Das Jahr 2008. Ein Bewerbungsgespräch: „Wieso sind Sie der Meinung, dass Sie die Richtige für das Projekt sind? Es geht um Interkulturelle Öffnung. Keine leichte Aufgabe. Was zeichnet Sie im besonderen Maße für diese Aufgabe aus?
Antwort Bewerberin: „Um es auf den Punkt zu bringen: Ich brenne für dieses Thema. Und nur wer selbst brennt kann das Feuer in anderen entfachen.“
Das Jahr 2015. Ein fiktives Bewerbungsgespräch: „Sie bringen langjährige Praxiserfahrungen im Bereich Interkulturelle Öffnung mit. Welche notwendigen Vorsichtsmaßnahmen sollten getroffen werden, bevor man sich für eine Interkulturelle Öffnung der eigenen Organisation bewusst entscheidet? Was würden Sie uns empfehlen?
Antwort Bewerberin: „Möchten Sie meine ganz ehrliche Meinung dazu hören?“
„Bevor du dich daran machst
die Welt zu verändern,
gehe dreimal durch dein eigenes Haus.“
Das besagt ein chinesisches Sprichwort. Ich fühle mich plötzlich federleicht bei dieser Antwort, die ich in dieser fiktiven Bewerbungssituation mir selbst gegeben habe.
Eine Erwiderung, die etwas bissig klingt, aber durch und durch wohlwollend gemeint ist. Denn diese Antwort fordert eine ehrliche, ungeschminkte Auseinandersetzung mit den Möglichkeiten und Grenzen einer Interkulturellen Öffnung (IKÖ) im eigenen Wirkungskreis.
Denn das Thema „Interkulturelle Öffnung“ sollte alles sein, bloß kein Pseudo-Aushängeschild für Organisationen und Personen, die sich der IKÖ-Karawane widerwillig anschließen, sich unsichtbar einfädeln in die Reihe der zahlreichen Bereitwilligen, Beherzigten und tief Entschlossenen. Um eben einfach „mit dabei zu sein“ und somit seiner Beitragspflicht zur Interkulturellen Öffnung nachzukommen. Denn IKÖ ist Trend, ein sog. „nice-to-have“ und sollte mittlerweile in keiner Organisation, in keiner Einrichtung fehlen – en vogue eben.
Und drei Voraussetzungen lassen sich doch eben mal aus dem Ärmel schütteln: 1) eine Projektskizze, die von der Realität in unserer Gesellschaft abweicht 2) ein Projektförderer und 3) ein brennender Projektmitarbeiter, der unermüdlich einer Wunschvorstellung hinterherhechelt: die realitätsferne Projektskizze in die Realität umzusetzen.
Ist doch ganz einfach oder?
Ja, weil es heutzutage tatsächlich kein Kunststück ist, diese Kriterien zu erfüllen. Und wiederum nein, weil es mehr bedarf als nur einer simplen Projekt-Checkliste, die lediglich darauf wartet, abgehakt und abgelegt zu werden. Ad acta für die Ewigkeit. Ein nostalgischer, schwelgender Blick auf die gute, alte Projektzeit der besagt: „Wir haben es versucht mit der Interkulturellen Öffnung, aber es hat nicht funktioniert. Es war schwierig die Migranten zu integrieren.“
Wir sollten aufrichtig mit uns sein, aufrichtig mit uns und unseren teilweise noch sehr begrenzten Möglichkeiten, eine Interkulturelle Öffnung in die Wege zu leiten. Es erfordert eben mehr als nur ein halbherziges „Ja, wir wollen“ seitens der Entscheidungsträger in den diversen Institutionen.
Denn es gibt einen feinen, jedoch ausschlaggebenden Unterschied zwischen den siegessicheren und vermeintlich bekennenden „Ja-wir-wollens.“
Ja, wir wollen, weil…
- wir die Migranten integrieren wollen?
- wir uns aufgrund des öffentlichen Drucks gezwungen sehen, eine Interkulturelle Öffnung einzuleiten?
- wir einfach müssen?
Oder Ja, wir wollen, weil…
- wir die Interkulturelle Öffnung als eine gewinnbringende, profitable Maßnahme für unsere Organisation sehen!
- wir von unserer gemeinsamen Zukunft überzeugt sind!
- wir es einfach können!
Allzu oft wird die Rechnung ohne den Wirt gemacht.
Eine Interkulturelle Öffnung setzt neben einer innigen Bereitschaft und einem starken Tatendrang auch eine gründliche Vorrecherche voraus. Diese schließt nicht nur eine Einschätzung zu den Chancen einer Implementierung eines Interkulturellen Öffnungsprozesses ein, sondern vor allem eine nüchterne Erörterung von impliziten Stolpersteinen und Hürden und den zu erwartenden Widerständen in den handlungsspezifischen Settings.
Damit würden wir so einige bereitwillige, jedoch überforderte Projekt-Zielgruppen sowie ambitionierte, brennende Projektmitarbeiter, die allesamt Tag für Tag versuchen, ihrer Utopie einer Interkulturellen Öffnung ein Stück näher zu kommen, aber dabei oft bei dem Bohren der dicken Bretter am Ende ihrer Kräfte ankommen, im Vorfeld verschonen.
So lautet die Gretchenfrage am Ende: Wollen wir uns wirklich öffnen oder nur so tun als ob?
Wir sollten ehrlich sein.