Pegida

Innenminister tagen über die Geister, die sie riefen

Die Innenminister tagen über Pegida. Sie wundern sich, dass einfache Bürger mit Nazis demonstrieren. Sie wundern sich, dass Dresdner Angst vor einer Islamisierung bei einem Muslim-Anteil von 0,4 Prozent haben. Dabei ist Pegida ihr Werk, emsig geschürt.

Von Freitag, 12.12.2014, 8:26 Uhr|zuletzt aktualisiert: Mittwoch, 17.12.2014, 16:03 Uhr Lesedauer: 3 Minuten  |  

Seit gestern tagen die Innenminister des Bundes und der Länder also über die Pegida. Nahezu einhellig sind sich die Minister einig, man müsse die Ängste dieser Menschen vor dem Islam ernst nehmen. Schließlich handele es sich bei vielen von ihnen nicht um Rechtsradikale, sondern um Bürger aus der Mitte – Wähler also, die noch nicht vollends verloren sind an die NPD oder AfD; da könnte sich Verständnis noch auszahlen.

Als Lösung des Problems wird mitunter „Differenzierung“ präsentiert. Der nordrhein-westfälische Innenminister und Gastgeber Ralf Jäger (SPD) etwa fordert, den Unterschied zwischen religiösen Extremisten und der Religion der Muslime klarer herauszustellen. Wie dies aussehen könnte, konkretisiert Wolfgang Bosbach (CDU) an anderer Stelle: Das Problem sei nicht der Islam, sondern „die politische Richtung des Islam, der Islamismus, der Salafismus und der Dschihadismus“.

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Damit wären wir auch schon mittendrin im Teufelskreis. Denn so ruft der CDU-Politiker genau die Geister, die heute als „Patriotische Europäer gegen die Islamisierung des Abendlandes“ durch die Straßen marschieren. Sie sind nichts anderes als das Produkt genau dieser Rhetorik. Eine Rhetorik, die selbst Experten überfordert, soll also ausgerechnet jene zu mehr Differenzierung bewegen, deren Argumente nicht über ein dummes „ich-habe nichts gegen-Ausländer-aber…“ hinausgehen. Oder kann mir einer klar und verständlich den Unterschied zwischen einem konservativen Muslim, einem Islamisten, einem Salafisten oder einem Dschihadisten erklären? Bitte vortreten oder – keine Bitte – (un)endlich schweigen!

Die Wissenschaft ist der Politik um Jahre voraus. Die gebetsmühlenartige Wiederholung in der Öffentlichkeit, gewürzt mit einer ordentlichen Briese Quantität, führt dazu, dass selbst hohlste Behauptungen von der Bevölkerung als wahr angenommen werden. Kommen sie auch noch aus dem Munde von als glaubwürdig eingestuften Politikern und übermittelt von als seriös eingestuften Medien, könnte man nicht nur jedes Märchen an den Mann bringen, sondern auch welche spinnen lassen – beispielsweise die Angst vor der Islamisierung einer Stadt mit einem Muslim-Anteil von 0,4 Prozent.

Was also machen unsere Politiker seit Jahren? Sie reden tagein tagaus von gefährlichen Islamisten, die unsere Sicherheit bedrohen, die Bedrohung schlechthin. Dass diese Einschätzung in dieser Größenordnung keinerlei Grundlage hat, weder statistisch noch tatsächlich, ist irrelevant. Was zählt, Forschungen belegen das, ist das schlichte Wiederkauen.

Die Menschen haben Angst vor dem Islam weil ...
    ... Angst geschürt wird. (54%)
    ... die Angst begründet ist. (46%)
     
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    Das ist die eine Seite der Medaille, die andere Seite ist noch brauner: Pegida ist nämlich nicht nur eine vermeintliche Angst vor dem Islam, sie ist auch das konsequente Kleinreden und Verharmlosen des Rechtsextremismus. Hunderte untergetauchte und gefährliche Neo-Nationalsozialisten, bundesweite Netzwerke, professionelle Strukturen, unzählige Morde, Bombenanschläge und Raubüberfälle, ja selbst der NSU und sein Umfeld haben unsere Politiker nicht dazu bringen können, der Bevölkerung klar zu machen, wie gefährlich Rechtsextremismus in unserem Land geworden ist. Nicht auszudenken was los wäre, wenn Salafisten solche Strukturen hätten.

    Den Rechtsextremismus haben sie aber entgegen jeder Vernunft und Kriminalstatistik relativiert, wo es ging – nie direkt und offen aber mindestens unterschwellig, zwischen den Zeilen, oft im Vergleich mit dem Linksextremismus und stets im Schatten des Islamismus. Heute wundern sich unsere Innenminister darüber, wieso sich Menschen aus der Mitte mit Neo-Nationalsozialisten abgeben, mit ihnen marschieren? Sind das nicht auch genau jene Geister, die sie gerufen haben? Und rufen sie nicht noch mehr Geister, wenn sie deren Ängste auch noch anfangen, ernst zu nehmen, so, als seien sie berechtigt? Leitartikel Meinung

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    1. Mika sagt:

      Genauso ist es! […]

    2. deutscher staatsbürger sagt:

      Willkommen im Neo-Mittelalter.

      Und keine Aufklärung in Sicht…

    3. Miriam sagt:

      Der Artikel sagt mir nur, dass ein gewisser Denkprozess immer noch nicht eingesetzt hat. Man schwingt immer noch die gleichen Parolen in der Hoffnung, dass sich mit Beleidigungen die Probleme von selbst lösen werden.

      Das Schubladendenken scheint hier mindestens so ausgeprägt wie man es der PEGIDA vorwirft. Ja, man bettelt förmlich drum, dass die PEGIDA nur aus rechtsradikalen besteht, damit man es nicht wahrhaben muss.

      Ist man wirklich so unfähig die Probleme zu sehen? Wo sind die Vorschläge für Verbesserungen, die nicht einfach nur bedeuten, dass es so weiter geht wie bisher?

    4. Anja sagt:

      Für das Image von Politikern kann es gut sein, die Bevölkerung nachhaltig vor nicht existenten Gefahren zu schützen ;-)
      Als Normaldeutscher fühlen Sie sich in der Gesellschaft von Neonazis sicherer als in der Gesellschaft von Islamisten. Ob das nun begründet ist oder nicht, so ist das leider. Schließlich verkaufen sich die Neonazis als Retter des Abendlandes und des deutschen Volkes. Traurig ist, dass sich die selbsternannte „Mitte“ offensichtlich wenig darum schert, ob sich Minderheiten ebenso sicher fühlen können in der Gesellschaft der Neonazis. Solange man sich nicht betroffen fühlt, scheint das nicht zu interessieren.

    5. Ibrahim M sagt:

      So, und was schlägt der Autor dieses Artikels nun selbst vor? Schweigen? Ist uns nicht allen klar, dass der Islam als Religion zu Deutschland gehört? Ist uns aber nicht auch klar, dass es Strukturen der Radikalisierung gibt? Wir Moslems kennen die Gemeinden selbst, von innen. Ich kenne die Mahnungen von Imamen, die sagen, dass Jugendliche radikalisiert werden. Und das meist außerhalb der Moscheen. Man kann mit solchen Jugendlichen als Imam und als Eltern nicht mehr sprechen. Sie wenden sich ab und orientieren sich an radikale sog. „starke“ Muslime aus dem Freundeskreis. Wie kommt es, dass so viele Jugendliche nach Syrien sind? Ich selbst muss meine Kinder täglich vor solchen Salafistengruppen, wie die mit Pier Vogel aufklären. Was machen wir als Betroffene?

    6. deutscher staatsbürger sagt:

      Miriam, ich weiß nicht aus welchem Blickwinkel sie schauen? Ich kann hier keine Schublade entdecken. Die Wirklichkeit sieht so aus, dass das deutsche Volk einen bestimmten hasspegel erreicht hat, die nicht mehr gesund ist. Wir sprechen hier vom organisierten Verbrechen gegen die Menschlichkeit. Staatliche Strukturen sind involviert. Deutsche Politiker schüren Ängste. Die Gewalt gegen Menschen und Sachen hat enorm zugenommen. Das sind auch Menschen Miriam. Sie arbeiten hier bezahlen steuern, haben Familie. Waren sie noch nie im Ausland, haben sie noch nie Menschen getroffen, sehen sie nicht was hier passiert???

    7. Mike sagt:

      Deutscher Staatsbürger: Was passiert denn konkret?

    8. xy sagt:

      Der ersten Grundtendenz des Artikels kann ich voll zustimmen: Die Politik von CDU und SPD fördert den offenen und aggressiven Rassismus der PEGIDA-DemonstrantInnen. Im Gegensatz zu Ekrem Şenol halte die Unterscheidung zwischen IslamistInnen und der Mehrheit der Muslime für wichtig und finde es sogar für außerordentlich einfach ihn zu definieren:
      Der Islam ist eine Religion. Muslime halten die Anweisungen des Koran für ihr Leben für wichtig. Sie versuchen vielleicht für ihre Vorstellungen zu werben, zwingen sie aber Neimenadem auf.
      Islamismus ist (zumindest auch) eine politische Bewegung, die mit teilweise modernen Mitteln eine rückwärtsgewanddte Antwort auf die Moderne darstellt. Ziel von IslamistInnen ist es, eine sehr konservative Auslegung des Korans für allgemeinverbindlich zu erklären. Dafür setzen sie Menschen mit anderen ethischen Vorstellungen unter Druck (moralisch, durch Ausgrenzung oder mit Gewalt, in den extermen Formen bis zum Terrorismus a la IS).
      Mir scheint die Gleichsetzung von Islamismus mit Islam eine Verunglimpfung derjenigen Muslime zu sein, die gleichberechtigt und mit Achtung mit christlichen, jüdischen und atheistischen Menschen zusammen leben wollen.

    9. Mr. K sagt:

      Politiker bedienen den „Pöbel“ mit „Brot und Wasser“. Über den Tellerrand hinaus möchte keiner mehr schauen, weil es „fremd“ ist.