Integration im 16:9 Format

Das Prinzip der Bestenauslese

Mit der sogenannten Bestenlause werden in Personalabteilungen die vermeintlich Besten für einen Job ausgesucht. In der Politik und in der Kirche gilt dieses Prinzip freilich nicht. Dort gelten andere Regeln – auch mit Gottes Segen.

Von Mittwoch, 06.08.2014, 8:22 Uhr|zuletzt aktualisiert: Samstag, 09.05.2020, 0:57 Uhr Lesedauer: 4 Minuten  |  

Neulich erhielt ich eine Absage vom Ministerium für Bildung, Jugend und Sport des Landes Brandenburg für die Stelle des Referenten im Bereich Rassismus und Integration. Die Absage imponierte mir, weil es sich von den standardisierten Schreiben unterschied, die ich in der Vergangenheit so zahlreich erhielt: „Auf Grund des in Art. 33 Abs. 2 Grundgesetz normierten Grundsatzes der Bestenauslese (Eignung, Befähigung und fachliche Leistung) war ich gehalten, einer geeigneteren Mitarbeiterin den Vorzug zu geben“.

Doch was versteht einer unter „Eignung, Befähigung und Leistung“, dessen Begriffe ziemlich schwammig, weit gefasst sind und dementsprechend großen Raum für Interpretationen bieten. Unter Eignung verstehe ich zum Beispiel, dass einer über die körperlichen, charakterlichen und gesundheitlichen Fähigkeiten verfügt und dass jemand nicht auf der Most Wanted List von Interpol steht. Unter Befähigung werden sicherlich über die fachmännischen Kenntnisse professioneller Aufbereitung des morgendlichen Kaffees hinaus, die schulische Bildung, fachliches Wissen und Berufserfahrung gemeint sein. Unter fachlicher Leistung sind sicherlich die bisherigen Arbeitsergebnisse und Erfolge gemeint sowie das richtige Anspitzen von Bleistiften.

___STEADY_PAYWALL___

Letztendlich steht es im Ermessen des Arbeitgebers, welchen der drei Eigenschaften der Bestenauslese, er größeres Gewicht bemisst. Diesen Umverteilungskriterien sind keine Grenzen gesetzt. Und wir wissen, dass Umverteilung nie funktioniert.

Erst kürzlich wurde die Bewerbung einer Frau von einem gemeinnützigen Verein abgelehnt, weil sie Konfektionsgröße 42 trägt. Das Gericht gab dem Arbeitgeber recht. Eine angehende Pilotin wurde aufgrund der fehlenden 3,5 cm an Körpergröße eine Anstellung bei der Lufthansa verwehrt. Bei der Fluggesellschaft Cathay Pacific wäre die Bewerberin angenommen worden.

Der Eine ist zu klein, der Andere zu groß, zu dick, zu dünn, zu ausländisch, zu ostdeutsch, eine halbe Sekunde zu langsam oder zu schnell, usw. – die Vielfalt und Wege der Absagen liegen immer im Auge des Betrachters.

Immerhin. Denn vom Prinzip der Bestenauslese ist die Politik und Kirche komplett ausgeschlossen. Wie sonst kann jemand erklären, dass politische Heavy-Weights wie Sigmar Gabriel, Peter Altmaier, Hermann Gröhe und Andreas Nahles zu solch lukrativen Posten kommen. Eignung, Befähigung oder Leistung? In der Kirche gilt ebenfalls eine andere Währung. Ohne Bekenntnis zum christlichen Glauben wird ein Bewerber sofort abgelehnt. Das Antidiskriminierungsgesetz? Ausgesetzt mit Gottes Segen.

Und die Politik begründet das Umgehen der Bestenauslese damit, dass die Abgeordneten durch den Wahlakt, demokratisch legitimiert wurden, dass Amt auszuführen. Aber was ist dann mit der Hälfte der Bundestagsabgeordneten, die nicht über die gewonnenen Wahlkreise reingewählt werden, sondern einfach über die Landesliste reinkommen? Und so werden politische Vorabsprachen über die Ernennung und Besetzung verschiedener Ämter und Posten gerechtfertigt, auch wenn die auserwählten Personen nicht besonders geeignet und befähigt sind. So wundern sich die Wähler alle vier Jahre wieder, wie z.B. eine Ursula von der Leyen, Familien-, Arbeits- und nun Verteidigungsministerin werden konnte.

In der Politik zählt das Prinzip des Stallgeruchs. Der bayerische Landtag ist nur ein Ort von vielen in Deutschland, in der Nepotismus wie am Fließband läuft. Da wurden die Frau und der Sohn kurzerhand als Chefsekretärin oder Büroleiter engagiert, um die Dienstwege kurz zu halten. Der CSU kann einer in vielen Belangen politisches Versagen vorwerfen, doch in Sachen Familienpolitik, sind die Christlich-Sozialen exzellent in der Ausführung. Da schaffen sie Vollbeschäftigung auf Kosten der Steuerzahler – rund 1,3 Millionen Euro.

Es gehört zur guten politischen Tradition, Schlüsselpositionen im Ministerium sowie gut dotierte Stellen mit loyalen Freunden und alten Weggefährten zu besetzen. Und gibt es keine geeignete Stelle, werden auch mal schnell neue Posten geschaffen.

Die CSU-Affäre um die Verwandtenbeschäftigung erinnerte mich an ein anderes Absageschreiben, die ich vor einigen Jahren von einem Schwulenverband erhielt, für die Stelle eines politischen Referenten. Ein Schwulenverband – da war ich mir sicher, würde nicht aufgrund von Nicht-Familienzugehörigkeit, Migrationshintergrund, Geschlechts und politischen Ideologie diskriminieren. Aber ich sollte eines Besseren belehrt werden. So schrieb der Geschäftsführer: „[…] ihre Unterlagen fanden hier im Haus sehr große Aufmerksamkeit. Nun mussten wir die – zugegebenermaßen schwierige – Entscheidung treffen, welche Bewerber wir zu ersten persönlichen Gesprächen einladen. Sie sind leider nicht darunter, obgleich uns der in Ihren Unterlagen dokumentierte berufliche Erfahrungsschatz beeindruckt hat. Letztlich haben wir uns für Bewerber entschieden, die unserem ganz spezifischen Idealprofil noch ein Stückchen näher kommen“.

Dieses ganz „spezifische Stellenprofil“ erfüllte ich nicht und wollte auch keinen Ausflug dorthin wagen. Wie der Zufall es wollte, stand die damalige Christopher-Street-Day Parade just in dem Jahr, unter dem Motto „Stück für Stück ins Homo-Glück“. Mir wurde klar, dass auch vermeintliche Verbände, die sich für Offenheit und Toleranz einsetzen, nicht frei von Diskriminierung sind. Im Gegenteil, auch sie wollen unter ihres gleichen bleiben. Als heterosexueller Mensch mit optisch erkennbarem Migrationshintergrund – sowie im Namen erkennbar, ohne Stallgeruch und ohne dem „spezifischen Stellenprofil“, gleicht das (Über)leben in der deutschen Arbeitswelt einem kleinen Abenteuer.

Der Absage aus Brandenburg erwiderte ich schriftlich. Eine Antwort erhielt ich nicht. Aktuell Meinung

Zurück zur Startseite
MiGLETTER (mehr Informationen)

Verpasse nichts mehr. Bestelle jetzt den kostenlosen MiGAZIN-Newsletter:

UNTERSTÜTZE MiGAZIN! (mehr Informationen)

Wir informieren täglich über das Wichtigste zu Migration, Integration und Rassismus. Dafür wurde MiGAZIN mit dem Grimme Online Award ausgezeichnet. Unterstüzte diese Arbeit und verpasse nichts mehr: Werde jetzt Mitglied.

MiGGLIED WERDEN
Auch interessant
MiGDISKUTIEREN (Bitte die Netiquette beachten.)

  1. Realist sagt:

    Der Mann irrt. Ausgesucht werden immer diejenigen, die sich am Besten ausbeuten lassen und am gefügigsten sind.
    Die guten Jobs, die wenig Anstrengung erfordern, werden natürlich oft unter der Hand vergeben. Jaja das Leben ist ungerecht.

  2. Gerdster sagt:

    Der Nepotismus in Deutschland gehört zur Leitkultur. Das wird sich auch nicht so schnell ändern. Aufstieg durch Bildung ist allenfalls (für wenige Privilegierte) kaum möglich.

  3. Thomas K sagt:

    Die Politik begründet ihre krasse Diätenerhöhung damit, dass sonst die besten Köpfe in die Wirtschaft gehen. Aber gerade dort herrscht ein Kastensystem getarnt unter dem Deckmantel der Demokratie. Die Menschen sind nicht so dumm zu glauben, dass gerade diese Stellen unter der Hand vergeben werden. Ein hoch auf den Nepotismus! So ist es leider in Deutschland. Ich frage mich, wo sind die besten Köpfe in der Politik – ist es Sigmar Gabriel? oder Andrea Nahles? oder Ursula von der Leyen? Die besten Köpfe sind sie nicht.

  4. FV sagt:

    Welch glorreiches Erfüllen der Opferhaltung. Es ist doch ein wenig einfach, den Punkt Diskriminierung als Entschuldigung für Jobabsagen herzunehmen. Sicher gibt es Vetternwirtschaft und dergleichen mehr, aber eventuell meinten die Sätze in den jeweiligen Schreiben einfach nur: Es gab leider bessere BewerberInnen

  5. Karl sagt:

    Richtig, FV manche Leute, sind einfach nur wehleidig, wenngleich ich dem Schreiber dieses Artikels da und dort zustimmen muss.

  6. Destructor sagt:

    tja , da tritt die heuchelei an den tag , wo es heisst alle menschen sind gleich aber manche halt gleicher .

    ja es gibt das berühmte vitamin b und nepotismus wird es überall in irgendeiner form geben . aber die art und weise wie sich die deutsche wirtschaft selbst , aus arroganz und standesdünkel , in den fuss schiesst ,ist unvergleichlich .

    nicht die besten oder fähigstens werden benutzt sondern , die jenigen die weit über ihren geistigen verhältnissen und fähigkeiten leben und trotzdem sich einbilden es wäre ihrer „leistung “ zuverdanken sie hätten jenen oder diesen job . die diskrepanz zwichen vorhandenen fähigkeiten und der selbstüberschätzung ,manifestiert sich als arroganz.

    in anderen ländern geht man daran eher pragmatischer ran , canada ,usa , neuseeland , australien , gb . dort spielt die ethnische herkunft oder gar das aussehn so gut wie keine rollen ( wenn das aussehn nicht direkt im zusammenhang mit dem job steht ) . Ein bekannter musste lachen als er erfuhr das in deutschland bewerbungen mit bild verschickt werden . aber das ist halt nur ein symptom der öberfläschlichen deutschen arbeitskultur .

    noch lustiger wird es wenn man bedenkt , das man fähige menschen , gut ausgebildete , hier aussgrenzt bzw bewusst übersieht , und ihnen dann den vorwurf macht , sie „könnten “ ja nichts .

    ich rate jedem gut ausgebildeten menschen mit migrationshintergrund , diesem land den rückenzukehren , es gibt andere gesellschsaften und länder ,wo leistung und leistungsbereitschaft , geschätzt werden . und die einen mit offenen armen aufnehmen , wo man dann ingeneur ,arzt ,physiker oder informatiker ist und nicht nur türke , koreaner , araber , bulgare ist .

    die deutsche gesellschaft mit der engstirnigen kultur , wird in zukunft große probleme bekommen , und glauben sie mir , mit canada und co , kann es nicht mithalten um den kampf um die klugsten köpfe .

    geld kann menschlichkeit nicht ersetzen .

  7. Han Yen sagt:

    Bestenauslese gibt es in der Personalpolitik nicht. Was Personaler machen ist Stellenanforderungen mit Bewerbern zusammenzubringen. Da es nur beschränkte Verarbeitungskapazitäten in der Personalabteilung gibt, versuchen Personaler anhand bestimmter Hinweise den Bewerbungsstapel handhabbar zu machen. Früher hat man versucht von der Handschrift auf die Persönlichkeit zu schließen. Die Briefmarken können schief aufgeklebt sein. Der Händedruck kann zu schlaff sein. Der Blickkontakt kann unangenehm sein. Der Geruch kann eine Rolle spielen. Heutzutage kann es sein, dass man etwas falsches getwittert hat, einen falschen youtube Kanal abonniert hat. Bei Frauen kann es sein, dass sie in einen Bezirk aufgewachsen sind mit frühen Schwangerschaften, und der Personaler darauf auf eine erhöhte Wahrscheinlichkeit einer Schwangerschaft schließt.

    Was üblich ist in einem Betrieb kommt auf die Betriebsgröße, ihren Absatzmarkt und die Branchengeflogenheiten an. Transnationale Konzerne haben tendenziell bessere und meritokratischere Personalpolitik, weil sie z.B. mehr als 100 Arbeitszeitmodelle weltweit verwalten können. Mittelstandunternehmen sind in der Tendenz betriebswirtschaftlich schlecht geführt und verlassen sich auf Intuition. Arbeitsmärkte haben eher etwas mit Politik, Institutionen und sozialen Kämpfen zu tun als mit Meritokratie.

  8. Danny sagt:

    „All animals are equal, but some animals are more equal than others.“ – George Orwell