Debatte um Bleiberecht

85.000 Geduldete warten auf echte Chance

Mehrere Bundesländer unterstützen eine Initiative für eine Bleiberechtsregelung. Der Beirat der Bundesintegrationsbeauftragten hat ebenfalls ein neues Bleiberecht gefordert. Darauf hoffen rund 85.000 geduldete Menschen in Deutschland.

Von Christoph Wöhrle Mittwoch, 24.10.2012, 8:30 Uhr|zuletzt aktualisiert: Mittwoch, 12.06.2013, 0:18 Uhr Lesedauer: 4 Minuten  |  

Im Koalitionsvertrag hatten Unionsparteien und FDP einen „Handlungsbedarf“ beim Bleiberecht festgehalten. Bisher hat die Bundesregierung Ende 2010 lediglich eine Regelung für gut integrierte junge Migranten eingeführt. Antragsberechtigt sind Personen zwischen 15 und 20 Jahren. Sie müssen mindestens seit sechs Jahren in Deutschland leben, erfolgreich eine Schule besuchen oder besucht haben bzw. in Ausbildung sein oder eine Arbeitsstelle haben. Außerdem muss „grundsätzlich der Lebensunterhalt gesichert“ sowie „Straffreiheit“ gegeben sein. Profitiert haben von der Regelung bislang nach verschiedenen Medienberichten nur rund 1.500 Menschen. Die Zahl der geduldeten Ausländer hat in den vergangenen Jahren leicht abgenommen. Heute leben rund 85.000 Menschen mit einer Duldung in Deutschland, etwa die Hälfte davon bereits länger als sechs Jahre.

Die Zahlen zeigen, dass es schwierig bleibt, in Deutschland ein Bleiberecht zu erlangen. Viele Antragsteller können die Kriterien für ein Bleiberecht nicht erfüllen. Die Gründe hierfür sind vielfältig: Schwierigkeiten bei der Passbeschaffung und der Lebensunterhaltungssicherung, die geforderte Straffreiheit sowie die deutschen Sprachkenntnisse sind in der Summe oft zu große Hindernisse für den einzelnen Geduldeten, sagen Flüchtlingsorganisationen wie Pro Asyl. Des Weiteren verhindern die Vorrangprüfung zur Verfügbarkeit deutscher oder anderer EU-Arbeitnehmer und die Einschränkungen der Bewegungsfreiheit oft das Erlangen einer Arbeitsstelle. Dies macht die Erfüllung der Bedingungen für ein Bleiberecht oft unmöglich.

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Anfang Dezember 2011 hatte sich die Innenministerkonferenz darauf geeinigt, dass eine Verlängerung von Aufenthaltserlaubnissen nach der Bleiberechtsregelung nicht immer nötig ist, da das Bleiberecht individuell von den einzelnen Bundesländern verlängert werden kann. Dies gilt vor allem im Hinblick auf die sogenannten Langzeitgeduldeten. Für sie war Anfang 2007 ein Bleiberecht „auf Probe“ beschlossen worden. Die Probezeit war auf zwei Jahre befristet. In dieser Zeit sollten die Geduldeten nachweisen, dass sie sich und ihre Familie selbst ernähren können und keine Straftaten begehen. Da die Mehrzahl der 31.000 auf Probe Geduldeten Ende 2011 nicht nachweisen konnte, sich selbst ernähren zu können, wurde ihre Duldung auf Probe um weitere zwei Jahre verlängert.

Vor allem in den SPD-geführten Ländern herrscht Konsens darüber, dass Bedarf für eine neue Regelung besteht. Am 21. September brachte Hamburg eine Gesetzgebungsinitiative für eine neue Bleiberechtsregelung in den Bundesrat ein. Die Initiative wird von sechs Bundesländern unterstützt. Diese sind: Baden-Württemberg, Rheinland-Pfalz, Brandenburg, Bremen, Nordrhein-Westfalen und Schleswig-Holstein. Auch die niedersächsische Landesregierung aus CDU und FDP plädiert für ein neues Bleiberecht, wenn auch mit weiterhin hohen Hürden für die Geduldeten. Die Chancen für eine Neuregelung stehen daher gut, weil auch die CDU Bereitschaft zur Reform zeigt. Durch die Mehrheitsverhältnisse im Bundesrat ist die Bundesregierung allerdings auf die Unterstützung von SPD und Bündnis 90/Die Grünen angewiesen.

Die Hamburger Bundesratsinitiative will im Gegensatz zu den Ländern, in denen die CDU mitregiert, eine allgemeine Bleiberechtsregelung für Geduldete schaffen. Auch die Stichtagsregelung soll es so nicht mehr geben. Bislang galt die Bleiberechtsregelung nur für Menschen, die zum 1. Juni 2007 sechs Jahre als Familie bzw. acht Jahre als Alleinstehende in Deutschland lebten. Für alle, die danach eingereist sind, bedeutet das derzeit einen Ausschluss vom Bleiberecht.

Der Beirat der Integrationsbeauftragten der Bundesregierung Maria Böhmer (CDU) plädierte ebenfalls dafür, eine gesetzliche, stichtagsunabhängige Regelung für alle langjährig Geduldeten zu finden. Sowohl die individuelle Integration als auch humanitäre Aspekte sollen „großzügig berücksichtigt“ werden, so der Beschluss. Der Beirat fordert einen Abbau der Hürden. Um ein Bleiberecht für alle langjährig Geduldeten zu verwirklichen, sollten die Anforderungen so ausgestaltet werden, dass sie nicht nur im Ausnahmefall, sondern in der Regel erreicht werden könnten, heißt es weiter in dem Papier.

„Eine überwiegende Sicherung des Lebensunterhalts wäre der schwierigen Lage der Betroffenen angemessener“, so der Beirat. Ein nachweisliches Bemühen hierum solle künftig ausreichen. Ferner sollten keine starren Altersgrenzen vorliegen, die Integration in den Arbeitsmarkt erleichtert und die Entscheidung über ein Bleiberecht schneller getroffen werden. Was die Straffreiheit angeht, fordern die Mitglieder des Beirats eine weniger strenge Auslegung, die etwa berücksichtigt, dass viele Asylsuchende bei ihrer Einreise falsche Angaben machen. Böhmer selbst begrüßte die Forderung nach einer neuen Regelung beim Bleiberecht: „Die Verknüpfung des Bleiberechts mit Integrationsleistungen ist ein wichtiges Signal.“ Auch die Wende hin zu einer stichtagsunabhängigen Lösung sei richtig.

Pro Asyl gehen die von den Ländern vorgeschlagenen Regelungen nicht weit genug. Die erforderliche Sicherung des eigenen Lebensunterhalts müsse gestrichen werden, da es der „schwierigen Lebensrealität der Betroffenen“ entgegenlaufe. Sie würden als Asylsuchende oder geduldete Flüchtlinge jahrelang per Verbot vom Arbeitsmarkt und von Qualifizierungsmaßnahmen ferngehalten. Zudem müsse es eine großzügige Regelung zum Familiennachzug und eine Streichung der geforderten Straffreiheit geben. In dem Zusammenhang sei es absurd, dass derzeit Verurteilungen wegen Bagatelldelikten ausreichten, kein Bleiberecht zu erlangen. Leitartikel Politik

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  1. Soli sagt:

    Warum ist es schwierig straffrei zu bleiben? Lebensunterhalt ebenso. Da es Menschen schaffen zeigt es doch es ist möglich.
    Das es nur 1500 von 85000 sind ist kein Argument dieRegeln aufzuweichen. Im Gegentel wäre es eine Ohrfeoge für die, die es geschafft haben!

  2. Pingback: Bundesrat legt Gesetzesentwurf gegen Kettenduldungen vor - Bundesrat, Duldung, Gesetzesentwurf, Jugendliche - MiGAZIN