Bades Meinung

Institutionelle Reform der Integrationspolitik – die Diskussion ist neu eröffnet

Der Migrationsforscher und MiGAZIN-Kolumnist Klaus J. Bade hat den Rat für Migration (RfM) vor rund 15 Jahren mitbegründet. Er ist einer der drei Initiatoren des Offenen Briefes des RfM zur institutionellen Reform der Integrationspolitik auf Bundesebene. Klaus J. Bade kommentiert für MiGAZIN den aktuellen Stand der öffentlichen Debatte zu diesem Thema.

Von Montag, 07.10.2013, 8:28 Uhr|zuletzt aktualisiert: Donnerstag, 10.10.2013, 9:32 Uhr Lesedauer: 5 Minuten  |  

Der Offene Brief des Rates für Migration (RfM) mit dem Appell an die neue Bundesregierung sowie an die Parteien und Abgeordneten des neuen Bundestages zur institutionellen Reform der Migrations- und Integrationsbelange auf der Bundesebene steht erst wenige Tage im Netz und hat schon mehrere Tausend Unterzeichner gefunden. Das zeigt, dass der von fast 70 Erstunterzeichnern, zumeist Wissenschaftlern, getragene Appell ein in der Öffentlichkeit für belangvoll gehaltenes Problem angesprochen hat.

Es geht darum, das lähmende Kompetenz-Wirrwarr in den Zuständigkeiten für Migrations- und Integrationspolitik zu entwirren, die zentrale Zuständigkeit für Migration und Integration aus dem auf Ordnungs-, Sicherheits und Gefahrenabwehrpolitik konzentrierten Bundesministerium des Innern herauszulösen, diese gesellschaftspolitischen Schlüsselbereiche in das dafür seiner Aufgabenstellung wegen besser geeignete Bundesministerium für Arbeit und Soziales einzubringen und dieses damit zu einem Querschnitts-Ministerium zu erweitern, z.B. mit dem Namen ‚Bundesministerium für Arbeit, Soziales, Migration und Integration‘.

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Zugleich sollten die gesetzlichen Bestimmungen zu Migrations- und Integrationspolitik in einem umfassenden Gesetzeswerk zusammengeführt werden. Integrationspolitik sollte dabei, von Hilfestellungen für Neuzuwanderern abgesehen, nicht mehr als Sozialtherapie für Migranten, sondern als teilhabeorientierte Gesellschaftspolitik für alle betrachtet und gestaltet werden.

Zur Petition: Sie unterstützen die Forderung des Rates für Migration? Auf change.org können Sie die Forderung unterzeichnen und die Forderung nach institutionellen Reformen unterstützen.

Diese Zeichen der Zeit aber haben Bundesministerium des Innern und CDU/CSU offenkundig bis heute nicht erkannt. Das zeigt die pauschal abwehrende Antwort des Stellvertretenden Vorsitzenden der CDU/CSU-Fraktion, Dr. Günter Krings, mit einer gerade im Sinne des Offenen Brief vielsagenden Definition der Aufgaben des Bundesministeriums des Innern: „Es steht für die Organisation unseres Staates, die Sicherheit der Bürger und den gesellschaftlichen Zusammenhalt und damit auch für die Integration der hier lebenden Ausländer.“ Die Reihenfolge der Aufgabenstellungen bestätigt die Treffsicherheit der Kritik des Appels ebenso wie die Rede von der „Integration der hier lebenden Ausländer“ als dem Zentralbereich der Integrationspolitik. Genau wegen dieser ordnungs- und sicherheitspolitischen Sichtblenden müssen Migrations- und Integrationspolitik als Zentralbereiche der Gesellschaftspolitik aus dem Bundesministerium des Innern befreit werden.

So leicht, wie offensichtlich gedacht, wird es die CDU/CSU allerdings auch in der öffentlichen und parlamentarischen Debatte nicht mit dem Versuch haben, die Kritik der Öffentlichkeit mit Floskeln und betonverstaubten Textbausteinen zu überspringen. Schon wenn man die Aussagen der Parteien vor der Bundestagswahl zu aktuellen Gestaltungsfragen in der Zuwanderungs- und Integrationspolitik verglich, hatte das Ergebnis etwas von CDU/CSU gegen den Rest der parlamentarischen Welt. Das galt, wie eine vergleichende Studie zeigte, besonders dann, wenn es um ein Mehr an Öffnung, Liberalisierung und im Asylbereich auch an Humanität ging. Ganz anders, nämlich sehr positiv, fallen denn auch die Antworten der anderen Parteien des künftigen Deutschen Bundestages zu dem Offenen Brief des Rates für Migration aus:

Der Sprecher für Migrations und Integrationspolitik von Bündnis 90/Die Grünen, Memet Kilic, MdB, begrüßte nachdrücklich die Intentionen des Offenen Briefes. Auch für seine Partei „steht das überkommene Verständnis des Bundesministeriums des Innern, welches das Ausländerrecht primär als Ordnungsrecht und Ausländer als Sicherheitsproblem begriffen hat/begreift, einer nachhaltigen Integrationspolitik im Weg. Ein Ressortwechsel könnte also auch zu einem Perspektivenwechsel Richtung Teilhabe(möglichkeiten) und Chancengleichheit führen.“

Im gleichen Sinne bestätigte die Sprecherin für Migration und Integration der Fraktion Die Linke, Sevim Dagdelen, MdB: „Integration ist eine soziale und keine ordnungs- bzw. sicherheitspolitische Frage. Die Linke fordert seit Jahren, dass Integrationspolitik als Querschnittsaufgabe nicht in die Zuständigkeit des Bundesinnenministeriums fällt, sondern eher in den Bereich Arbeit und Soziales. Eine Verlagerung wäre also zwingend.“ Kernprobleme seien soziale Ausgrenzung, diskriminierende Gesetze und Vorschriften. Ein neu strukturiertes Ministerium sei deshalb „nur so gut wie die Gesetze und Vorschriften, die es umsetzen und ausführen soll.“ Just deswegen sind im Offenen Brief des Rates für Migration neue gesetzliche Grundlagen eingefordert worden, die Integrationspolitik als teilhabeorientierte Gesellschaftspolitik für alle verstehen sollen.

Die unmittelbar vor den störungsempfindlichen Sondierungsgesprächen mit der CDU/CSU stehende SPD will derzeit keine Stellungnahme abgeben. Aber die parteinahe Friedrich Ebert Stiftung hat zeitgleich zu dem Offenen Brief des Rates für Migration eine in zentralen Positionen gleichgerichtete Studie mit dem aufschlussreichen Titel vorgelegt: ’Perspektivenwechsel in der Einwanderungsgesellschaft Deutschland.‘ Darin werden ‚Grundlagen für eine neue Migrations- und Integrationspolitik‘ eingefordert. Die Studie der parteinahen Stiftung stimmt in fast allen Positionen mit den Forderungen des Rates für Migration überein. „Faktisch wird die Integrationspolitik auf Bundesebene im Bundesinnenministerium (BMI) bestimmt“, heißt es dort. Im Ergebnis werde „die Integrationspolitik der Bundesregierung vor allem als Sicherheitspolitik wahrgenommen.“ Für die Integrationspolitik wird auch hier deren „Eingliederung in das Bundesministerium für Arbeit und Soziales“ gefordert, denn: „Gesellschaftliche Teilhabe erfolgt in Deutschland nach wie vor in erster Linie über Teilhabe auf dem Arbeitsmarkt.“

Den gleichen Vorschlag hatte kurz zuvor der Sachverständigenrat deutscher Stiftungen für Integration und Migration (SVR) gemacht. Auch gewerkschaftliche, humanitäre und kirchliche Organisationen kritisieren seit langem die ordnungs- und sicherheitspolitische Blickverengung migrations- sowie integrationspolitscher und damit gesellschaftspolitischer Perspektiven.

Die Diskussion ist neu eröffnet und es wird eng für das Bundesministerium des Innern und für die Vertreter der Unveränderbarkeit des Gegebenen in der CDU/CSU. Man wird sich also mehr einfallen lassen müssen als abfällige Floskeln und Textbausteine mit dem ideellen Betonstaub der 1980er Jahre. Aktuell Meinung

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  1. Sehr geehrter Herr Bade,
    dem Vorschlag ist aus Sicht der Lehrkräfte in Integrationskursen auf jeden Fall zuzustimmen. Unsere „Initiative Bildung Prekär“ hat schon im Juni gefragt: „Welche interkulturellen, pädagogischen und didaktischen Kompetenzen weist eine Behörde auf, die sich mit Terrorismus- und Kriminalitätsbekämpfung beschäftigt?“ (http://www.migazin.de/2013/06/14/fuer-eine-grundlegende-neugestaltung-des-integrationskurssystems/).

    Sie sagen, dass wir „Integrationspolitik als teilhabeorientierte Gesellschaftspolitik für alle verstehen sollen“. Einverstanden, aber die Lehrkräfte wollen von ihrer Arbeit auch leben können. Das Bundesministerium für Arbeit und Soziales lässt seine Weiterbildungsmaßnahmen genau so durchführen wie das Bundesinnenministerium: die Lehrkräfte sind scheinselbstständig, schlecht bezahlt, ohne Kündigungsschutz, ohne Lohnfortzahlung im Krankheitsfall, ohne Urlaubsanspruch. Wenn das der Arbeitsmarkt sein soll, in den sich MigrantInnen integrieren sollen, dann sollte man von einer Integration abraten. Gerade MigrantInnen sind von unserem selektiven Schulsystem besonders benachteiligt, wir sollten beim Thema Integration zusehen, dass nicht nur die „Teilhabe“, sondern auch die „Verteilung“ der Mittel gerechter abläuft. Man kann nicht erwarten, dass Lehrkräfte MigrantInnen für 800 € netto im Monat Vollzeit unterrichten. Die Bezahlung der Lehrkräfte ist Teil des institutionellen Rassismus: Lehrer zweiter Klasse arbeiten für Menschen zweiter Klasse. Wir erhoffen uns in dieser Sache die Unterstützung des Rates für Migration.

    Mit freundlichen Grüßen
    Georg Niedermüller

  2. Rafael Blumenkorn sagt:

    Die deutsche Integrationspolitik, die – wie Sie es treffend verdeutlichen -, immer noch als Ordnungs- und Sicherheitspolitik behandelt wird, ist ein Relikt aus dem Kalten Krieg. Die CDU/CSU hat es leider noch nicht verstanden, die eigenen „Mauern“ und „eiseren Vorhänge“ zu Fall zu bringen. Die fundamentalistischen Sicherheitspolitiker und Sicherheitsbeamten in den Ministerien scheinen immer noch das Ruder in der Hand zu haben. Hoffentlich ändert sich das. Ansonsten werden solche Meldungen bald nicht mehr Skandalnachrichten, sondern Alltag:

    „V-Mann lieferte Konzept für NSU-Terror“
    Quelle:
    http://www.deutsch-tuerkische-nachrichten.de/2013/10/490934/v-mann-lieferte-konzept-fuer-nsu-terror/

    „NSU-Morde: Zeuge Florian H. verbrennt im Auto“
    Quelle:
    http://www.deutsch-tuerkische-nachrichten.de/2013/10/490846/nsu-morde-zeuge-florian-h-verbrennt-im-auto/

    Da soll doch noch jemand sagen, es gäbe keinen „Tiefen Staat“ in Timbuktumali, welches Integrations- und Einwanderungspolitik als Sicherheitspolitik versteht und im wahrsten Sinne des Wortes „über Spatzen geht“, um diese Politik weiterhin aufrecht zu erhalten.

  3. Han Yen sagt:

    Ein Bundesministerium für Arbeit, Soziales, Migration und Integration hat zuwenig Kompetenzen, weil da nur der Produktionsfaktor Humankapital als Controlling Objekt vorkommt. In einem Workfare Staat ist das zum Scheitern verurteilt. Eine ernsthafte Integrationspolitik sollte das international beste Modell imitieren und nicht ständig das Rad neu erfinden. Israel hat eines der besten Einwanderungspolitiken der Welt. Obwohl regionaler Handel für Israel nicht möglich ist, weil es von Feinden umzingelt ist, hat es sich zu einem Technologie-Export Land entwickelt. Wir brauchen also die israelische Bildungs-Politik für Einwanderer. Ohne den Produktionsfaktor Kapital kann man die Arbeitsmärkte nicht gestalten. Wir brauchen wie in den USA ein Community Reinvestment Act, dass den Kapitalexport aus den Enklaven drosselt und in die Wohn-und Infrastruktur und Ausbildungsbetriebe lokal reinvestiert. Die Community Banks sind auch die Basis für Co-Responsibility bei der Kindererziehung. Der Staat macht Dienstleistungsangebote und die Klienten erwerben Punkte bei der Wahrnehmung der Angebote. Die Punkte sind dann der Maßstab für die Auszahlungshöhe bei den Sozialleistungen. Man räumt mit der konservativen Lebenslüge auf, dass Familienarbeit unbezahlt sein sollte. Mexiko hat ein Programm Opportunidades, dass Mütter in das Management der Armuts- und Einkommensrisiken ihrer Familien einbindet. Sozialleistungen werden nur noch bar in den Community Banks ausgezahlt. Die Bank berät am Bankschalter bei Spar-Produkten und Konsumentscheidungen. Eltern werden in die Community Arbeit eingebunden für die erhaltenden Sozialleistungen.

  4. Monika Strauß-Rolke sagt:

    Sehr geehrter Herr Bade,
    da ich seit vielen Jahren unter miserablen Arbeitsbedingungen als Kursleiterin von Interationskursen arbeite, möchte ich Ihren Blick auf dieses Arbeitsfeld lenken. Wir leisten hervorragende Arbeit und bewirken mit unserer Tätigkeit, dass es Migranten und Migrantinnen möglich gemacht wird, am Leben in Deutschland teilzuhaben – sowohl kulturell als auch auf dem Arbeitsmarkt.
    Leider wird dies nicht entsprechend honoriert.
    Wir werden von der Politik und dem Bundesamt für Migration und Flüchtlinge wie Tagelöhner behandel t- ohne Arbeitgeberanteil von Seiten des Staates an Kranken-, Renten- und Pflegeversicherung, ohne Schutz im Krankheitsfall und ohne bezahlten Urlaubsanspruch.
    Sich für eine Verbesserung dieser Zustände einzusetzen, sehe ich als eine zentrale Aufgabe Ihres Gremiums!
    Mit freundlichen Grüßen
    Monika Strauß-Rolke, Bonn