Antisemitismus

Bundespräsident solidarisch mit Juden, Experten warnen vor Dramatisierung

Antisemitische Vorfälle bei Demonstrationen gegen die israelische Militäroffensive im Gaza sorgen für Empörung. Zentralrat der Juden beklagt eine Explosion an Judenhass; der Bundespräsident zeigt sich solidarisch mit den Juden. Antisemitismus-Experten warnen davor, die Situation zu dramatisieren. Israelkritik sei kein Antisemitismus.

Donnerstag, 24.07.2014, 8:23 Uhr|zuletzt aktualisiert: Montag, 28.07.2014, 1:03 Uhr Lesedauer: 3 Minuten  |  

Die antisemitischen Vorfälle bei Demonstrationen gegen die israelische Militäroffensive im Gazastreifen sorgen beim Bundesspräsidenten Joachim Gauck für Empörung. Er bekundete den in Deutschland lebenden Juden seine Solidarität. Er nehme ihre Sorgen sehr ernst, sagte er in einem Telefonat mit dem Präsidenten des Zentralrats der Juden, Dieter Graumann, wie dieser am Mittwoch mitteilte.

Auch Bundeskanzlerin Angela Merkel hat antisemitische Parolen verurteilt. „Diese Ausbrüche und Äußerungen sind ein Angriff auf Freiheit und Toleranz und der Versuch, unsere freiheitliche und demokratische Grundordnung zu erschüttern“, sagte Vizeregierungssprecher Georg Streiter am Mittwoch in Berlin. Dies könne und werde man nicht hinnehmen.

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Antisemitische Parolen
Seit Beginn der israelischen Militäroffensive wurden auf propalästinensische Demonstrationen vereinzelt zu Gewalt gegen Juden und Israelis aufgerufen. Dabei wurden auch Parolen wie „Jude, Jude, feiges Schwein, komm heraus und kämpf allein“ verwendet. Auf Transparenten waren Sprüche wie „Kindermörder Israel“ oder „Zionisten sind Faschisten“ zu lesen. Auf einer Demonstration wurden auch Teilnehmer von Gegenkundgebungen angegriffen.

Aus Sicht des Präsidenten des Zentralrats der Juden in Deutschland, Dieter Graumann, hat es eine „Explosion an bösem und gewaltbereitem Judenhass“ gegeben. Man sei davon „schockiert und bestürzt“. Am Dienstag hatte er Politik, Gesellschaft und Medien aufgerufen, die Vorfälle klar zu verurteilen. Graumann sagte, dass auf deutschen Straßen antisemitische Aufrufe der übelsten und primitivsten Art skandiert werden könnten, „hätten wir niemals im Leben mehr für möglich gehalten“. Die neue Dimension des Antisemitismus werde viel zu wenig beachtet. Judenhass dürfe nicht verschwiegen, sondern müsse entschlossen bekämpft werden. „Meinungsfreiheit ja, aber Volksverhetzung nein und niemals!“

Historiker warnt vor Übertreibung
Der Historiker Wolfgang Benz sieht indes keinen wachsenden Judenhass. „Nach meiner Information hat es antiisraelische Demonstrationen gegeben. Und in Berlin wurden am Rande einer antiisraelischen Demonstration antisemitische Parolen gerufen.“ „Seltsame Leute“ hätten „blödsinnige Parolen“ gerufen, erklärte Benz. „Das wird von Interessenten mit großem Medienhall als Wiederaufflammen des Antisemitismus dargestellt, als sei es so schlimm wie nie zu vor.“ Deshalb von antisemitischen Ausschreitungen in Deutschland zu sprechen, „halte ich für übertrieben“, sagte der Antisemitismus-Experte dem „Kölner Stadt-Anzeiger“ (Mittwochsausgabe).

Der Antisemitismus in Deutschland sei ein „konstanter Bodensatz in der Gesellschaft und keineswegs eine Lawine, die größer und größer wird“, sagte der frühere Direktor des Berliner Zentrums für Antisemitismusforschung. Zu beobachten sei, dass „die Stimmung gegenüber dem Staate Israel immer schlechter“ werde, was wiederum seine Gründe habe. Das sei aber kein Antisemitismus. Auch Rolf Verleger warnt auch vor einem „inflationären Gebrauch“ des Begriffs Antisemitismus. Wenn jede Kritik an Israel gleich als antisemitisch gebrandmarkt werde, provoziere man Antisemitismus.

Bundestagsvizepräsident: Missbrauch des Gastrechts
Über mögliche strafrechtliche Folgen der Parolen herrscht Unklarheit. Nach Einschätzung des Deutschen Anwaltvereins könnte es sich bei dem Spruch: „Jude, Jude, feiges Schwein“ möglicherweise um Beleidigung handeln. Den Straftatbestand der Volksverhetzung erfüllt die Parole nach Ansicht der Fachleute hingegen nicht. Die Berliner Polizei will den Spruch für die bevorstehenden Demonstrationen verbieten.

Nach den Worten der Leiterin der Antidiskriminierungsstelle der Bundesregierung, Christine Lüders, darf die kritische Auseinandersetzung mit dem Nahostkonflikt nicht genutzt werden, um Antisemitismus hoffähig zu machen. Der Präsident der Deutsch-Israelischen Gesellschaft, Reinhard Robbe, rief dazu auf, dieser „schlimmen Entwicklung“ mit der ganzen Härte des Gesetzes entgegenzutreten. Bundestagsvizepräsident Johannes Singhammer (CSU) sagte der „Saarbrücker Zeitung“ (Mittwochsausgabe), Menschen mit antijüdischer Grundhaltung missbrauchten ihr Gastrecht, „die wollen wir in Deutschland nicht haben“. (epd/mig) Aktuell Politik

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  1. direm sagt:

    „Der Historiker Wolfgang Benz sieht indes keinen wachsenden Judenhass. „Nach meiner Information hat es antiisraelische Demonstrationen gegeben. Und in Berlin wurden am Rande einer antiisraelischen Demonstration antisemitische Parolen gerufen.“ „Seltsame Leute“ hätten „blödsinnige Parolen“ gerufen, erklärte Benz. „Das wird von Interessenten mit großem Medienhall als Wiederaufflammen des Antisemitismus dargestellt, als sei es so schlimm wie nie zu vor.“ Deshalb von antisemitischen Ausschreitungen in Deutschland zu sprechen, „halte ich für übertrieben“,

    sagt Herr Benz.

    Es gibt andere Stimmen, z.b. in der SZ:

    „Antisemitismus unter Muslimen Der Hass ist völlig außer Kontrolle“

    Antisemitismus und Verschwörungstheorien gehören in manchen muslimischen Familien zur Erziehung, sagt der Palästinenser Ahmad Mansour, der in Berlin gegen die Radikalisierung von Muslimen kämpft.

    Unter den antiisraelischen Demonstranten sind viele junge Männer und Frauen …

    Gerade die sind besonders aggressiv und machen einen großen Anteil aus. Für sie sind die Proteste eine legitime Art, ihre Aggressivität auszuleben. Seit ihrer Kindheit wurde diesen jungen Menschen das Feindbild mitgegeben, unter anderem durch ihre Eltern, Freunde und Bekannte aber auch in Moscheen und Koranschulen. Im heimischen Wohnzimmer schauen sie arabische Sender, die sie mit Propaganda zuschütten.

    Haben Islamverbände Einfluss auf die Hetze?

    Sie beteiligen sich nicht aktiv daran. Allerdings würde ich mir wünschen, dass Millî Görüş, die Türkisch-Islamische Union der Anstalt für Religion oder der Rat der Muslime den Antisemitismus unter Muslimen endlich thematisieren und sich ernsthaft damit in ihren eigenen Reihen auseinandersetzen. Antisemitismus ist in den meisten Moscheen und Jugendgruppen seit Jahren vorhanden. Wer eine einseitige Betrachtung des Geschehens predigt, von Völkermord spricht oder Schwarz-Weiß-Bilder verbreitet, trägt zu dieser Hetzerei bei.

    weiter hier:
    http://www.sueddeutsche.de/politik/antisemitismus-unter-muslimen-der-hass-ist-voellig-ausser-kontrolle-geraten-1.2059322-2

  2. Saadiya sagt:

    Aus dem Artikel: „Menschen mit antijüdischer Grundhaltung missbrauchten ihr Gastrecht, „die wollen wir in Deutschland nicht haben“.“

    Was soll mit all jenen deutschen Staatsbürgern geschehen, die eine antijüdische Grundhaltung haben? Ich finde, die sollten wir in Deutschland auch nicht haben wollen…..

  3. surviver sagt:

    Was sagt denn Herr Gauck zu den ermordeten Frauen und Kindern bei diesen terroristischen Militäroffensiven seiten Israelischer Regierung?

    Anitsemitismus hin oder her. Mord an Kindern ist ein Verbrechen und gehört unterbunden.

    Man sieht jeden Tag im TV oder in den Nachrichten, dass Nachrichten teilweise zenziert oder verdreht dargestellt wird.
    Gibt es in Deutschland eigentlich eine unabhängige Medienaufsicht, die sowas unterbindet? ich glaube nicht.

  4. Lynx sagt:

    Weder der Bundespräsident noch ein anderes Mitglied der Bundesregierung hat sein Bedauern über die Auslöschung einer ganzen fünfköpfigen palästinensischen Familie mit deutscher Staatsangehörigkeit in Gaza durch den israelischen Bombenterror ausgesprochen noch das zionistische Regime dafür kritisiert. Stattdessen erregen sich diese Politiker in völlig überzogener Weise über ein paar „antisemtische“ Parolen, die keine Gewalttaten nach sich ziehen.
    Das Hetzblatt „Berliner Kurier“ behauptet, ein arabischer Gastprediger aus Dänemark habe in der Berliner An-Nur-Moschee zur „Auslöschung“ Israels aufgerufen. Tatsächlich hat er jedoch nur Gott darum gebeten, die „zionistischen Juden“ (nicht die Juden als solche, sondern nur die Zionisten unter ihnen) zu vernichten.
    (http://www.berliner-kurier.de/polizei-justiz/antisemitismus-unter-muslimen-al-nur-moschee-neukoelln–die-moschee-der-hassprediger,7169126,27918642.html)
    Derartige Worte kann man in vielen arabischen Ländern in den Bittgebeten der dortigen Imame dieser Tage mehrmals täglich hören. Doch kaum ein Zuhörer versteht dies als Aufforderung, Juden zu ermorden, sondern als ein an den Allmächtigen gerichtetes Bittgebet mit seiner göttlichlichen Macht in wunderbarer Weise in das Geschehen einzugreifen. Die deutschsprachen Medien verstehen die arabische Rhetorik jedoch nicht – oder wollen sie bewußt nicht verstehen –, und nutzen sie zu ihrer Volksverhetzung gegen die Muslime. Warum berichten sie gerechterweise nicht auch über die Haß predigenden jüdischen Rabbis der fundamentalistischen israelischen Siedler, die nicht nur Gott um Vernichtung der Palästinenser bitten, sondern ihre Zuhörer offen dazu aufrufen, dies selbst zu tun, oder über objektive und mutige jüdische Journalisten, wie Gideon Levy, die es wagen, die Bombardierung der palästinensischen Zivilisten in Gaza durch die israelische Luftwaffe zu kritisieren, und die dafür von der aufgebrachten zionistischen Menge um sie herum beinahe gelyncht werden?
    (http://www.deutschlandfunk.de/israels-medien-und-der-krieg-ruhe-wir-schiessen.1773.de.html?dram:article_id=292337)
    Das Verhalten der meisten deutschen Politiker in dieser Situation ist schlichtweg ekelerregend, und ich hoffe, es wird nicht als Aufruf zum Mord mißverstanden, wenn ich Gott darum bitte, unser deutsches Vaterland vom Übel dieser Politiker zu erlösen.

  5. posteo sagt:

    Davon abgesehen, dass mit dem Antisemitismusforscher Benz nur ein sogenannter Experte vor Dramatisierung gewarnt hat, man stelle sich vor, ein solcher Experte hätte vor Dramatisierung gewarnt, wenn Demonstranten Muslime als „feige Schweine“ bezeichnet und diese „ins Gas“ gewünscht hätten.

  6. posteo sagt:

    @diren: „Allerdings würde ich mir wünschen, dass Millî Görüş, …oder der Rat der Muslime den Antisemitismus unter Muslimen endlich thematisieren..“

    Aus einem Bericht des SPIEGEL: „Der Vorsitzende des Zentralrats der Muslime, Aiman A. Mazyek, verurteilte die antisemitischen Parolen bei Demonstrationen gegen Israels Angriffe. „Wer Judenhass predigt oder meint, im Zuge des Gaza-Krieges Antisemitismus verbreiten zu müssen, hat in unserer Gemeinde nichts zu suchen“, sagte Mazyek.“

  7. Cengiz K sagt:

    Man/frau kann nach den Solidaritätsbekundungen mit Israel schon die Uhr stellen.. Die Bundesrepublik der Karrieresucht… Und die Israel-Propaganda läuft schon auf Hochtouren.. Diese haben bereits die Putin-Nashis überholt..

  8. Österreicherin sagt:

    Ich denke, es steht jedem frei zu beurteilen, wer hier eine rechte Gesinnung hat und wer nicht. Die Gedanken sind frei!

  9. Marianne sagt:

    So ist es, Cengiz K. Die antisemitischen Parolen einzelner Demonstranten werden instrumentalisiert, um von den Verbrechen in Gaza abzulenken. Diese Schiene wird in Deutschland schon seit ewigen Zeiten gefahren, selbst berechtigte Kritik an der Politik der israelischen Regierung wird als Antisemitismus gebranndmarkt. Kein einziges lautes Wort dagegen, wenn Israel in Gaza UN-Schulen bombardiert und eine ganze Familie auslöscht, die zudem noch deutsche Staatsbürger waren. Es entspricht einfach den tatsachen, dass diese Menschen für die deutsche Regierung Menschen zweiter Klasse sind, während Solidarität mit der israelischen Regierung, was immer die auch an Menschenrechtsverbrechen anstellt, hierzulande „Staatsräson“ ist.

    Prof. Rolf Verleger, ehemaliges Zentralratsmitglied (also, wenn der nicht selbst jüdischen Glaubens wäre, müsste man sich vor lautem Antisemitismusgeschrei vermutlich die Ohren zu halten, so deutlich und klar, wie er sich dankenswerterweise äußert), ist übrigens auch der Meinung, dass hier überdramatisiert wird. Ich unterstreiche jedes Wort, das er sagt.

    http://www.frequency.com/video/beraus-deutliche-kritik-der/183164811/-/5-241

    In einem Interview hat er sich so geäußert:

    „Die Wurzel des ganzen Konflikts ist ja, weil Europa vor 100 Jahren mit seiner jüdischen Minderheit nicht fertig wurde und dieses Problem dorthin nach Palästina exportiert hat, und das fällt jetzt alles wieder auf uns zurück. […] Ich meine, was hat das mit meiner ermordeten Verwandtschaft zu tun, dass da jetzt ein solches Unrecht im Nahen Osten geschieht? Man kann doch nicht mit Verweis auf schreckliche Dinge in der Vergangenheit weiter heute Unrecht geschehen lassen. Das ist die völlig falsche Lehre, die da gezogen wird. [..] Dieser Konflikt – man kann auf geraubten Land nicht in Frieden leben. Das Land ist den Palästinensern weggenommen worden und es muss eine vernünftige friedliche Regelung her.“ (Quelle wikipedia)

    Das ist ganz genau und exakt die Meinung, die ich schon immer ausdrücklich vertreten habe, er spricht mir mit jedem Wort aus der Seele.

    Von seinen Ämtern im Zentralrat hat man ihn wegen der deutlichen und m.E. zutiefst berechtigten Kritik an der israelischen Regierungspolitik im Krieg gegen den Libanon und der Unterstützung des Zentralrats für diese Politik entbunden. Die israelische menschenrechtswidrige Politik darf man hierzulande eben nicht kritisieren, Und wenn der Prof. Verleger nicht jüdischen Glaubens wäre, hätte man ihn sicher, wie den J. Augstein, der es ebenfalls wagte, diese menschenrechtswidrige Politik deutlich zu kritisieren, in die Liste der schlimmsten Antisemiten dieser Erde aufgenommen.

    Meiner Meinung nach wird durch das Tabu, die israelische Politik nicht kritisieren und verurteilen zu dürfen, ebenso, wie durch die jahrzehntelange Demütigung und Entrechtung der Palästinenser, die gegen den israelischen Goliath nicht die geringste Chance haben, der Antisemitismus nicht bekämpft, sondern befördert bzw, hervorgerufen. .