20 Jahre Mölln

Gut, dass Gauck keine Rede hält

In diesen Tagen finden die offiziellen Gedenkveranstaltungen des rassistischen Brandanschlags in Mölln statt. Angehörige und Politiker werden Reden halten. Bundespräsident Gauck wird allerdings nicht hinter das Rednerpult treten. Und das ist gut so, erklärt Jakob Roßa.

Von Jakob Roßa Freitag, 23.11.2012, 8:30 Uhr|zuletzt aktualisiert: Donnerstag, 29.11.2012, 8:21 Uhr Lesedauer: 11 Minuten  |  

In diesem Jahr finden zum Gedenken an die rassistischen Gewalttaten der frühen 1990er Jahre, wie Mölln und Rostock-Lichtenhagen, zahlreiche Veranstaltungen statt. Seit dem letzten Wochenende wird an den rassistischen Brandanschlag vom 23. November 1992 in Mölln erinnert, bei dem drei Menschen starben.

Am Freitag findet hierzu die offizielle Gedenkveranstaltung statt. Faruk und Ibrahim Arslan werden als Angehörige der betroffenen Familie zu Wort kommen, genauso wie prominente Landespolitiker und der türkische Botschafter. Im Gegensatz zu der Gedenkveranstaltung in Rostock-Lichtenhagen wird Bundespräsident Joachim Gauck keine Rede halten. Und das ist gut so. Gut angesichts der Worte, die Bundespräsident Gauck Ende August auf der offiziellen Gedenkveranstaltung zu dem Pogrom von Rostock-Lichtenhagen wählte und die anlässlich der Erinnerung an den Brandanschlag von Mölln noch einmal erwähnenswert sind. Weil Mölln auf diese Art eine Reihe unsensibler Wörter erspart bleiben, die den dominanten (Nicht-)Diskurs über Rassismus in der Deutschen Mehrheitsgesellschaft im Allgemeinen, und bei unserem Bundespräsident im Besonderen, verdeutlichen.

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Gauck will „genau hinschauen“
Am 26. August 2012, steht Bundespräsident Joachim Gauck auf einer imposanten, direkt am Ort des Pogroms im Rostocker Stadtteil Lichtenhagen aufgebauten Bühne. Hinter ihm steht in großen Buchstaben das Motto dieser offiziellen Gedenkveranstaltung „Lichtenhagen bewegt sich – Gemeinsam füreinander“. Vor 20 Jahren, vom 22. August bis zum 26. August 1992 wurde genau an diesem Ort unter dem Applaus und der teilweisen Mithilfe von tausenden Anwohner_innen und Schaulustigen die „Zentrale Aufnahmestelle für Asylbewerber“ und ein von ehemaligen sogenannten Vertragsarbeiter_innen aus Vietnam bewohntes Haus mit Steinen und Brandsätzen angegriffen. Polizei und andere staatliche Institutionen schreiten nicht ausreichend ein um die Gewalt zu beenden. Über hundert Vietnames_innen, die zum Teil im brennenden Haus eingeschlossenen waren, entkamen nur knapp dem Tod.

Die Aufgabe, ja die Pflicht in der sich Gauck mit seiner Rede sieht, ist an diese „Geschehnisse“ in Rostock-Lichtenhagen zu erinnern, sie zu betrachten und zu analysieren, um aus den „Fehlern und Versäumnissen von damals zu lernen“. Gauck will „noch einmal genau hin[zu]schauen“ und betont, dass das „was vor 20 Jahren in Lichtenhagen geschah“ ihn bis heute „erzürnt“ und „schmerzt“.

Schuld war die DDR

„Ich weiß, dass in Lichtenhagen, in Rostock, wie überall in der DDR viele Menschen nach der Wiedervereinigung arbeitslos wurden, sich als Verlierer sahen, enttäuscht waren über die Zustände im neuen Deutschland […]. Ich weiß, dass sich viele tief verunsichert fühlten, orientierungslos in der neuen Freiheit, überfordert […]. Ich weiß, dass bei manchen Menschen die Furcht vor der Freiheit umschlug in Wut und Aggression.“

An allererster Stelle sucht Gauck mit vielen geflügelten Wörtern und Sätzen eine Erklärung in dem Zusammenbruch der DDR, sowie in der Verunsicherung der ehemaligen DDR-Bürger_innen. Gauck kann „die Entstehung solcher Gefühle“ verstehen und verliert dabei viele emphatische Worte über die Ängste und Gefühle der Menschen im Zuge der Wiedervereinigung. Ohne dass ich Gefühle von Unsicherheit und Enttäuschung im Zuge der sogenannten Wiedervereinigung negieren möchte, stellt sich die Frage nach der Erklärungskraft dieser Sätze für die tagelangen Angriffe, die Zurückhaltung staatlicher Institutionen und für die unzähligen applaudierenden Anwohner_innen. Solche Gewalt und Hass mit Gefühlen von Unsicherheit und Ähnlichem zu erklären, bagatellisiert das tagelange Pogrom als „Reaktion“ und vernebelt den gesellschaftlichen Rassismus als seine wahre Quelle. Es werden aus Tätern, aus Beteiligten „Opfer der Umstände“. Die Gefühle der Opfer werden dabei kaum berücksichtigt. Dass mit „Rostock-Lichtenhagen“, sowie mit dem Brandanschlag von Mölln und den folgenden rassistischen Angriffen die Signalwirkung einher geht, dass Rassismus in Deutschland jederzeit auch in tagelange, von tausenden Menschen beklatschte Gewalt münden kann, spricht Gauck nicht an.

Indem Gauck eine besondere Anfälligkeit bei „uns Ostdeutschen“ für ein „Denken in Schwarz-Weiß-Schemata“ und in der verwehrten Möglichkeit einer zivilgesellschaftlichen Teilhabe weitere „Gründe“ diagnostiziert, festigt er das Bild der „Schuldigen DDR“ und stellt damit die Schuldfähigkeit „der Ostdeutschen“ in Frage. Gauck umgeht somit eine notwendige gesamtgesellschaftliche Auseinandersetzung mit Rostock-Lichtenhagen und Rassismus.

Rassismus ist Menschlich

„Doch die Abgründe unserer Seele sind manchmal erschreckend nah. Machen wir uns ruhig deutlich: Die Angst vor dem Fremden ist tief in uns verwurzelt. Wir würden wohl irren, wenn wir davon ausgingen, dass sie sich gänzlich überwinden ließe. Aber in langen Zivilisationsprozessen haben religiöse und moralische Normen und staatliche Gesetze dazu beigetragen, dass ihre zerstörerischen Potentiale weitgehend gebannt werden konnten.“

Die „Angst vor dem Fremden“ als natürlicher und nicht gänzlich überwindbarer menschlicher Wesenszug? Was will uns Gauck damit sagen? Etwa, dass ein Zusammenleben ohne Rassismus, denn nichts anderes sind irrationale Ängste vor zu „Fremden“ gemachten Menschen, nicht möglich ist? Für Gauck – und für uns, er spricht in seiner Rede oft vereinnahmend im Plural – scheint das festzustehen. Die Erkenntnis, dass „Angst vor dem Fremden“ nicht angeboren, sondern gesellschaftlich konstruiert ist, scheint nicht Teil seines Diskurses zu sein. Denn, wie Studien belegen, ist „Angst vor dem Fremden“ nicht natürlich: welche Menschen kollektiv in einem Land zu Fremden gemachten werden und welche Menschen sich komplementär dazu als nicht fremd, als Einheimische konstruieren, bestimmen bedingt durch gesellschaftliche Machtstrukturen meist Angehörige der Dominanzgesellschaft und einmal gezogene nationale Grenzen. Einen Menschen primär als fremd und nicht einfach als (Mit-)Menschen wahrzunehmen ist dementsprechend nicht natürlich.

Betrachten wir diese Aussagen Gaucks näher, offenbaren sie Gaucks Verständnis, einer deutschen Identität; wer dazu gehört und wer fremd ist. Die Gaucksche „Angst vor dem Fremden“, betrifft nämlich nicht nur Menschen, die keine deutsche Staatsangehörigkeit haben, sondern ebenfalls in Deutschland geborene und aufgewachsene Menschen. Was jemand zu einem Fremden macht, ist nicht die Nationalität, sondern die nicht weiße Hautfarbe. Diese Menschen sind in Gaucks Diskurs offenbar Fremde, weil sie anscheinend nicht seinem imaginierten Bild vom weißen Deutschland entsprechen. Demzufolge teilt Gauck seine Mitmenschen in „Einheimische“ und „Fremde“ ein und konstruiert damit ein weißes Deutschland konträr zum Anderen, zum Fremden. Leitartikel Meinung

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  1. ila sagt:

    Danke für diesen Text! Ich fand die Rede von ihm unmöglich und ein Schlag ins Gesicht vorallem für die Menschen, die das damals überlebt haben.

  2. Pingback: Publikative.org » Blog Archive » Gauck will sich nicht mit Angehörigen von NSU-Opfern treffen

  3. Einspruch sagt:

    Die „Angst vor dem Fremden“ als natürlicher und nicht gänzlich überwindbarer menschlicher Wesenszug? Was will uns Gauck damit sagen? Etwa, dass ein Zusammenleben ohne Rassismus, denn nichts anderes sind irrationale Ängste vor zu „Fremden“ gemachten Menschen, nicht möglich ist? Für Gauck – und für uns, er spricht in seiner Rede oft vereinnahmend im Plural – scheint das festzustehen. Die Erkenntnis, dass „Angst vor dem Fremden“ nicht angeboren, sondern gesellschaftlich konstruiert ist, scheint nicht Teil seines Diskurses zu sein.

    Rassismus ist bei allen Gesellschaften natürlich die sehr oft mit Fremden Menschen zu tun hatten bzw. wo schon oft Fremde durchgezogen sind oder sich gegen fremde Kriegsmächte wehren mussten. Deswegen findet man solches Verhalten bei Inselvölkern fast nicht. Für sie weckt das Fremde mehr Neugier vielleicht auch teilweise Angst jedoch nicht in Verbindung mit Ängsten einer möglichen ethnischen Verdrängung durch fremde Menschen da sie diese Erfahrungen zumindest in den Anfängen der Entdecker und Weltumsegler bis auf stammesbezogene Fehden nicht oder kaum gemacht haben.
    Es gibt bei Wissenschaftlern die die menschliche Frühzeit erforschen bezüglich Homo Sapiens und Neandertaler auch Spekulationen das die Neandertaler quasi vom Homo Sapiens ausgerottet wurden. War das dann auch Rassismus? Wenn also der Mensch generell zu Gruppen- und Stammesverhalten tendiert wie kann der Rassismus da ausgenommen werden? Da ist ja Rassismus schon fast die harmlosere Sache wenn man bedenkt das sich Hutu und Tutsie in Ruanda massakriert haben ganz ohne Rassismus oder bestimmte Stämme in Lybien dem Stamm von Gaddafi bis aufs Blut bekämpft haben. Noch vor dem Rassismus greifen schon ganz andere Mechanismen um ablehnendes Verhalten hervor zu rufen. Also wie kann man sich da wundern das es Rassismus gibt?

  4. Michael sagt:

    Ganz schön harter Tobak, klingt jedoch alles schlüssig. Danke für den Artikel, der meine Sichtweise etwas korrigiert hat.

  5. Bernd Gelmi sagt:

    Wird die rede von Gauck begreifen.
    Natürlich ist es einfach ( ich als unstudierter)eine Rede so zu manupulieren, dass am Ende Atni-Rassissmus rauskommt) Nur wie blind muss ich sein
    um eine Aussage zu verstehen,oder ( da ich ja blind bin) sie zu zu Gunsten,, zu manipulieren, dass genau das Gegenteil für Leser beabsichtigt isr.
    Diesen Kommentar kann eigentlich kein Demokrat
    GESCHRIEBEN HABEN:

    Gruß, Bernd Fabi Gelmi( Suchtberater)

  6. Kritika sagt:

    Überrascht dem seine Haltung jetzt wirklich irgend jemanden? Ich wette alles, was ich habe, daß dieser Mann in seiner Laufbahn noch nie einen Ausländer persönlich näher kennen gelernt hat.

    “ Wir lebten in einem Land der strukturellen Rücksichtslosigkeit; alles, was anders war, nicht linientreu war, wurde verdächtigt, denunziert, bekämpft oder ausgegrenzt. Die Kultur der offenen Bürgerdebatte war uns fremd, das Zusammenleben mit Fremden kannten wir fast nicht – auf den Straßen dieser Stadt habe ich gedankenlos und wie selbstverständlich für die wenigen Ausländer, die bei uns arbeiteten, die Bezeichnungen „Fidschis“ und „Kanaker“ gehört – das war ganz „normal“. Es liegt nicht am schlechteren Charakter der Ostdeutschen, dass es Unterschiede zu den Westdeutschen gibt, sondern an unseren unterschiedlichen Prägungen und Erfahrungen.“

    Allein in diesem Abschnitt steckt soviel drin. Fangen wir mal vorne an :
    “ Wir lebten in einem Land der strukturellen Rücksichtslosigkeit; alles, was anders war, nicht linientreu war, wurde verdächtigt, denunziert, bekämpft oder ausgegrenzt.“.
    Mit WIR meint er nicht die ostdeutsche Gesamtgesellschaft, sondern ausschließlich die autochthonen Ostdeutschen. Er selbst sieht sich als Teil davon, während alle anderen automatisch ausgegrenzt werden. Die dort lebenden Vietnamesen waren für seinesgleichen nur „Fidschis“ und „Kanaken“.

    „auf den Straßen dieser Stadt habe ich gedankenlos und wie selbstverständlich für die wenigen Ausländer, die bei uns arbeiteten, die Bezeichnungen „Fidschis“ und „Kanaker“ gehört „. Er sagt also, das habe er auf den Strassen gehört. Ich glaube, dieser Satz wäre wirklich richtig, wenn man das Wort „gehört“ mit „gedacht“ auswechseln würde. Ist doch glaubwürdiger, wenn es dort eh „normal“ war, daß man diese nicht als Teil der Gesellschaft betrachtet und derart darüber redet.

    „Die Kultur der offenen Bürgerdebatte war uns fremd, das Zusammenleben mit Fremden kannten wir fast nicht – „. Tja. die Kultur der offenen Bürgerdebatte führt nicht automatisch dazu, daß man keine Ressentiments hat, siehe Debatte Sarrazin. Wo wir bei dem Punkt sind: Wo ist die offene Debatte über den steigenden Rassismus in der Mitte der Gesellschaft und der möglichenGegenmaßnahmen? Nein. das Innenministerium muss ja ständig Panik machen, daß von den knapp 4 Mio Muslimen in D zehn Männikes nach Syrien in den Heiligen Krieg oder so was ziehen, was natürlich Weltuntergangsszenarien hier heraufbeschwört. Daß tagtäglich Menschen in Deutschland durch Hetze und Ausgrenzung zu übelsten Machenschaften angestiftet werden, ist weder in den Medien noch in der Politik ein ernsthaftes Thema.

    „Es liegt nicht am schlechteren Charakter der Ostdeutschen, dass es Unterschiede zu den Westdeutschen gibt, sondern an unseren unterschiedlichen Prägungen und Erfahrungen.“
    Und immer hat der Gute stets eine Erklärung für alles parat. Klingt für mich überspitzt genauso, wie wenn ein Gewalttäter vor Gericht sagt, er habe keine Schuld, weil er es von Haus aus nie anders kennen gelernt habe. Dadurch ist der Täter nicht minder schuldig.

  7. Selami Sahin sagt:

    Gauck hat Wichtigeres zu tun, wie z.B. die Türkei wegen Demokratiedefiziten attackieren.