Dokumentarfilm
Der Kuaför aus der Keupstraße
Die Geschichte des NSU Nagelbombenanschlags vor einem türkischen Frisörsalon in der Kölner Keupstraße zeigt Regisseur Andreas Maus in einem Kino-Doku. Im Mittelpunkt stehen die Folgen für die Opfer und ihre Angehörigen. Gegen sie wurde als Hauptverdächtige jahrelang ermittelt. Ein Gespräch mit dem Regisseur:
Mittwoch, 10.02.2016, 8:23 Uhr|zuletzt aktualisiert: Mittwoch, 10.02.2016, 17:27 Uhr Lesedauer: 6 Minuten |
Die Opfer des Bombenanschlags in der Keupstraße in Köln haben ja seit dem Anschlag vor 11 Jahren langjährige Erfahrungen mit den Medien gemacht. Wie kam der Kontakt mit ihnen zustande?
Andreas Maus: Wir haben direkt Kontakt zu den Friseuren Özcan und Hasan Yildirim und ihren Familien sowie zu anderen Betroffenen aufgenommen, wie etwa Abdulla Özkan, und ihnen das geplante Filmprojekt vorgestellt.
Wie klar war es schon zu Beginn, dass es ein Kinodokumentarfilm werden soll und wie groß war die Offenheit auf Seiten der Opfer diesem Projekt gegenüber?
Andreas Maus: Ja, das war von Beginn an als Kinofilm geplant. Aber anfangs herrschte bei den heutigen Protagonisten große Skepsis. Der Prozess des Kennenlernens und unserer „Überzeugungsarbeit“ zog sich ab Mitte/Ende 2012 über mehrere Monate hin.
Warum Skepsis?
Andreas Maus: Die Schwierigkeiten hingen vor allem damit zusammen, dass über die Jahre nach der Aufdeckung des NSU-Terrors fast täglich Fernseh- und Zeitungsmedien in der Keupstraße auftauchten. Dazu Lokal- und Bundespolitiker, die dieses oder jenes versprachen. Da war über die Monate bei den Menschen die Hoffnung groß, dass etwas in Sachen Aufklärung passiert. Alle dachten „Jetzt passiert was..“, „Jetzt kommt die Wahrheit ans Licht“. Aber dann passierte herzlich wenig. Und so trafen wir bei Beginn unserer Recherchen auf eine große „Medienmüdigkeit“.
Was gab letztlich den Ausschlag, dass sie mitgemacht haben?
Andreas Maus: Genau kann ich das natürlich nicht sagen. Vielleicht unsere Hartnäckigkeit?! Vielleicht aber auch, dass wir nichts versprochen haben, etwa, dass mit dem Film Gerechtigkeit einkehren oder hergestellt würde. Sondern, dass wir ihre Geschichte auf eine Weise und in einer Form erzählen wollen, wie das bisher nicht passiert bzw. auch nicht möglich war in herkömmlichen Fernsehformaten.
Die NSU Morde
9. September 2000 – Nürnberg: Der Blumenhändler Enver Şimşek ist das erste Opfer des NSU. Er wird am 9. September 2000 niedergeschossen und stirbt zwei Tage später im Krankenhaus.
19. Januar 2001 – Köln: Beim Bombenanschlag am 19. Januar 2001 in einem deutsch – iranischen Lebensmittelgeschäft wird Mashia M., die damals 19 Jahre alte Tochter des Inhabers, schwer verletzt.
13. Juni 2001 – Nürnberg: Der Schneider Abdurrahim Özüdoğru wird am 13. Juni 2001 durch zwei Kopfschüsse getötet.
27. Juni 2001 – Hamburg: Zwei Wochen später wird Süleyman Taşköprü, Obst- und Gemüsehändler, im Laden seines Vaters erschossen.
29. August 2001 – München: Am 29. August 2001 wird Habil Kılıç, Obst- und Gemüsehändler, in seinem Laden ermordet.
25. Februar 2004 – Rostock: Mehmet Turgut hilft am 25. Februar 2004 in einem Döner-Imbiss im Rostocker Ortsteil Toitenwinkel aus und wird dort durch drei Kopfschüsse getötet.
9. Juni 2004 – Köln: Beim Bombenanschlag vor einem Friseursalon in der Keupstraße werden 22 Menschen verletzt.
9. Juni 2005 – Nürnberg: Genau ein Jahr nach dem Bombenanschlag in der Keupstraße wird in Nürnberg İsmail Yaşar in seinem Dönerstand ermordet.
15. Juni 2005 – München: Sechs Tage später wird der Grieche Theodoros Boulgarides in seinem Geschäft, das er erst am 1. Juni 2005 eröffnet hatte, getötet.
4. April 2006 – Dortmund: Am 4. April wird der Kioskbesitzer Mehmet Kubaşıkin in seinem Laden ermordet.
6. April 2006 – Kassel: Zwei Tage danach wird Halit Yozgat, Betreiber eines Internetcafés, durch zwei Kopfschüsse getötet. Im Juni 2006 werden von den Angehörigen von Halit Yozgat und Mehmet Kubaşıkin Schweigmärsche in Kassel und Dortmund mit der Forderung „Kein 10. Opfer!“ organisiert.
25. April 2007 – Heilbronn: Am 25. April 2007 wird die Polizistin Michèle Kiesewetter ermordet, ihr Kollege Martin A. überlebt schwer verletzt.
Im Film gibt es Auszüge aus den realen Vernehmungsprotokollen der Verfolgungs-behörden mit den Anschlagsopfern. Das ist ein wichtiges Gestaltungselement in der Erzählweise des Filmes. War dies von Beginn an so geplant?
Andreas Maus: Ja, das war von Anfang an essentiell. Die eine Seite des Films bilden ja die Perspektive der Opfer des Anschlags und ihre Schilderungen, wie mit ihnen im Verlauf der Ermittlungen um-gegangen wurde. Darüber hinaus beschäftigte mich die Frage: was bedeutet das eigentlich konkret? Wie muss ich mir das vorstellen, wenn jemand „vom Opfer zum Täter“ gemacht wird. Wie befragten und bedrängten die Polizeibehörden die Menschen wirklich? Und da geben die Protokolle einen sehr bedrückenden Einblick in die Ermittlungsmechanismen. Das ist ein ganz eigener, mitunter bedrohlicher „Ermittlersound“, der da aus den Akten steigt. Und noch eine Erfahrung, die unsere Protagonisten wie auch alle anderen Opfer des NSU-Terrors machen mussten, lehren diese Einblicke: der Weg vom Opfer – aus einer vollkommen normalen bürgerlichen Existenz heraus – zum Täter gemacht zu werden, ist sehr, sehr kurz.
Warum wurde entschieden, für diese szenischen Befragungen Schauspieler zu nehmen?
Andreas Maus: Wir wollten eine Distanz, eine Abstraktion schaffen. Bewusst nicht emotionalisieren, indem wir die Protagonisten ihr eigenes Verhör „spielen“ lassen, sondern das nackte Protokollgerüst wiedergeben. Also auch kein Reenactment, sondern eine sehr zurückgenommene szenische Umsetzung.
Wie hat sich das Verhältnis zu den Protagonisten im Laufe der Produktion entwickelt? Gab es Krisen und Zweifel auf beiden Seiten?
Andreas Maus: Nachdem wir angefangen hatten zu drehen, war das sehr konzentriert, sehr offen. Zweifel gibt es immer, vor allem als Filmemacher. Kann das, was wir uns vorgenommen haben, überhaupt gelingen? Wie funktioniert die dokumentarische Ebene mit der szenischen? Dazu gingen die Entwicklungen im NSU-Prozess, auch hier in Köln zur Keupstraße weiter. Ein Beispiel: als wir anfingen, interessierte sich hier praktisch kaum einer für die Lage in der Keupstraße. Das Thema war, wie man so sagt, „durch.“ Aber dann brachte das Schauspiel Köln das Stück „Die Lücke“ auf die Bühne. Es gab ein großes Solidaritätsfest „Birlikte“, mit viel Prominenz, Konzerten und dem Besuch des Bundespräsidenten. Ein Riesenspektakel. Und die Frage war: spielt das für den Film eine Rolle. Und wenn ja, welche?
Gab es Überlegungen, auch den Prozess gegen die NSU in München mit in den Film einzubeziehen?
Andreas Maus: Ja, anfangs sogar sehr konkrete. Etwa, dass wir unsere Protagonisten nach München zum Prozess mit der Kamera begleiten. Dann begannen die Dreharbeiten, während der Prozess bzw. der Verhandlungsteil Keupstraße immer wieder verschoben wurde. Währenddessen entwickelten sich bei den Dreharbeiten die zentralen inhaltlichen und visuellen Linien des Films und uns wurde klar, dass wir die Geschichte ausschließlich und intensiv in der Keupstraße „verhandeln“ müssen, also dort, wo gegen die Opfer ermittelt wurde.
Kinotermine können Sie hier einsehen.
Die Stellungnahmen von Seiten der ermittelnden Behörden sind sehr spärlich. Gab es, neben der zurückhaltenden Auskunftswilligkeit auch Behinderungen oder Erschwernisse für die Produktion?
Andreas Maus: Nein, die gab es nicht. Der Kölner Polizeipräsident hat sich ja auch bei den Opfern entschuldigt. Eine schöne Geste, aber reicht das wirklich? Gleichzeitig hieß es ja auf unsere Anfrage an die Behörde, man gebe keine konkreten, inhaltlichen Antworten in Bezug auf die Ermittlungen und Verhöre. Leider bestärkt das den Eindruck, dass bislang allein die Opfer des NSU-Terrors ihr Innenleben preisgeben müssen bzw. mussten, während Sicherheitsbehörden weiter mauern oder sich, etwa in den Untersuchungsausschüssen, in Erinnerungslücken flüchten. Aktuell Feuilleton Interview
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