Die Keupstraße im NSU-Prozess

Bundesweite Aktion soll an Rolle der Sicherheitsbehörden erinnern

Zum ersten Tag, an dem der Bombenanschlag auf die Keupstraße im NSU-Prozess verhandelt wird, mobilisiert die Intiative "Keupstraße ist überall" zu einem bundesweiten Aktionstag und einer Demonstration vor dem Münchner Oberlandesgericht.

Von Simon Tement Montag, 13.10.2014, 8:20 Uhr|zuletzt aktualisiert: Montag, 13.10.2014, 20:28 Uhr Lesedauer: 4 Minuten  |  

Der Tag X naht. Bald wird der Bombenanschlag in der Keupstraße in Köln im Jahr 2004 Verhandlungssache im NSU-Prozess. Vielleicht schon in einer Woche, vielleicht auch später. Wann genau, steht noch nicht fest.

Beinahe wäre der Bombenanschlag aus dem NSU-Prozess ausgegliedert worden. Dies ist nicht geschehen. Zum Glück. Den Bombenanschlag gesondert zu verhandeln, hätte ihm die öffentliche Aufmerksamkeit genommen. Das allgemeine Interesse an dem Prozess ist an sich schon sehr zurückhaltend, trotz regelmäßiger Berichterstattung in diversen Medien.

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Vielleicht denken viele: Die beiden Täter sind eh tot, und die Mithelferin hat sich auch schon gestellt; der Prozess läuft, und wenn es am Ende hohe Haftstrafen gibt, ist ja der Gerechtigkeit alles in allem Genüge getan. Außerdem war es ohnehin nur eine kleine Terrorgruppe von 3 Leuten und ein paar Unterstützern. Da war die R.A.F. wesentlich größer.

Damit unterschätzt man die rechtsradikale Szene gewaltig.

Die Frage, ob die Verfassungsschutzämter Ermittlungen blockiert haben und damit eine schnelle Aufklärung der Mordserie verhindert haben, spielt bislang keine Rolle im NSU-Prozess.

Die Initiative „Keupstraße ist überall“ hatte am 15. September zu einer Podiumsdiskussion in Mülheim eingeladen. Dort sprach ein Anwalt der Nebenkläger des Bombenanschlags. Er berichtete zum Beispiel, wie seine Fragen zum Verfassungsschutz und vor allem zur Rolle des ehemaligen Verfassungsschützers Andreas Temme, der an einem Tatort anwesend war, irgendwann vom zuständigen Richter nicht mehr zugelassen wurden, weil sie nicht entscheidend bei der Täterfrage seien. Dabei können die Hintergründe und die Taten des NSU nur dann vollständig aufgeklärt werden, wenn das Verhalten staatlicher Behörden mitberücksichtigt wird.

Wenn dies nicht geschieht, bleibt beim NSU-Prozess ein fader Beigeschmack, egal welche Urteile am Ende gefällt werden.

Bei den Opfern ist jetzt schon jegliches Vertrauen in die staatlichen Behörden und Institutionen verloren gegangen. Bei der Podiumsdiskussion waren auch drei Bewohner der Keupstraße anwesend, die als Nebenkläger im Prozess dabei sein werden. Sie berichteten, wie schlimm das Warten auf Gerechtigkeit ist. Nicht das Warten auf materielle Entschädigung, sondern das Warten auf gerechte Strafen, auf eine Entschuldigung von Sicherheitsbehörden, auf ein Zeichen des Willens und Wollens einer vollständigen Aufklärung. Besonders hoffnungsvoll klangen sie dabei nicht.

Die massiven Aktenvernichtungen der Verfassungsschutzämter, die mysteriösen Erinnerungslücken und akut eintretenden Wahrnehmungsverengungen des Verfassungsschützers Andreas Temme, rechtsradikale Zeugen und V-Männer der rechten Szene, die wie Kronzeugen behandelt werden, der ehemalige V-Mann Tino Brandt, der gerne zwischen krassen Erinnerungslücken und detailgetreuem Gedächtnis hin- und herschwankt und kuriose Ermittlungspannen der Kriminalämter … Das alles bietet genug Stoff zur Empörung.

Aber die Verfassungsschutzämter gehen zur Tagesordnung über. Bis auf ein paar Personalwechsel hat der Verfassungsschutz das NSU-Desaster heil überstanden. Auf den Internetseiten des Bundesamtes für Verfassungsschutz findet man Hinweise zum NSU nur nach einer Suche. Dafür sind sie in den Medien wieder präsent, um aktuelle Einschätzungen über islamistische Terroristen zu geben.

Kann man diesen Einschätzungen des Verfassungsschutzes überhaupt noch trauen, nachdem man dessen Arbeitsweise im rechtsradikalen Milieu kennengelernt hat?

Und wie sieht es mit den Polizeibehörden aus? Als die Bombe in der Keupstraße explodierte, konnte man einen Tag später in der Zeitung vernehmen, dass ein terroristischer Anschlag ausgeschlossen sei. Womöglich handele es sich um einen Streit im Drogen- oder Rotlichtmilieu. Dabei fiel selbst Laien auf, das die Bombe so platziert war, das sie kein bestimmtes Ziel haben konnte und gefüllt mit Nägeln war, um möglichst viele Unbeteiligte zu treffen. Wie gut kann uns das Landeskriminalamt von Nordrhein-Westfalen vor weiteren Attentaten, gleich welcher politischen Motivation, eigentlich schützen, wenn sie nicht einmal so eine simple Tatsache anerkennen kann?

Schon aus diesem Grund ist eine lückenlose Aufklärung des NSU-Komplexes im Prozess unumgänglich. Deshalb startet die Initiative „Keupstraße ist überall“ zum ersten Tag, an dem der Bombenanschlag auf die Keupstraße verhandelt wird, einen bundesweiten Aktionstag und eine Demonstration vor dem Münchner Oberlandesgericht, um dieser Forderung Nachdruck zu verleihen.

Eine wichtige Aktion, deren Erfolg natürlich vom Interesse und der Beteiligung der Bevölkerung abhängt, unabhängig von einem etwaigen Einwanderungshintergrund. Denn Opfer des NSU oder anderer rechtsradikaler Gewalttäter kann im Prinzip jeder sein kann; diesen Tätern reicht es schon, wenn man eine andere Meinung hat.

persönlichen Bezug zur Keupstrasse in Köln-Mülheim verfolge ich interessiert die Tätigkeiten der Initiative „Keupstrasse ist überall“. Aktuell Gesellschaft

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