Die Mär von Armutseinwanderung
Migranten finanzieren deutschen Sozialstaat
Was sich hartnäckiger hält als Kaugummi unterm Schuh, ist das Vorurteil, dass Migranten in das deutsche Sozialsystem einwandern. Hakan Demir kommentiert jüngste Medienberichte über den vermeintlichen Ansturm auf das deutsche Sozialsystem.
Von Hakan Demir Mittwoch, 04.12.2013, 8:28 Uhr|zuletzt aktualisiert: Sonntag, 12.01.2014, 20:06 Uhr Lesedauer: 2 Minuten |
Man kann die Wahrheit mit Glocken einläuten, der Bürger wird sie mit Pfennigen überklingeln – so oder so ähnlich heißt es in Nietzsches Meisterwerk „Also sprach Zarathustra“. Ähnlich verhält es sich in Deutschland.
Vor dem Hintergrund der uneingeschränkten Arbeitnehmerfreizügigkeit für Bulgaren und Rumänen warnen Experten wieder vor steigenden Belastungen der Sozialsysteme, die Gegenpositionen tauchen dabei überhaupt nicht auf. Deshalb hier ein neuer Versuch:
Zwar stimmen die Nachrichten der FAZ oder anderer Tageszeitungen, die von etwa 9 Prozent Hartz-IV-Beziehern unter den Einwanderern aus Bulgarien und Rumänien sprechen (Die Quote für Einheimische liegt bei 7,4 Prozent und die für Ausländer insgesamt bei 15,9 Prozent). Doch man könnte es auch anders sehen: Über 90 Prozent der Rumänen und Bulgaren sind erwerbstätig oder nicht auf das deutsche Sozialsystem angewiesen. So leicht ließe sich eine Wahrheit sagen, wenn man den Mut dazu hätte. Durch die Verdrehung und Hervorhebung von Zahlen wird dem Leser außerdem immer wieder vorgegaukelt, dass bulgarische und rumänische Einwanderer das deutsche Sozialsystem erheblich schwächen. Das stimmt nicht.
Implizit geht mit solchen Nachrichten auch die Frage einher, wie viel Kosten Menschen mit Migrationshintergrund im Allgemeinen in Deutschland verursachen. Und hier kommt die Antwort und sie wird viele überraschen: Auf etwa 2.000 Euro beläuft sich durchschnittlich der Nettobeitrag eines Migranten zur fiskalischen Bilanz des Sozialstaates pro Jahr und pro Kopf, laut einer Studie der Bertelsmann Stiftung von 2013. Die doppelt so hohe Arbeitslosenquote bei Migranten wird also durch die Beiträge von Millionen erwerbstätigen Migranten mehr als wettgemacht.
Das ist eine positive Nachricht: Denn Deutschland steuert auf ein demografisches Desaster zu: Das Land braucht unbedingt mehr Arbeitskräfte, die es eigentlich nur über die verstärkte Zuwanderung von Arbeitskräften gewinnen kann. Und Ende 2012 hatte Deutschland einen erfreulichen Wanderungssaldo von 369.000 Personen, darunter stammen die meisten aus EU-Staaten. Forscher berechneten zudem, dass das Land eine Nettozuwanderung von 400.000 über Jahrzehnte bräuchte, um das Erwerbspersonenpotenzial auf dem aktuellen Niveau zu halten. Denn bis 2050 fällt es von 45 Millionen um 18,1 Millionen Personen – also um 40 Prozent.
Darüber hinaus hat sich die Struktur der Zuwanderung massiv geändert: Heute liegt der Anteil von Zuwanderern mit akademischem Abschluss bei über 43 Prozent – er liegt damit weit über dem Niveau der Bevölkerung ohne Migrationshintergrund (26 %).
Außerdem profitieren die Rentenversicherungssysteme von der jüngeren Altersstruktur von Menschen mit Migrationshintergrund. Sie zahlen Netto mehr in die Rentenversicherungssysteme ein als die alte Generation. Das gleiche gilt für die Kranken- und Pflegeversicherung. Kurzum: Migranten finanzieren mit ihren Beiträgen die Krücken der immer älter werdenden deutschen Bevölkerung.
Eigentlich Zeit, um Danke zu sagen, anstatt die Mär von der Armutseinwanderung immer wieder aufzugreifen. Aktuell Meinung Wirtschaft
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Werter Autor,
hat die Studie auch alle Aspekte der Kosten berücksichtigt? Zu den „Kosten“ sind ja nicht nur Hartz-$ sondern auch andere Leistungen hinzuzuzählen. Da sind Integrationskurse, Leistungen der Krankenkassen, Kindergeld usw.
Zudem ist „erwerbstätig“ nicht gleichzusetzen mit „nicht abhängig vom Sozialstaat“. Das wird aber auch kaum auseinandergerechnet.
Das der Anteil der hochqualifizierten zuwanderer so gut ist – ist auch den Einwanderungsbedingungen geschuldet. DA aber ständig versucht wird diese abzusenken (Abschaffung von Sprachnachweisen, Einwanderung auch wenn Lebensunterhalt nicht gesichert ist) würde dieser Anteil sicherlich deutlich niedriger liegen wenn die Ur-Linke „No Borders“ Regl greifen würde.
Es ist ein zweischneidiges Schwert, einerseits kann man alle Menschen verstehen die aus der Armut kommen und für sich und ihre Kinder etwas besserers haben möchten, andererseits können wir keine x-Millionen zusätzlicher Menschen hier unterhalten.
Soli sagt: 4. Dezember 2013 um 09:04
„Zudem ist “erwerbstätig” nicht gleichzusetzen mit “nicht abhängig vom Sozialstaat”. Das wird aber auch kaum auseinandergerechnet.“
Woran das wohl liegen könnte? Ich frage mich auch immer, warum der dt. Steuerzahler Unternehmen bei den Lohnkosten subventioniert, die dann wiederum kaum Steuern zahlen.
@TaiFei – daher ist – selbst für mich als eher konservativer Mensch – der Mindeslohn eine gute Sache (solange nicht wieder gleich 11,€ 13€ oder 15€ gefordert werden). Ich erinnere mich an einen (mittlerweile glaube ich Pleite, 3 Buchstbaben) Paketdienstleister dessen Mitarbeiter nahezu alle noch ergänzende Leistungen erhalten haben. Trotz Vollzeit Stelle.
Die Gewinne landeten im EU-Raum.
@Soli
Wann haben jemals eine überwiegende Mehrheit Zuwanderer, Asylsuchende oder Kriegsflüchtlinge ‚uns Deutschen‘ mehr genommen, als wir Ihnen?
– Ganoven und Verbrecher einmal ausgenommen, die es gleichwohl unter ihnen und uns ‚Ur’Deutschen gibt –
Kriegsflüchtlinge treten dort auf, wo es Kriege gibt. Deutschland ist einer der größten Waffenexporteure, die deutsche Waffenindustrie liefert in großen Mengen auch in Krisengebiete und an Diktaturen.
Menschen bitten auch in Deutschland um Hilfe und Asyl, weil sie in ihren Heimatländern verfolgt, gefoltert und vom Tode bedroht werden, oftmals mit deutschem Know-how und deutscher Technik.
Dass sich zurzeit millionen Menschen auf der Flucht befinden und wir als eines der reichsten Länder der Welt gerade mal wenige Tausend von ihnen aufnehmen und, wenn überhaupt, eine Zukunft anbieten, ist doch Skandal genug. Regt euch über die neue europäische Vorgehensweise gegen allgemeine Menschenrechte auf, die mit der Einführung des ‚European Surveillance Border System‘ unseren staatlichen Zynismus doch wirklich auf die Spitze treibt, aber helft den darunter leidenden Menschen. Und sei es nur, indem ihr ihnen das Wenige gönnt, das sie von uns erhalten.
Und natürlich gibt es viele Zuwanderer, die ihre sozialen und beruflichen Lebensaussichten verbessern wollen und daher in reiche Länder umsiedeln.
Dass hat es immer schon gegeben und wird es immer geben. Jedes Jahr wandern auch tausende von Deutschen ins Ausland ab. Dass solche Völkerwanderungen in der Vergangenheit häufig durch kriegerische Auseinandersetzungen zu Not und Elend für alle Seiten führte, sollte uns doch gelehrt haben, dass eine friedliche Entwicklung von Koexistenz, Tauschen, Teilen hin zu einer Assimilation der Völker die einzige Chance der Menschen ist zu überleben.
Übrigens staune ich diesbezüglich immer wieder darüber, wie viele Neonazis es bei uns in NRW gibt, deren Namen mit …ski enden und trotzdem gegen ‚Die Polen‘ wettern. Nicht nur denen rate ich, nicht von sich auf andere zu schließen.
In diesem Sinne
Immerhin hat sich die Zahl der Rumänen und Bulgaren, die Hartz IV beziehen, innerhalb der letzten 2 Jahre verdoppelt:
http://www.t-online.de/wirtschaft/jobs/id_66826972/zahl-der-bulgaren-und-rumaenen-mit-hartz-iv-steigt-stark-an.html
Herr Demir interpretiert Statistiken, bezieht sich auf Volkswirtschaftstheorien, zitiert die Bertelsmannstiftung…
Herr Demir, warum zitieren sie nicht die Meinung der deutschen Bevölkerung oder propagieren gar eine rechtsverbindliche Volksabstimmung?
In einer lupenreinen Demokratie sollte doch wohl die Meinung des Volkes ausschlaggebend sein und nicht die von Migrantenverbänden und elitären Finanzintersssengruppen. Oder nicht?
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Ich verstehe nicht, warum wir krankhaft versuchen, unser Dasein in Deutschland zu verargumentieren und zu verteidigen. Denn nichts anderes hat dieser Artikel im Sinn. Sogar wenn wir für die toitschen keinen Nutzen haben sollten, ist es unser gutes Recht hier zu leben, ob es den Deutschen passt oder nicht! Sie werden wohl oder übel mit uns auskommen müssen. Etwas mehr Selbstbewusstsein würde uns gut tun.
H.P.Barkam sagt:
4. Dezember 2013 um 12:08
„Kriegsflüchtlinge treten dort auf, wo es Kriege gibt. Deutschland ist einer der größten Waffenexporteure, die deutsche Waffenindustrie liefert in großen Mengen auch in Krisengebiete und an Diktaturen.“
Wir haben nicht nur Panzer im Angebot, sondern auch Baumaschinen, Landmaschinen und zivile Transportfahrzeuge. Als kleines Glied in der längsten Menschenkette der Welt (1983 Natodoppelbeschluss) glaube ich fest daran, dass jedes Volk seine Geschicke selbst bestimmen kann.
„Menschen bitten auch in Deutschland um Hilfe und Asyl, weil sie in ihren Heimatländern verfolgt, gefoltert und vom Tode bedroht werden, oftmals mit deutschem Know-how und deutscher Technik.“
Zum Foltern und mit dem Tode bedrohen braucht man keine deutschen Panzer. Da genügen zum einen Holzstöcke, Elektrokabel, Wassereimer, zum anderen ebenfalls Holzstöcke, Messer oder Äxte, kurzum das, was sich in fast jedem Haushalt findet.
Der Slogan von dem „in das deutsche Sozialsystem einwandernden Ausländer“ ist m. E. an diskriminierender Menschenverachtung kaum zu überbieten. Herr Lionel hat „vergessen“, zu erwähnen, dass die Zahl der sozialversicherungspflichtig und anderweitig beschäftigten Rumänen und Bulgaren ebenfalls stark gestiegen und die Zahl der Hartz IV Bezieher in absoluten Zahlen lächerlich gering ist, aber das passt halt nicht zu dem auf einer bestimmten Gesinnung beruhenden Horrorszenario von den Ausländern, die angeblich das deutsche Volkswohl gefährden, weil sie angeblich den Sozialstaat plündern. Zu den zynischen Bemerkungen bezüglich der in sämtliche Kriegs- und Krisenregionen dieser Erde aus Profitinteressen gelieferten deutschen Waffen, die in diesen Regionen dem Völkermord und dem Abschlachten unzähliger Menschen dienen und dem Verweis auf Haushaltsutensilien bin ich nicht in der Lage, bei der Kommentierung die „Nettikette“ zu gewährleisten. Deshalb nur soviel: Mir wird speiübel, wenn ich das lese. Im Übrigens erstaunt es mich nicht, dass die von Herrn Demir genannten objektiven Tatsachen von dem Einen/der Anderen mit fadenscheinigen Argumenten in Frage gestellt werden, weil die Tatsachen nicht zur diskriminierenden Grundeinstellung von den „ins deutsche Sozialsystem einwandernden“ angeblich das deutsche Volkswohl gefährdenden Ausländern passen. Bei der Begründung diskriminierender Einstellungen kennt die Kreativität keine Grenzen und ist kein “Argument” zu blöd.