Critical und Incorrect

„Fachkräftemangel“ – gibt es den überhaupt?

Die Rechenaufgabe – Fachkräftenachfrage minus Fachkräfteangebot ist gleich Fachkräftemangel – mutet einfach an. Sabine Schiffer meint hingegen, dass es eine Gleichung mit vielen Unbekannten ist.

Von Mittwoch, 15.01.2014, 8:26 Uhr|zuletzt aktualisiert: Donnerstag, 06.02.2020, 13:57 Uhr Lesedauer: 4 Minuten  |  

Er ist in aller Munde und allein durch die Anzahl der Wiederholungen des Begriffs glauben viele an seinen Wahrheitsgehalt. Manchmal noch mit direktem Artikel versehen, wird „der Fachkräftemangel“ zu unhinterfragten Realität. Dabei wäre es dringend geboten, seinen Realitätsgehalt und somit seine Existenz zu hinterfragen.

So sagte der Referent für Konjunkturanalyse und -prognose am Deutschen Institut für Wirtschaftsforschung (DIW), Karl Brenke, 2012 in einem Interview mit Echo-online, dass er die Zahlen vom Verein Deutscher Ingenieure (VDI) für eine falsche Hochrechnung halte. Er stellt den angeblich 110.000 offenen Ingenieursstellen 30.000 selbst berechnete gegenüber und belegte marktanalytisch, dass die Stagnation in der Lohnentwicklung bei Ingenieuren nicht dafür spreche, dass zu wenig Angebot und eine zu hohe Nachfrage vorhanden wäre. Hingegen vermutete er, dass man durch die Öffnung des Arbeitsmarktes für gut Ausgebildete aus Schwellenländern lediglich das Lohnniveau weiter niedrig halten wolle. Dafür spreche auch, dass man das jährliche Mindestgehalt für gut ausgebildete Arbeitsmigranten auf 35.000 Euro festgelegt habe – wohlgemerkt in Berufen, die angeblich nach Arbeitskräften ringen und deshalb rein marktwirtschaftlich gedacht viel höhere Preise/Löhne erzielen müssten.

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Ältere Fachkräfte, die nun arbeitslos sind oder auf Lohnsteigerungen verzichten, weil sie teuer sind und durch den Lohndruck dank der Billigkräfte Konkurrenz auf einem künstlich vergrößerten Anbietermarkt erfahren, beklagen genau diese Entwicklung. Auch im Gesundheitsbereich ist dieser Trend im Zusammenhang mit der Privatisierung von Krankenhäusern und Pflegestätten zu verzeichnen. Gerade in der Pflege ist die Nachfrage besonders hoch, die Löhne steigen aber nicht – sondern es werden aus fernen Ländern Menschen eingeladen, die bereit sind, Tag- und Nachtschichten in Vollzeit + Überstunden für 2400 Euro brutto im monatlich zu leisten. Die Bereitschaft, für diesen Lohn die schwere und qualifizierte Arbeit zu verrichten verhindert, dass die Umlage der Kosten auf alle Bürger ausgeweitet wird. Kranken- und pflegeversicherungspflichtig sind nach wie vor nur ein Bruchteil von Arbeitnehmern. Reformen müssten hier ansetzen, nicht bei der Senkung von Pflegestandards und Zuwendungszeiten.

Wer profitiert von der Debatte?
Das Gerede vom Fachkräftemangel dient den sog. Arbeitgebern und ist in vielen Fällen nichts anderes als Lohndumping. Aber nicht nur Lohnkosten will man offensichtlich einsparen, auch Ausbildungs- und Fortbildungsangebote können durch den Zukauf billiger, gut ausgebildeter Kräfte aus dem Ausland, reduziert werden – alles Kosten, die bei Nichtanfallen die Gewinne der Unternehmen steigern. Hierin könnte ein Teil der Erklärung liegen, warum die Wirtschaft in Deutschland wächst, der Export steigt, aber die Konsumnachfrage stagniert und gleichzeitig das soziale Sicherheitsgefühl abnimmt. Die Diskrepanz zwischen Arm und Reich nimmt zu, der Mittelstand schmilzt. Diese kurzsichtige Unternehmensstrategie führt zu kurzfristigem wirtschaftlichem Erfolg, bis die Nachfolger in den Aufsichtsratspöstchen die Scherben der ehemals Profitbeteiligten auflesen können. Nachhaltig ist unser Wirtschaften nicht, wie man in der leidigen Diskussion um das Aufschieben einer langfristig gar nicht zu umgehenden Energiewende ebenfalls sehen kann.

Die zunehmende Technisierung in allen Berufssparten macht es zudem unkalkulierbar, ob in Zukunft überhaupt noch in einem gewohnten Maße bestimmte Berufe gebraucht werden. Caterina Lobenstein schreibt dazu in der Zeit am 14. Oktober 2012: „Keiner weiß, wie viele Ingenieurstellen in Deutschland frei sind […]. Es gibt zwar ein Verzeichnis bei der Agentur für Arbeit, aber das taugt nichts. Denn viele Unternehmer melden ihre freien Stellen nicht, deshalb kann man nur vermuten, wie groß die Nachfrage nach Ingenieuren tatsächlich ist. Auch das Angebot an Personal lässt sich schwer berechnen: Wie viele Ingenieure sind arbeitslos? Wie viele gehen ins Ausland? Wie viele gehen demnächst in Rente? So wird aus der einfachen Rechenaufgabe – Fachkräftenachfrage minus Fachkräfteangebot gleich Fachkräftemangel – eine Gleichung mit vielen Unbekannten. Noch komplizierter wird sie, wenn man wissen will, wie viele Ingenieure nicht jetzt, sondern in zwanzig Jahren fehlen: Werden dann mehr Schulabgänger studieren? Wird es bessere Maschinen geben, sodass man für dieselbe Arbeit weniger Menschen braucht? Werden mehr Frauen einen Beruf ergreifen? Marktwirtschaften verändern sich mit der Zeit. Wie genau die deutsche Wirtschaft in zwanzig Jahren aussieht, kann heute niemand sagen.“

Der „Schweinezyklus“
Die hier gemachten Überlegungen ergänzen noch das, was als „Schweinezyklus“ in den Wirtschaftswissenschaften bekannt ist: Erhöhte Nachfrage auf dem Arbeitsmarkt etwa führt zu entsprechenden Ausbildungsentscheidungen. Wenn nach absolvierter Ausbildung oder Studium, die Arbeitskräfte dann zur Verfügung stehen, kann sich die Nachfrage längst geändert haben. Generationen von Lehrkräften können ein Lied davon singen, dass in bestimmten Phasen der Sättigung auch die bestbenoteten Abschlüsse keine Anstellungsgarantie bedeuteten. Arbeitsämter rieten zu der Zeit fehlender Arbeitsplätze genau die nicht mehr nachgefragten Fächer zu studieren, damit man antizyklisch mit der Ausbildung fertig werde. Erstaunlich, dass in der aktuellen Debatte um einen angeblichen Fachkräftemangel Marktzyklen als Thema so gut wie nicht vorkommen.

Das Bundesinstitut für Berufsbildung sieht keinen Mangel aufscheinen, jedenfalls nicht bis 2030. Die Forschenden des Instituts sehen gar ein Überangebot an Fachkräften mit Hochschulabschluss auf uns zukommen, die nicht die versprochenen Meriten für ihre Ausbildungsanstrengungen erhalten werden. Wer also einen „Fachkräftemangel“ unhinterfragt beschwört, kann einem Missverständnis aufgesessen sein oder aber gezielt Menschengruppen gegeneinander ausspielen wollen – zum eigenen Nutzen und Profit. Aktuell Meinung

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  2. Chris Pyak sagt:

    Liebe Frau Schiffer,

    In diesem Jahr geht der Jahrgang 1950 in Rente. Das sind 1,1 Millionen Menschen, denen nur ca. 700.000 junge Leute gegenüber stehen.

    350.000 Arbeitsplätze – so viel wie die Einwohnerzahl von Wuppertal – kann durch eigene junge Leute nicht mehr gedeckt werden.

    Und von jetzt an sieht JEDES JAHR so aus. 6,7 Millionen Menschen verlassen bis 2025 den Arbeitsmarkt OHNE das es junge Menschen gibt, die diese ersetzen.

    Gleichzeitig wird es eine neue Flut von Pflegebedürftigen geben. Schon heute gibt es auf 100 offene Stellen in der Pflege nur 30 Kandidaten. Und diese sind aus einem bestimmten Grund arbeitslos: Sie sind nicht vermittelbar. (Sonst hätte der Markt sie längst aufgesogen)

    30.000 Pflegekräfte fehlen schon heute – in ein paar Jahren werden es 100.000 sein. Und das gleiche passiert in der Wirtschaft.

    Das ist der Grund warum Unternehmen Personalberatungen wie unsere damit beauftragen die begabtesten Menschen in aller Welt für Deutschland zu gewinnen.

  3. Kea sagt:

    Ich kann den Schilderungen nicht folgen. Sofern wir jetzt keine Fachkräfte ausbilden, schaffen wir dadurch erst recht den Niedriglohnsektor für angelernte Hilfsarbeit von morgen, wenn überhaupt. Gerade durch Ausbildung ließe sich neues, innovatives Wissen durch Teilen vermehren und vor Allem in der Breite anwenden, was oft überhaupt erst zu Innovationen führt. Nur ein Beispiel: Die Region mit dem bundesweit geringsten Armutsrisiko für Jugendliche ist (lt. Hans Boeckler-Stiftung) der Regierungsbezirk Oberpfalz in Bayern. In NRW, einem Bundesland, dass auf Studium statt Ausbildung setzt und jedem Kind ein Abitur verheißt, ist das Armutsrisiko dramatisch angestiegen.

    Klar, könnten Sie jetzt argumentieren, das liegt daran, dass in der Oberpfalz kaum jemand wohnt und dort immer die Sonne scheint. Dem würde ich jedoch entgegenhalten, dass dort in jedem Kuhdorf eine Berufsschule steht, wodurch die Jugendliche vor allem eines ohne große Hürden schaffen können, ohne dafür die Zertifikate hinterhergeschmissen zu bekommen:

    Sozialen Aufstieg und Lebensperspektiven durch echte vertikale Durchlässigkeit.

  4. Marianne sagt:

    Der sogenannte „Fachkräftemangel“ ist ein von der Industrie- und Kapitallobby erfundenes Märchen, das exakt denselben neoliberalen Zweck erfüllt, wie die Demographielüge. Lohndumping und Rentendumping zwecks Steigerung des Reichtums einer winzigen Minderheit. Ein überzeugender Artikel mit Sachargumenten. Je mehr Fachkräfte nach Arbeit suchen und arbeitslos sind, um so besser lassen sich die Löhne drücken und deshalb benötigt der Raubtierkapitalist ein Überangebot an Fachkräften, möglichst aus Ländern mit sehr niedrigem Lohnniveau und an Arbeitslosen, das bereit ist, sich für einen Appel und ein Ei ausbeuten zu lassen,
    @Chris Pyak: Der Jahrgang 1950 ist seit Jahren in erheblichen Teilen ARBEITSLOS, jawoll, auch gut ausgebildete Fachkräfte, da muss nix „ersetzt“ werden, was nicht vorhanden wäre. Die verlassen in weiten Teilen nicht den Arbeitsmarkt, sondern Hartz IV. Die will die Industrielobby nicht mehr, weil sie angeblich zu teuer und sonst noch was sind. Und die angeblich so dringend benötigten jungen Fachkräfte schlagen sich in weiten Teilen mit mies bezahlten Dauerbefristungen und Praktika durchs Leben, jawoll, auch Akademiker und gut ausgebildete Fachkräfte, sehr sonderbar, nicht wahr, wo doch angeblich ein so riesiger Mangel herrscht. Wenn in der Pflege (und auch in vielen anderen Branchen) im Dumpinglohnwunderland ordentlich bezahlt würde und wenn da ordentliche Arbeitsbedingungen herrschen würden, würden sich auch mehr Menschen für diesen Beruf entscheiden.

    Ich finde das Lamento bezüglich der angeblich so überaus erwünschten „Fachkräfte“ in höchstem Masse scheinheilig und verlogen und die Einteilung der Menschen in erwünschte Nützlinge und unerwünschte „Sozialschmarotzer“-Schädlinge inklusive des verwendeten Vokabulars vom „Armutsflüchtling“, „Sozialtourist“ und so weiter und so fort in höchstem Masse faschistisch. Und wenn ich daran denke, dass dieselben sogenannten Politiker, die lauthals von der „Willkommenskultur“ für „Fachkräfte“ schwadronieren, rein gar nix dabei finden, und alles dafür tun, dass das Mittelmeer immer mehr zu einem Massengrab wird, dann könnte ich …

  5. Die Emotionale sagt:

    Der Kommentatorin Marianne muss ich im Grossen und Ganzen recht geben. Ältere Fachkräfte (auch welche, die bereits in Rente sind) gibt es sicher viele, die nicht nur als Zeitungsausträgerin oder Putzfrau noch etwas Geld hinzu verdienen wollen. Mehrmals habe ich z.B. versucht, als Rechtsanwalts- und Notar-Fachangestellte einen Teilzeitjob zu bekommen – Fehlanzeige. Es mag sicher eine Rolle spielen, dass dem zukünftigen Arbeitgeber es nicht „schmeckt“, dass man sagt, dass der Verdienst zweitrangig sei, die Tätigkeit und das Betriebsklima aber sehr wichtig. Das schreckt zurück.

    Aber noch etwas fällt mir immer wieder negativ auf. Das Ausbildungs-Niveau einiger Mitarbeiter. Dies insbesondere, wenn ich Kundin bin. Was mir da alles über den Weg läuft und Unsinn redet, auch bei ganz einfachen Fragen, ist schon mehr als bemerkenswert.

    Fazit: Ich bin froh, heute nicht mehr qualifiziert arbeiten zu müssen.

  6. Han Yen sagt:

    @Marianne

    Bei der Öffnung des Arbeitsmarktes für ausländische Fachkräfte muss man differenzieren. Ausländische Fachkräfte sind nämlich hochmobil im Vergleich zu einheimischen Fachkräften – das hat Folgen für Handel und Technologiediffusion. Im späteren Lebenszyklus treffen ausländische Fachkräfte auf gläserne Decken und entscheiden sich für eine Karriere im Auswanderungsland oder der Anglosphäre. Die Berufserfahrung hilft bei der Knüpfung von Geschäftskontakten. Ausländische Fachkräfte nehmen auch wissen mit. Insgesamt verändert das die Bilanz des Warenaustausches in der internationalen Arbeitsteilung. Das muss nicht notwendigerweise schlecht sein, wenn ausländische Fachkräfte die internationale Arbeitsteilung effektiver machen.

    Das Lohndumping auf dem Fachkräftearbeitsmarkt hängt im wesentlichen von der heimischen Bildungspolitik ab, weil sie mit den Institutionen und Anreizsystemen die Lohnhöhe steuern kann. Wir haben sehr genaue Planzahlen von den Geburten, Schulabgängern und Rentnern.

    Die Einwanderung von ausländischen Fachkräften ist sehr schwer planbar, und deshalb wird es auch nie funktionieren mit dem Lohndumping, solange die Auswanderungsstaaten sich nicht einbinden lassen. Das ist eher unwahrscheinlich bei Fachkräften.

  7. Chris Pyak sagt:

    @Marianne – Demografielüge? Ist es richtig oder falsch dass in Deutschland seit 40 Jahren deutlich mehr Menschen sterben als Kinder geboren werden?

    Laut statistischem Bundesamt sind in den letzten 40 Jahren 4,5 Millionen weniger Kinder geboren als Alte gestorben sind. Dass die Lücke nicht noch größer ist, verdanken wir allein den Einwanderern.

    In einem Punkt haben Sie Recht: Viele Personalabteilungen lehnen Kandidaten aufgrund irrelevanter Kriterien (Alter, Frau, Einwanderer, Foto gefällt nicht.. etc etc) ab.

    Da ist der Schmerz im Unternehmen offenbar noch nicht groß genug. Dabei sind übrigens die Geschäftsführer und Abteilungsleiter oft wesentlich liberaler was die Auswahlkriterien angeht – sie sind näher an der Praxis.

    Schwachpunkt sind zu oft die Personalabteilungen die aufgrund fehlendem Fach- und Praxiswissen nach sekundären Kriterien auswählen. (Ihre Abi-Note hat nichts mit ihrer Leistung nach zehn Jahren Berufstätigkeit zu tun)

  8. Marianne sagt:

    @Han Yen: Ich habe mich an keiner Stelle gegen die Öffnung des Arbeitsmarktes für ausländische Menschen ausgesprochen. Lesen Sie nochmal nach, was ich geschrieben habe. Insofern verstehe ich nicht, was Sie mir da sagen wollen. Im Übrigen betrachte ich den Wert eines Menschen nicht unter dem Gesichtspunkt größtmöglicher Nützlichkeit für die Wirtschaft.
    @Chris Pyak: Ich habe nicht behauptet, dass in Deutschland nicht mehr Menschen sterben, als geboren werden. Lesen Sie nochmal nach, was ich geschrieben habe. Die Katastrophenszenarien, die wegen der sinkenden Geburtenraten an die Wand gemalt werden, sind eine Lüge bestimmter Interessenverbände. Um dasselbe zu produzieren, werden aufgrund des Produktivitätsfortschrittes immer weniger Menschen für die Produktion benötigt und neben den Alten müssen auch die Kinder von den Erwerbstätigen finanziert werden. Seit der Einführung der Sozialversicherungssysteme, als eine durchschnittliche Frau ein Vielfaches an Kindern geboren hat, musste erheblich mehr an steigenden Rentnerzahlen im Vergleich zu den Erwerbstätigen verkraftet werden. Bei steigendem Wohlstand und steigenden Renten mussten schon im gesamten letzten Jahrhundert immer weniger Erwerbstätige immer mehr Rentner versorgen, das war schon immer so. Und die Produktivität wird weiter steigen, und auch der Anteil arbeitender Frauen, übrigens. Eine demographiebedingte „Lücke“ gibt es nicht, weil weniger Arbeitskräfte benötigt werden, um den Wohlstand zu erwirtschaften, wenn, ja wenn er nicht immer mehr nur noch in die Taschen der Konzerne flösse, die auch ihrer Ausbildungsverpflichtung gegenüber der nachwachsenden Generation nicht mehr nachkommen wollen, weil ausgebildete Fachkräfte aus dem Ausland nicht nur billiger sind, sondern weil man sich da auch die Ausbildungskosten spart. So war es auch möglich, die Steuern für die Wohlhabenden auf beispiellose Art zu senken.

    „Schon seit 1871 gibt es immer weniger Erwerbsfähige pro Rentner. 1871 – zu Beginn der Bevölkerungsstatistik – waren es noch 14 Erwerbsfähige, die einen Rentner finanzierten. 1950 noch sieben, und heute sind es vier. Und trotzdem ging es Rentnern und Arbeitern immer besser.“

    http://www.tagesschau.de/inland/demografiegipfel102.html

    http://www.swr.de/odysso/-/id%3D1046894/nid%3D1046894/did%3D3286146/zan5l9/index.html

  9. Kea sagt:

    @Marianne: Ich habe größte Zweifel, dass die Produktivität weiter steigen wird, wenn wir in NRW (und um dieses Bundesland geht es offensich hier) nicht mehr ausgebildet wird, denn Produktivität (die Innovatitität mit einschließt) bedingt vor Allem ein breit gefächertes Können und großes Fachwissen in der Breite einer Bevölkerung als Grundlage. Hier sei z.B. neben anderen Bundesländern z.B. auch an die Region OWL verwiesen, die in NRW zufällig das geringste Armutsrisiko hat (1). Nur durch Ausbildung ließe sich übrigens auch das wertvolle Handlungswissen älterer Fachkräfte zumindest schonmal ansatzweise an die nachfolgenden Generationen weitergeben und somit die Produktivität eines Unternehmens (oder eines Handwerksbetriebs) halbwegs sicherstellen, sofern zusätzlich noch neues Fachwissen hinzukommt. Gerade diese Weitergabe von Wissen stellt für viele Betriebe ein großes Problem dar.

    Es hat den Anschein, dass wir in NRW im Namen der sozialen Gerechtigkeit überhaupt nicht mehr auf Ausbildung setzen wollen und damit vermutlich gerade das Gegenteil davon bewirken werden. Das macht mir große Sorgen, denn die Bundesländer im Süden der Republik beweisen uns jeden Tag, wie wichtig dieses Instrument für sozialen Frieden (bedingt durch Aufstiegschancen) und Wohlstand ist. Darum nochmal: Je weniger wir jungen Menschen durch gute Ausbildung (im wörtlichen, nicht im akademischen Sinne) eine Perspektive bieten, desto geringer werden die Chancen des Lohndumpings, welches nachweislich gerade im ungelernten Niedriglohnsektor am Schlimmsten ist und vermutlich auch immer sein wird, Mindestlohn hin oder her (Schlupflöcher werden sich hier immer finden). Der Mindestlohn könnte bzw. wird hier höchstens zu einem Etagenwechsel des Lohndumpings führen und gerade dies wird zur Folge haben, dass Fachkräfte am Ende Einbußen in Kauf nehmen müssen und stärker mit Leiharbeit und dauerhaften Kurzbefristungen zu kämpfen haben werden.

    Marianne, seien Sie doch bitte auch so ehrlich und sagen Sie den evtl. zukünftig zuwandernden Fachkräften (sofern diese angesichts der immer stärker werdenden Übergrifflichkeiten gerade in den neuen Bundesländern und überhaupt noch nach Deutschland möchten), wo Sie sie am liebsten sehen würden, nämlich im ungelernten Niedriglohnsektor oder in prekären, weil wissensarmen Bereichen der Facharbeit. Ihre Argumentation finde ich davon abgesehen recht unsachlich und logisch inkonsistent (Ihr Credo: Empfundener Fachkräfteüberschuss ohne konkreten, ursächlichen Branchenbezug => weniger Ausbildung im Allgemeinen als indirekte Forderung, um Dumping zu verhindern => mehr Wohlstand für Alle durch geringeres Fachkräfteangebot). Außerdem ist sie im Kern kaum durch belastbare Belege abgesichert, die es schaffen würden, den Kern der von Ihnen unterstellten Fachkräftelüge durch die Raubtierkapitalisten zu unterstützen. Vielmehr dürften Sie mir in der Sache zustimmen, dass „weite Teile der Generation 1950“ heute vermutlich nicht arbeitslos wären, wenn es den Strukturwandel in NRW mit seiner Abkehr von der industriellen Massenproduktion nicht gegeben hätte, und gerade der ist zusammen mit seinen schlecht aufgearbeiteten Ursachen ist das eigentliche Problem von NRW.

    PS: Die Ursache für das allgemein höhere Armutsrisiko für Kinder in den neuen Bundesländern dürfte u.A. darin liegen, dass gerade das Handwerk und die Kleinbetriebe in der DDR massiv bekämpft (2) und gegen krisenanfällige (weil unflexible), aber leicht zu steuernde Großbetriebe ersetzt wurden. Die Auswirkungen dieser Strategie sind mit denen im Saarland und im Ruhrgebiet sowie in den ehemaligen Werftenregionen vergleichbar: Überall dort, wo die Industrialisierung Kleinbetriebe und Handwerk überrollte, zeigte sich nach dem Boom in den 1990er Jahren die große Inflexibilität von industrieller Massenproduktion. Zwar bedingte gerade diese Produktionsform weite Teile des deutschen Wirtschaftswunders. Heute zeigt sich jedoch, dass gerade in Regionen, die Allen in der Breite eine höhere Qualifikation haben zuteil werden ließen und lassen und in denen gerade Fachberufe einen hohen gesellschaftlichen Stellenwert besitzen, die Produktivität höher, die Firmenpleiten niedriger (3) und das Armutsrisiko kleiner sind und mit großer Wahrscheinlichkeit auch bleiben werden.

    (1) http://www.boeckler.de/43707_45146.htm
    (2) http://www.spiegel.de/spiegel/print/d-41761140.html
    (3) http://www.iwkoeln.de/_storage/asset/99634/storage/iwm:image-zoom/file/2352103/01304528.jpg

  10. Marianne sagt:

    Ihre Ausführungen sind leider nicht nachvollziehbar – weder die vom 17.01., noch die von heute – weder die Autorin selbst noch ich haben die Notwendigkeit der bestmöglichen Ausbildung der Bevölkerung oder der Fortbildung der auf das Abstellgleis gestellten älteren Generation oder die Notwendigkeit der Weitergabe des Wissens der älteren Generation in Abrede gestellt, so, wie Sie das in den Raum stellen.

    Was mich betrifft, habe ich sogar ausdrücklich betont, dass wir kein Demographieproblem, sondern ein Ausbildungsproblem haben, weil die Industrie und übrigens auch der Staat auf diesem Gebiete ihren Aufgaben nicht ausreichend nachkommen und nach Fachkräften schreien, die sie selbst nicht ausbilden oder weiterbilden wollen, weil das Geld kostet. Da lässt man lieber das Ausland ausbilden und spart sich den finanziellen Aufwand,

    Zur Produktivität: Die wird pro Erwerbstätigem weitersteigen, eine logische Begründung für Ihre „Zweifel“ kann ich leider nicht erkennen.

    Zu Ihrer „Begründung“ bezüglich der geringsten Armutsrisikos in der Oberpfalz, das angeblich darauf zurück zu führen sei, dass in der Oberpfalz weniger Kinder das Abitur machen, ist mit Verlaub hanebüchen. Ebenso ihre Behauptung, in NRW würden allen Jugendlichen das Abitur verheißen. Schon mal was von multifaktoriellen Ursachen gehört? Die Ursachen auf eine einzige „Ursache „zu schieben, weils zur eigenen Ideologie passt, mit Verlaub, das sind Stammtischparolen.

    Dass Lohndumping Ausgebildete nicht trifft, ist ebenfalls ein Märchen, wenn man sich die sogenannten Löhne in diversen Ausbildungsberufen so betrachtet. Sind etwa beispielsweise Friseure und Verkäuferinnen und viele andere mehr, die mit Löhnen unter der Armutsgrenze und prekären Arbeitsverhältnissen abgespeist werden, nicht ausgebildet, Ihrer Meinung nach? Was Sie zu diesem Thema schreiben, das sind reine Glaubensbekenntnisse, eine logisch nachvollziehbaren Begründung fehlt leider. Dumpinglöhne und prekäre Arbeitsverhältnisse wird es so lange geben, wie der Gesetzgeber sie nicht verbietet, indem er beispielsweise einen Mindestlohn ohne Ausnahmen und Schlupflöcher verpflichtend macht. Und von Befristungen und anderen Auswüchsen sind bestens Ausgebildete ebenfalls in großem Umfang betroffen. Weil der Gesetzgeber dieses Unwesen zulässt und fördert.
    Ihrer Behauptungen und Spekulationen, wo ich ausländische Fachkräfte angeblich „sehen“ will, und mein angebliches „Credo“ sind derart an den Haaren herbei gezogen und derart unzutreffend, dass ich auf diesen meine Beiträge ins groteske Gegenteil verdrehenden Unsinn nicht eingehe. Dass Sie den Inhalt meiner Beiträge (und offensichtlich auch den der Autorin) sehr offensichtlich nicht verstehen, ist jedenfalls nicht mein Problem.
    Die Betriebe in der ehemaligen DDR wurden übrigens im großen Stile platt gemacht, das haben sie bei Ihren Betrachtungen doch glatt übersehen.