Glosse

Gibt es eigentlich „den Islam“?

Diese Frage wird gegenwärtig heiß diskutiert. Die einen sagen „ja“, die anderen „nein“. Wo liegt die Wahrheit? Anja Hilscher ist dieser Frage nachgegangen und kommt zu einem klaren Ergebnis.

Von Freitag, 11.05.2012, 8:26 Uhr|zuletzt aktualisiert: Freitag, 18.05.2012, 13:41 Uhr Lesedauer: 4 Minuten  |  

Gibt es eigentlich „den Islam“? Die meisten Nichtmuslime rechnen sich in der Islam-Diskussion einer von zwei Fraktionen zu. Fraktion Nummer eins vertritt die Ansicht: „Den Islam gibt’s!“ Und darunter verstehen sie den Islam der Fanatiker, die nicht nur optisch großen Wert auf Abgrenzung vom Rest der (ungläubigen) Welt legen. Mindestanforderung, um sich zu diesen zählen zu dürfen, ist, gewaltsam den Kalifatsstaat einführen zu wollen. Oder auch mittels perfider Unterwanderung – wie sich’s halt gerade anbietet. Angehörige besagter Fraktion Nummer eins legen großen Wert auf sprachliche Feinheiten. So sind die zwei Ausrufezeichen ein wichtiger Bestandteil ihrer These. Des Weiteren achtet man darauf, stets lediglich vom „Islam“ zu sprechen, nicht etwa vom „wahren Islam“. Das würde nämlich suggerieren, dass es überhaupt noch einen anderen als „den Islam“ geben kann. Wenn auch einen Falschen.

Dem gegenüber steht die Fraktion zwei. Die hat auch eine These. Eine, die ihre Vertreter aber selbstverständlich nicht als These, sondern vielmehr als letzte Wahrheit betrachten, genau wie im Fall der Fraktion eins. Ist ja auch meistens so. Diese lautet (wer hätte es gedacht?): „Den Islam gibt’s nicht!!“ Muslimen ist diese Fraktion irgendwie lieber. Obwohl sie diese Ansicht in Wirklichkeit nicht teilen. Aber die Leute sind halt netter, und irgendwie kann man sich’s ja auch nicht mit allen verscherzen. Zumal, wenn man nicht vorhat, in absehbarer Zeit auszuwandern oder den Märtyrertod zu sterben. Die „Den-Islam-Gibt’s-nicht-Leute“ gehen in der Regel davon aus, dass der Islam durch die Umsetzung durch Muslime überhaupt erst ins Leben gerufen wird. Wenn also alle Muslime auf dem Erdenrund sich bemüßigt fühlen, Terrorattentate durchzuführen, dann ist „der Islam“ eben eine Religion der Terrorattentate. Und wenn alle Muslime mit Gottes Gnade irgendwann hoch spirituelle, tolerante, nette und kreative Menschen werden, dann wird „der Islam“ dereinst eine hoch spirituelle, tolerante und nette Religion sein.

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Imageproblem, das Buch von Anja Hilscher, erscheint am 23. April 2012.

Obwohl Muslime, wie gesagt, diese Ansicht gar nicht teilen, wertschätzen sie die gute Absicht der „Den-Islam-Gibt’s-Nicht-Leuten“. Ziemlich dumm, wenn dann doch irgendwann raus kommt, dass Muslime in Wirklichkeit inhaltlich der Aussage ihrer Erzfeinde, also Kategorie Nummer eins, eher zustimmen können. Natürlich glauben Muslime, dass es den Islam gibt. Also, so im Sinne einer himmlischen Blaupause, die nach Erschaffung der Erde irgendwo zwischen Strato- und Mesosphäre hinterlegt wurde und seitdem in der Umlaufbahn kreist. Also, so dieser Ur-Koran, an den Muslime glauben. Oft genug auch buchstäblich. Aber nicht immer. Jedenfalls glauben gläubige Muslime, dass es Dinge und Verhaltensweisen gibt, die nicht im Einklang mit den Lehren ihrer Religion stehen, also definitiv nicht „Islam“ sind. Da beißt die Maus keinen Faden ab. Ein Arschloch zu sein, ist zum Beispiel nach Ansicht der meisten Muslime nicht islamisch. Ich denke, auf diesen kleinsten gemeinsamen Nenner kann man sich einigen. Zumal, wenn man nicht näher definiert, was das konkret bedeutet. Sogar Terroristen würden sich dem wahrscheinlich anschließen – obwohl ich da nicht ganz sicher bin. Ganz ehrlich nicht. Vielleicht haben die auch so einen Terroristen-Katechismus, wo drin steht:

  1. Sei in Feindesland ein Arschloch
  2. Verhalte dich im Land der Ungläubigen stets ungerecht und grausam
  3. Lüge und heuchle schon aus Prinzip und greif Hartz-IV ab, so viel geht, um die Kuffar in jeder Hinsicht zu schädigen.

Und so weiter. Ehrlich gesagt, ich weiß es nicht, ob so was nicht doch drin steht, in diesen Handbüchern.

Also, noch mal zum Mitschreiben. Muslime glauben, dass es den Islam schon irgendwie gibt. Also eine Lehre, die von einem Gott stammt, der zu Beginn von 113 von 114 Suren darauf hinweist, dass er der „Allbarmherzige“ ist. Eine Lehre, die von einem absolut gerechten Gott stammt, und die im Einklang mit den Gesetzen der Natur, einschließlich menschlicher Bedürfnisse und dem Gewissen steht. Siehe Sure 91. So. Deshalb kann man wohl davon ausgehen, dass alles, was nicht barmherzig, ungerecht, widernatürlich und im Widerspruch zu Gewissen und gesunden Menschenverstand steht, nicht im Sinne des Erfinders, ergo nicht islamisch ist, oder? In diesem allgemeinen Sinne glauben Muslime auf jeden Fall, dass es „den Islam“ gibt.

Von daher wäre es der Völkerverständigung äußerst dienlich, darauf zu verzichten, einfach mal so dreieinhalb Wörter abzusondern: „Den Islam gibt’s!“, um damit eine endlose, auf Missverständnissen beruhende, völlig sinnfreie Diskussion auszulösen. Eine, deren oberste Regel ist, dass alles durcheinander schreien muss und keiner der Beiträge das vorgegebene Maß von dreieinhalb Wörtern überschreitet. Was besagt dieser Satz: „Den Islam gibt’s!“?? Ist besagter Islam eine bis in kleinste Details, einschließlich Kopftuchdichte, geregelte und für alle Zeiten und Situationen gültige Lebensweise? Mit welcher selbstredend auch dem Rest der Welt zwangsbeglückt werden muss? Wenn Muslime denselben Satz sagen, meinen sie damit in der Regel genau das Gegenteil. Nämlich, dass sie an einen Islam glauben, der flexibel und lebendig ist und in dessen heiligem Buch es heißt: „Kein Zwang im Glauben!“ Ist es denkbar, dass eine völlig rigide, auf Lebensumständen, die vor 1400 Jahren in einer anderen Kultur vorherrschten, basierende und das ganze Leben reglementierende Gesetzesreligion von einem Gott stammt, der von sich selbst sagt, er offenbare sich „jeden Augenblick in neuem Glanz“? Sorry, Kinder, aber das geht nicht zusammen. Alles, was recht ist! Klar gibt’s den Islam. Aber nicht euren! Aktuell Meinung

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  1. A.Kausch sagt:

    @ aloo masala

    Sie sind sehr mutig in der Aufzählung dieser Länder, geben Sie einfach mal bei google die jeweiligen Ländernamen zusammen mit den Worten „Entwicklung “ „Islam“ ein, und Sie werden sehen, „wohin die Reise geht“, auch in diesen Ländern (insbesondere Asiens) , und natürlich auch (wenn auch -noch- gut kaschiert) in der Türkei. Das Sie Tunesien anführen, ist aber schon recht dreist, lesen Sie keine Zeitungen ?

    Für Indonesien hier schon mal ein Link zu einem Artikel im THEGUARDIAN:

    Global Islamic group rising in Asia
    http://www.guardian.co.uk/world/feedarticle/9874294

    Die restlichen Länderentwicklungen finden Sie dann selbst.

    Überall auf der Welt geht die Entwicklung in islamisch geprägten Ländern rückwärts. Sobald sich ein Machtvacuum bildet, füllt es der Islam,
    die Freiheit des Individuums wird eingeschränkt, es wird nach Sharia gerufen. Der sog. „Arabische Frühling“ entwickelt sich zu einem Herbst, wenn nicht Winter.

    Gerade versuchen islamischen Gruppen in Indonesien, einen Auftritt von Lady Gaga zu verbieten.

    Zeigen Sie mir EIN islamisches Land, wo diese Entwicklung nicht mehr oder weniger so voranschreitet, in dem der Islam Einfluss verliert.

  2. Albrecht Hauptmann sagt:

    @aloo

    Eine persönliche Frage, sind Sie Muslim?

  3. aloo masala sagt:

    @Kausch

    Die Länder, die ich Ihnen nannte, widerlegen Ihre Behauptung. Was Sie jetzt daraus machen, ist sich in die 1. Kategorie der „gibt-es-den-Islam“ Sachverständigen katapultieren und zwar aus den gleichen Gründen wie Rubrum. Ein weiteres Argument ist, dass die größten Opfer der islamistischen Bewegungen die Muslime selbst sind.

    Fundamentalistische Bestrebungen gibt es in fast allen Weltreligionen. Aus der Hindutva in Indien sind hindufaschistische Bewegungen hervorgegangen, die nicht nur Muslime massakrieren sondern deren Führer auch die Vergasung derselbigen fordern.

    Israel ist ein jüdischer Staat (so wie sich der Iran islamischer Staat nennt), der zur Zeit von jüdisch-nationalistischen Kräften regiert wird. Ultra-othodoxe Juden stehen der Shiv Sena in Indien oder den extrem islamistischen Bewegungen um nichts nach.

    Die USA ist ebenfalls eine zum Teil sehr fundamentalistische Gesellschaft. Das erkennt man zum Beispiel daran, dass etwa die Hälfte der Bevölkerung glaubt, dass die Menschen vor 6000 Jahren erschaffen wurden und zwar so wie sie sind. Ein weiteres Beispiel sind die evangelikalen Bewegungen.

    Kaum einer kommt oft die Idee den Hinduismus, das Judentum oder das Christentum als eine theokratische Religion zu verdammen, die um jeden Preis die soziale und politische Ordnungsmacht stellen will. Hier erkennt der „aufgeklärte Islamkenner“, dass man differenzieren muss zwischen den Gläubigen und den Fanatikern. Beim Islam aber versagt das eigene Differenzierungsvermögen komplett.

  4. aloo masala sagt:

    @Hauptmann

    Gegenfrage: Wozu wäre das wichtig zu wissen? Verleiht es meinen Argumenten mehr/weniger Gewicht?

  5. nanina sagt:

    Frau Hilscher,

    wie kann es sein, dass es Länder gibt mit einem Anteil der muslimischen Bevölkerung von über 90%. Ist in diesen Ländern eine Etappe der Toleranz und Offenheit vorausgegangen?
    Wie groß ist der atheistische Anteil an der Bevölkerung in diesen Ländern?

    Was wird aus einem Staat, in dem der muslimische Teil der Bevölkerung von einer Minderheit zu einer Mehrheit wird?

    Alles Schönreden hilft nichts, der Islam ist atavistisch und bräuchte dringend die Katharsis der Aufklärung.

    Eigentlich müsste doch langsam, in unser durch Technik und Wissenschaft geprägten Welt, ein anderes Weltbild einziehen – ?

    Ach so ja, da müsste man sich ja auch mit Wissenschaft und Technik beschäftigen und nicht Koranschulen besuchen und zig-mal am Tag beten.

  6. A.Kausch sagt:

    @ aloo masala

    Mir ist nicht bekannt, das sich Vertreter dieser Religionen (auch nicht in annähernd zu bemerkenden Maße) als Selbstmordattentäter in die Luft sprengen, zum „heiligen Krieg“ aufrufen, oder die Einführung des Religionsrechtes in die Rechts-oder Strafgesetzgebung fordern.
    Wenn Sie da mehr wissen, bitte ich um Belege.

    Gibt es „Ultra-othodoxe Juden“ oder „evangelikale Christen in den USA“ als Selbstmordattentäter ? Fordern diese Leute die Einführung von Religionsgesetzen in allen Ländern ?

    Sie schreiben
    „Die Länder, die ich Ihnen nannte, widerlegen Ihre Behauptung. “

    Wodurch ? Ist in diesen Ländern NICHT ein verstärktes Einwirken auf die Gesellschaft und den Staat deutlich zu erkennen, insbesondere in den Ländern des „Arabischen Frühlings“ ?

    Und ich bleibe bei meiner Frage an Sie: Haben Sie sich die Mühe gemacht (normalerweise erkennt das jeder, der nur halbwegs der Presseberichterstattung folgt) ,mal nach diesen „Entwicklungen“ in diesen Ländern zu googeln ? Wenn nein,warum nicht ? Sie wischen das einfach so vom Tisch, ohne jeglichen Gegenbeleg.

    Wo wollen denn Hinduismus, das Judentum oder das Christentum als theokratische Religionen die soziale und politische Ordnungsmacht durchsetzen ? Gerade das Christentum ist (insbesondere in Europa) so weit „domestiziert“, das es in säkularen Staaten keinen größen Einfluss mehr hat, Schaden anrichten kann.

    Die abslutue Trennung von Religion und Staat ist ein hart erkämpftes Ergebnis von Aufklärung/franz.Revolution. In welchem Land , in dem Muslime die Bevölkerungsmehrheit stellen, findet man das ?Auch in der Türkei nicht, dort gibt es sogar eine Art Staatsislam, der von der Diyanet als Ministerium (und über die DITIB bis nach Deutschland hinein) verwaltet wird, Erdogan ist direkt weisungsberechtigt gegenüber der Diyanet.

    Was das „Differenzierungsvermögen“ betrifft: Ich unterscheide sehr wohl zwischen dem einzelnen, mehr (im Rahmen der Gesetzgebung) oder weniger gläubigen Menschen, und der Religion als politische Ideologie und Macht. Und da ist eben die Erkenntnis, sobald der Anteil der Bevölkerung isl. Glaubens eines Landes Richtung Mehrheit detendiert, beginnt der politische Islam sein Werk.

    Eine Trennung von Staat/Gesellschaft und Religion ist im Islam bekanntermaßen nicht vorgesehen.

  7. A.Kausch sagt:

    @ aloo masala

    Nachtrag:

    Warum gehen Sie eigentlich mit keinem Wort auf meine Argumente und z.B. den von mir verlinkten Bericht ein ?

  8. Albrecht Hauptmann sagt:

    @allo

    „Verleiht es meinen Argumenten mehr/weniger Gewicht?“

    Ja, es würde einiges erklären. Sie nehmen islamfundamentalische Quasidiktaturen in Schutz, ich möchte wissen, warum. Dass ultraorthodoxe Juden und Christen ebensoschlimm sind, das unterschreibe ich. Aber auch dort sieht man, wohin die Reise geht. (getrennte Busse in Isreal, Anschläge in den USA). Alles die gleiche geistig verblendete Bande.

    Ich bin Agnostiker, und Sie?

  9. aloo masala sagt:

    @ Kausch

    Zur Erinnerung: Ausgangspunkt unserer Diskussion war Ihre Behauptung, dass es kein Land gibt, das mehrheitlich aus Muslimen besteht und in dem der Islam nicht soziale und politische Ordnungsmacht ist. Diese Behauptung ist falsch. Gegenbeispiele habe ich Ihnen genannt.

    Das in besagten Ländern islamistische Gruppen und Tendenzen gibt wurde von mir nicht bestritten, hat aber mit der obigen Fragestellung nichts zu tun. Die Existenz einer islamistischen Gruppe bedeutet nicht, dass der Islam soziale und politische Ordnungsmacht des Staates ist, sondern lediglich, dass es Befürworter eines solchen gibt. Das ist aber nichts besonderes und nichts typisch islamisches. Israel hat seine ultra-orthodoxen Juden, Indien die Hindufaschisten, USA evangelikale Rassisten, usw.

    Weil Ihr Einwand nichts mit der obigen Ausgangsfragestellung zu tun hat, ignorierte ich Ihre Argumente und den verlinkten Artikel.

  10. aloo masala sagt:

    @Hauptmann

    Welche islamfundamentalische Quasidiktaturen nehme ich in Schutz?