Integrationspolitik
Vielfalt ick hör Dir trapsen…
In der vergangenen Woche fand in Leipzig der Bundesparteitag der SPD statt. Im Osten – so heißt es – gäbe es wenig Menschen mit Migrationshintergrund und deren Themen wären hier ganz fern. An den Tagen des Bundesparteitages waren die Themen jedoch präsenter denn je. Nicht nur präsenter für ostdeutsche Verhältnisse, sondern auch für die Sozialdemokratie.
Von Aziz Bozkurt Montag, 18.11.2013, 8:28 Uhr|zuletzt aktualisiert: Mittwoch, 20.11.2013, 17:33 Uhr Lesedauer: 6 Minuten |
Der erste inhaltliche Star des Parteitages war die doppelte Staatsbürgerschaft. Fast über alle Reden hinweg dominierte das Thema die Diskussionen um einen möglichen Koalitionsvertrag. Vom Landesvorsitzenden der SPD Berlin Jan Stöß bis zum Parteivorsitzenden Sigmar Gabriel war der Tenor durchweg selbstbewusst und eindeutig: ohne die generelle Hinnahme der Mehrstaatigkeit gibt es kein Ja zu einem Koalitionsvertrag. Bei der Deutlichkeit wahrscheinlich ein Zeichen dafür, dass der Drops schon gelutscht ist und die Allüren von Innenminister Friedrich und den restlichen Realitätsverweigerern nur noch ein symbolischer Akt des Aufmuckens ist.
Bei diesem Thema wird die SPD ihr Wahlversprechen wohl eingelöst und somit auch die langfristige Glaubwürdigkeit gestärkt haben können. Gut für die Menschen in Deutschland, die aufgrund der konservativen Vernarrtheit in ein homogen geträumtes Land, lange auf diesen Schritt warten mussten.
Flüchtlingspolitik als letztes Schlachtfeld der Hardliner
Schwieriger wird es da beim zweiten Thema: Flüchtlingspolitik. Die stellvertretende Parteivorsitzende und Vorsitzende der Arbeitsgemeinschaft Migration und Vielfalt Aydan Özoğuz berichtete bei ihrer Rede vor dem Parteitag von den schwierigen Gesprächen in der Unterarbeitsgruppe Integration und Migration mit der Union. War auch kaum anders zu erwarten, als man die Namen der „progressiven“ Sperrspitze der Unionsvertreter in der Arbeitsgruppe zu Gemüte führte: Grindel und Bosbach nur zwei Prachtexemplare. Da fragte man sich doch wahrlich, wieso nicht die zuvor im Wahlkampf hochgehaltene erste Muslimin in der Unions-Fraktion einen Platz bekam. Aber das soll die Sorge der Union sein.
Wie viel hier erreicht wurde, ist schwer zu sagen, weil doch viele Punkte am konkreten Text hängen, der nächste Woche erwartet wird. Den mehr als ärgerlichen Bremsklötzen der Union beispielsweise beim – vom Bundesverfassungsgericht kritisierten – Asylbewerberleistungsgesetz, stehen wichtige Erfolge beim Ende von Kettenduldungen gegenüber. Zukünftig soll stichtagsunabhängig den Menschen Perspektiven geboten werden. Eigentlich menschlich unfassbar, dass das schon ein Krampf mit der Union sein muss, dass man Menschen nach sechs Jahren Aufenthalt sagt „ihr dürft jetzt bleiben, ohne die täglich Angst, doch noch abgeschoben zu werden“. Die Union hat den Parteitag der SPD hoffentlich genau beobachtet. Bewegt sie sich nicht, gibt es sicher ein Nein der SPD Basis.
Losgelöst von den Koalitionsverhandlungen bewegte dieses Thema die Gemüter im Rahmen der Diskussionen um einen Antrag zu Europa. Martin Schulz, der europäische Spitzenkandidat der Sozialdemokraten, machte deutlich, dass der Schutz von Flüchtlingen ein wesentlicher Bestandteil des europäischen Selbstverständnisses sein müsse. Die Delegierten belohnten den flammenden Appell von Schulz mit knapp 98% bei seiner Wahl zum Bundesvorstand.
Dass das Thema auch einen negativen Einfluss auf ein Wahlergebnis haben konnte, musste wohl der Hamburger Landesvorsitzende Olaf Scholz mit gerade einmal 2/3 der Stimmen am eigenen Leib erfahren. Hier bleibt zu hoffen, dass das Signal angekommen ist.
Insgesamt für die sozialdemokratische Flüchtlingspolitik sehr erfreulich, dass mit dem europapolitischen Antrag und einem zuvor im Bundesvorstand beschlossenen Antrag zur deutschen Asylpolitik wichtige Grundpfeiler für die Reform der Flüchtlingspolitik gelegt wurden. Inhaltlich kann man von einer endgültigen Abkehr vom „Asylkompromiss“ sprechen. Insbesondere vor dem Hintergrund der sozialdemokratischen und deutschen Geschichte ein wichtiges Ereignis, wie der Beschluss im Parteivorstand zu Recht festhält: „Ab 1933 flohen Genossinnen und Genossen wie Otto Wels, Erich Ollenhauer, Ernst Reuter und Willy Brandt vor den Schlägern und Folterern der SA und der Gestapo. Insgesamt fanden eine halbe Million Flüchtlinge aus Deutschland in mehr als 80 Staaten Schutz und Zuflucht während der Naziherrschaft.“
Inhaltlich top, bei der Personalpolitik so lala
Personaltechnisch ist dagegen nach dem Rückzug von Zülfiye Kaykın und Alptekin Kırcı zu spät erkannt worden, dass man das selbst gesteckte Ziel von 15% nicht einhalten kann. Mit Homaira Mansury fand sich glücklicherweise die Würzburger Bundestagskandidatin bereit, für den Vorstand zu kandidieren, was auf Anhieb auch klappte. Mit Aydan Özoğuz, die weiterhin stellvertretende Parteivorsitzende bleiben wird, bereichert sie den Bundesvorstand. Dass diese Lücke zu spät erkannt wurde, ist wirklich nicht rühmlich. Die SPD hat schließlich mittlerweile viele Landtags- und Bundestagsabgeordnete und zwei Ministerinnen mit einem Migrationshintergrund. Einen kleinen Wermutstropfen bildet die selbstkritische Thematisierung durch Sigmar Gabriel und weitere Personen. Der Schreck über die späte Erkenntnis sorgt hoffentlich dafür, dass in den nächsten Jahren die notwendige Nachwuchs- bzw. Personalförderung vorgenommen wird.
Ohne Frage ist die gleiche Repräsentanz von Menschen mit Migrationshintergrund – äquivalent zum gesellschaftlichen Anteil – ein Muss. Nicht umsonst haben wir dies mit der Arbeitsgemeinschaft Migration und Vielfalt thematisiert.
Gähnende Stille bei den Miggos der Union während der Koalitionsverhandlungen
Es stellt sich aber gerade im Rahmen der Koalitionsverhandlungen die Frage, ob die reine Quantität hilft. Gespannt blickt man täglich rüber zur Union und wartet eigentlich mal auf kräftige Aussagen der Unionsmitglieder mit Migrationshintergrund. Die „erste muslimische Abgeordnete der Union“, die gewählten Vertreter im Bundesvorstand oder die anderen Feigenblätter erheben kaum das Wort bei wichtigen Fragen, wie der doppelten Staatsbürgerschaft oder gar dem Flüchtlingsrecht. So als hätte man die Münder zugeklebt. Was bringt mir der Mund, wenn er schweigt?
Diese Tatsache zeigt eigentlich auf beeindruckende Weise die unterschiedliche Ausrichtung zwischen SPD und Union. Die SPD hat sich mit einer eigenständigen Arbeitsgemeinschaft, die anderen Arbeitsgemeinschaften gleichgestellt ist, den Ansatz, geschützte Bereiche für Diskussionen zu schaffen und von unten eine Struktur aufzubauen. Das hat den Vorteil, den man in Berlin schon länger beobachten kann. Mit der Gründung der Arbeitsgemeinschaft Migration 1997 ist stückweise, aber solide Vielfalt in die SPD Strukturen eingekehrt. In Berlin bilden Menschen mit Migrationshintergrund einen wichtigen und selbstverständlichen Bestandteil der SPD und sitzen selbst an den Hebeln der Macht.
Die Union geht mit dem Netzwerk Integration einen anderen Weg. Eher von oben werden einzelne Personen durchgedrückt und gefördert. Das hat den großen Nachteil, dass die Geförderten von der Gunst der Förderer abhängen. Kurzfristig sichtbar erfolgreich, langfristig nicht mehr als eine Luftblase, die durch einen falschen Ton platzen könnte. Das erklärt wohl die Stille.
Wetten würde ich aber auf jeden Fall darauf, dass nachdem die SPD die Mehrstaatigkeit umgesetzt haben wird, die ersten Personen von der Union sich vor die Mikrofone klemmen und dies als „ihren Erfolg“ verkaufen werden. Ob der Wähler und die Wählerin sich den Urheber merken oder nicht, mal dahingestellt. Dass dies aber ein riesiger Fortschritt für die Gesellschaft wäre, steht außer Frage. Und das ist am Ende mehr Wert, als ein Prozent mehr oder weniger.
Es ist erfreulich, dass die SPD mit diesem Bundesparteitag inhaltlich engagierte Schritte gegangen ist. Das zählt am Ende im Lebensalltag der Menschen. Beim Personal war – losgelöst von den zwei gewählten Bundesvorstandsmitgliedern – die wachsende Vielfalt bei den Delegierten ein spürbarer Schritt in die richtige Richtung. Schließlich ist die inhaltliche Entwicklung auch durch die wachsende Anzahl von Delegierten mit Namen wie Abuzar, Homeira, Erol, Turgut, Serdar, Irena, Karamba oder Gülistan getrieben. Fehlt nur noch die Weiterbildung einiger Sitzungsleiter, die aus Özoğuz auch mal Özgusch oder Özgüs fabrizierten.
In der Stadt, in der die Arbeiterbewegung ihre ersten Schritte tat, wurde mit diesem Parteitag hoffentlich eine neue Ära der Vielfalt in der SPD eingeläutet. Wie heißt es doch so schön: „Vielfalt, ick hör Dir trapsen“. Aktuell Meinung
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„Miggos“…herrlich!
Danke Herr Bozkurt…Top-Journalismus ist das, für diesen Artikel würd’ik och jerne wat abdrückn!