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Die Universität in Leipzig © Gokhan Kutlu @ flickr.com (CC 2.0), bearb. MiG

Einwurf

Je suis Vergewaltiger

Eine Professorin an der Universität Leipzig lehnte einen indischen Studenten für ein Praktikum ab, weil sein Heimatland ein "Vergewaltigungsproblem" habe. Dafür entschuldigte sich die Professorin, die Uni-Leitung und die Ministerin nahmen die Entschuldigung an und alles scheint vergessen. Von Sanjay Patel

Von Freitag, 13.03.2015, 8:24 Uhr|zuletzt aktualisiert: Sonntag, 12.04.2015, 17:43 Uhr Lesedauer: 6 Minuten  |  

Ich möchte mich vorstellen. Ich bin Sanjay Patel, Inder und damit mitverantwortlich für die desolaten Zustände in meinem Land. Weil ich es nicht geschafft habe, die gesellschaftlichen Verhältnisse in Indien positiv zu verändern, habe ich es nicht verdient in einem gesellschaftlich höher gestellten Land wie Deutschland zu arbeiten. Ich bin faktisch ein Vergewaltiger und habe es nicht besser verdient.

Biochemie-Professorin Annette Beck-Sickinger von der Universität Leipzig lehnte einen indischen Studenten für ein Praktikum ab, weil sein Heimatland ein „Vergewaltigungsproblem“ habe. Angeblich ein Freund des betroffenen Studenten veröffentlichte Teile der mutmaßlichen E-Mail Korrespondenz auf Quora. In einer Mail soll Beck-Sickinger sich wie folgt geäußert haben:

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„Unfortunately I don’t accept any Indian male students for internships. We hear a lot about the rape problem in India which I cannot support. I have many female friends in my group, so I think this attitude is something I cannot support.“

In einer weiteren E-Mail schrieb Beck-Sickinger:

„Many female professors in Germany decided to no longer accept male students for these reasons, and currently other European female association are joining. Of course we cannot change or influence the Indian society, but only take our consequences here in Europe.“

Die E-Mails schlugen auf Quora innerhalb der indischen Community und in Teilen der indischen Presse hohen Wellen. Der deutsche Botschafter in New Delhi sah sich genötigt, Beck-Sickinger für ihre Äußerungen in einem offenen Brief scharf zu kritisieren. Erst daraufhin erfolgte eine öffentliche Entschuldigung von Beck-Sickinger in einer Pressemitteilung der Universität Leipzig. Dabei legte die Professorin Wert darauf, dass Sie den Inder abgelehnt habe, da ihre Labore voll besetzt seien. „Der junge Mann habe dies jedoch nicht akzeptiert und sie in eine Diskussion um die gesellschaftlichen Verhältnisse in Deutschland und Indien verwickelt.“ Und weiter: „Ihre Äußerungen seien aus dem Zusammenhang gerissen worden. Sie sei alles andere als rassistisch und fremdenfeindlich eingestellt.“ Zudem seien die Passagen in den veröffentlichten Mails zusammengestückelt worden, behauptet die Professorin. Die gesamte E-Mail Korrespondenz möchte sie jedoch nicht veröffentlichen. Allerdings bestätigte Beck-Sickinger die grundsätzliche Echtheit der E-Mail-Konversation gegenüber der Huffington Post India.

Die obige Darstellung fand sich auch weitgehend in den deutschsprachigen Medien wieder. Was dagegen nicht öffentlich diskutiert wurde, sind die Konsequenzen der E-Mails: (1.) Beck-Sickinger lehnt Bewerber wegen ihres Geschlechts und ihrer Herkunft ab. (2.) Beck-Sickinger behauptet, dass in Europa andere Organisationen diesem Beispiel ebenso folgen und systematisch Bewerber aufgrund ihres Geschlechts und ihrer Herkunft pauschal ablehnen.

Die Schlussfolgerung aus diesen beiden Punkten ist, dass Beck-Sickinger offen zugibt, dass sie und einige andere Organisationen systematisch gegen das Antidiskriminierungsgesetz verstoßen.

Offen ist, ob das im aktuellen Fall zutrifft oder bisher jemals zugetroffen hatte. Darüber könnte Beck-Sickinger Klarheit schaffen, wenn sie die gesamte E-Mail Korrespondenz veröffentlichen würde. Sie behauptet, sie hätte die Mails gelöscht. Gegenüber der taz sagte Beck-Sickinger: „Ich glaube, der Student war einfach sauer und wollte sich rächen. Aber sowas ist Rufmord“. Wenn Beck-Sickinger ihr Ruf und Aufklärung wichtig ist, so lassen sich gelöschte E-Mails wieder herstellen. Viele Mailprogramme wie Outlook bieten eigens dafür eine Funktion an. Die Erklärung von Beck-Sickinger ist also nicht sehr überzeugend.

Davon abgesehen ist die Aussage „Ich glaube, der Student war einfach sauer und wollte sich rächen“ in diesem Zusammenhang eine Behauptung, die Beck-Sickinger durch nichts belegt oder belegen kann. Denn angeblich veröffentlichte nicht der Student selbst, sondern ein Freund die E-Mail Korrespondenz auf Quora. Zweitens verübte der Freund des Studenten keinen Rufmord und rächte sich auch nicht, sondern er fragte: „What should an Indian male student do if he is denied an internship opportunity on the basis of India being projected as an unsafe country for women?“

Er belegte seine Frage mit der E-Mail Korrespondenz. Mit anderen Worten, der Freund des Studenten fragte, wie man gegen eine Verletzung des Antidiskriminierungsgesetzes vorgehen könne. An dieser Stelle sollte man wissen, dass Quora ein Forum ist, bei der Teilnehmer genau solche Fragen stellen können. Für Beck-Sickinger ist eine öffentliche Suche nach Hilfe und Rechtsansprüchen gegen erlittene Diskriminierung ein Zeichen verletzter persönlicher Eitelkeit, die in diesem Fall in Rache und Rufmord ausartet. Sie macht aus sich ein Opfer und aus dem Opfer ein Täter. Aktuell Meinung

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  1. Wann und wo hat sie denn geäußert, die Mails gelöscht zu haben? Falls dem so ist, lügt entweder sie oder die Rektorin, die behauptet, die Mails gelesen zu haben: http://tierrechtsforen.de/12/1157/1217

  2. aloo masala sagt:

    Hier die Quellen, die belegen, dass Beck-Sickinger, die Mails gelöscht haben soll.

    Folgender Artikel erschien gestern (12.03.). Er bestätigt im nach hinein, dass die Mails gelöscht wurden:
    http://www.l-iz.de/leben/gesellschaft/2015/03/eingesehene-e-mails-entlasten-professorin-beck-sickinger-80206

    Hier ein weiterer Artikel:
    http://www.lvz-online.de/leipzig/bildung/kein-zutritt-fuer-inder-an-der-uni-leipzig-praktikums-absage-loest-internationalen-eklat-aus/r-bildung-a-278074.html

  3. aloo masala sagt:

    @Achim Stößer

    Nachtrag: Die Rektorin hat vermutlich nicht gelogen. Die Aussage der Rektorin wurde in der neuen Pressemitteilung der Uni Leipzig vom 12.03. gemacht, nachdem die gelöschten Mails wieder hergestellt wurden.

  4. Rasti sagt:

    Was lernen wir daraus: Auch in einem privaten Briefwechsel per E-Mail muss man damit rechnen, dass eigene Aussagen weitergeleitet und öffentlich gemacht werden. Also am besten so wenig wie möglich antworten.

    Und übrigens:
    „Davon abgesehen ist die Aussage “Ich glaube, der Student war einfach sauer und wollte sich rächen” in diesem Zusammenhang eine Behauptung, die Beck-Sickinger durch nichts belegt oder belegen kann.“
    „Ich glaube“ ist keine Behauptung,sondern eine Vermutung. Und die Vermutung ist ja auch nicht völlig an den Haaren herbeigezogen. Es ist für mich kein anderer Grund ersichtlich, warum der Name der Professorin in einem öffentlichen Forum genannt wurde. Fragen zu rechtlichen Möglichkeiten o. ä. kann man auch ohne Namensnennung stellen.

  5. aloo masala sagt:

    @Rasti

    Die Frage wurde gemäß der Quora-Richtlinien ohne Namensnennung gestellt.

  6. Rasti sagt:

    @aloo masala:
    Sicher ist in der Originalfrage der Name der Professorin geschwärzt. Alle anderen Informationen (Institute of Biochemistry, University of Leipzig) sind aber da, und es ist mit Google überhaupt kein Problem, herauszufinden, um wen es sich handelt. Sogar ein kleines Bild der Professorin ist zu sehen…

    Die Frage ist natürlich auch, was stand in den E-Mails, die der Student geschrieben hat? Wir kennen den Inhalt nicht, nur die Professorin kennt den Inhalt.

  7. aloo masala sagt:

    @Rasti

    Die Professorin hat die grundsätzliche Echtheit der E-Mails gegenüber der Huffington Post India bestätigt.

  8. Pingback: Diskriminierung der 'Klugen': Die Universität als kolonialer Lernort | Die Freiheitsliebe

  9. Reader sagt:

    Mit diesem Artikel wollte ein Kommentator seine politische Botschaft platzieren, ohne eine wesentliche Aufklärung der Geschehnisse abzuwarten.
    Die Angelegenheit hat sich nunmehr dahin entwickelt, dass die betroffene Professorin der Universität und der Studierendenvertretung, von denen zumindest letztere ihrer Person und ihren Handlungen ablehnend gegenüberstehen, Einsicht in die e-Mail-Konversation gewährt hat. Sowohl die Uni als auch die Studierendenvertretung haben festgestellt, dass der Vorwurf, dem Bewerber sei die Praktikumsstelle aufgrund strukturell-rassistischer Motive nicht gegeben worden, nicht haltbar ist. Insbesondere ist festzuhalten, dass dem Bewerber nicht aufgrund einer Generalverdächtigung, sondern wegen fehlenden Kapazitäten der Platz nicht zugesprochen wurde.
    Die im Internet veröffentlichten Ausschnitte sind demnach eine unechte, gefakte Zusammenstellung von Zitaten aus der Konversation. Dass solche Zitate überhaupt fallen, ist nicht gut. Man sollte sich als Außenstehender Kritik an einer fremden Kultur nur dann erlauben, wenn man ein entsprechendes Hintergrundwissen aufweisen kann. Dafür hat sich die betroffene Professorin bereits entschuldigt und ihren Fehler eingestanden.
    Entsprechend sehe ich diesen Artikel kritisch. Der Autor trifft seine Schlussfolgerungen auf Grundlage eines unzureichend aufgeklärten Sachverhalts und lässt sich von seinen Emotionen leiten. Er begibt sich dabei in die Gefahr, Person und Ansehen der betroffenen Professorin schwer zu schädigen. Der Autor handelt unverantworlich und zeigt ein geringes Interesse an sorgfältiger journalistischer Arbeit.