Interkulturelle Öffnung

Plädoyer für eine ehrliche Auseinandersetzung mit dem Thema

Obwohl vielerorts in Deutschland sinnvolle Projektmaßnahmen zur Interkulturellen Öffnung von Organisationen ins Leben gerufen werden, ist dieser Themenkomplex in der migrations- und gesellschaftspolitischen Debatte nach wie vor ein „nice-to-have“.

Von Umut Çopuroğlu-Ezel Donnerstag, 24.07.2014, 8:22 Uhr|zuletzt aktualisiert: Montag, 28.07.2014, 1:03 Uhr Lesedauer: 3 Minuten  |  

Das Jahr 2008. Ein Bewerbungsgespräch: „Wieso sind Sie der Meinung, dass Sie die Richtige für das Projekt sind? Es geht um Interkulturelle Öffnung. Keine leichte Aufgabe. Was zeichnet Sie im besonderen Maße für diese Aufgabe aus?

Antwort Bewerberin: „Um es auf den Punkt zu bringen: Ich brenne für dieses Thema. Und nur wer selbst brennt kann das Feuer in anderen entfachen.“

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Das Jahr 2015. Ein fiktives Bewerbungsgespräch: „Sie bringen langjährige Praxiserfahrungen im Bereich Interkulturelle Öffnung mit. Welche notwendigen Vorsichtsmaßnahmen sollten getroffen werden, bevor man sich für eine Interkulturelle Öffnung der eigenen Organisation bewusst entscheidet? Was würden Sie uns empfehlen?

Antwort Bewerberin: „Möchten Sie meine ganz ehrliche Meinung dazu hören?“

„Bevor du dich daran machst

die Welt zu verändern,

gehe dreimal durch dein eigenes Haus.“

Das besagt ein chinesisches Sprichwort. Ich fühle mich plötzlich federleicht bei dieser Antwort, die ich in dieser fiktiven Bewerbungssituation mir selbst gegeben habe.

Eine Erwiderung, die etwas bissig klingt, aber durch und durch wohlwollend gemeint ist. Denn diese Antwort fordert eine ehrliche, ungeschminkte Auseinandersetzung mit den Möglichkeiten und Grenzen einer Interkulturellen Öffnung (IKÖ) im eigenen Wirkungskreis.

Denn das Thema „Interkulturelle Öffnung“ sollte alles sein, bloß kein Pseudo-Aushängeschild für Organisationen und Personen, die sich der IKÖ-Karawane widerwillig anschließen, sich unsichtbar einfädeln in die Reihe der zahlreichen Bereitwilligen, Beherzigten und tief Entschlossenen. Um eben einfach „mit dabei zu sein“ und somit seiner Beitragspflicht zur Interkulturellen Öffnung nachzukommen. Denn IKÖ ist Trend, ein sog. „nice-to-have“ und sollte mittlerweile in keiner Organisation, in keiner Einrichtung fehlen – en vogue eben.

Und drei Voraussetzungen lassen sich doch eben mal aus dem Ärmel schütteln: 1) eine Projektskizze, die von der Realität in unserer Gesellschaft abweicht 2) ein Projektförderer und 3) ein brennender Projektmitarbeiter, der unermüdlich einer Wunschvorstellung hinterherhechelt: die realitätsferne Projektskizze in die Realität umzusetzen.

Ist doch ganz einfach oder?

Ja, weil es heutzutage tatsächlich kein Kunststück ist, diese Kriterien zu erfüllen. Und wiederum nein, weil es mehr bedarf als nur einer simplen Projekt-Checkliste, die lediglich darauf wartet, abgehakt und abgelegt zu werden. Ad acta für die Ewigkeit. Ein nostalgischer, schwelgender Blick auf die gute, alte Projektzeit der besagt: „Wir haben es versucht mit der Interkulturellen Öffnung, aber es hat nicht funktioniert. Es war schwierig die Migranten zu integrieren.“

Wir sollten aufrichtig mit uns sein, aufrichtig mit uns und unseren teilweise noch sehr begrenzten Möglichkeiten, eine Interkulturelle Öffnung in die Wege zu leiten. Es erfordert eben mehr als nur ein halbherziges „Ja, wir wollen“ seitens der Entscheidungsträger in den diversen Institutionen.

Denn es gibt einen feinen, jedoch ausschlaggebenden Unterschied zwischen den siegessicheren und vermeintlich bekennenden „Ja-wir-wollens.“

Ja, wir wollen, weil…

  • wir die Migranten integrieren wollen?
  • wir uns aufgrund des öffentlichen Drucks gezwungen sehen, eine Interkulturelle Öffnung einzuleiten?
  • wir einfach müssen?

Oder Ja, wir wollen, weil…

  • wir die Interkulturelle Öffnung als eine gewinnbringende, profitable Maßnahme für unsere Organisation sehen!
  • wir von unserer gemeinsamen Zukunft überzeugt sind!
  • wir es einfach können!

Allzu oft wird die Rechnung ohne den Wirt gemacht.

Eine Interkulturelle Öffnung setzt neben einer innigen Bereitschaft und einem starken Tatendrang auch eine gründliche Vorrecherche voraus. Diese schließt nicht nur eine Einschätzung zu den Chancen einer Implementierung eines Interkulturellen Öffnungsprozesses ein, sondern vor allem eine nüchterne Erörterung von impliziten Stolpersteinen und Hürden und den zu erwartenden Widerständen in den handlungsspezifischen Settings.

Damit würden wir so einige bereitwillige, jedoch überforderte Projekt-Zielgruppen sowie ambitionierte, brennende Projektmitarbeiter, die allesamt Tag für Tag versuchen, ihrer Utopie einer Interkulturellen Öffnung ein Stück näher zu kommen, aber dabei oft bei dem Bohren der dicken Bretter am Ende ihrer Kräfte ankommen, im Vorfeld verschonen.

So lautet die Gretchenfrage am Ende: Wollen wir uns wirklich öffnen oder nur so tun als ob?

Wir sollten ehrlich sein. Aktuell Meinung

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  1. Kai Diekelmann sagt:

    Ja, hier wird die Realität der überwiegend bedingten ikO-Bereitschaft recht zutreffend beschrieben. Ich stütze allerdings über die Zielaussage „wir wollen die Migranten integrieren“. Das darin zum Ausdruck kommende IkO-Missverstehen scheint mir die bedeutsamste Ursache vielen Scheiterns. Wäre den Entscheidenden klar, dass es um Haltungsanderung (auch und gerade der eigenen) geht, Farbe es vermutlich sehr viel weniger nice-to-have-Entscheidungen.

  2. Shevardnadze sagt:

    Natürlich
    ist Interkulturalität begrüßenswert, allerdings nur unter der Prämisse, dass man sich integriert. Unter Integration verstehe ich: Sprache, Gesetze und meinetwegen teilweise Adaption der heimischen Traditionen. Mehr ist nicht notwendig

  3. Saadiya sagt:

    @ Kai Diekelmann: Die Zielaussage “wir wollen die Migranten integrieren” mag nett gemeint sein, sie suggeriert aber, das Migranten grundsätzlich nicht integriert sind und das sie einen Außenstehenden bennötigen würden, der Ihnen mal „klar macht, wo es langgeht“. Kurz: Wie er sich an die Mehrheit anzupassen hat.

    Zuwanderer brauchen lediglich eine offene Willkommenskultur und keinen Integrationsdruck. Viele hier lebende und bereits hier geborene Menschen aus Familien mit Zuwanderungsgeschichte sind schon lange integriert ohne das es der Mehrheit aufgefallen wäre…..

    Ich schließe mich zu 100% den Punkten: JA zur IKÖ weil, wir
    a) die Interkulturelle Öffnung als eine gewinnbringende, profitable Maßnahme für unsere Organisation sehen! und
    b) von unserer gemeinsamen Zukunft überzeugt sind!

  4. Saadiya sagt:

    @ Shevardnadze: „Interkulturalität begrüßenswert, allerdings nur unter der Prämisse, dass man sich integriert. Unter Integration verstehe ich: Sprache, Gesetze und meinetwegen teilweise Adaption der heimischen Traditionen. “

    Interkulturalität ist heute nicht nur begrüßenswert, sondern oft schlicht notwendig. Jeder 5. Einwohner in Deutschland hat einen Zuwanderungshintergrund. Viele Unternehmen vertreiben Ihre Produkte nicht nur im Inland, sondern auch im Ausland. Deutschland ist Exportweltmeister! Daher sind viele international agierende Unternehmen geradezu darauf angewiesen, eine interkulturell zusammengesetzte Belegschaft zu haben. Das Erlernen der deutschen Sprache und die Achtung der in Deutschland geltenden Rechtsordnung sind unabdingbar. Die Adaption „heimischer Traditionen“ gehört eigentlich nicht in diese Kategorie, zumal es keine einheitlichen Traditionen in Deutschland gibt (regionale Unterschiede sehr groß, z.B. deutsche Bayern haben diverse Traditionen, die bei den deutschen Westfalen völlig unbekannt sind). Auch ohne Adaption kann man sich integrieren. Adaption ist ein KANN aber kein MUSS!

  5. Ali sagt:

    Ich stimme alles zu. Dabei sollen die Deutschen akzeptieren, dass Deutsch ein Einwanderunsland ist und IKÖ ein must-to-have sein muss.

    Danke
    Ali

  6. Spötter sagt:

    „Interkulturalität ist heute nicht nur begrüßenswert, sondern oft schlicht notwendig.“

    Jaja, aber auf der ganzen Welt ist das bestimmt nicht so: In Korea, Japan, Thailand, China, Indien usw. Zuwanderung ist dann begrüßenswert, wenn die Einheimischen das auch akzeptieren. Derzeit sieht es in ganz Europa nicht sonderlich danach aus. Ein „IKÖ“ ist kein „must-to-have“ (ist das jetzt die Standardsprache?).