerade junge Menschen, eröffnet sich zum ersten Mal ein Horizont, der auch bedeutet, dass sie sich ihre Zukunft nicht innerhalb der deutschen Grenzen, oder nicht alleine innerhalb der deutschen Grenzen vorstellen können, sondern ein Teil ihres beruflichen Lebens auch im Ausland verbringen.“
Verbunden mit seinem Wunsch auf der Fünfjahresfeier, kulturweit möge „nicht nur 5, oder 50, sondern 500 weitere Jahre“ bestehen, könnte man fast meinen, einen Christoph Columbus sprechen zu hören. Junge Europäer in die Welt zu versenden, um Sprache und Kultur zu exportieren, reiht sich in eine gewaltvolle koloniale Tradition ein. kulturweit als Programm innerhalb der deutschen auswärtigen Kultur- und Bildungspolitik hat aber nicht nur kein Bewusstsein für die Eroberungs- und Ausbeutungsgeschichte der letzten 500 Jahre, sondern nimmt auch heute einen aktiven Part darin ein, Kolonialismus und Unterdrückungsverhältnisse fortzuführen. Chris schildert das folgendermaßen:
„Ich habe in Buenos Aires ein Seminar zu Kolonialität besucht. Dort ging es oft um die europäische Herrschaftsstrategie, lokale Kulturen zu zerstören und europäische Wissens- und Bildungssysteme einzuführen. Plötzlich ging mir ein Licht auf und ich sah kulturweit und mich selbst in einem kolonialen Setting des 21. Jahrhunderts. Das war ein Schock, aber total wichtig für mich. Durch viele Gespräche und dekoloniale Bücher, bin ich mir nun sehr sicher, dass das, was wir machen, wirklich nichts anderes als moderner Kulturimperialismus ist. Die Freiwilligen sind die Missionare von heute.“
Und Eva-Maria erzählt:
„Ich hatte mich bei kulturweit beworben, weil ich der festen Überzeugung war, dass ich durch interkulturelle Begegnungen zu Frieden und Völkerverständigung beitragen kann. Als ich dann aber begriffen hatte, dass kulturweit ein rein deutsches Programm ist, vom deutschen Außenministerium gefördert, mit ausschließlich deutschen Partnerorganisationen und Freiwilligen, da merkte ich, wie naiv ich war und fragte mich: Wurde denn ein einziges Mal im Globalen Süden nachgefragt, ob die uns alle haben wollen? Ist es nicht krass, dass wir Deutschen das einfach so machen können, in andere Länder gehen, noch dazu v.a. ehemalige Kolonien, und dort unsere Sprache und Kultur verbreiten? Das wäre andersherum null denkbar. Daher gibt es wahrscheinlich auch kein incoming-Programm bei kulturweit.“
kulturweit heißt ‚deutsche Interessen zuerst‘
Ezra:
„Ein ‚internationaler kultureller Jugendfreiwilligendienst‚, das klingt doch erst mal so, als ob da niemand etwas dagegen haben könnte, es klingt gar harmlos. Wer ahnt denn da als Abiturientin, dass da deutsche Interessenpolitik dahintersteckt?“
kulturweit ist ein einzigartiges Gebilde im Bereich der internationalen Freiwilligendienste. Es ist nicht nur ein quasi-staatliches Programm, sondern arbeitet fast ausschließlich mit deutschen Partnerorganisationen zusammen. Die auswärtige Bildungs- und Kulturpolitik ist im Inland kaum bekannt und so war es für meine Interviewpartner eine große Überraschung, wie weit verzweigt das Netz deutscher Schulen und Goethe-Institute weltweit ist. Das Auswärtige Amt wirbt mit dem Slogan ‚Kulturelle Angebote aus Deutschland schaffen weltweit Vertrauen in unser Land‘ und macht damit deutlich, dass die auswärtige Bildungs- und Kulturpolitik ebenso interessengeleitet ist wie Außenpolitik im Allgemeinen. Eva-Maria beschreibt auf welcher Absurdität der ganze Politikbereich beruht:
„Andere Sprachen und Kulturen zu verstehen, erscheint erst mal wie ein wichtiger Grundstein für das Zusammenleben in einer globalisierten Welt. Und so wird es auch dargestellt. Aber dass es darum geht, Deutsch als international wichtige Sprache durchzusetzen, sich Marktanteile zu sichern und international Definitionsmacht zu bekommen, das habe ich erst später begriffen. In Sprache und Kultur werden immer auch Werte und Normen mit vermittelt, es geht also nicht darum, dass wir uns mit der Welt verständigen können, sondern dass die Welt sich auf deutsch mit uns verständigen kann. Und da das offenbar nicht von alleine geschieht – und immer wieder gefährdet scheint – braucht es eben eine aktive Steuerung durch die Außenpolitik. Wir kulturweit-Freiwilligen sind darin nur ein kleines Rad im Getriebe.“
In Saras Schilderungen wird zudem auch klar, dass Goethe-Institute beispielsweise nicht nur die Rolle der Sprach- und Kulturvermittlung haben, sondern einen aktiven Part in der Steuerung bzw. Verhinderung von Migration einnehmen und damit angebliche nationale Interessen umsetzt:
„Es dauerte eine Weile bis ich verstanden hab, welche Rolle die Goethe-Institute für das deutsche Migrationsregime spielen. Nachdem ich aber mitbekommen habe, dass viele Menschen kein Visum bekommen, da sie zum Beispiel nicht genug formelle Bildung haben, um an unseren Kursen teilzunehmen oder sich nicht leisten konnten einen dreimonatigen Sprachkurs 800km von ihrem Wohnort zu besuchen, war ich echt frustriert. Meine Kollegen haben das teilweise einfach hingenommen und nicht verstanden, dass wir Lebensträume zerstören, wenn wir Menschen immer wieder durch die Deutschprüfung rasseln lassen und sie dann kein Visum beantragen können, um zum Beispiel zu ihren Ehepartnern nachzuziehen.“
Ein Großteil der kulturweit-Freiwilligen ist in deutschen oder deutschsprachigen Schulen im Ausland eingesetzt. Auch hier geht es darum Deutsch als global wettbewerbsfähige Sprache zu fördern. Was Pete jedoch in erster Linie überraschte, war, dass auf deutsche Staatskosten Elitenförderung in den jeweiligen Ländern umgesetzt wurde:
„Kolonialismus war schon immer auf die Zusammenarbeit mit lokalen Eliten angewiesen. In meiner Schule waren neben ein paar deutschen Diplomaten- und Managerkindern v.a. die Kinder der wirtschaftlichen und politischen Elite vertreten. Mein Direktor sagte immer, dass wir froh sein sollen, dass sie hier bei uns auf der Schule sind, denn davon würde unsere Wirtschaft später sehr profitieren. Nicht wenige der Absolventen würden später für deutsche Firmen arbeiten, zum Beispiel um lokale Märkte zu erschließen.“
Der neue Imageclip von kulturweit startet mit eine Einstellung, in der ein Freiwilliger seinen Schülern zeigt, wie sie Dinge machen sollen. Kurz darauf beschreibt er seine Tätigkeit: „Am Anfang ist es natürlich ziemlich ungewohnt, als Lehrer vor Gleichaltrigen zu stehen […]. Aber das gibt sich mit der Zeit […] und man geht auch ziemlich stolz aus der Schule wieder raus.“ Falls sie es nicht eh schon insgeheim im Kopf hatten, lernen die deutschen Freiwillige durch kulturweit ein gewisses Gefühl von Überlegenheit kennen. Und sie lernen dies zu akzeptieren und als Normalität wahrzunehmen.
Doch nicht nur als Lehrkraft haben die Freiwilligen viel Spielraum ihre verinnerlichte Überlegenheit noch weiter auszubauen. Auch in der Arbeit bei anderen Einsatzstellen wird immer wieder deutlich, dass Deutschland bzw. der Globale Norden besser, entwickelter und erstrebenswerter ist als das Gastland. Beim Deutschen Akademischen Austausch Dienst (DAAD) ist Eva-Maria zufolge das Werben für Deutschland als Arbeits- und Wissenschaftsstandort Nummer 1 eines der wichtigsten Arbeitsbereiche:
„Beim DAAD bekam ich mit, wie die Stipendien für ein Studium in Deutschland vergeben werden. Es ist ein Ringen um die besten Köpfe, ein Wettbewerb um die wenigen hochqualifizierten Fachkräfte und Wissenschaftler. Ich hatte schon länger mal von Braindrain gehört, aber nun weiß ich, wie er funktioniert und v.a. dass er politisch gewollt und praktisch vorangetrieben wird. Das einzige, was unterm Strich zählt, ist die deutsche Volkswirtschaft. kulturweit-Freiwillige spielen eine verhältnismäßig kleine Rolle in dem ganzen System, aber sie stützen es mit. Ich hab mich zeitweise richtig schuldig gefühlt.“
Beim Deutschen Archäologischen Institut (DAI) sind die Freiwilligen meist nicht direkt bei den Ausgrabungen eingesetzt, sondern in koordinierenden Büros. Auch dort ist der Alltag einerseits geprägt von diskriminierenden Haltungen sowie Überlegenheitsgefühlen andererseits. Pete:
„Eine Freundin von mir war beim DAI Freiwillige, und was die erzählte in puncto Hochnäsigkeit und abwertenden Äußerungen der Kollegen über die Kulturen der Ausgrabungsländer, da schlackerten mir echt die Ohren. Dem Grundverständnis, dass die ausgegrabenen Kulturgüter am besten in unseren Museen aufgehoben sind, wurde nicht widersprochen. Stattdessen wurde kräftig geschimpft, wenn ein Land die deutschen Archäologen mal nicht buddeln ließ. Das ganze Thema koloniale Beutekunst war ein großes Tabu.“
kulturweit ist und macht unpolitisch
Internationale Freiwilligendienste werden ähnlich wie Entwicklungszusammenarbeit immer häufiger als ‚Anti-Politik-Maschine‘ 1 diskutiert. Die junge Generation bekommt die Möglichkeit, sich mit drängenden globalen Zukunftsfragen zu beschäftigen, ohne aber politisch aktiv zu werden und Verhältnisse grundlegend verändern zu wollen. Dabei werden die Inhalte entschärft, entradikalisiert und so gewandelt, dass sie die bestehenden Verhältnisse nicht gefährden. Die Tatsache, dass kulturweit ein staatliches Programm ist, ist für diesen Prozess sicherlich kein Zufall. Dreierlei Strategien, die Jugend mit ihrem Wunsch nach Engagement abzuholen, zu besänftigen, und für herrschende Interessen zu nutzen, lassen sich bei kulturweit beobachten:
Erstens durch das Narrativ der Entwicklungszusammenarbeit (EZ), das schon dadurch eine Rolle spielt, dass kulturweit-Freiwillige nur in sogenannte Entwicklungsländer (und Osteuropa) ausreisen dürfen. Im Gegensatz zu weltwärts ist der Entwicklungsgedanke jedoch deutlich versteckter, aber doch immer wieder sichtbar. kulturweit möchte einen Beitrag für globale Gerechtigkeit leisten und das kommt offenbar auch bei den Freiwilligen so an, wie Ezra berichtet:
„Mein Gefühl war, dass sich viele Freiwillige in ihrer Rolle sehr gefallen. Sie verstehen sich als Teil einer globalen Bewegung gegen Armut und Ungerechtigkeit, sind also Teil der ‚Guten‘. Was sie jedoch nicht in den Fokus rücken, ist, dass sie gleichzeitig ihre eigenen Handlungsspielräume und Privilegien kontinuierlich ausbauen können und dadurch bestehende Ungerechtigkeit befördern.“
Sara ergänzt:
„Ich stand EZ eher kritisch gegenüber und bin daher bei kulturweit gelandet, da ich das nicht mit Entwicklungsarbeit in Verbindung gebracht hatte. Aber schon am ersten Tag des Seminars rief uns der Generalsekretär der Deutschen UNESCO Kommission Bernecker zu: ‚Ihr könnt die Welt verändern, Ihr könnt die Welt sogar verbessern‘. Das stieß mir sofort auf. Später erfuhr ich dann, dass das gesamte kulturweit-Budget zwar vom Auswärtigen Amt kommt, aber als Entwicklungshilfe abgerechnet wird.“
Zweitens spielt die Nachhaltigkeitsidee eine herausragende Rolle im Selbstverständnis von kulturweit. Dabei ist es kein Zufall, dass ausgerechnet ein so schwammiges und ausgehöhltes Konzept propagiert wird. Anstatt sich auf politischere Herangehensweisen, z.B. Kapitalismuskritik, zu fokussieren, beteiligt sich kulturweit, so Eva-Maria, sogar aktiv an der Verwässerung des ursprünglich einmal widerständigen Konzept von Nachhaltigkeit:
„Ich habe gehört, dass kulturweit auf Seminaren nun nur noch vegetarisches Essen bestellt, wegen der Ökobilanz. Einerseits ist das längst überfällig gewesen. Andererseits ist es der blanke Hohn, dass kulturweit sich als nachhaltiges Projekt darstellt. Alleine schon wegen des CO2-Ausstoßes durch die Flüge der Freiwilligen und ihrer Besucher sowie der Trainer, die für ein paar Tage Zwischenseminar um die halbe Welt fliegen, sollte kulturweit abgeschafft werden. Aber stattdessen tragen sie noch das Nachhaltigkeitssiegel der Deutschen Unesco Kommission. Schon komisch, dass kulturweit von der eigenen Trägerorganisation eine Auszeichnung für Nachhaltigkeit bekommt, während die umweltzerstörerischen Fakten doch mehr als auf der Hand liegen. Von den sozialen Folgen von kulturweit ganz zu schweigen.“
Die dritte Strategie ist etwas komplexer und zeigt, dass kulturweit zumindest in Teilen den aktuellen Debatten folgt. Alle Interviewpartner berichteten, dass mit dem Kulturbegriff sehr vorsichtig umgegangen wird. Stattdessen haben Ansätze einer rassismuskritischen Bildung Einzug in die Seminararbeit erhalten. Sara:
„Was ich zur Verteidigung von kulturweit sagen muss ist, dass es ihnen wirklich wichtig war, uns Freiwillige dafür zu sensibilisieren, wie wir mit unseren Blogs Stereotype reproduzieren. Da hatten sie tolle Trainer, denen das wirklich ein Anliegen war, das ist bei uns auch angekommen.“
Pete:
„Das stimmt schon. Aber ist es nicht absurd, uns Freiwillige rassismuskritisch zu bilden und selbst aber ein absolut koloniales Programm zu organisieren? Ich fand das ursprünglich sehr gut, aber im Nachhinein sehe ich, dass diese ganzen ‚fair-berichten‘- Workshops ein großes Alibi sind, für kulturweit weiter so zu machen wie bisher, und für uns Freiwillige trotzdem unbesorgt ausreisen zu können, da wir uns ja mit Rassismus auseinandergesetzt haben.“
Die Sozialwissenschaftlerin Kristina Kontzi 2 beschreibt, Isabel Lorey folgend, diese Alibi-Strategie bei weltwärts als eine Art Medizin, ein phármakon, dass das eigentliche Programm gegen Kritik immunisiert. Bei kulturweit passiert das in offenbar ähnlicher Form durch die Setzung der Seminarinhalte. Darüber hinaus legitimieren die ‚fair-berichten‘-Workshops, die Existenz eines Netzwerkes „von über 500 ‚kulturweit‘-Blogs aus der ganzen Welt, deren Seiten bis zu 80.000 Mal im Monat aufgerufen werden.“ Statt Menschen aus dem Globalen Süden selbst zu Wort kommen lassen, bleibt die koloniale Struktur des FÜR sie zu sprechen erhalten und wird millionenfach konsumiert.
Die Freiwilligen berichten – optimalerweise, die Realität sieht leider deutlich anders aus – nun zwar ‚fair‘, aber die Ungleichverhältnisse bleiben durchaus erhalten: Menschen aus dem Globalen Norden machen sich zum Zentrum der Geschichte(n) und berichten aus ihrer Perspektive über Menschen und Gesellschaften, die sie vormals kolonisiert haben. kulturweit gelingt es also, aktuelle, z.B. postkoloniale Kritiken wie die des Berliner Vereins glokal e.V. und seiner Broschüre „Mit kolonialen Grüßen…„, aufzunehmen und den Freiwilligen ein Gefühl zu vermitteln, sich mit grundlegender Kritik auseinander zu setzen und sie aber gleichzeitig in koloniale Settings zu entsenden. Die Widersprüche werden aufgelöst und geschmeidig gemacht. Widerständige Perspektiven werden dabei inkorporiert und entpolitisiert, eine nicht unbekannte Herrschaftsstrategie.
kulturweit ist Elitenförderung
Die Vor- und Nachbereitungsseminare von kulturweit finden seit der Gründung 2009 in der ehemaligen Pionierrepublik Wilhelm Pieck am Werbellinsee statt. Eva-Maria erzählt:
„Es ist schon merkwürdig. Da stehen 250 Freiwillige auf dem Appellplatz der Pionierrepublik und führen Rituale wie Mazunga durch. Die heutige Elite versammelt sich an demselben Ort, den die Nazis geplant haben und an dem die sozialistische Elite gedrillt wurde. Und genau wie damals, merkt kaum einer, wie sehr wir gebrainwasht werden. Auch wenn heute vielleicht mehr Fokus auf Individualität gelegt wird, ist das ‚wir-Gefühl‘ wichtiger als die Tatsache, dass wir auf Linie gebracht werden.“
Internationale Freiwilligendienste sind in Deutschland schon immer eine Sache für das sogenannte Bildungsbürgertum gewesen. Da es in Post-Pisastudie-Zeiten aber politisch kaum tragbar wäre millionenschwere Programme zur Elitenförderung aufzulegen, läuft kulturweit unter dem Deckmantel der Gemeinnützigkeit. Tatsächlich hat das Programm jedoch von Anfang an Diskriminierung in Bezug auf Klasse und Bildungsabschluss nicht nur hingenommen, sondern durch die Programmgestaltung und den Auswahlprozess vorangetrieben. Die Interviewpartner berichten, dass in ihren Ausreisejahrgängen jeweils 95-100 Prozent der Freiwilligen Abitur hatten oder sich im Studium befanden. Darüber hinaus bestätigten sie, dass eine überdurchschnittlich hohe Zahl der Freiwilligen aus der oberen Mittelschicht und Oberschicht kommt, wie Ezra spezifierte:
„Als ich auf dem Vorbereitungsseminar angekommen bin, wurden wir alphabetisch nach Nachnamen auf Häuser verteilt. Mein Nachname beginnt mit Z und so fand ich mich in einem Zimmer mit drei jungen Frauen, die alle ein „von…“ in ihrem Namen hatten in einem Zimmer einquartiert. Da schluckte ich schon erst mal und dachte, krass, wo bin ich denn hier gelandet, in einem deutschen Adelsclub?“
Pete hingegen betonte an mehreren Stellen den starken Klassismus, auf den er bei kulturweit gestoßen ist. Ihm war wichtig zu benennen, dass dies nicht nur von anderen Freiwilligen, sondern v.a. durch kulturweit selbst und die Trainer vorangetrieben wurde. Ein Beispiel:
„Auf jedem Seminar findet ein sogenannter Kulturabend statt. Da dürfen Teilnehmende Musik, Theater etc. performen. Das ist ein wahnsinniges Showing-Off der Talente. Einerseits ist es stark zu sehen, was die Leute alles können. Aber für mich, der nicht schon 15 Jahre Geigenunterricht hinter mir hatte, war der Abend auch ein bitterer Stich. Zu sehen, wie viel Förderung, Geld und Energie schon in diese ganzen Oberschichtskinder geflossen ist, ist echt frustig. Noch dazu vor dem Hintergrund, dass sie nun noch einmal ein Jahr lang voll gefördert auf Staatskosten noch mehr Kompetenzen erwerben können. Mit sozialer Gerechtigkeit hat so etwas wirklich überhaupt nichts zu tun, außer dass es sie weiter untergräbt.“
Darüber hinaus bemerkten die Interviewpartner, dass im Kontrast zur gesellschaftlichen Realität in Deutschland Freiwillige mit Migrationsgeschichte sehr unterrepräsentiert sind bei kulturweit. Chris problematisiert das und fragt, welchen Einfluss das auf die Wirkung des Freiwilligendienstes hat:
„Ein wichtiges Ziel von kulturweit ist die ‚Vermittlung eines aktuellen und differenzierten Deutschlandbildes‚. Wir leben heute in einer Migrationsgesellschaft, wie kann kulturweit denn ein differenziertes Deutschlandbild vermitteln, wenn im wesentlichen weiße Deutsche Freiwillige entsendet werden? Wir leben doch in unserer Blase und bekommen doch gar nicht mit, was in Deutschland überhaupt passiert. Wie wollen wir denn dann diesen Anspruch umsetzen? Von kulturweit aus, wird das glaube ich nicht als Problem gesehen, sonst würden sie das ja bei der Auswahl und Werbung berücksichtigen.“
Ezra beleuchtet noch einen anderen wichtigen Aspekt:
„In unserem Jahrgang waren wir, glaube ich, zwei Teilnehmende mit Migrationsgeschichte. Während es für die weißen Deutschen eine Vielzahl von Angeboten gab, sich mit ihrem Rassismus und ihrer Positionierung auseinander zu setzen, fehlte das für uns, unsere Bedürfnisse und unsere Fragen komplett. Wir sind einfach durch das Raster durchgerutscht und es wurde so getan, als wären wir nicht da. Im Gegenteil, das ganze ging sogar noch auf unsere Kosten, indem wir immer wieder die Rolle der Fremden einnehmen mussten. Ich hatte nicht nur auf Seminaren immer wieder das Gefühl, das Programm ist nicht für mich gemacht. Das ging bis dahin, dass in meinem Goethe Institut mein Deutschsein von den anderen Mitarbeitern immer wieder infrage gestellt worden ist. Und das in einem Programm wie kulturweit, das hat mich sehr wütend gemacht.“
Indem fast ausschließlich mit gesellschaftlich bevorteilten Menschen gearbeitet wird, trägt kulturweit nicht nur weltweit sondern auch innerhalb von Deutschland zur Aufrechterhaltung von sozialer Ungleichheit bei. Shultz fordert, dass der Fokus auf das „empowerte Individuum“ aufhören muss, um sich überhaupt auf den Weg zur sozialen Gerechtigkeit machen zu können.
Während die Seminarebene und der Freiwilligendienst die eine Seite der Medaille sind, ist die Zeit danach mindestens ebenso wichtig. Denn dass kulturweit zum Lebenslauftuning beiträgt und inzwischen ein zentrales Nachwuchsförderprogramm für die auswärtige Kultur- und Bildungspolitik ist, ist nicht zu übersehen. Die kulturweit-Verbleibstudie von 2014 beginnt stolz mit dem Zitat eines Alumni: „‚kulturweit‘ hat mir Siebenmeilen-Stiefel gegeben“ und betont ungeniert Erfolgsgeschichten wie diese: „Ich bin nach meinem Freiwilligendienst in Uganda geblieben (und bin auch immer noch hier!), weil mir hier ein Job angeboten worden ist. Durch den Freiwilligendienst hatte ich nicht nur notwendige Landes- und Kulturkenntnisse, sondern auch erste Arbeitserfahrungen im Bereich Biodiversitätsmanagement, Nationalparkmanagement, Education for Sustainable Development und traditioneller ugandischer Kulturen, da ich bei der NatCom an Projekten in all diesen Bereichen beteiligt gewesen bin.“ 3 Ob direkte Jobvermittlung oder nicht, in der Verbleibstudie beschreiben viele Alumni, wie sehr ihnen der Freiwilligendienst Selbstbewusstsein gegeben hat und sie für Studium und Arbeitswelt gestärkt hat. Dass dies nicht ganz selbstlos geschieht, argumentiert Chris:
„kulturweit ist für mich eindeutig ein neoliberales Projekt und passt wunderbar zur aktuellen Politik. Die ganze Bildung und Kompetenzvermittlung, um die es die ganze Zeit geht, hat vor allem den Zweck, die Freiwilligen fit für den Markt zu machen, Nachwuchskräfte heranzuziehen, die flexibel sind, selbst denken können, aber loyal und nicht zu kritisch sind.“
Die Nachwuchsförderung hört jedoch nicht mit dem Freiwilligendienst auf, sondern umfasst ausführliche Angebote der Netzwerk- und Alumniarbeit. Wie wichtig kulturweit die Bindung der Alumni ist, drückt sich nicht nur finanziell aus. Anfang des Jahres wurde der Alumniverein ‚kulturweiter‚ mit einer Gründungsfeier im Weltsaal des Auswärtigen Amtes unter Anwesenheit von Staatsministerin Böhmer gegründet.
Ausblick
kulturweit ist ein Politikum und muss endlich kontrovers diskutiert werden. Für diesen Moment überlasse ich den Ausblick meinen Interviewpartnern:
Pete:
„Wenn ich nun Bilanz ziehen müsste, dann sehe ich wie sehr ich durch kulturweit geprägt worden bin, allerdings vor allem durch meine Abgrenzung und kritische Betrachtung dazu. Solch einen Prozess würde ich natürlich allen jungen Menschen wünschen – auch wenn nur ein Bruchteil der kulturweit-Freiwilligen die Chance dafür nutzt, ein kritisch denkender Mensch zu werden. Wie auch immer, um kritisches Denken zu lernen, muss man jedoch nicht auf die andere Seite der Welt jetten. Das Geld von kulturweit wäre in politischer Bildungsarbeit in Deutschland sicher besser angelegt.“
Sara:
„Das kann ich auch unterschreiben. Ich bin sehr dankbar, dass ich durch kulturweit auf meinen eigenen Rassismus aufmerksam gemacht worden bin. Aber das ist ja nicht Ziel des Programms, sondern eigentlich ein Nebenprodukt. Den Rest fand ich schwierig bis total problematisch.“
Chris:
„kulturweit ist für mich ein rassistisches und klassistisches Programm. Ich empfinde es wie eine große Heuchelei von Frieden, Nachhaltigkeit und Gerechtigkeit zu sprechen und gleichzeitig ein Programm auf die Beine zu stellen, das die eigenen Ziele torpediert. Ich würde allen, die sich überlegen, einen kulturweit Freiwilligendienst zu machen, dringend davon abraten.“
Eva-Maria:
„kulturweit bekommt seit Jahren das quifd-Siegel für ‚Qualität in Freiwilligendiensten‘. Meines Erachtens sollten für die Vergabe ganz andere Kriterien zählen, z.B. inwiefern Ungleichverhältnisse stabilisiert werden. Auch sollten Gutachter mitarbeiten, die Freiwilligendiensten gegenüber skeptisch eingestellt sind, um auch die negativen Seiten und Nebenwirkungen mit zu evaluieren. Je nachdem, welche Empfehlungen dann gegeben werden, sollte kulturweit sich verändern oder gar überlegen sich abzuschaffen. Letzteres wäre zumindest meine Empfehlung.“
Ezra:
„Audre Lorde sagt, ‚The Master’s tool will never dismantle the Master’s house.‘ kulturweit ist durchweg kolonial und trägt kein Stück zu mehr Gerechtigkeit bei, das hätte ich eher erkennen müssen.“
- Ursprüngliche These von James Ferguson (1994): The Anti-politics Machine: Development, Depolitication and Bureaucratic Power in Lesotho. University of Minnesota Press.
- Kontzi (2015)
- ibid S.13
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Die deutsche Sprache ist halt eine Weltsprache, ganz einfach aus dem Grund, weil Jahrhunderte lang mehr deutsche Bücher gedruckt wurden als englische oder französische. Das hat mit „Kolonialismus“ und „Rassismus“ nichts zu tun. Mit dem gleichen Recht müsste man Latein, Arabisch, Altchinesisch und Griechisch verbieten. Mein Vorschlag: Kürzt die Mittel, dann hört das Wehklagen auf!
Danke, Migazin! Der Artikel ist super und deckt sich mit meinen Erfahrungen bei den Goethe Instituten. Ich freue mich über diesen mutigen Artikel, der einen Blick hinter den Dunst der offiziellen Rhetorik von kulturweit wagt! Macht weiter so!!!
Das, was in dem Artikel beschrieben wird, bezeichne ich mit „Deutsche-Zuerst“-Politik.. Supremacism in Reinkultur..
Ich kann nichts verwerfliches in ihrem Vorwurf finden. Außerdem tun viele Länder das gleiche. Siehe DITIB.
Der Artikel bedient alle Linkenvorurteile: Imperialismus Kolonialismus Elitenfoerderung Adelskreise und unx und der Autorin sei empfohlen einen weniger einseitig linkslastigen Blickwinkel einzunehmen ansonsten wird sie ihr Leben lang Artikel wie diesen verfassen. Das haben selbst die Leser von Magazin nicht verdient
Auch ich bin davon überrascht, dass kulturweit in der Freiwilligendienst-Debatte bislang so unkritisch dargestellt wurde. Grundsätzlich stehe ich als Gründer eines Portals zur Freiwilligenarbeit im Ausland den Freiwilligendiensten positiv gegenüber, aber auf unserer Darstellung von kulturweit heben wir ebenfalls hervor, dass dieses Programm als „erklärter Teil der deutschen Außenpolitik z. B. für eine “verstärkte Sichtbarkeit der deutschen Einrichtungen der deutschen Auswärtigen Kultur- und Bildungspolitik” sorgen“ soll. http://www.wegweiser-freiwilligenarbeit.com/freiwilligendienst-ausland/kulturweit/ Vielleicht stößt euer Artikel eine wichtige Diskussion darum an.
Frau Bless legt eine sehr einseitige Sichtweise dar. Ich kenne die Arbeit von kulturweit nicht im Detail, aber die Aussagen der Interviewpartner von Frau Bless zeigen doch, dass junge und unerfahrene Menschen nun eben nicht für jedes Projekt geeignet sind. Es spricht nichts dagegen, dass deutsche Kultur und auch die deutsche Sprache weltweit verbreitet wird. Da in jedem Fall imperiales Bestreben hineinzuinterpretieren, ist vermessen. Wer die deutsche Geschichte nur auf Weltkriege und Kolonialzeit reduziert, ist sicher nicht geeignet für einen Dienst für Deutschland im Ausland. Offenbar wird kein Land gezwungen, die Goethe-Institute und andere deutsche Einrichtungen arbeiten zu lassen.
Ich weiß nicht in welchen Ausreisen die Befragten waren oder mit welchen Menschen sie gesprochen haben, denn bei meiner Ausreise war die Diversität der Freiwilligen enorm hoch. Ein großer Teil waren „Freiwillige mit Migrationsgeschichte“ und auch viele Nicht-Abiturienten waren unter den Ausreisenden. Gerade im Gegensatz zu anderen Förderprogrammen fand ich es beachtlich wie bei kulturweit nicht auf Schulnoten oder dutzende Auslandseinsätze geschaut wurde. Die Sichtweise ist doch sehr einseitig. Und auch auf den Seminaren wurde der Freiwilligendienst selber kritisch hinterfragt in verschiedenen Workshops und Arbeitsgruppen. Es ist also nicht so, dass alles einfach so hingenommen wird. kulturweit ermöglicht den Freiwilligen ihr Deutschlandbild kritisch zu hinterfragen und auch ihr Verhalten und Wirken im Ausland.
Es kommt vor allem auch darauf an, was der Freiwillige aus seinem Freiwilligenjahr macht
Als ehemalige „kulturweit“-Alumni stimme ich Ihnen, Frau Bless, in vielen Punkten zu. Ich finde den Artikel nicht mutig. Nein, eher richtig und gut, dass Sie durch die Befragung einen Beweis und somit einen personifizierten Beweis liefern konnte, wie manche sich nach dem Programm gefühlt haben mussten, sich aber nur nicht getraut haben, es laut auszusprechen.
Die mediale Aufmerksamkeit fehlte hier komplett. Das ist richtig. Dass jemand über „kulturweit“ mal nachhakt, dass jemand mal das „Bild“ korrigiert, dass habe ich auch vermisst.
Wie einige aus meinem Jahrgang entzog ich mich während des Vorbereitungsseminars manchen Kursen, weil wir nach paar Tagen schon merkten, wie würden sowieso abgestoßen werden, allein, weil eine kritische Bemerkung wohl ausgereicht hätte, um das paradiesische Bild über die „angebotenen“ Regionen junger Menschen zu zerstören.
Aber es war zumindest erschreckend, wie die Teilnehmer, die trotz eines sehr guten Abiturs nicht wussten, wie weit entwickelt die ausgewählten Regionen waren. Länderkunde war kaum vorhanden und das ist ein großer Kritikpunkt an die organisatorischen Maßnahmen. Ich als PoC und Minderheit, die daran teilgenommen hat, befand mich schlussendlich auch eher in einem anderen umgekehrten Identitätskonflikt : „Wie wenig „deutsch“ bin ich eigentlich, und wie viel „deutsch-deutscher“ sind die anderen eigentlich?“
Wenn Sie die Gegenseite wie die UNESCO befragt hätten und mit diesen Ansichten konfrontiert hätten, wäre Ihr Artikel perfekt gewesen. Aber vielleicht kommt ja noch ein zweiter Teil.
Mein kulturweit-Jahr empfinde ich für meine persönliche Entwicklung nach wie vor als sehr wichtig: Ich hatte die Möglichkeit meinen Berufswunsch zu überprüfen, erlernte eine neue Sprache, konnte Schwellenängste abbauen und bin in den folgenden Jahren ohne diese meine noch bestehende Beziehung, mit jemanden aus einem anderen Land und Kulturkreis eingegangen. Heute haben wir eine gemeinsame Tochter und ich hoffe, dass sie früher als ich damals, einen kritischen Blick entwickelt und Programme wie kulturweit frühzeitig hinterfragt und dabei nicht vorrangig an ihre eigenen Interessen denkt.
Viele der im Artikel genannten Erfahrungen habe auch ich so durchlebt: Partys im Goetheinstitut anlässlich der Wahlen, wo ein Großteil der Anwesenden schwarz und gelb trugen um ihre politischen Gesinnungen zu verdeutlichen, Bierfeste mit vornehmlich weißen, männlichen Teilnehmer_innen, eine Einsatzstelle an einer schweizer Schule, welche sich in einer gated community befindet und welche man nur mit Ausweis betreten durfte, Flüge in benachbarte Länder, um an Zwischenseminaren teilzunehmen ,das Gefühl jemand besonderes zu sein, wenn man dem Botschafter die Hand schütteln durfte, Werbetouren mit Steinmeier ohne wirklich zu verstehen was man da eigentlich bewirbt. Erfahrungen für die ich mich heute zum Teil schäme, die mich aber im Laufe des Jahres und insbesondere nach meiner Rückkehr und im Austausch mit anderen kritischen Menschen Vieles überdenken ließen.
Die ersten Jahre nach meiner Rückkehr betrachtete ich kulturweit noch mit sehr gemischten Gefühlen und habe mich sogar mal um eine Teamer_innenstelle beworben, weil ich dazu beitragen wollte reflektierend vorzubereiten. Mit zunehmendem Abstand und nicht zuletzt dank dieses Artikels kann ich dem Freiwilligendienst allerdings nur noch wirklich wenig abgewinnen.
Erschreckend finde ich in diesem Zusammenhang, dass wir Kulturweitler_innen des ersten Ausreisejahrgangs damals nach unserem feedback gefragt wurden und sich dennoch scheinbar kaum etwas verändert hat. Meine Einsatzstelle wurde damals in der Folge gestrichen, aber an andere private, deutsche Schulen mit ähnlichen Konzepten wird ohne sich an meiner damaligen Problematisierung zu stören, weiter entsendet.
Eine Karikatur über die typischen Kulturweitler_innen hatten wir schon auf unserem Ausreiseseminar, für die inzwischen immer wieder erscheinende Campzeitung „Freisprung“ entworfen. Weiß mussten sie sein, einen super Abischnitt vorweisen, mehrere Sprachen sprechen, bereits über Auslandserfahrungen verfügen und natürlich auch schon während der Schulzeit Stipendien und Auszeichnungen erhalten haben. Ich kann mich noch erinnern, dass es damals eine ziemlich hitzige Diskussion über die bevorstehende Veröffentlichung gab und bin mir nicht mehr sicher, ob das Ganze dann überhaupt bzw. vielleicht nur in abgewandelter Version gedruckt wurde. Schade fände ich es, wenn sich auch heute, 6 Jahre später, an den Auswahlkriterien nichts geändert hätte.
Über das Alumniprogramm erhalte ich nach wie vor regelmäßig Ausschreibungen für bezahlte Positionen, auf die sich ausschließlich Ehemalige bewerben sollen oder Einladungen zu privaten Veranstaltungen im Auswärtigen Amt. Manchmal fühle ich mich dann im ersten Moment besonders, bevor man sich kurz darauf fragt, ob man wirklich Teil dieses widerlichen Eliteförderungssystems sein möchte?
Wenn man kulturweit etwas abgewinnen kann, dann vermutlich die Tatsache, dass durch unsere Erfahrungen auch einige von uns Rücker_innen zu Botschafter_innen ihrer nun ganz eigenen Interessen geworden sind, welche zum Glück nicht in allen Fällen mit denen des Programmes deckungsgleich sind.
Danke an die Autorin, dass ich endlich mal wieder einen Anlass hatte mich mit meinen Erfahrungen rückblickend auseinander zu setzen.