Arm durch Arbeit

Für eine grundlegende Neugestaltung des Integrationskurssystems

Der Wissenschaftliche Dienst des Bundestages hat die Integrationskurssysteme in Europa untersucht und dabei Interessantes festgestellt: in Dänemark verdienen die Sprachlehrer bis zu 3.750 € monatlich, in Schweden bis zu 3.300 €. In Deutschland ist die Situation prekär.

Von Georg Niedermüller Freitag, 14.06.2013, 8:25 Uhr|zuletzt aktualisiert: Sonntag, 16.06.2013, 23:01 Uhr Lesedauer: 6 Minuten  |  

Am 7. Juni 2013 fand auf Einladung der Bundestagsfraktion DIE LINKE in Berlin ein Fachgespräch über eine „grundlegende Neugestaltung des Integrationskurssystems“ statt. Teilgenommen haben neben den VertreterInnen der Lehrkräfte (DaZ-Netzwerk und Initiative Bildung Prekär) und den Trägern (Bildungsverband) auch die GEW, der Paritätische und vier Bundestagsabgeordnete der Linksfraktion.

Die Integrationskurse wurden 2005 von der SPD und den Grünen eingeführt und finden bis heute unter Androhung von Sanktionen statt, während gleichzeitig die Fahrtkosten der TeilnehmerInnen gekürzt wurden und sich ein Durchfallen beim Sprachtest B1 sogar negativ auf die Dauer der Aufenthaltsberechtigung auswirken kann. So wurde aus einer an sich guten Idee ein Instrument der Gängelung der TeilnehmerInnen, der prekären Arbeit für die Lehrkräfte und der Existenzangst vieler kleinerer Bildungsträger. Die Integrationskurse sind arbeits- und bildungspolitisch eine Katastrophe. Aus diesem Grund wurde bei dem Fachgespräch über eine grundlegende Neugestaltung dieses wichtigen Bildungs- und Integrationsbereichs nachgedacht.

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Der Wissenschaftliche Dienst des Bundestages hat die Integrationskurssysteme in Europa untersucht und dabei Interessantes festgestellt: in Dänemark verdienen die Sprachlehrer 2.950 bis 3.750 € monatlich, in Schweden liegen die Gehälter bei 2.200 bis 3.300 € monatlich. Deutschland ist das einzige Land, das den B1-Abschluss verlangt, in Frankreich ist A1 ausreichend, in Italien A2, in den Niederlanden A2 (wahlweise auch B2 für den Hochschulzugang). In Frankreich werden Unternehmen zur Bereitstellung von Sprachkursen für Beschäftigte angehalten, in Österreich ist die Kursteilnahme freiwillig, ebenso wie in Dänemark. Es gibt also eine ganze Reihe von Varianten und Alternativen, wie man die Kurse ausgestalten könnte.

Für die Situation in Deutschland wurde vonseiten unserer Initiative zunächst festgestellt, dass Deutschland ein reiches Land ist. Aus der Vermögens- und Schuldenuhr der Aktion Umfairteilen geht hervor, dass das Nettoprivatvermögen in Deutschland knapp 10 Billionen € beträgt, die Staatsverschuldung jedoch nur 2 Billionen €. Der Staat verschuldet sich um 634 € pro Sekunde, das reichste Zehntel der Bevölkerung gewinnt aber pro Sekunde über 6.000 € dazu! Es gibt also keinen Grund anzunehmen, dass in Deutschland das Geld für eine vernünftige Ausstattung der Integrationskurse nicht vorhanden wäre. Es fehlt auf Seiten der vier Hartz IV-Parteien CDU/CSU, FDP, SPD und Grünen viel mehr der politische Wille, Geld von oben nach unten umzuverteilen.

Der Historiker Hans-Ulrich Wehler schreibt in seinem Buch „Die neue Umverteilung. Soziale Ungleichheit in Deutschland“ (2013): „Ohne kontroverse Debatten werden mithin in den zwei Dekaden von 2000 bis 2020 vier Billionen Euro an Erbmasse in private Hände bewegt. Besäße die Bundesrepublik eine Erbschaftssteuer von 50 Prozent, wie es sie in anderen Ländern gibt, hätte sie in dieser Zeit zwei Billionen Euro gewonnen, die für den Ausbau des Bildungssystems und der Verkehrswege, die Renovierung der Infrastruktur in den west- und ostdeutschen Städten und andere dringende Ausgaben ohne jede weitere Belastung des Steuerzahlers hätten eingesetzt werden können. Anstatt jedoch die Erbschaftssteuer endlich anzuheben, ist sie unter dem Druck der Lobby unlängst noch weiter abgesenkt worden.“ (S. 76)

Auf diese 2 Billionen verzichten die Lobby-Politiker in Berlin, stattdessen kürzen sie bei den Fahrtkostenpauschalen der KursteilnehmerInnen, lassen die Lehrkräfte beim Job-Center aufstocken, und treiben kleinere Träger in den Ruin. Gelegentlich heißt es aus dem Bundesinnenministerium, dass man die „Armutsflüchtlinge“ aus Rumänien wieder abschieben müsse, dass ein großer Anteil von Muslimen Radikale seien usw. Anschließend entschuldigt man sich für die Falschmeldungen. Die SPD wartet mit den Herren Sarrazin und Buschkowsky auf. Beide Volksparteien versuchen eindeutig, auf Kosten der MigrantInnen Punkte zu sammeln.

Hier stellt sich die Frage: Warum haben SPD und Grüne die Integrationskurse damals überhaupt unter die Aufsicht des Bundesinnenministeriums gestellt? Wäre nicht das Bundesbildungsministerium viel besser geeignet? Welche interkulturellen, pädagogischen und didaktischen Kompetenzen weist eine Behörde auf, die sich mit Terrorismus- und Kriminalitätsbekämpfung beschäftigt?

Über die rechtliche Lage der Lehrkräfte wurde bei MIGAZIN schon öfters berichtet: Viele glauben, dass die Lehrkräfte keine echten Selbstständigen, sondern Scheinselbstständige sind, mit der Folge, dass die Bildungsträger eigentlich die Hälfte der Sozialabgaben zahlen müssten, wie jeder normale Arbeitgeber das auch tut. Und zwar für 17.000 Lehrkräfte acht Jahre lang! Legt man einen Arbeitgeberanteil von nur 250 € monatlich zugrunde, so ist man bei einer Gesamtsumme von 400 Mio. €. Dieses Geld ist nicht bei den Trägern gelandet, sondern vom Bundesinnenministerium gar nicht erst ausgegeben worden. Die „tolle Erfolgsgeschichte“ der Kurse liegt darin, dass man acht Jahre lang den Lehrkräften ihre Rentenbeiträge vorenthalten hat und deshalb im Alter auch weniger Rente an die Lehrkräfte auszahlen muss. Altersarmut lohnt sich – für den Staat.

All das verwundert nicht, weil ja sogar der Bundestag seine Besucherbetreuer als Scheinselbstständige arbeiten läßt und ihnen ihre Rentenbeiträge vorenthält, wie die Süddeutsche Zeitung aktuell berichtet. Wem das nicht passt, der kann ja klagen, bekommt Recht, fliegt aber raus. Guckt man sich an, was SPD, Grüne, CDU/CSU und FDP schreiben, so stellt man fest, dass grundlegende Änderungen im Integrationskurssystem nicht geplant sind.

Dabei ist die Sache doch ziemlich einfach. Die Lehrkräfte beim Paritätischen Bildungswerk e.V. haben ihre Forderungen klar formuliert: „Die KursleiterInnen in den Integrationskursen müssen sich durch diese Arbeit ernähren können und brauchen abgesicherte Verhältnisse. Dies schließt insbesondere die gerechte Entlohnung der DozentInnen entsprechend ihrer hohen Qualifikation, ihrer Zusatzausbildung und der Bedeutung ihrer Arbeit gemäß TV-L und vergleichbar mit Lehrkräften an öffentlichen Schulen, ein. Wir fordern deshalb Angestelltenverträge bundesweit für alle IntegrationskursleiterInnen auf der Basis von TV-L.“

Unterschrieben wurde diese Forderung von:

  • Paritätisches Bildungswerk Bremen e.V.
  • VHS Bremen (Fachbereich DaF)
  • Kulturzentrum Lagerhaus e.V.
  • GEW Bremen (Gewerkschaft für Erziehung und Wissenschaft)
  • Marion Bergmann (Initiative Bildung Prekär)
  • Georg Niedermüller (Initiative Bildung Prekär)
  • Stephan Pabel (Initiative Bildung Prekär)
  • Renate Hof (Sprecherin DaZ Netzwerk)
  • Miriam Herrmann (Sprecherin Aktion Butterbrot)

Die Einzigen, die sich dagegen sperren, sind die vier Hartz IV-Parteien. Man könnte so leicht ausrechnen, wie teuer eine Lehrkraft im Integrationskurs in Analogie zu einer Lehrkraft an öffentlichen Schulen ist, und diesen Betrag vom BAMF an den Träger überweisen. Die Träger würden ordnungsgemäß die Hälfte ihrer Sozialversicherungsbeiträge abführen und ordentliche Verträge mit den Lehrkräften machen. Stattdessen krebsen die Grünen bei einem „Mindesthonorar“ von 30 € herum (das entspricht ungefähr 750 € netto!), die SPD hält 26 € für völlig ausreichend (ca. 600 € netto für einen Vollzeitjob mit Universitätsabschluss!), und CDU/CSU und die FDP haben selbstverständlich gar keine Ideen.

Auch der Deutsche Volkshochschul-Verband scheint kein Problem mit der Situation zu haben, zumindest macht er das Problem der Lehrkräfte nicht zu seinem Problem. Viele „arbeitnehmerähnliche“ Lehrkräfte, die zwar einen rechtlichen Anspruch auf bezahlten Urlaub haben, nehmen dieses Recht nicht wahr, weil sie Angst haben, keine weiteren „Aufträge“ zu bekommen. Wir haben schon eine Beschwerde von einer Lehrkraft bekommen, die bei ihrer VHS einen Antrag auf bezahlten Urlaub gestellt hat und danach keinen weiteren Auftrag bekommen hat und arbeitslos war. Der Deutsche Volkshochschul-Verband teilte uns auf Anfrage mit, dass er zur Frage des Urlaubsanspruchs „arbeitnehmerähnlicher“ Lehrkräfte keine Angaben mache. Aktuell Meinung

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  1. Roswitha Haala sagt:

    Dies finde ich einen sehr treffenden Artikel!
    Bleibt die Frage offen, wie viele Unterrichtseinheiten die SprachlehrerInnen in Dänemark und Schweden für dieses Einkommen – Angestelltenverhältnis? – wöchentlich unterrichten. So weit ich mich erinnere, sind es z.B. in Dänemark für Lehrkräfte an öffentlichen Schulen in Vollzeit 16 Wochenstunden.
    Wir dürfen nicht vergessen, dass durch diese deutsche „Erfolgsgeschichte: Staatsmonopol Integrationskurs“ viele ehemals festangestellte Lehrkräfte aufgrund der staatlichen Unterfinanzierung auf Honorarkräfte umgestellt wurden und somit sich ihre früheren Rentenansprüche im drastischen Absturz befinden!
    Auch für meine früher (bis Mai 2005) erreichten Rentenansprüche ist mein jahrelanger, engagierter Unterricht in Integrationskursen die Finanzkatastrophe.
    Und natürlich finde ich es eine staatliche Unverschämtheit, dass ich aufgrund meiner Statusklage samt der gegebenen staatlichen Unterfinanzierung nicht (mehr) in diesem Bereich unter angemessenen Bedingungen, eine Arbeit ausführen kann, die ich sehr gerne und mit Erfolg für die TeilnehmerInnen geleistet habe.

    Von daher werde ich weiterhin mit Begeisterung beim Aufdecken dieser deutsch-staatlichen Polit-Misere mitwirken!

  2. Pingback: Bundesinnenministerium muss von der Integrationspolitik entlastet werden - Arm durch Arbeit, BMI, Integrationskurs, Kolumne, Lehrer, Meinung - MiGAZIN