Bilder machen Texte
Gedanken zur Berichterstattung über „den Islam“
Dr. Daniela Wehrstein hat Pressetexte zum Thema Islam analysiert und darauf geschaut, was nicht direkt, sondern implizit mitgesagt wird. Sie legt Argumentationsmuster offen und kommt zu interessanten Befunden. Gerade beim Thema Islam lohnt sich der Blick auf das, was mitschwingt und den gesellschaftlichen Diskurs mitbestimmt.
Von Daniela Wehrstein Donnerstag, 23.01.2014, 8:26 Uhr|zuletzt aktualisiert: Freitag, 24.01.2014, 7:47 Uhr Lesedauer: 8 Minuten |
Wir tragen bildhafte Vorstellungen ganz unterschiedlicher Form und Inhalte in uns. Sie sind kulturell, sprachlich, sozial, religiös und bzw. oder weltanschaulich geprägt. Sie sind aber auch individuell, mit der ganz persönlichen Geschichte und dem Erleben des Einzelnen verknüpft.
Es gibt sie in unterschiedlichen Zusammenhängen und Abstraktionsgraden: Denk-Bilder im engeren Sinne des Wortes können Abbildungen sein, wie z.B. im Falle der Prototypen (hierzulande gilt der Spatz als typischer Vogel). Denk-Bilder existieren auch in Form bestimmter Ansichten, wie z.B. in der Annahme Mehr ist besser als weniger, als Verknüpfungen und Assoziationsketten (Okzident vs. Orient) oder als argumentative Strukturen (Wenn unsere Gesellschaft bedroht ist, müssen Gegenmaßnahmen ergriffen werden). In all diesen Formen sind sie Teil eines Wissens, das wir benötigen, um uns in der Welt zurechtzufinden. Dieses Wissen nehmen wir nicht unbedingt bewusst als solches wahr. Es ist daher nicht zu verwechseln mit objektivierbarem Fakten-Wissen. Es gründet vielmehr auf intuitiv akzeptierten Wahrscheinlichkeiten und stellt häufig die Grundlage, den Ausgangspunkt unseres Umgangs mit der Welt dar.
Dieser Wissensfundus ist nun auch im Hinblick auf geschriebene Texte von großer Wichtigkeit. Diese bestehen zum einen aus ihren sichtbaren, weil schriftlich verfassten Teilen und zum anderen aus einer Ebene, die ich die Metaebene oder kognitive Ebene des Textes nennen möchte. Ohne sie ist kein Text verständlich, denn sie liefert all jene Informationen, die nicht explizit ausgedrückt werden: Das ganz praktische Wissen um Formen (Wie ist ein Text aufgebaut?) und Inhalte (Was ist unter diesem und jenem Wort zu verstehen?), sowie das Wissen um subtilere Mechanismen (Welche Rolle spielen Mehrdeutigkeiten, Bewertungen, Schlussfolgerungen?). Bewegt man sich bei der Analyse von Texten nur auf der sprachlichen Oberfläche des Sichtbaren, können Diskussionen ins Leere laufen, mit dem Blick auf die reine Faktenlage der Nachricht bleibt die mindestens ebenso wichtige Metaebene im Dunkeln.
Welch wichtige Rolle dieses Welt-Wissen für die Produktion und Rezeption von Texten hat, lässt sich mit den Mitteln der sprachwissenschaftlichen Textanalyse offenlegen. Beispielhaft sei dies im Folgenden anhand einiger Pressetexte deutscher und französischer Provenienz gezeigt, die mit dem Thema ‚Islam‘ im Zusammenhang stehen. Sie stammen aus einem knapp 300 Artikel umfassenden Textkorpus. 1 Bei dieser Analyse soll es nicht um die Frage nach einer ‚richtigen‘ bzw. ‚falschen‘ Berichterstattung gehen, sondern vielmehr um die Art und Weise des Berichtens: Wie wird etwas gesagt, also sprachlich ausgedrückt? Und was wird mit gesagt, ohne es in Worte zu fassen?
Sehen wir uns vor diesem Hintergrund den nachfolgenden Textauszug einmal genauer an:
„Die beiden heiraten in der Türkei und leben dort zunächst auch. Doch der Muslim macht seiner neuen Frau schon bald das Leben zur Hölle. Regelmäßig schlägt er Nurdan E. grün und blau, auch die Mädchen verschont er nicht. Der Umzug nach Wiesbaden ändert nichts an seiner Gewalttätigkeit. Nurdan E., die kein Wort deutsch spricht, nimmt er den Pass ab.“ 2
Die berichteten, faktisch korrekten Aussagen lauten: Ein Mann schlägt seine Frau und die gemeinsamen Töchter; er nimmt den Pass seiner Frau an sich und ihr somit die selbstbestimmte Bewegungsfreiheit. Daneben schwingen Aussagen mit, die über den Einzelfall hinausweisen. Wie kommt es dazu? Eine Regel jedweder Kommunikation ist es, das Gesagte bzw. Geschriebene als relevant zu erachten und die einzelnen Teile eines Textes in eine sinnhafte Beziehung zueinander zu setzen. Dieser Vorgang muss nicht erläutert oder diskutiert werden, er ist erlernt und läuft unbewusst ab. Im vorangegangenen Textauszug geschieht nun Folgendes: Ein Mann wird (1) auf einen Aspekt seiner Persönlichkeit reduziert, nämlich auf seine Religionszugehörigkeit und er wird zugleich (2) als ein Beispiel für den Typus „der Muslim“ vorgestellt, der, so ließe sich diese Assoziationskette fortsetzen, als einer von vielen solche Taten begeht. Der Mann bleibt anonym, sein Name unerwähnt, wohingegen die Frau durch die Namensnennung individualisiert und personalisiert wird. So entsteht also bereits durch die Wortwahl eine bestimmte Perspektive und es wird zugleich Nähe (der Frau gegenüber) bzw. Distanz (dem Mann gegenüber) erzeugt. Durch die kommunikativen Strategien der Reduzierung auf einen Aspekt und der Typisierung als ein allgemein gültiges Muster wird es zusätzlich möglich, eine übergeordnete Inhaltsebene mit einzubeziehen. Diese textübergreifende Metaebene ist Teil des oben erwähnten Welt-Wissens; sie bietet implizite Argumentationsmuster und sinnhafte Verknüpfungen an. Im vorausgegangenen Textauszug wird die Eigenschaft ‚Muslim-Sein‘ direkt mit den Handlungen der betreffenden Personen verknüpft. Argumentativ ausdrücken lässt sich dieser Vorgang wie folgt:
Weil Muslime bestimmte religiös (oder ethnisch-kulturell) geprägte Eigenschaften und Mentalitäten haben, reagieren sie in bestimmten Situationen auf eine zu kritisierende (oder begrüßenswerte) Weise.
Wie sehr unsere Vorstellungen den Text als solchen formen – und das gilt für die Schreibenden wie für die Lesenden – macht das nachfolgende Beispiel deutlich. Die dazugehörigen Fakten lauten: Zwei Männer haben 2004 eine Frau in Marseille getötet und die Tat mit Steinen verübt. Vom Opfer bekannt waren Name, Alter, Geburtsstadt und dass die Frau bereits zuvor wegen einer Körperverletzung aktenkundig geworden war. Die anfängliche Informationslage war dürftig und so wurden Details ausgewählt, die den jeweiligen Autoren im Zusammenhang mit dem Vorfall berichtenswert erschienen – ein Einfallstor für Annahmen zur Wahrscheinlichkeit eines bestimmten Handlungsablaufs:
„Der Leichnam einer Frau […] wurde identifiziert, dies war am Mittwoch aus juristischer Quelle zu erfahren. Das 23 Jahre alte, in Tunis geborene Opfer, Ghofrane Haddaoui, war den Polizeidienststellen wegen Körperverletzung im Jahr 2002 bekannt.“ (Übersetzung und Hervorhebung DW) 3
Eine mögliche Schlussfolgerung, die im Text angelegt ist, lautet: Das Opfer – immerhin bereits polizeilich bekannt – könnte, in welcher Weise auch immer, die Tat provoziert haben, gar selber Verantwortung am eigenen Tod tragen. Verfolgt man die weitere Berichterstattung zu dem Fall, fällt jedoch auf, dass der Hinweis auf die Eigenschaft „polizeilich bekannt“ immer seltener Verwendung findet – diese Information hatte sich hier als irrelevant und die damit angestoßene Schlussfolgerung als falsch erwiesen. Derselbe Vorgang zeigt sich bei der Nennung der Geburtsstadt des Opfers, Tunis.
- Eine eingehende Auseinandersetzung mit dem Thema findet sich in: Daniela Wehrstein, Deutsche und französische Pressetexte zum Thema ‚Islam‘. Die Wirkungsmacht impliziter Argumentationsmuster, Berlin/Boston, De Gruyter, 2013 (= Beihefte zur Zeitschrift für romanische Philologie 378).
- Frankfurter Rundschau, Ihr Leben glich einem Martyrium, 235 (10./11..10.2009), D 7
- „Le cadavre d’une femme […] a été identifié, a-t-on appris mercredi de source judiciaire. La victime, Ghofrane Haddaoui, 23 ans, née à Tunis, était connue des services de police pour violence volontaire en 2002.“ (AFP, Identification d’un des deux cadavres découverts à Marseille, 20.10.2004, AFP)
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Drum lassen wir alle möglichen Bezugspunkte zum Islam und Muslimen in Zukunft weg, grundsätzlich. Und alles wird gut.
„Der Muslim“ dient hier m. E. nur als Beispiel, was jedoch automatisch bei jedem Islamfeind den Reflex auslösen muss, den Beitrag zu kritisieren. Dabei ist dies eine der seltenen Beiträge, der sensibilisieren will und Methoden- bzw. Medienkritik übt. Denn tauschen wir Muslim mit Jude („Der Jude“) aus, würde dies die Kritik umkehren. Wobei im Vergleich zu „Muslimen“ bei allen anderen Straftätern die Religionszugehörigkeit oder Weltanschauung keine Rolle zu spielen scheint. Oder wie oft liest man „ach übrigens, der Starftäter war ein Atheist“?
Naja, meistens wird ja eher die Nationalität des Täters genannt. Muslim v.a., wenn es es sich um eine spez. mit dem Islam begründete Straftat handelt, wie Terrorismus (Dschihad gegen die Ungläubigen).
Wie soll man denn darüber berichten ? „Ein Mann hat heute andere Menschen erschossen, dabei schrie er: irgendjemand ist der größte. Er hängt einer Religion an und hasst alle, die nicht seiner Religion gehorchen wollen.“ Das klingt absurd.
Hm, der obige Text impliziert aber auch, dass die Medien nur so schreiben, wenn es sich um den Islam bzw um Muslime handelt. Das ist aber nicht der Fall. In 9 von 10 Fällen wird in den schriftlichen Medien (Zeitungen, Internet etc) der Name des Mannes, wenn überhaupt, nur einmal erwähnt, der Name der Frau hingegen öfters, wenn es um Straftaten gegen Frauen handelt. Ich erinnere mich, dass gestern z.B. über die Tat in Hamburg, wo ein Mann seine zwei Kinder tötete, immer von „der Zahnarzt“ gesprochen wurde. Viel schlimmer finde ich es, wenn bei sowas immer von „Ehrenmorden“ gesprochen wird, wenn es sich um Muslime, aber von „Familientragödien“ wenn es sich um Nicht-Muslime handelt.
Typische Argumentationsmuster gibt es nicht nur im Bezug auf den Islam, sondern in ALLEN Bereichen. Das ist so, das ist großer Mist, aber es ist so. Ändern können wir das nicht, das können nur die Journalisten selber, aber ob die das wollen ist eine andere Sache.
Pingback: Presseschau – die Woche 21.-27.01.2014 | Kirsten Timme
@veritas,
du bist auch nicht viel besser,wenn du Terrorismus gleichsetzt mit Dschihad,wie in deinem Beitrag!