Plakataktion "Vermisst"

Potentielle Opfer als potentielle Täter

Mehr Einfluss für den Verfassungsschutz, weniger für Muslime. So lautet die Bilanz des gestrigen Tages - ein Kommentar von Patrick Gensing über die Plakataktion des Bundesinnenministeriums und vermisste Mentalitätswechsel.

Von Patrick Gensing Mittwoch, 29.08.2012, 8:25 Uhr|zuletzt aktualisiert: Freitag, 31.08.2012, 8:02 Uhr Lesedauer: 3 Minuten  |  

Das Bundesamt für Verfassungsschutz soll zur mächtigen Schaltzentrale des Geheimdienses ausgebaut werden – der Lohn für das jahrzehntelange Versagen bei der Einschätzung der rechtsextremen Gefahr. Parallel fährt das Innenministeriums eine Plakataktion gegen islamistische Radikalisierung, die geeignet ist, öffentliche Paranoia zu erzeugen. Islamische Verbände haben aus Konsequenz nun die “Initiative Sicherheitspartnerschaften” vorerst verlassen.

Es bleibt dabei: Die potentiellen Opfer der Rechtsterroristen sind die potentiellen Täter. Vier muslimische Verbände haben nun die Konsequenzen aus der desaströsen Zusammenarbeit mit dem Innenministerium gezogen und die Kooperation in der “Initiative Sicherheitspartnerschaft” auf Eis gelegt. Offenkundig mit guten Gründen.

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Die islamischen Verbände innerhalb der “Initiative Sicherheitspartnerschaft” wurden offenbar schlicht übergangen. Solange “die Bedürfnisse und Nöte der Muslime in den ministeriellen Arbeiten keine Beachtung, ihre konstruktiven Beiträge, Vorschläge und Kritiken keinen Niederschlag finden, ist diese ‘Kooperationspartnerschaft’ sinnlos”, heißt in einer Erklärung der Türkisch-Islamischen Union DITIB, der Verband der Islamischen Kulturzentren (VIKZ), der Zentralrat der Muslime in Deutschland (ZMD) sowie der Islamischen Gemeinschaft der Bosniaken in Deutschland (IGBD). Schreiben und Anfragen der Verbände seien einfach unbeantwortet geblieben, kritisieren die Unterzeichner. ”Eine Kooperation mit den Partnern auf selber Augenhöhe und in Anerkennung der muslimischen Gesprächspartner spiegelt sich folglich leider weder im Arbeitsprocedere, noch in der Kommunikation wieder”, heißt es.

Sicherheit der Migranten spielt keine Rolle

Weiterhin hatten die islamischen Vertreter nach dem Bekanntwerden der rassistischen NSU-Terrorserie angemahnt, die Zusammenarbeit neu auszurichten, um auch den Sicherheitsbedürfnissen der Muslime und Migranten gerecht zu werden. Dies sei bis heute nicht geschehen.

Die Verbände hatten zudem gefordert, nicht nur über Sicherheitsaspekte zu diskutieren. Ebenfalls erfolglos. Die islamischen Organisationen warnen daher, dass eine “ständige einseitige Kontextualisierung von Gewalt, „angenommener“ Gewaltbereitschaft, Sicherheitspolitik und Islam leider nur zur falschen Wahrnehmung in der Gesellschaft führen könne. Auch wenn dies in gutem Glauben und zum Zweck der Lösung von Problemen geschieht, verbreiten sich dadurch eher bedenkliche Annahmen und Vorurteile gegenüber denen, denen damit eigentlich geholfen werden sollte. Diese kontraproduktiven Handlungs- und Denkmuster stellen die muslimische Bevölkerung, die friedfertiger Teil dieser Gesellschaft ist, unter Generalverdacht, sozialen und psychischen Druck.”
Der nette Junge von nebenan als Terrorist – mit biodeutschen Protagonisten kaum denkbar.

Der nette Junge von nebenan als Terrorist – mit biodeutschen Protagonisten kaum denkbar.

Das Fass zum Überlaufen brachte nun die Plakataktion der “Vermisst”-Kampagne, durch die sich “nicht nur die scheinbare Zielgruppe „zur Fahndung“ ausgeschrieben und damit kriminalisiert” fühle. Vielmehr werde “eine gesellschaftliche Paranoia heraufbeschworen, die geeignet ist, das gesellschaftliche Miteinander nachhaltig zu beeinträchtigen und Misstrauen bis in die Tiefen der Gesellschaft zu säen”. Die Mitglieder der “Sicherheitspartnerschaft” hatten die Bedenken gegen die Plakataktion bereits vor Monaten übermittelt – ohne Reaktion.

“Solange es kein verbindliches, fixiertes Kooperations-, Ab- und Zustimmungsprocedere gibt, wird die „Kooperation“ immer wieder durch die Beliebigkeit der „Initiative Sicherheitspartnerschaft“ in Misskredit gebracht”, schließen die Verbände ihre Erklärung. “Solange legen wir, die unterzeichnenden Verbände, diese „Kooperationspartnerschaft“ auf Eis.”

“Mentalitätswechsel”

Innenminister Friedrich hat derzeit aber ganz andere Sorgen, er will seinen Verfassungsschutz reformieren – sprich: retten. Dabei geht es nun darum, einige Korrekturen an der “Sicherheitsarchitektur” vorzunehmen, Kosemtik für die Öffentlichkeit. Inhaltlich wird nicht debattiert.

Der Politikwissenschaftler Hajo Funke stellte auf tagesschau.de aber zutreffend fest: “Was wir hier sehen ist nicht zufällig Bildung von Schattenreichen. Das, was die jeweiligen Abteilungen tun, hat sich verselbstständigt und ist nicht mehr kontrollierbar. Die Kernstruktur stimmt hier nicht, die Mentalität, wenn man etwas beschwichtigt und verleugnet. Mitarbeiter, die anregten, bei der Aufklärung der ermordeten türkischen Kleinunternehmer auch nach rechts zu schauen, wurden von ihren Kollegen ausgelacht. Solange man hier keinen Mentalitätswechsel herbeiführt und diesen auch personell repräsentiert ist die Gefahr zu groß, dass sich so etwas wiederholt.”

Ein Mentalitätswechsel würde aber bedeuten, dass man eben nicht “Hassan” auf Plakaten sucht, sondern auch mal nach Homegrown-Terrorists wie Uwe, Kevin oder Benjamin. Auch nach dem NSU-Terror in Deutschland undenkbar. Aktuell Meinung

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  1. Brandt sagt:

    Die temporäre Einstellung der Zusammenarbeit ist richtig nach der Plakataktion, die nur Feindbilder erzeugt. Ich habe auch kein Mitleid mit den islamischen Verbandsvertreter, weil sie in Anlegerbetrug an Auslandstürken im Zusammenhang mit islamischen Beteiligungsgesellschaften verwickelt sind. Die Sache ist immer noch nicht aufgeklärt, und die Bundesregierung macht sich lächerlich, diese Verbände als die Repräsentanten der Moslems heraus zu geben. Wir brauchen eine ehrliche demokratische Partizipation bei Kommunalwahlen, Sozialwahlen und EU-Wahlen.

    Die Angelegenheit mit der Terrorabwehr lösen wir besser, indem wir us-amerikanische Peace Korps mit einheimischen moslemischen Jugendlichen bilden, und in ihre ehemaligen Auswanderungsregionen entsenden. Dort können sie bei der Aufbauarbeit unterstützen – selbstverständlich können sie nur dann mit der lokalen Bevölkerung kommunizieren, wenn wir den muttersprachlichen Unterricht aufwerten.

    Zusätzlich sollte uns klar sein, dass Terrorismus wirtschaftliche Gründe hat. Zwar kommen die Terroristen aus akademisch gebildeten Mittelschichten, jedoch agieren sie im Bewußtsein für die Mehrheit eine Propaganda der Tat auszuüben. Wir sollten daher unser Augenmerk auf die Konvertierung der informellen Ökonomie in den ehemaligen Auswanderungsregionen der moslemischen Immigranten legen.

    Ein Mittel dazu ist es, Investitionskapital von moslemischen Migranten für die Aufbauregionen zu kanalisieren. Die BRD, die Mittelmeerunion und die Zielstaaten können Steuernachlässe und Kreditbürgschaften stellen, um Investitionen und Unternehmertum anzuregen.

    Wir gewinnen sehr viel, wenn wir die doppelte Staatsbürgerschaft für Entwicklungshelfer, Unternehmer und Finanzfachleutemit moslemischen Hintergrund einzuführen. Wir brauchen kein großes Kontingent. Nur gerade soviel umm ein Innovationsnetzwerk und ein Technologie Cluster in Sonderwirtschaftszonen betreiben zu können.

  2. Andreas sagt:

    Es ist doch ein sogenannter „Biodeutscher“ bei den Plakaten dabei.
    Oder woher soll der Name Tim sonst herkommen auf dem Plakat?
    Bevor man was schreibt sollte man sich schon richtig erkundigt haben.

  3. Torgey sagt:

    Biodeutscher hin oder her, die Aktion ist sowohl vom Timing als auch inhaltlich unangebracht (wobei man ja vermuten kann, das ersteres Absicht war). Die Absicht, Menschen die in den Dunstkreis von Radikalen geraten (ob nun rechts, links, Christ oder Muslim), einen Ausweg anzubieten, ist ja nicht verkehrt. Plakate sind natürlich vergleichsweise schön billig, aber völlig nutzlos. Sie dienen – möglicherweise auch absichtlich – eher dazu, eine schnelle populistische Geste ala „wir tun was gegen die bösen Islamisten“ zu vollführen, nicht aber langfristig etwas dagegen zu unternehmen.

    Dafür wäre z.B. eine konstruktive Zusammenarbeit mit dem Moscheengemeinden notwendig, deren Verbände man aber durch diese lächerlichen Störfeuer (ist ja nicht die erste diesbezügliche Aktion von Friedrich) völlig verprellt werden. Ich persönlich kann nicht einschätzen, wie hoch das Gefahrenpotenzial von islamistischen Terroristen in Deutschland ist. Wenn es so hoch ist, wie uns das Innenministerium gerne glauben machen will, wäre es an der Zeit auch ernsthafte, sinnvolle Politik zu betreiben. Solche populistischen Blendwerke erwecken jedenfalls den Eindruck der reinen Stimmungsmache.