40 Jahre "Anwerbestopp" 1973

Intervention mit nicht intendierten Folgen

Am 23. November 2013 war der 40. Jahrestag des „Anwerbestopps“. Er beendete die „Gastarbeiterperiode“ und beschleunigte versehentlich den Weg zum Einwanderungsland - von Prof. Klaus J. Bade.

Von Dienstag, 26.11.2013, 8:30 Uhr|zuletzt aktualisiert: Sonntag, 01.12.2013, 22:34 Uhr Lesedauer: 3 Minuten  |  

Das Ende des Zweiten Weltkriegs und die Befreiung der „Fremdarbeiter“ genannten Arbeitssklaven der NS-Kriegswirtschaft lagen erst ein Jahrzehnt zurück, als im Zeichen den „Wirtschaftswunders“ schon ein neues Kapitel in der Geschichte der Ausländerbeschäftigung in Deutschland begann: Aus dem Jahr 1955 datiert die erste, deutsch-italienische Vereinbarung über die staatliche organisierte Anwerbung ausländischer Arbeitskräfte beiderlei Geschlechts.

Bis 1968 folgten weitere „Anwerbeverträge“ mit Spanien und Griechenland, mit der Türkei, Portugal, Tunesien und Marokko und zuletzt mit Jugoslawien. Zunächst dominierten in der Ausländerbevölkerung die Italiener und Griechen, in den 1980er Jahren dann die Türken, gefolgt von Jugoslawen, Italienern und Griechen.

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Die Verträge entsprachen dem Interesse der boomenden Wirtschaft in Deutschland an Arbeitskräfteimport und dem Interesse der „Entsendeländer“ an Arbeitskräfteexport mit Lohngeldtransfer. Langfristige Sozialkonzepte gab es auf beiden Seiten nicht. Und an „Einwanderung“ in Deutschland hatten beide Seiten kein Interesse: die deutsche Seite ohnehin nicht, weil man von einer Übergangserscheinung am Arbeitsmarkt ausging; die „Entsendeländer“ nicht, weil sie mit den Rücküberweisungen der Auslandsarbeiter ihre Zahlungsbilanz aufbessern wollten.

Insofern waren die Anwerbevereinbarungen im Grunde Verträge zu Lasten Dritter, nämlich der Arbeitswanderer beiderlei Geschlechts. Sie blieben mit ihren Familien allein bei der Bewältigung der lebensgeschichtlichen Spannung zwischen Arbeitswanderung, Einwanderung oder Rückwanderung, oft ohne Perspektive und im Niemandsland zwischen zwei Kulturen.

Bis zum „Anwerbestopp“ in der Ölpreiskrise von 1973 kamen rund 14 Millionen, etwa 11 Millionen kehrten wieder zurück. Aber die Aufenthaltszeiten wurden in vielen Fällen immer länger und Arbeitsaufenthalte verwandelten sich in Daueraufenthalte mit Verlagerung des Lebensmittelpunktes nach Deutschland, insbesondere durch den Familiennachzug.

Der „Anwerbestopp“ sollte das alles ändern – und bewirkte das Gegenteil: Die Zahl der ausländischen Erwerbstätigen sank nur kurzfristig und die Ausländerbevölkerung insgesamt wuchs schon 1978 über das 1973 erreichte Niveau hinaus weiter an; denn seit dem „Anwerbestopp“ gab es für Ausländer, die eine Zeitlang unter Aufkündigung des Arbeitsvertrages ins Herkunftsland zurückkehren wollten, keinen Rückweg mehr auf den Arbeitsmarkt in Deutschland. Deshalb blieben immer mehr „Gastarbeiter“ auf Dauer und zogen ihre Familien nach. Das aber beschleunigte den unerwünschten Wandel von „Gastarbeitern“ zu Einwanderern.

Damit nicht genug: Die Nachwanderung nicht erwerbstätiger Familienangehöriger senkte auch die anfangs extrem hohe Erwerbsquote der ausländischen Erwerbsbevölkerung und reduzierte damit zugleich ihre Pufferfunktion am Arbeitsmarkt. An die Stelle eines Exports von Arbeitslosigkeit traten in Krisenzeiten erhöhte Arbeitslosigkeit und Transferabhängigkeit der oft zuerst gekündigten ausländischen Arbeitskräfte.

Der „Anwerbestopp“ beschleunigte mithin im Ergebnis, was er der Intention nach verhindern sollte – den Weg zur Herausbildung stabiler Minderheiten in einem Einwanderungsland wider Willen: Ein großer Teil der ehemaligen „Gastarbeiterbevölkerung“ in der Bundesrepublik lebte um die Wende der 1970er/80er Jahre bereits jenseits der Schwelle zwischen Arbeits- und Daueraufenthalt in einer echten Einwanderungssituation. Das belegten in Erhebungen abgefragte Indizien.

Aber die Regierungskoalitionen von SPD und FDP und, seit der „Wende“ von 1982, von CDU/CSU und FDP aber reagierten auf die von Wissenschaftlern und Experten der Praxis vorgelegten Bestandsaufnahmen und Entwicklungsperspektiven mit defensiver Erkenntnisverweigerung. Sie sprach aus dem noch bis Anfang der 1990er Jahre gültigen regierungsamtlichen Dementi: „Die Bundesrepublik ist kein Einwanderungsland!“

Einseitige Schuldzuschreibungen an die Adresse der Politik wären zwar vordergründig; denn die ausländischen Arbeitnehmer hingen lange an ihren Rückkehrillusionen und bildeten Einwandererbewußtsein er sehr spät aus. Aber wie hätte sich Einwandererbewußtsein denn entwickeln sollen in einem erklärten Nicht-Einwanderungsland ohne Perspektiven für Einwanderer?

Dass Integration trotz dieser ebenso abweisenden wie realitätsfernen Rhetorik gelang, hatte seinen Grund auch darin, dass sie sich eben nicht im Schatten der Grundsatzdebatten auf der Bundesebene, sondern im alltäglichen Miteinander auf der kommunalen Ebene vollzog. Entscheidende Akteure waren dabei, neben der pragmatischen Politik der Kommunen selbst, die Mittlerorganisationen, die Kirchen und Gewerkschaften, die Ausländer- bzw. Integrationsbeauftragten, die Ausländerbeiräte, vor allem aber die Menschen mit und ohne Migrationshintergrund in der heraufdämmernden kommunalen Einwanderungsgesellschaft selbst. Die Hohe Politik war dabei lange eher ein Hindernis; denn sie hatte, wie der damalige Bundespräsident Horst Köhler 2006 freimütig einräumte, die Integration schlicht und einfach „verschlafen“. Leitartikel Meinung

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  1. Sehr geehrter Herr Bade,

    in Ihrem einelitenden Artikel auf http://www.migazin.de/2013/11/26/steuerungsfehler-„anwerbestopp“-1973/ steht der Satz: „An die Stelle eines Exports von Arbeitslosigkeit traten in Krisenzeiten erhöhte Arbeitslosigkeit und Transferabhängigkeit der oft zuerst gekündigten ausländischen Arbeitskräfte.“ Ist das erste „Arbeitslosigkeit“ hier nicht falsch? Müsste hier nicht eher „Arbeitskraft“ stehen?

    Mit freundlichen Grüßen
    Michael Sturm