NSU-Schlappe für Polizei

„Staat & Nazis Hand in Hand“ verunglimpft Staat nicht

Schlappe für die Berliner Polizei. Die Zensur des Wandbildes mit der Aufschrift „NSU: Staat und Nazis Hand in Hand“ war nicht rechtens und wird nun ein Nachspiel für die Polizei haben. Doch der Reihe nach: Was war passiert?

Mittwoch, 02.07.2014, 8:25 Uhr|zuletzt aktualisiert: Montag, 07.07.2014, 21:48 Uhr Lesedauer: 2 Minuten  |  

Am Morgen des 3. Juni brachte das Bündnis gegen Rassismus in Berlin ein Wandbild an eine Hauswand an der Ecke Manteuffelstraße/Oranienstraße an. Darauf war im Hinblick auf das massive Versagen der Sicherheitsbehörden im Komplex rund um den Nationalsozialistischen Untergrund (NSU) unter anderem folgender Schriftzug zu lesen: „NSU: Staat & Nazis Hand in Hand.“ Damit wollte sich das Bündnis sich solidarisch zeigen mit den Opfern des Nagelbombenattentats auf der Kölner Keupstraße anlässlich des zehnten Jahrestages des Anschlags.

Das ließ die Abteilung für Staatsschutz des Berliner Landeskriminalamtes aber nicht zu. Kurz nachdem das Wandbild angebracht war, rückten Polizisten an und verlangten von den Aktivisten die Beseitigung des Schriftzuges „NSU: Staat & Nazis Hand in Hand“. Als Begründung für diese Zensurmaßnahme führten die Polizisten an, der Satz verunglimpfe den Staat und verstoße gegen § 90a des Strafgesetzbuches (StGB). Das Bündnis weigerte sich, die Polizei bestellte die Feuerwehr und ließ die strittige Passage herausreisen.

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Staatsanwaltschaft: Zulässige Meinungskundgabe
Was folgte, hätte für das Berliner Landeskriminalamt nicht peinlicher kommen können. Am 10.Juni stellte die Berliner Staatsanwaltschaft das von der Polizei eingeleitete Strafverfahren wegen Verunglimpfung des Staates ein. Die Staatsanwaltschaft bewertet die strittige Aussage als eine im Kontext der Erkenntnisse zum NSU-Komplex zulässige Meinungskundgabe und betont, „dass die Formulierung ‚Staat und Nazis Hand in Hand‘ keine Gleichsetzung des Staates mit Nazis zum Ausdruck bringt, sondern nur eine enge Kooperation des Staates mit Nazis anprangert.“

Dies möge provokativ und überzogen sein, räumt die Staatsanwaltschaft ein, ergänzt aber: „Doch vor dem Hintergrund der öffentlichen Debatte um die Rolle von staatlichen Organen im Zusammenhang mit den Anschlägen des NSU und der Aktualität dieser Debatte aufgrund des in München laufenden Prozesses gegen Beteiligte des NSU, sowie des 10. Jahrestages des Terroranschlages in Köln sei die Äußerung indes als zulässige Meinungskundgabe hinzunehmen.“

Ermutigt durch diese Entscheidung der Staatsanwaltschaft reichte das Bündnis gegen Rassismus am 30.06.2014 eine Klage gegen die Polizei Berlin ein, um die Rechtswidrigkeit eines Polizeieinsatzes feststellen zu lassen. Sie fordern die Polizei auf, die ursprüngliche Form des Wandbildes wiederherzustellen.

Bemerkenswerter Vergleich
Wie aus der Akte der Staatsanwaltschaft zu entnehmen ist, hatte das Landeskriminalamt in dem zensierten Schriftzug eine Parallele zu einem Satz gesehen, der 1996 in Bayern als Verunglimpfung des Staates eingestuften wurde. Der damalige Satz lautete: „…der deutsche Staat habe 19 politische Gegner ermordet…“ und fiel im Zusammenhang mit der Tötung von Wolfgang Grams (RAF) in Bad Kleinen.

Das Bündnis findet es bemerkenswert, dass die Polizei in seiner Logik den Satz „Staat und Nazis Hand in Hand“ mit der Aussage gleichsetzt, staatliche Organe könnten 9 Migranten und eine Polizistin ermordet haben. (bk) Leitartikel Recht

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  1. aloo masala sagt:

    Die positive Nachricht, das Gericht erkennt das Recht auf Meinungsäußerung an.

    Die negative Nachricht, steckt bei der Polizei ein System hinter ihrem rechtswidrigen Vorgehen?

    Meinungsäußerungen, die den Staat an den Pranger stellen, gibt es nicht erst seit dem 3. Juni 2014 als das Bündnis gegen Rassismus in Berlin ein Wandbild an eine Hauswand anbrachte. Die zuständigen Mitarbeiter der Polizei wissen bereits aus der Vergangenheit, was unter Meinungsäußerung fällt und was nicht. Selbst zur Äußerung“ NSU Staat & Nazis Hand in Hand“ gab es laut einem Migazin (http://www.migazin.de/2014/06/04/polizei-nsu-plakat-verunglimpfung-staates/) bereits einen ähnlich gelagerten Fall, bei der das Vorgehen der gleichen Polizeieinheit als rechtswidrig festgestellt wurde.

    Ich behaupte, dass die Polizei wider besseren Wissens ihre Bürger daran hindert, Meinungen frei zu äußern, die der Polizei angesichts ihres Totalversagens in der NSU-Affäre nicht in den Kram passen. Die Polizei hat ihr Ziel erreicht. Das ist der eigentliche Skandal, dass die Polizei bereit ist, sich über geltendes Recht und demokratische Prinzipien hinwegzusetzen. Daraus lässt sich ableiten, wie sehr die Polizei an einer selbstkritischen Aufklärung der NSU-Affäre interessiert sein wird.

  2. Michael sagt:

    Mich wundert, dass die relativ sensationellen neuen Enthüllungen bezgl. der einzelnen Mordfälle, welcher einer sog. „NSU“ angelastet werden, hier überhaupt nicht diskutiert werden, obwohl so gut wie alle Blogs, vornehmlich natürlich friedensblick, davon berichten und sich die Diskussionen z.B. im politikforum dazu fast überschlagen. Ich meine selbst zum Kommentarbereich der TAZ ist das schon durchgedrungen:
    http://friedensblick.de/12202/hessen-unglaubliche-wendung-im-ceska-mordfall-halit-yozgat/

    Anscheinend haben einige Blogger („fatalist“ auf seinem Blog) Zugriff auf massive Mengen interner Ermittlungsakten, das ist so was wie ein „NSU-Leak“.

    Wir wollen endlich die Wahrheit wisssen und haben ein Recht dazu.

  3. H.P.Barkam sagt:

    „… Mich wundert, dass die relativ sensationellen neuen Enthüllungen bezgl. der einzelnen Mordfälle, welcher einer sog. “NSU” angelastet werden, hier überhaupt nicht diskutiert werden, …“

    Vielleicht, weil es zig Seiten mit zig Themen gibt und es wenig Sinn macht, alles in einen Topf zu werfen.

  4. Kritika sagt:

    @ Michael

    Schon klar, dann hat also das „PKK Killerkommando aus Holland“ Ihrer Logik nach wohl den NSU-Tätern ihre selbstgemachten Bilder vom Tatort geschickt, damit diese daraus ihr eigenes Filmchen (P.Panther-Video) machen konnten. Voll daneben.

  5. Pingback: Mädchenmannschaft » Blog Archive » Prekarisierung, § 23 und der Staat als gewalttätiger Akteur – kurz verlinkt