Neulich erhielt ich eine Absage vom Ministerium für Bildung, Jugend und Sport des Landes Brandenburg für die Stelle des Referenten im Bereich Rassismus und Integration. Die Absage imponierte mir, weil es sich von den standardisierten Schreiben unterschied, die ich in der Vergangenheit so zahlreich erhielt: „Auf Grund des in Art. 33 Abs. 2 Grundgesetz normierten Grundsatzes der Bestenauslese (Eignung, Befähigung und fachliche Leistung) war ich gehalten, einer geeigneteren Mitarbeiterin den Vorzug zu geben“.
Doch was versteht einer unter „Eignung, Befähigung und Leistung“, dessen Begriffe ziemlich schwammig, weit gefasst sind und dementsprechend großen Raum für Interpretationen bieten. Unter Eignung verstehe ich zum Beispiel, dass einer über die körperlichen, charakterlichen und gesundheitlichen Fähigkeiten verfügt und dass jemand nicht auf der Most Wanted List von Interpol steht. Unter Befähigung werden sicherlich über die fachmännischen Kenntnisse professioneller Aufbereitung des morgendlichen Kaffees hinaus, die schulische Bildung, fachliches Wissen und Berufserfahrung gemeint sein. Unter fachlicher Leistung sind sicherlich die bisherigen Arbeitsergebnisse und Erfolge gemeint sowie das richtige Anspitzen von Bleistiften.
Letztendlich steht es im Ermessen des Arbeitgebers, welchen der drei Eigenschaften der Bestenauslese, er größeres Gewicht bemisst. Diesen Umverteilungskriterien sind keine Grenzen gesetzt. Und wir wissen, dass Umverteilung nie funktioniert.
Erst kürzlich wurde die Bewerbung einer Frau von einem gemeinnützigen Verein abgelehnt, weil sie Konfektionsgröße 42 trägt. Das Gericht gab dem Arbeitgeber recht. Eine angehende Pilotin wurde aufgrund der fehlenden 3,5 cm an Körpergröße eine Anstellung bei der Lufthansa verwehrt. Bei der Fluggesellschaft Cathay Pacific wäre die Bewerberin angenommen worden.
Der Eine ist zu klein, der Andere zu groß, zu dick, zu dünn, zu ausländisch, zu ostdeutsch, eine halbe Sekunde zu langsam oder zu schnell, usw. – die Vielfalt und Wege der Absagen liegen immer im Auge des Betrachters.
Immerhin. Denn vom Prinzip der Bestenauslese ist die Politik und Kirche komplett ausgeschlossen. Wie sonst kann jemand erklären, dass politische Heavy-Weights wie Sigmar Gabriel, Peter Altmaier, Hermann Gröhe und Andreas Nahles zu solch lukrativen Posten kommen. Eignung, Befähigung oder Leistung? In der Kirche gilt ebenfalls eine andere Währung. Ohne Bekenntnis zum christlichen Glauben wird ein Bewerber sofort abgelehnt. Das Antidiskriminierungsgesetz? Ausgesetzt mit Gottes Segen.
Und die Politik begründet das Umgehen der Bestenauslese damit, dass die Abgeordneten durch den Wahlakt, demokratisch legitimiert wurden, dass Amt auszuführen. Aber was ist dann mit der Hälfte der Bundestagsabgeordneten, die nicht über die gewonnenen Wahlkreise reingewählt werden, sondern einfach über die Landesliste reinkommen? Und so werden politische Vorabsprachen über die Ernennung und Besetzung verschiedener Ämter und Posten gerechtfertigt, auch wenn die auserwählten Personen nicht besonders geeignet und befähigt sind. So wundern sich die Wähler alle vier Jahre wieder, wie z.B. eine Ursula von der Leyen, Familien-, Arbeits- und nun Verteidigungsministerin werden konnte.
In der Politik zählt das Prinzip des Stallgeruchs. Der bayerische Landtag ist nur ein Ort von vielen in Deutschland, in der Nepotismus wie am Fließband läuft. Da wurden die Frau und der Sohn kurzerhand als Chefsekretärin oder Büroleiter engagiert, um die Dienstwege kurz zu halten. Der CSU kann einer in vielen Belangen politisches Versagen vorwerfen, doch in Sachen Familienpolitik, sind die Christlich-Sozialen exzellent in der Ausführung. Da schaffen sie Vollbeschäftigung auf Kosten der Steuerzahler – rund 1,3 Millionen Euro.
Es gehört zur guten politischen Tradition, Schlüsselpositionen im Ministerium sowie gut dotierte Stellen mit loyalen Freunden und alten Weggefährten zu besetzen. Und gibt es keine geeignete Stelle, werden auch mal schnell neue Posten geschaffen.
Die CSU-Affäre um die Verwandtenbeschäftigung erinnerte mich an ein anderes Absageschreiben, die ich vor einigen Jahren von einem Schwulenverband erhielt, für die Stelle eines politischen Referenten. Ein Schwulenverband – da war ich mir sicher, würde nicht aufgrund von Nicht-Familienzugehörigkeit, Migrationshintergrund, Geschlechts und politischen Ideologie diskriminieren. Aber ich sollte eines Besseren belehrt werden. So schrieb der Geschäftsführer: „[…] ihre Unterlagen fanden hier im Haus sehr große Aufmerksamkeit. Nun mussten wir die – zugegebenermaßen schwierige – Entscheidung treffen, welche Bewerber wir zu ersten persönlichen Gesprächen einladen. Sie sind leider nicht darunter, obgleich uns der in Ihren Unterlagen dokumentierte berufliche Erfahrungsschatz beeindruckt hat. Letztlich haben wir uns für Bewerber entschieden, die unserem ganz spezifischen Idealprofil noch ein Stückchen näher kommen“.
Dieses ganz „spezifische Stellenprofil“ erfüllte ich nicht und wollte auch keinen Ausflug dorthin wagen. Wie der Zufall es wollte, stand die damalige Christopher-Street-Day Parade just in dem Jahr, unter dem Motto „Stück für Stück ins Homo-Glück“. Mir wurde klar, dass auch vermeintliche Verbände, die sich für Offenheit und Toleranz einsetzen, nicht frei von Diskriminierung sind. Im Gegenteil, auch sie wollen unter ihres gleichen bleiben. Als heterosexueller Mensch mit optisch erkennbarem Migrationshintergrund – sowie im Namen erkennbar, ohne Stallgeruch und ohne dem „spezifischen Stellenprofil“, gleicht das (Über)leben in der deutschen Arbeitswelt einem kleinen Abenteuer.
Der Absage aus Brandenburg erwiderte ich schriftlich. Eine Antwort erhielt ich nicht.