Ausländerpolitik in den 80ern (5/9)
„Vorurteile nehmen in unserer Zeit sehr leicht den Charakter von Glaubenswerten an.“
Bonn, 4. Februar 1982. Im Bundestag debattieren die Parteien über Ausländerpolitik – Familienzusammenführung, Assimilation, Einbürgerung, Gettos oder auch darüber, wie man Türken “loswird”. MiGAZIN veröffentlicht in einer neunteiligen Serie die Debatte in voller Länge. Heute: Hugo Brandt (SPD)
Dienstag, 13.08.2013, 8:25 Uhr|zuletzt aktualisiert: Donnerstag, 15.08.2013, 2:17 Uhr Lesedauer: 14 Minuten |
Info: Hugo Brandt (SPD) war von 1981 bis 1985 Landesvorsitzender der SPD in Rheinland-Pfalz. Er gehörte von 1969 bis 1983 als Abgeordneter dem Deutschen Bundestag an, war von 1983 bis 1985 Mitglied des rheinland-pfälzischen Landtags und dort Vorsitzender der SPD-Fraktion.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren!
Ich bin eigentlich recht froh, daß ich nach der Rede des Kollegen Dregger hier an das Pult kommen kann, weil ich mich dann endlich geläutert und problembewußt dem Thema nähern kann:
(Dr. Dregger [CDU/CSU]: Das ist sehr gut!)
Denn einige Fragen, die Sie hier aufgeworfen haben, sind es sicherlich wert, aufgegriffen zu werden. Zunächst einmal aber eine allgemeine Bemerkung. Sie haben der Bundesregierung den Vorwurf gemacht, daß sie in dieser Frage über lange Zeit untätig gewesen sei. Nun war ich außerordentlich gespannt, aus Ihrer Rede zu hören, was Sie denn eigentlich vorschlagen. Ich muß sagen: Ich habe dabei davon nichts gemerkt. Sie haben z. B. gesagt, daß deutschsprachige Ausländer bei uns besser zu integrieren seien als andere. Dazu muß ich sagen: Darauf wären wir von selber wahrscheinlich nie gekommen!
(Heiterkeit und Beifall bei der SPD)
Sie haben weiter gesagt, es sei besser, die Maschinen zu den Menschen zu bringen statt die Menschen zu den Maschinen. Das ist ein sehr schönes Schlagwort. Allerdings ist seine politische Umsetzung ein bißchen schwieriger, als man es hier sagen kann. Es ist eben schon darauf hingewiesen worden, daß es einigermaßen schwierig ist, etwa die deutschen Kohlenflöze in die Türkei zu transportieren, um sie dort abbauen zu lassen. Das Problem hat also etwas mehr Facetten, als Sie es mit diesen Schlagworten ausdrückten.
„Die Vorstellung und der großartige Gedanke, der in der Geschichte eine Rolle gespielt hat, Menschen seien eben Menschen und grundsätzlich gleich, und zwar nicht nur vor Gott, sondern auch in ihrer personalen Würde, hat noch keine volle Entsprechung in unserer Wirklichkeit gefunden.“
Sie haben beispielsweise auch gesagt, Sie hielten die Rotation für vernünftig. Nun muß ich aber einmal in allem Ernst fragen: Wen wollen Sie denn auf die Walz schicken? Wer soll denn heute rotieren? Diejenigen, die seit zehn oder zwölf Jahren hier sind? Diejenigen, die hier geboren oder hier aufgewachsen sind? Wer ist es denn, der in die Rotation hineingenommen werden soll?
Sie haben auf die Schweiz hingewiesen. Ich darf Sie, verehrter Herr Dregger, darauf aufmerksam machen, daß es ein bißchen problematisch ist, die Schweiz als Vorbild zu nehmen; denn die Schweiz hat einen Ausländeranteil von 14 %, während dieser Anteil bei uns bei 7 % liegt.
Ich will hier noch einmal auf einen Gesichtspunkt eingehen, der eben schon eine Rolle spielte, der mir wichtig genug erscheint, daß man ihn hier noch einmal aufgreift, die Fremdenfeindlichkeit bis hin zum Fremdenhaß. Das ist bekanntlich eine Erscheinung, die alle Gesellschaften zu allen Zeiten irgendwann einmal berührt hat, für die sie in der Geschichte anfällig waren. Der Glaube, daß etwa naturrechtliche Überzeugungen oder humanistische oder aufklärerische Philosophien daran grundsätzlich etwas ändern könnten, war wohl irrig. Wir erleben auch in der Gegenwart – nicht so sehr bei uns, aber insgesamt auf der Welt – viele Beispiele von Fremdenverfolgung, von Fremdenhaß, sogar von Zerstörung Andersgläubiger oder Andersdenkender, jedenfalls solcher, die einem nicht passen.
Die Vorstellung und der großartige Gedanke, der in der Geschichte eine Rolle gespielt hat, Menschen seien eben Menschen und grundsätzlich gleich, und zwar nicht nur vor Gott, sondern auch in ihrer personalen Würde, hat noch keine volle Entsprechung in unserer Wirklichkeit gefunden.
Was unsere Politik betrifft, so kann sie natürlich die eine oder andere Seite fördern. Sie kann sich entschließen, der einen oder der anderen Seite mehr Unterstützung zu geben. Politik ist also in der Tat gefragt; das bestreitet niemand.
„Der Anwerbestopp von Anfang der 70er Jahre hatte schon eine Wirkung, und zwar die erwünschte. Er muß auch – darauf ist schon hingewiesen worden – beibehalten werden. Er darf auch nicht durch partielle Durchlöcherungen in Frage gestellt werden. Das ist die eine Seite, über die wir uns einig sein sollten.“
Professor Korte hat vor einiger Zeit in einem Vortrag über die Ausländerpolitik gesagt, die große Mehrheit der deutschen Bevölkerung sei nicht grundsätzlich fremdenfeindlich. Man sei allerdings beunruhigt und besorgt – Deutsche und Ausländer gleichermaßen – über eine Reihe von Problemen und Schwierigkeiten. Diese Probleme und Schwierigkeiten haben in den vergangenen Jahren sicherlich nicht abgenommen. Die psychologische Situation hat sich seither weiter zugespitzt, obwohl sich die Zahl der Ausländer innerhalb des vergangenen Jahrzehnts nicht so entscheidend verändert hat, daß allein daraus eine Erklärung herzuleiten wäre. Immerhin hatten wir 1973 schon 4,2 Millionen Ausländer bei uns.
Korte fährt übrigens fort: Bleiben aber in einer solchen Situation politische Lösungen aus, wird es zu gegenseitiger Aversion und Aggression in breiten Schichten der Bevölkerung kommen. Der Grund ist dann aber nicht in einem schlichten Nationalcharakter, sondern im Versagen der Politiker zu suchen.
(Spranger [CDU/CSU]: Sehr richtig!)
Herr Spranger, Sie sind auch einer.
(Schäfer [Offenburg] [SPD]: Na! – Spranger [CDU/CSU]: Aber die Regierung stellen wir nicht!)
Ich habe das etwas allgemeiner gemeint. Obwohl schon, Herr Fellner, ein bißchen abgehärtet und daran gewöhnt, daß alles Ungemach der Welt gewöhnlich den Politikern übergeschüttet wird – einmal den einen, einmal den anderen; Sie sind davon auch nicht ausgenommen -, möchte ich mich dennoch dazu bekennen, daß natürlich die Politik gefragt ist, d. h. Bund, Länder und Kommunen einschließlich der Gruppen: Kirchen, Gewerkschaften, alle diejenigen, die übrigens auch fleißig mitgeholfen, oft sogar veranlaßt haben, Ausländer in das Land zu holen, nämlich die industriellen Arbeitgeber; sie tun so, als ginge sie das, was hier geschieht, alles nichts an.
(Beifall bei der SPD und der FDP) Aktuell Politik
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Auch dieser Redebeitrag beweist einmal mehr, dass Kohls angebliche Geheimpläne vom Oktober 1982 ganz offen Monate zuvor im Bundestag debattiert wurden.
Allerdings kam diese Debatte um Jahre zu spät.
Nach dem Anwerbestopp 1973 (schon hier erhoffte man sich eine Reduzierung der Ausländerzahl durch Rückwanderung um die Hälfte innerhalb von 10 Jahren) blieb die Regierung gegenüber den weiteren Entwicklungen weitgehend untätig.
Die Zahl der Asylbewerber, die von zwei Ausnahmen abgesehen, seit 1953 jährlich bis Mitte der 70er immer weniger als 5.500 Personen betrug, schnellte 1980 auf 108.000.
Daher die Annahme, dass das Schlupfloch Asyl nach dem Anwerbestopp zur Einwanderung genutzt wurde.
Die Zahl der türkischen Staatsangehörigen erhöhte sich gegen den Trend bei den anderen Gastarbeitergruppen von 910.500 im Jahr 1973 auf 1,545 Mio. im Jahr 1981.
Hier hätte die Regierung intervenieren und ähnlich wie klassische Einwanderungsländer, z. Bsp. Kanada, Konditionen stellen müssen.
Tatenlosigkeit zeichnete aber auch die nachfolgende Regierung Kohl aus.
Denn nach dem Rückkehrförderungsgesetz ’83/’84 geschah auf dem Feld der Ausländerpolitik, wie es damals noch hieß, für Jahre nichts mehr.