Einwurf

Je suis Vergewaltiger

Eine Professorin an der Universität Leipzig lehnte einen indischen Studenten für ein Praktikum ab, weil sein Heimatland ein „Vergewaltigungsproblem“ habe. Dafür entschuldigte sich die Professorin, die Uni-Leitung und die Ministerin nahmen die Entschuldigung an und alles scheint vergessen. Von Sanjay Patel

Ich möchte mich vorstellen. Ich bin Sanjay Patel, Inder und damit mitverantwortlich für die desolaten Zustände in meinem Land. Weil ich es nicht geschafft habe, die gesellschaftlichen Verhältnisse in Indien positiv zu verändern, habe ich es nicht verdient in einem gesellschaftlich höher gestellten Land wie Deutschland zu arbeiten. Ich bin faktisch ein Vergewaltiger und habe es nicht besser verdient.

Biochemie-Professorin Annette Beck-Sickinger von der Universität Leipzig lehnte einen indischen Studenten für ein Praktikum ab, weil sein Heimatland ein „Vergewaltigungsproblem“ habe. Angeblich ein Freund des betroffenen Studenten veröffentlichte Teile der mutmaßlichen E-Mail Korrespondenz auf Quora. In einer Mail soll Beck-Sickinger sich wie folgt geäußert haben:

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„Unfortunately I don’t accept any Indian male students for internships. We hear a lot about the rape problem in India which I cannot support. I have many female friends in my group, so I think this attitude is something I cannot support.“

In einer weiteren E-Mail schrieb Beck-Sickinger:

„Many female professors in Germany decided to no longer accept male students for these reasons, and currently other European female association are joining. Of course we cannot change or influence the Indian society, but only take our consequences here in Europe.“

Die E-Mails schlugen auf Quora innerhalb der indischen Community und in Teilen der indischen Presse hohen Wellen. Der deutsche Botschafter in New Delhi sah sich genötigt, Beck-Sickinger für ihre Äußerungen in einem offenen Brief scharf zu kritisieren. Erst daraufhin erfolgte eine öffentliche Entschuldigung von Beck-Sickinger in einer Pressemitteilung der Universität Leipzig. Dabei legte die Professorin Wert darauf, dass Sie den Inder abgelehnt habe, da ihre Labore voll besetzt seien. „Der junge Mann habe dies jedoch nicht akzeptiert und sie in eine Diskussion um die gesellschaftlichen Verhältnisse in Deutschland und Indien verwickelt.“ Und weiter: „Ihre Äußerungen seien aus dem Zusammenhang gerissen worden. Sie sei alles andere als rassistisch und fremdenfeindlich eingestellt.“ Zudem seien die Passagen in den veröffentlichten Mails zusammengestückelt worden, behauptet die Professorin. Die gesamte E-Mail Korrespondenz möchte sie jedoch nicht veröffentlichen. Allerdings bestätigte Beck-Sickinger die grundsätzliche Echtheit der E-Mail-Konversation gegenüber der Huffington Post India.

Die obige Darstellung fand sich auch weitgehend in den deutschsprachigen Medien wieder. Was dagegen nicht öffentlich diskutiert wurde, sind die Konsequenzen der E-Mails: (1.) Beck-Sickinger lehnt Bewerber wegen ihres Geschlechts und ihrer Herkunft ab. (2.) Beck-Sickinger behauptet, dass in Europa andere Organisationen diesem Beispiel ebenso folgen und systematisch Bewerber aufgrund ihres Geschlechts und ihrer Herkunft pauschal ablehnen.

Die Schlussfolgerung aus diesen beiden Punkten ist, dass Beck-Sickinger offen zugibt, dass sie und einige andere Organisationen systematisch gegen das Antidiskriminierungsgesetz verstoßen.

Offen ist, ob das im aktuellen Fall zutrifft oder bisher jemals zugetroffen hatte. Darüber könnte Beck-Sickinger Klarheit schaffen, wenn sie die gesamte E-Mail Korrespondenz veröffentlichen würde. Sie behauptet, sie hätte die Mails gelöscht. Gegenüber der taz sagte Beck-Sickinger: „Ich glaube, der Student war einfach sauer und wollte sich rächen. Aber sowas ist Rufmord“. Wenn Beck-Sickinger ihr Ruf und Aufklärung wichtig ist, so lassen sich gelöschte E-Mails wieder herstellen. Viele Mailprogramme wie Outlook bieten eigens dafür eine Funktion an. Die Erklärung von Beck-Sickinger ist also nicht sehr überzeugend.

Davon abgesehen ist die Aussage „Ich glaube, der Student war einfach sauer und wollte sich rächen“ in diesem Zusammenhang eine Behauptung, die Beck-Sickinger durch nichts belegt oder belegen kann. Denn angeblich veröffentlichte nicht der Student selbst, sondern ein Freund die E-Mail Korrespondenz auf Quora. Zweitens verübte der Freund des Studenten keinen Rufmord und rächte sich auch nicht, sondern er fragte: „What should an Indian male student do if he is denied an internship opportunity on the basis of India being projected as an unsafe country for women?“

Er belegte seine Frage mit der E-Mail Korrespondenz. Mit anderen Worten, der Freund des Studenten fragte, wie man gegen eine Verletzung des Antidiskriminierungsgesetzes vorgehen könne. An dieser Stelle sollte man wissen, dass Quora ein Forum ist, bei der Teilnehmer genau solche Fragen stellen können. Für Beck-Sickinger ist eine öffentliche Suche nach Hilfe und Rechtsansprüchen gegen erlittene Diskriminierung ein Zeichen verletzter persönlicher Eitelkeit, die in diesem Fall in Rache und Rufmord ausartet. Sie macht aus sich ein Opfer und aus dem Opfer ein Täter.

Offen ist auch, inwieweit die Behauptung von Beck-Sickiner zutrifft, dass auch andere Organisationen systematische männliche Bewerber aus Indien diskriminieren und damit gegen das Antidiskriminierungsgesetz verstoßen.

Doch an Aufklärung inwieweit der konkrete Verdacht auf widerrechtliche Diskriminierung zutrifft, scheint niemand interessiert zu sein. Die Universität Leipziger schreibt in ihrer Presseerklärung:

Für rassistische Gedanken und Äußerungen sei an der Alma Mater kein Platz. […] Frau Prof. Beck-Sickinger […] hat aus Sicht der Universität mit ihrer Entschuldigung sicher den richtigen, Missverständnisse ausschließenden Weg eingeschlagen. […] An der Universität Leipzig sind derzeit 44 Studierende aus Indien eingeschrieben, davon sind 15 weiblich.

Wenn für rassistische Gedanken und Äußerungen an der Alma Mater kein Platz seien, dann sollte die Uni Leipzig bei Äußerungen, die auf einen systematischen Verstoß gegen das Antidiskriminierungsgesetz hinweisen, die unaufgeklärte Angelegenheit nicht als Missverständnis abtun und sich mit einer Entschuldigung begnügen, sondern auf Aufklärung drängen.

Auch Sachsens Wissenschaftsministerin Eva-Maria Stange (SPD) hat kein Interesse an Aufklärung trotz eines konkreten Verdachts auf einen systematischen Verstoß gegen das Antidsikriminierungsgesetz. Sie beeilte sich, die Entschuldigung zu akzeptieren. „Ich unterstelle Professorin Beck-Sickinger keine Absicht, die Gefühle der indischen Studierenden verletzen zu wollen.“ Sie sei eine erfahrene und international anerkannte Wissenschaftlerin.

Für indische Studenten hat Beck-Sickinger nun ein giftiges Ei ins Gehirn gelegt und zwar, dass zukünftige Ablehnungen erfolgt sein könnten, weil man männlich ist und aus einem „Vergewaltigerland“ kommt. Denn neues Licht auf den Vorfall wirft ein Bericht des Mumbai Mirrors auf. Angeblich hat die Professorin bereits vor einem Jahr (März 2014) einen indischen Studenten mit der selben Begründung abgewiesen. Sie soll damals den Studenten geschrieben haben:

„Thanks a lot for your application. Unfortunately, I do no longer accept any male Indian guests, trainees, doctoral students, or post docs due to the severe rape problem in India. I cannot support a society which is not able to respect females in any aspect. I think cultured people cannot close their eyes.“

Weil jeglicher Maßstab bei der Wissenschaftsministerin und der Uni-Rektorin abhanden gekommen ist: Würde man es als Missverständnis abtun und sich mit einer Schablonen-Entschuldigung eines muslimischen Professors begnügen, wenn dieser in E-Mails erklärt, dass er und andere Institutionen jüdische Studenten aus Israel ablehnen, weil deren Gesellschaft zulässt, dass massenhaft Kinder und Frauen in Gaza getötet werden? Ich hoffe sehr, man würde den muslimischen Professor für seine diskriminierenden Aussagen belangen. Denn für „rassistische“ Gedanken und Äußerungen ist an der Alma Mater kein Platz. Willkommen in der neuen Willkommenskultur 4.0.