Koalitionsverhandlungen

Schwarz-Rote Zwangsehe? Nein Danke!

Sollte die SPD mit den Unionsparteien eine Koalition eingehen, wäre das eine Zwangsehe, schreibt der stellvertretende Vorsitzender der AG Migration und Vielfalt in der SPD, Aziz Bozkurt. Auch und vor allem integrationspoltisch passe nichts zusammen.

Von Aziz Bozkurt Donnerstag, 10.10.2013, 8:30 Uhr|zuletzt aktualisiert: Dienstag, 15.10.2013, 22:20 Uhr Lesedauer: 5 Minuten  |  

So muss sich das wohl vor einer Zwangsverheiratung anfühlen. Man sieht es kommen und kann nichts tun. Die Vorbereitungen auf die Hochzeit sind im vollen Gange und alle Akteure drum rum sind am Organisieren. Und tief im Inneren weiß man, dass man nicht zum zukünftigen Partner passt. Man denkt anders, man fühlt anders und der Bräutigam sieht einfach auch nicht so aus, wie der Zukünftige aussehen sollte. So fühlt sich die SPD Basis als Braut im Moment. Und sie fühlt sich wahrlich nicht wohl bei dem Gedanken was mit dem potentiellen Partner Union kommen könnte.

Dabei hat sich die SPD Basis im letzten Jahr abgestrampelt, damit es für eine andere Liebesheirat mit den Grünen reicht. Millionen von Haustürbesuchen und unzählige Gespräche mit Bürgerinnen und Bürgern, um diese von den Zielen der Sozialdemokratie zu überzeugen. Unermüdlich und engagiert für den Politikwechsel.

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Es begann auch mehr als schwierig mit dem Wahlkampf, als Frank Walter Steinmeier vor Journalisten in Plauderlaune war und damit die Kandidatenkür der SPD plötzlich vor oder eher auf die Füße fiel. Die ersten sechs Monate waren dann ein Wahlkampfhorror, wie man sich den kaum vorstellen kann. Erst gegen Ende erholte sich die schwierig begonnene Kampagne. Auch dank der Basis, die zähneknirschend zusehen musste, wie strategische Optionen auf Rot-Rot-Grün beiseite gewischt wurden. Ein sehenden-Auges-ins-Verderben-Laufen, wenn man das Potential sieht, das mit diesem Trio an sozialdemokratischen Forderungen verwirklicht hätte werden können. So steht nun ein Wahlversprechen als Mauer vor dem Ziel der Realisierung der eigenen Forderungen.

Und Glaubwürdigkeit ist wirklich ein hohes Gut in der Politik, wie wir in den letzten Jahren schmerzhaft erleben mussten. Jedoch hat die Medaille mit der Glaubwürdigkeit eine zweite Seite, die für eine Programmpartei wie der 150 jährigen SPD mehr wiegt. Die Inhalte. Und hier hat die SPD ein schon lange nicht mehr gesehenes sozialdemokratisches Profil aufgezeigt: Mindestlohn, Bürgerversicherung, ein modernes Familienbild, Abschaffung des Betreuungsgeldes, Finanzierung bildungspolitischer Aufgaben durch ein stärkeres steuerliches Engagement der starken Schultern in unserer Gesellschaft, Energiewende und nicht zu vergessen ein weltoffenes Deutschland, was die Vielfalt in der Gesellschaft zu schätzen und zu fördern weiß. Diese Liste könnte beliebig weitergeführt werden, aber an dieser Stelle soll ein detaillierter Blick auf den letzten Punkt reichen.

Als Arbeitsgemeinschaft Migration und Vielfalt haben wir auf Bundes- wie auf Landesebene angeguckt, wo es schwierig oder eher unmöglich wird, mit der Union zusammen zu kommen:

  • Was ist mit dem Versprechen der sofortigen Einführung der Mehrstaatigkeit und damit auch der Abschaffung der absurden Optionspflicht?
  • Was ist mit dem Versprechen, das kommunale Wahlrecht einzuführen?
  • Was ist mit dem Versprechen, den Familiennachzug insbesondere beim Thema Sprachnachweis zu erleichtern?
  • Was ist mit dem Versprechen, die Quote der Beschäftigten mit Migrationshintergrund im öffentlichen Dienst auf ein gesellschaftlich repräsentatives Niveau anzuheben?
  • Was ist mit dem Versprechen, die Residenzpflicht für Asylbewerber und Geduldete aufzuheben?
  • Was ist mit dem Versprechen, das Asylbewerberleistungsgesetz in der jetzigen Form abzuschaffen?

Alles Versprechen – die nebenbei bemerkt zu einer 100% Übereinstimmung im Rot-Rot-Grünen Lager führen – die Millionen von Wählerinnen und Wählern für die SPD mobilisiert haben. Und was mit Parteien, die ihre Versprechen brechen, passiert, wissen wir zu gut aus eigener Erfahrung und aus dem politischen Genickbruch der FDP.

Gerade im Flüchtlingsbereich demonstriert der Unions-Innenminister Hans-Peter Friedrich auf beeindruckend asoziale Art, was er von Reformen hält. Gerade vor dem Hintergrund der 300 toten Flüchtlingen vor den Toren Europas eine Sichtweise, die Gewaltphantasien mit dem Innenminister in der Hauptrolle aufleben lässt. Die SPD gedachte diese Woche zum 21. Mal Willy Brandt an seinem Todestag. Dem Willy Brandt, der ohne Zuflucht als Flüchtling in den skandinavischen Ländern, nur eine Randnotiz der sozialdemokratischen Geschichtserzählung geworden wäre. Diese, unsere gemeinsame sozialdemokratische Geschichte verbietet es, auch nur einen Millimeter von den Versprechen zu weichen.

Nun sind wir auch nicht blind, was und welche Schritte unternommen werden, um an der vermeintlich sicheren Hafen der Regierungsbeteiligung zu gelangen.

Teil 1 des Schauspiels war die Wahl des alten Fraktionsvorsitzenden zum Neuen. Kann ein jemand der 4 Jahre jede Opposition verweigerte, in die Oppositionsrolle schlüpfen?

Teil 2: was macht eigentlich Sigmar Gabriel bei der Wahl des Fraktionsvorsitzenden, der Wochen vorher – im Wahlkampf als die eigenen Mitglieder den Buckel krumm machten – am Stuhl des Parteivorsitzenden sägte? Er empfahl die schnelle Wahl des Fraktionsvorsitzenden. Bleibt nur die Frage, was ein Parteivorsitzender davon hat, wenn er nicht mal Anführer der Fraktion wird. Wohl nur ein Regierungsamt.

Teil 3: die Flügel schlagen schön im Gleichtakt Richtung Große Koalition. Der Sprecher des rechten Seeheimer Flügels, Johannes Kahrs, verteilt fleißig Ministerposten. Fifty-Fifty Cent titulierte schon die Heute Show in Anspielung auf seine Forderung nach 50% der Ministerposten. Anschließend holte er das Finanzministerium für die SPD. Auf der anderen Seite redet Ernst-Dieter Rossmann von der Parlamentarischen Linken in das staatstragende Gewissen der SPD: „Die besondere historische Verantwortung aller Mitglieder, der Funktionäre, der Führung in den Ländern und der Führung in Berlin liegt jetzt darin, diesen Prozess einer möglichen Regierungsbeteiligung… zu gestalten.“ Ja, so ist die Truppe meiner heißgeliebten staatstragenden Linken.

Die Akte im Schauspiel gehen noch weiter und wir sind alle gespannt auf die Kreativität mit der eine Regierungsbeteiligung mit der Union herbeigeredet werden soll. Aber WEHE – wie es schon Ekrem Şenol treffend formulierte – die Versprechen werden gegen zwei Packungen Kaugummis geopfert.

Dann kann sich die SPD Führung des Neins der Basis sicher sein. Denn sie ist emanzipierter als zuvor und hat mit dem Mitgliederentscheid das Werkzeug in der Hand, um den Eltern die drohende Zwangsheirat aus dem Kopf zu schlagen und dem Bräutigam eine Backpfeife zu verpassen. Und wenn der Bräutigam zu unfähig ist, sich eine Braut zu finden, wieso sollte es nicht doch noch eine moderne Drei-Ex-Beziehung werden. Natürlich aus staatspolitischer Verantwortung! Meinung

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  1. Kai Diekelmann sagt:

    Das ist mal ein mutiges und zugleich depressives Statement, das allerdings ahnen lässt: integrationspolitisch wird eine GK höchstens Minimal-Fortschritte bringen.

  2. posteo sagt:

    Trotz Differenzen im Details, in der Grundforderung bin ich mit dem Autor einig.

  3. Reinhard Kunde sagt:

    Kann mich dem Inhalt voll anschließen! Große Koaltion ist Mist! (frei nach Müntefering)