Fachkräftemangel

Was wir lernen müssen und worauf es heute ankommt

Jedes Jahr verliert der deutsche Arbeitsmarkt hunderttausende Arbeitskräfte. Wieso die Löhne trotzdem nicht steigen und was sich durch den Fachkräftemangel ändert - für Arbeiter wie für Personalabteilungen - erklärt Chris Pyak. Eine Replik auf Sabine Schiffers "Fachkräftemangel – gibt es den überhaupt?"

Von Chris Pyak Donnerstag, 23.01.2014, 8:24 Uhr|zuletzt aktualisiert: Freitag, 24.01.2014, 7:26 Uhr Lesedauer: 6 Minuten  |  

Wuppertal ist menschenleer. Die Geschäfte verwaist, die Wohnungen aufgegeben. Niemand fährt mehr Schwebebahn oder füttert die Tiere im Wuppertaler Zoo. 350.000 Menschen – alle verschwunden. Das ist die Realität auf dem deutschen Arbeitsmarkt. In diesem Jahr gehen 1,1 Millionen Menschen des Jahrgangs 1950 in Rente. Ersetzt werden sie durch den Jahrgang 1995, der jetzt erste Berufserfahrungen sammelt. Doch der umfasst nur 765.000 Menschen.

Es gibt dieses Jahr eine Lücke von 365.000 potenziellen Arbeitnehmern, die nicht gefüllt werden kann. Größer als die gesamte Einwohnerzahl von Wuppertal. Und das ist erst der Anfang. Seit 40 Jahren werden in Deutschland weniger Kinder geboren, als alte Menschen sterben. Das rächt sich jetzt. Von nun an verlieren wir jedes Jahr eine Großstadt an Arbeitskräften: Kassel, Münster, Bonn, Bielefeld, Wuppertal, Bochum, Duisburg, Nürnberg, Hannover, Leipzig, Dresden, Bremen, Essen, Dortmund und Düsseldorf: Stellen Sie sich all diese Städte als menschenleere Ruinen vor – und sie verstehen wie viele Arbeitskräfte unserem Land in den nächsten zehn Jahren verloren gehen.

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Bis 2025 verlassen 6,5 Millionen Arbeitnehmer ihre Schreibtische und Werkbänke. Jeder sechste Arbeitsplatz kann in zehn Jahren nicht mehr besetzt werden, hat die Bundesagentur für Arbeit errechnet. Und machen Sie sich keine Illusionen: Dies ist keine Vorhersage die auf Vermutungen aufbaut. Denn wie viele Menschen in Rente gehen und wie viele neue Arbeitskräfte verfügbar sind, ist genau bekannt. Wer 2025 seinen ersten Job antritt ist bereits geboren – oder eben nicht.

Angesichts der Fakten ist es verwunderlich, dass Argumente im Stil von „Die nehmen uns die Arbeitsplätze weg“, selbst bei gebildeten Mitmenschen überleben. Auch wenn Sabine Schiffer im MiGAZIN vom „Lohndumping“ spricht, meint sie in Wirklichkeit die vermeintliche Konkurrenz durch ausländische Mitarbeiter. In Wirklichkeit sollten wir die jungen Menschen, die zu uns kommen, mit offenen Armen empfangen. Wir brauchen Sie dringend:

Was wir heute als Fachkräftemangel erleben sind nur die ersten Kiesel der anrollenden Lawine. Ein Blick in die Krankenpflege zeigt die Zukunft aller Branchen: Schon heute fehlen 30.000 Pflegekräfte. Diese Lücke wird in wenigen Jahren auf weit über 100.000 steigen. Denn die 6,5 Millionen zusätzlichen Rentner wollen versorgt werden. 37.000 Jobs sind in der IT-Branche offen. Den 27.000 arbeitslosen Ingenieuren stehen 54.000 offene Stellen gegenüber. All das: nur die erste Brise des heranziehenden Sturms.

Wenn wir nicht mehr Arbeitskräfte gewinnen, wird unsere Wirtschaft an Kraft verlieren – genau zu dem Zeitpunkt, an dem wir mehr Geld benötigen, um all die Alten zu versorgen. Dann werden die Verteilungskämpfe zwischen Jung und Alt unser Land zerreißen. Bleibt eine Frage: Wenn das alles wahr ist, warum steigen dann die Löhne nicht? Warum müssen sich so viele junge Leute mit Praktika und befristeten Stellen begnügen?

Die Antwort: Trägheit.

Die Entscheider in den Personalabteilungen erkennen das Problem. Sie sehen, dass Positionen immer länger unbesetzt bleiben. Aber dann handeln sie so, als ob sich nichts geändert hätte. Mit Gimmicks wie Social Media versuchen sie, die gleichen Auswahlprozesse wie in der Vergangenheit durchzuführen. Doch die Spielregeln haben sich geändert:

In der Industriegesellschaft mussten Bewerber möglichst exakt in eine Schablone passen. Das machte Sinn, denn die meisten Jobs waren standardisierte Aufgaben die immer wiederholt wurden. Henry Ford hat das „Model T“ nicht aus einer Laune heraus nur in Schwarz angeboten. Schwarz ist die Farbe, die am schnellsten trocknet. Je identischer alle Arbeiter, desto größer die Produktion. Doch die Industriegesellschaft ist tot.

Heute fertigen Maschinen individualisierte Produkte. In wenigen Jahren werden 3D Drucker die „Massenproduktion“ durch persönliche Designs für jeden einzelnen Kunden ersetzen.

Tot ist auch die Wissensgesellschaft. Reine Information gibt es heute im Überfluss. Sie ist ein Rohstoff – und entsprechend billig. Wer vor Jahren noch mit analytischem Denken punkten konnte, sieht sich heute auf dem Abstellgleis. Denn analytisches Denken heißt: Ursache – Wirkung Denken. Prozesse in einzelne Schritte zerlegen können. Wer kann das besonders gut? Computer.

Juristen sind hochintelligente Menschen. Doch die Einstiegsjobs, die nur analytisches Denken und Recherche erfordern, werden in Indien erledigt. Wir erleben den Anfang der Kreativgesellschaft. Analytisches Denken bleibt wertvoll – ist aber alleine nicht ausreichend. Heutige Kunden erwarten individuelle Lösungen und persönliche Ansprechpartner.

Wer in Zukunft beruflich erfolgreich sein will, muss deshalb Neues erschaffen können. Es nützt nichts, die Faxmaschine zu perfektionieren, wenn heute alle email nutzen. Kreatives Denken lässt sich nicht ersetzen: Hier wird Wert geschaffen. Und damit sichere Arbeitsplätze.

Der zweite Bereich mit großer Zukunft: Menschliche Beziehungen. Wer – zum Beispiel – alle Arbeitslosen in die Altenpflege pressen will, unterschätzt die Herausforderungen dieses Berufes. Denn neben dem immensen Fachwissen und körperlicher Geschicklichkeit brauchen Pflegekräfte vor allem Empathie – und gleichzeitig die Fähigkeit, diese Gefühle am Ende des Arbeitstages auf der Station zu lassen. Das kann man nicht lernen. Dazu braucht man Talent.

Wie gut Ihre persönlichen Berufsaussichten sind, können Sie leicht testen: Lässt sich Ihre Arbeit in einzelne Schritte zerlegen, die immer wiederholt werden? Dann werden Sie es schwer haben. Ein Computer oder Arbeitskräfte in Indien werden immer billiger sein als Sie.

Wenn Sie in Ihrem Job jedoch nicht nur analytisch denken, sondern auch täglich individuelle Lösungen finden müssen: Dann stehen die Chancen gut, dass ihre Arbeitskraft immer wertvoller wird. Gleiches gilt, wenn Ihre Leistung für den Arbeitgeber im Aufbau zwischenmenschlicher Beziehungen besteht.

Wenn Kreativität und die Fähigkeit, Beziehungen aufzubauen zum Asset werden, müssen Personalabteilungen nach anderen Bewerbern suchen als in der Industriegesellschaft. Sie brauchen niemanden, der in die Schablone passt, sondern: Individualität. Zu viele Personalabteilungen sind unfähig, diesen geistigen Wechsel zu vollziehen. Sie schaden ihrem Unternehmen jeden Tag. Ein Beispiel aus meiner Praxis als Personalberater:

Eine Kandidatin von mir hatte ihren Bachelor in Afrika gemacht und ihren Master in Großbritannien. Die Personalabteilung lehnte die Kandidatin ab. Die Sachbearbeiterin kenne die afrikanische Universität nicht und könne daher die Qualität nicht beurteilen. Man gehe lieber auf Nummer sicher und suche jemanden mit deutschem Abschluss. Die britische Universität, an der meine Kandidatin ihren Master gemacht hatte, war Cambridge.

Diese geistige Fixierung auf die Auswahlprozesse der Vergangenheit erklärt die Diskrepanz zwischen realem Fachkräftemangel und irrationalem Verhalten von Arbeitgebern. Doch keine Sorge. Der Schmerz wird jetzt jedes Jahr größer. Irgendwann lernen die Personalabteilungen. Jene Firmen die sich zu langsam verändern, werden vom Markt verschwinden.

Profitieren werden Unternehmen, die sich jetzt für einzigartige Kandidaten öffnen. Die Frauen, Ältere, Einwanderer als wertvolle Ressourcen schätzen – gerade WEIL sie Individuen mit ganz eigenen Erfahrungen sind.

Mittelständische Unternehmen haben hier eine große Gelegenheit: Wer sich jetzt öffnet, kann selbst von großen Konzernen Top-Kandidaten abwerben: Ich habe zum Beispiel gerade eine Beraterin von Kienbaum eingestellt. Wie habe ich sie für unsere kleine Personalberatung gewonnen? Ganz einfach: Nach Auslandserfahrung in Singapur und kürzlicher Heirat wollten andere Unternehmen sie nicht haben. Anfang 30 war das „Risiko“ des Kinderkriegens zu groß. Mir nicht! Jetzt habe ich eine wertvolle Mitarbeiterin, die mir am ersten Arbeitstag gleich einen neuen Kunden mitgebracht hat.

Der Fachkräftemangel ist die größte Herausforderung unseres Landes. Wie können wir mit sechs Millionen weniger Arbeitnehmern gleichzeitig 6 Millionen Rentner mehr versorgen? Nur indem wir mehr Frauen beschäftigen, mehr Ältere – und mehr Einwanderer ins Land holen.

Gleichzeitig ist der Fachkräftemangel eine große Chance: Er zwingt Unternehmen, sich für Individuen zu öffnen und menschlichere Arbeitsplätze zu gestalten. Damit treffen Firmen genau den globalen Trend zu immer individuelleren Produkten – ein perfektes Match zwischen Mitarbeitern und Markt. Aktuell Meinung

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  1. Jenny sagt:

    es gibt keinen Fachkräftemangel — nur in ganz wenigen Branchen. Und es wird auch keinen geben, da als nächste Automatisierungswelle Büroberufe drankommen. Schon heute sind 7 Mio. Menschen in DE im Hartz-IV Bezug und immer noch 5 Mio arbeitslos. Evtl. wird ein bisschen die Massenarbeitslosigkeit abgebaut, aber nicht komplett.

    Es bleibt bei der Gleichzeitigkeit weniger Mangelbranchen, oft mit schlechten Arbeitsbedingungen und Massenarbeitslosigkeit. Da muss man sich keine Illusionen machen.

    schon morgen könnten die Kassiere im Supermarkt weichen und viele Bürotätigkeiten.

  2. Chris Pyak sagt:

    Hallo Jenny,

    danke für Deinen Diskussionsbeitrag. Du bestätigst was ich oben schreibe: Berufe die keine kreative Leistung oder menschliche Beziehungen verlangen werden größtenteils verschwinden.

    Gleichzeitig entstehen in diesen höherwertigen Bereichen sehr viele neue Jobs. Das uns die Arbeit ausgeht wird schon seit den Weberaufständen befürchtet. Eingetreten ist es nicht.

    Wir haben einfach mehr Resourcen für anspruchsvollere Aufgaben. Diese Chancen nutzen muss aber jeder selbst.

    Entweder indem er/sie seine kreativen, intellektuellen oder empathischen Fähigkeiten ausbaut.

    Dazu braucht man nicht unbedingt ein Studium. Ein Bekannter von mir ist Malermeister – er erzielt Toppreise weil er wunderschöne individuelle Wandbemalung anbietet.

    Er hat sich von „nützlich“ zu „schön“ weiter entwickelt. Er verdient super und tut etwas dass er selbst liebt – und das Menschen begeistert.

    Jeder Mensch hat einzigartige Talente. Untergehen werden die welche darauf beharren nicht zu wachsen – und Angst haben ihr wahres Potential zu entdecken.

  3. Marianne sagt:

    Es gibt weder in diesem noch im nächsten Jahr die behauptete Lücke, vielmehr gibt es eine Menge an Arbeitslosen oder in prekären Arbeitsverhältnissen Befindliche, und zwar auch solche, die mit Fug und Recht als Fachkräfte zu bezeichnen sind. Ab einem bestimmten Alter sind die Aussichten auf reguläre Arbeit annähernd bei Null und auch bestens ausgebildete junge Leute sind teilweise arbeitslos oder als Dauerpraktikanten o.ä. in prekären Beschäftigungsverhältnissen ausgebeutet.

    Es ist an geistiger Schlichtheit ja wohl kaum zu überbieten, anhand des obigen Rechenexempels auf Fachkräftemangel zu schließen und das Wuppertal-Szenario ist Lobbyisten-Horrorzsenario allererster Güte.

    Krass auch der Arbeitgeberpropaganda-Satz: „Was wir heute an Fachkräftemangel erleben“, wo noch immer eine hohe Zahl gut ausgebildeter Fachkräfte aufs Abstellgleis geschoben wird.

    Fakt ist: Die Arbeitgeber benötigen möglichst viele gut ausgebildete Arbeitskräfte, die arbeitslos sind und sich für lau verdingen, um weiter die Löhne zu drücken und zusätzlich die Ausbildungskosten zu sparen, das steigert den Profit. Die Produktivitätszunahme pro Arbeitnehmer hat zur Folge, dass weniger Arbeitskräfte benötigt werden, dazu kommt die steigende Erwerbstätigkeit von Frauen.

    Der Mangel in einigen Bereichen, z.B., in der Pflege, ist hausgemacht, bei diesen Arbeitsbedingungen und diesen Löhnen muss man sich nicht wundern, dass hier Arbeitskräftemangel herrscht. Die Ausbeutung billiger Arbeitskräfte, die im Ausland auf Kosten ihrer Heimatländer ausgebildet wurden und in ihren Heimatländern eine Lücke hinterlassen, ist allerdings der falsche Weg. Dass der Fachkräftemangel eine Lüge ist, wird bereits daran erkennbar, dass trotz des angeblichen Mangels die Älteren noch immer auf die Straße gesetzt werden und die Jüngeren zu erheblichen Teilen in prekären Ausbeuterjobs landen, obwohl man doch angeblich so dringend Fachkräfte braucht.

    Vollends unerträglich ist diese Unterstellung des Autors:

    „.Angesichts der Fakten ist es verwunderlich, dass Argumente im Stil von „Die nehmen uns die Arbeitsplätze weg“, selbst bei gebildeten Mitmenschen überleben. Auch wenn Sabine Schiffer im MiGAZIN vom „Lohndumping“ spricht, meint sie in Wirklichkeit die vermeintliche Konkurrenz durch ausländische Mitarbeiter.“

    Das ist eine durch nichts begründete, m.E. unverschämte Unterstellung, denn Frau Schiffer hat Derartiges nicht behauptet, weder wörtlich, noch sinngemäss.

  4. Chris Pyak sagt:

    Hallo Marianne,

    vielleicht haben Sie den Artikel nicht zu Ende gelesen. Ja, es gibt Unternehmen die sich selbst schaden weil sie geeignete Kandidaten aufgrund sekundärer Merkmale (Alter, Geschlecht, Herkunft) ablehnen.

    Gleichzeitig ist die Rechnung „Es gibt Arbeitslose – also gibt es keinen Mangel“ wie Sie sagen würden „schlicht“.

    Die Anforderungen der Wirtschaft entstehen aus den tatsächlichen Erfordernissen der täglichen Arbeit. Niemand kann Unternehmen vorwerfen, dass sie Mitarbeiter wollen welche die tatsächliche Arbeit erledigen können. Und Kandidaten ablehnen die dies nicht leisten können.

    Die zu bewältigenden Aufgaben erfordern aber immer speziellere Kenntnisse. Wenn Sie ein Software-Entwicklern sind, aber seit DOS keine neue Programmiersprache gelernt haben – dann können Sie Unternehmen nicht helfen ihre Aufgaben zu erfüllen.

    Sind Sie dagegen z.B. ein SAP-Experte – wie wir sie vermitteln – dann verdienen Sie von 70.000 EUR brutto aufwärts. Da von „Lohndumping“ zu sprechen ist lächerlich.

    Zu Ihrem letzten Punkt bezüglich Frau Schiffer: Ich unterstelle Frau Schiffer keine bösen Absichten. Trotzdem baut sie ganz klar einen Konflikt „billige Ausländer drücken unsere Löhne“ auf.

    Wörtlich schreibt Sie:

    „Das Gerede vom Fachkräftemangel dient den sog. Arbeitgebern und ist in vielen Fällen nichts anderes als Lohndumping. Aber nicht nur Lohnkosten will man offensichtlich einsparen, auch Ausbildungs- und Fortbildungsangebote können durch den Zukauf billiger, gut ausgebildeter Kräfte aus dem Ausland, reduziert werden“

    Das wirkliche Leben mutet uns Deutschen zu, was wir am meisten hassen: Veränderung. Das ist aber genau der Unterschied zwischen Leben (Pflanzen) und Tod (Fossilien).

    Das ganze Leben ist Veränderung und darum müssen sich auch Arbeitnehmer ständig weiterentwickeln. Das haben nicht böse Unternehmen erfunden – sondern dass ist einfach die Definion von LEBEN.

  5. Marianne sagt:

    Mit Verlaub, auch das ist wieder Unsinn: Es bleibt der Wirtschaft unbenommen, den genannten Softwareentwicklern die erforderlichen Zusatzkenntnisse zu vermitteln – da ist aber weitgehend Fehlanzeige. In allen Bereichen werden Arbeitnehmer ab einem bestimmten Alter entsorgt, wollen Sie etwa behaupten, die seien alle nicht mehr lernfähig? Im Übrigen besteht die Berufswelt nicht ausschließlich aus SAP-Experten, wie man nach ihrem Beitrag vermuten könnte, es werde in unzähligen anderen Bereichen auch die älteren Fachkräfte in Hartz IV entlassen, weil die Arbeitgeber gut ausgebildete Leute bevorzugen, die für lau arbeiten und keine Aus- und Weiterbildungskosten verursachen.

    Ihren Satz: „Niemand kann Unternehmen vorwerfen, dass sie Mitarbeiter wollen welche die tatsächliche Arbeit erledigen können.“ betrachte ich vor diesem Hintergrund als Unverschämtheit gegenüber den Betroffenen, weil er impliziert, die im großen Stile entlassenen älteren Arbeitnehmer könnten angeblich die tatsächliche Arbeit nicht erledigen.

    Auch wenn Sie Ihre m.E. neoliberalen, rein auf die Profitinteressen der Arbeitgeber sich gründenden Ansichten mit hehren Worten von Lücken und angeblicher Menschenfreundlichkeit zu verbrämen suchen, sind sie in Ihren Kommentaren doch deutlich sichtbar. Frau Schiffer baut keinen Konflikt auf, sie benennt die Interessenlage der Arbeitgeber völlig korrekt. Wenn Sie daraus konstruieren, Frau Schiffers Argumente seien im Stil von: „Die nehmen uns die Arbeitsplätze weg“ oder baue einen Konflikt zwischen ausländischen und deutschen Arbeitskräften auf, ist das zutiefst unredlich. Frau Schiffer hat sich nämlich an keiner Stelle gegen den Zuzug ausländischer Arbeitnehmer ausgesprochen, sondern gegen die Intentionen, die hinter dem Lamento der Arbeitgeberlobby stecken, und die bestehen nun mal nicht in Menschenfreundlichkeit, sondern ausschließlich in Profitinteressen mittels Lohndumping und Kosteneinsparung durch Vermeidung von Aus- und Fortbildungskosten und das trifft auch die mit lautem Lückengeschrei ins Land gelockten ausländischen Arbeitskräfte in derselben Weise, es gibt also keinerlei Konflikt zwischen ausländischen und deutschen Arbeitnehmern. Die Linie verläuft zwischen den Dumpinglohninteressen der Wirtschaft und denen der Arbeitnehmer nach angemessenem Lohn.
    Ihr SAP-Beispiel ist lächerlich, um bei Ihrer Wortwahl zu bleiben – von Dumpinglohn in DIESEM Bereich hatte ich nichts geschrieben. Allerdings besteht auch in diesem Bereich das Bestreben der Arbeitgeber, die Löhne zu senken und Aus- und Fortbildungskosten einzusparen. Für Könner/Spezialisten in diesem Bereich sind 70000 Euro ja nicht eben viel. Und es soll Übrigens auch noch unzählige andere Wirtschaftsbereiche geben, habe ich jedenfalls mal gehört.

    Ihre sinnigen Sprüche am Schluss sind absolut unnötig – weder Frau Schiffer noch ich haben uns gegen Veränderungen ausgesprochen, ganz im Gegenteil. Es kommt aber immer darauf an, in welche Richtung, nicht wahr. Und im Gegensatz zu Ihnen bin ich (und ich vermute mal, auch Frau Schiffer) der Meinung, dass eine Veränderung hin zum ausbeuterischen Dumpinglohn keine erstrebenswerte Veränderung ist. Tja, und wenn sich die Arbeitgeber die Ausbildungskosten sparen, dann dürfen sie die Ersparnis doch gerne mit einer Erhöhung des entsprechenden Lohns für solche billigst erworbenen Kräfte ausgleichen – da herrscht aber leider Fehlanzeige, weil es den Arbeitgebern bei ihrem Geschrei einzig und allein um billige Arbeitskräfte geht..

  6. Chris Pyak sagt:

    Weil es einigen schwer fällt sich die gewaltigen Auswirkungen der Bevölkerungsentwicklung vorzustellen, habe ich zwei Grafiken vorbereitet.

    Die erste zeigt wie viele Menschen wir durch die niedrige Geburtenrate bereits verloren haben:
    http://www.immigrantspirit.de/wp-content/uploads/2014/01/Geburten-vs-Sterbefälle-1972-2012.jpg

    Die zweite Grafik zeigt die Auswirkung auf die Zahl der vorhanden Arbeitskräfte in den nächsten 17 Jahren.
    http://www.immigrantspirit.de/wp-content/uploads/2014/01/Arbeitskräftepotential-2032.jpg

    (Zur Vereinfachung habe ich den Berufseintritt mit 20 Jahren und den Renten-Eintritt mit 65 Jahren angenommen. Die wirkliche Entwicklung wird dadurch abgemildert, dass wir bald alle bis 70 Jahre arbeiten „dürfen“.

  7. Marianne sagt:

    Was haben Ihre Statistiken mit den angeblichen „Auswirkungen“ zu tun? Mir fällt es nun keineswegs schwer, die Statistiken zu verstehen, ich bin ja nicht geistig minderbemittelt, allerdings haben Sie noch immer nicht verstanden, dass man die „Auswirkungen“ der Entwicklung nicht an diesen Zahlen festmachen kann, weil unzählige andere Faktoren eine viel, viel wichtigere Rolle spielen. Da können Sie noch so viele Statistiken einstellen, die ja keiner bestreitet. Es sind die von den Verbreitern der Demographielüge mit dieser Entwicklung angeblich verknüpften Horrorszenarien, die eine interessengeleitete Lüge neoliberaler Kreise zwecks Rechtfertigung des Rentendumpings sind.

    Unser Sozialsystem hat in der Vergangenheit bei steigendem allgemeinem Wohlstand drastischere Rückgänge der Geburtenraten verkraftet.

    Was Sie in ihren Szenarien bewusst unterschlagen ist:

    Die weiter alljährlich steigende Produktivität pro Arbeitnehmer, die weiter zunehmende Erwerbstätigkeit von Frauen, deren Potential in keinster Weise bisher ausgeschöpft ist und last not least müssen zukünftig zwar mehr Rentner pro Erwerbstätigem, aber deutlich weniger Kinder als in der geburtenstarken Vergangenheit von der erwerbstätigen Bevölkerung versorgt und unterhalten werden. Das Horrorszenario ist bezüglich der angeblichen Auswirkungen frei erfunden.

  8. posteo sagt:

    Der Autor schreibt: Denn analytisches Denken heißt: Ursache – Wirkung Denken. Prozesse in einzelne Schritte zerlegen können. Wer kann das besonders gut? Computer.

    Wenn dem so ist, können Computer ihre eigenen zunehmend individuellen Software-Lösungen entwickeln.
    Statt von Juristen lassen wir uns also bald von Gesetzes-Programmen beraten und vor allem auch bei Gerichtsprozessen beistehen.
    Statt von medizinischem Fachpersonal lassen wir uns von Diagnose-Computern untersuchen und von Robotern behandeln, einschließlich der kompliziertesten Operationen mit all ihren individuellen Unwägbarkeiten.
    Auch der Pflegeprozess lässt sich in einzelne fortlaufend zu wiederholende Arbeitsprozesse zerlegen, daher ließen sich auch Pflegekräfte ohne weiteres durch Roboter ersetzen.
    Berücksichtigt man, womit der Autor sich beruflich beschäftigt, kommt man zu dem Schluss: Wer nur einen Hammer kennt, für den ist alles ein Nagel.

  9. Marianne sagt:

    Im Übrigen haben wir durch niedrige Geburtenraten keine Menschen „verloren“, wie sie fälschlich behaupten, denn Menschen, die nicht geboren wurden, kann man auch nicht verlieren. Die niedrigere Zahl der Menschen im erwerbsfähigen Alter in einem Zeitraum von rund 40 Jahren wurde mehr als überkompensiert durch steigende Produktivität und Frauenerwerbstätigkeit und anderes, die Arbeitslosenraten sind trotz all der „verlorenen“ Menschen seit Beginn der 70er Jahre nicht etwa gesunken, sondern massiv gestiegen. Von der quasi Vollbeschäftigung der 60er Jahre sind wir noch immer meilenweit entfernt und die Arbeitslosenzahlen werden noch immer massiv verfälscht und schön gerechnet. Unzählige prekär beschäftigte Menschen, die gerne Vollzeit arbeiten würden, erhalten zudem keine Vollzeitstelle. Auch bestens ausgebildete Fachkräfte
    http://www.faz.net/aktuell/wirtschaft/arbeitslosigkeit-in-deutschland-vom-wirtschaftswunder-zur-finanzkrise-1935254.html

    Die Arbeitslosenquote der über 60jährigen ist massiv gestiegen, obwohl sich sehr viele gezwungenermassen in die Abschlagsrente flüchten oder mit prekären Jobs und/oder Hartz IV notdürftig über Wasser halten, sehr sonderbar, wo angeblich ein so schlimmer Arbeitskräftemangel herrscht, weil wir so viele erwerbsfähige Menschen „verloren“ haben.

    Sehr sonderbar, das Potential älterer Arbeitnehmer und teilzeitbeschäftigter Frauen brach liegen zu lassen, wo doch angeblich so ein schlimmer Mangel herrscht. Sehr sonderbar, junge, bestens ausgebildete Menschen in mies bezahlte Praktika abzuschieben, wo doch angeblich ein solcher Mangel herrscht. Noch sonderbarer, dass zunehmend bestens ausgebildete Menschen mit Migrationshintergrund dieses Land verlassen, weil sie auf dem hiesigen Arbeitsmarkt keine Chance haben und massiv diskriminiert werden, wo man sie doch angeblich so händeringend sucht.

    Im Übrigen, aber das nur am Rande, sind ihre Statistiken Kaffeesatzleserei und zudem auch in Bezug auf das Rentenalter längst überholt. Kein Mensch kann seriös die genaue Zahl der Rentner in 17 Jahren vorhersagen, das hängt in erheblichem Masse vom Sterbealter, vom Renteneintrittsalter, von der Inanspruchnahme der Abschlagsrente und von der Zahl der nicht Rentenversicherten sowie der Erwerbsunfähigen ab. Auch die Zahl der potentiell vorhandenen Arbeitskräfte ist nicht exakt berechenbar, das hängt u.a. von der Frauenerwerbstätigkeit und der Zahl derer ab, die im Rahmen der Freizügigkeit ein- oder auswandern. Ein Staat und eine Wirtschaft, der/die bis heute das Arbeitskräftepotential von hier lebenden Menschen mit sogenanntem Migrationshintergrund, von Frauen, deren Hausfrauendasein steuerlich gefördert wird, von älteren Menschen und vielen anderen Bevölkerungsgruppen nicht nutzt und unzählige Menschen in prekären Arbeitsverhältnissen parkt, keine ausreichenden Mittel für Ausbildung und Qualifizierung bereitstellt, hat keinen Arbeitskräftemangel, denn was rar und kostbar ist, steigt im Preis und ist begehrt und umworben. Die Dumpinglöhne und die prekären Arbeitsverhältnisse, die Diskriminierung bestimmter Bevölkerungsgruppen auf dem Arbeitsmarkt, die Arbeitslosenraten und vieles andere mehr belegen ohne jeden Zweifel, dass das Geschrei vom Arbeitskräftemangel rein interessengeleitete Propaganda der sogenannten Arbeitgeber ist, die sich gerne in einem unerschöpflichen Heer billigster, weil arbeitsloser Arbeitskräfte bedienen würden und wenn dank fehlender arbeitgeberseitiger Aus- und Weiterbildungsmassnahmen das Wissen „veraltet“ ist, sollen flugs neue billigere Arbeitssklaven, die man nicht aus- und fortbilden muss, bereit stehen, der „Veraltete“ wird kostenminimierend entsorgt.

  10. Marianne sagt:

    Und last not least, Herr Pyak, dürfen Sie mir jetzt gerne mal erklären, weshalb trotz all der „verlorenen“ Arbeitskräfte durch Geburtenmangel seit den 1970er Jahren, die uns spätestens seit den 90er Jahren so dringend „fehlen“ ein sehr erheblicher Teil des vorhandenen kümmerlichen Restbestandes zumindest bis vor wenigen Jahren keinen Ausbildungsplatz erhalten hat, und weshalb es trotz dieses angeblichen Arbeitskräftemangels bis vor kurzem üblich war, dass die Damen und Herren Arbeitgeber eine ganze Generation potentieller Arbeitskräfte zu Lasten der Sozialkassen in den vorzeitigen Ruhestand, gerne ab 55, verabschiedet haben. Das war bis vor kurzem gängige Praxis, obwohl uns da schon Millionen Arbeitskräfte ab 20 ausweislich ihrer eigenen Statistik „verloren“ gegangen waren. Dazu noch Millionen von Frührentnern, Irgendwie scheinen die alle gar nicht gefehlt zu haben

    Des Weiteren würde mich interessieren, wieso beispielsweise in Spanien, wo laut der Geburtenraten ebenfalls ganz viele Arbeitskräfte „fehlen“, die Jugendarbeitslosigkeit bei mehr als 50 Prozent liegt, wo doch angeblich niedrige Geburtenraten zu einem Mangel an Arbeitskräften zwingend führen und das Mass aller wirtschaftlichen Übel sind – also, da müsste ja in Spanien ein Fachkräftemangel erheblichen Ausmasses herrschen, wenn man ihren Behauptungen folgen würde. In Ländern mit hohen Geburtenraten müsste ja geradezu das volkswirtschaftliche Paradies zu finden sein, wo da so wenige Rentner von einem Heer von Erwerbsfähigen versorgt werden müssen – die wirtschaftliche Realität scheint ihren Geburtenstatistiken so gar nicht zu folgen.