Ehegattennachzug

Das Spiel der Bundesregierung mit Familien

Mit einem dreimonatigen Sprachkursbesuch und einem Vokabularschatz von 300 Wörtern könne der Sprachtest für den Ehegattennachzug gemeistert werden, so die Bundesregierung. Die Realität sieht anders aus.

Freitag, 13.05.2011, 8:30 Uhr|zuletzt aktualisiert: Freitag, 20.05.2011, 2:09 Uhr Lesedauer: 3 Minuten  |  

„Es geht der Bundesregierung mit der Neuregelung der Sprachanforderungen beim Ehegattennachzug weder um Integration noch um die Bekämpfung von Zwangsverheiratungen. Es geht um eine soziale Selektion“, so das Resümee von Sevim Dağdelen, migrationspolitische Sprecherin der Linksfraktion, zur aktuellen Antwort der Bundesregierung auf eine entsprechende parlamentarische Anfrage, die dem MiGAZIN vorliegt.

„Denn hoch qualifizierte und erwünschte Migranten müssen keinen Sprachnachweis erbringen, für bildungsfernere oder einkommensschwache Menschen hingegen sollen die geforderten Sprachanforderungen eine möglichst schwer zu überwindende Hürde darstellen“, kritisiert Dağdelen die Regelung.

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2 bis 3 Jahre = überschaubarer Zeitrahmen
In der Tat führen die geforderten Sprachkenntnisse bei vielen Menschen dazu, dass sie über mehrere Jahre vom Ehepartner getrennt leben müssen. Zwar hatte die Bundesregierung zur Legitimierung dieser Regelung im Jahr 2007 vorgebracht, dass sich die geforderten Sprachkenntnisse in einem überschaubaren Zeitraum erlernen ließen, etwa innerhalb von drei Monaten. Doch inzwischen erklärt die Bundesregierung, dass auch ein Spracherwerb in einem „Zeitraum von zwei bis drei Jahren … in aller Regel zumutbar“ sei.

Dass die Bundesregierung vorgebe, sie wolle mit der Neuregelung die Integration der Betroffenen fördern, sei ein Schlag in das Gesicht der mangels Deutschkenntnisse zwangsweise voneinander getrennt lebenden Eheleute, meint Dağdelen und legt Zahlen vor: „Der Ehegattennachzug aus der Türkei ging um 36 Prozent zurück. Insgesamt ist ein Rückgang um 20 Prozent, bezogen auf alle Länder zu verzeichnen. Es gibt Länder, in denen gerade einmal die Hälfte der Prüfungsteilnehmer den Sprachtest im Ausland besteht (Ghana, Äthiopien, Sri Lanka, Irak, Kosovo, Mazedonien) – in der Folge dauert die Zwangstrennung der Eheleute in diesen Fällen dann weiter an.“

200-300 Wörter + Synonyme
Das liegt vor allem an den Anforderungen, die an die Prüfungsteilnehmer gestellt werden. Denn auch die einstigen Bekundungen der Integrationsbeauftragten der Bundesregierung, Maria Böhmer (CDU), oder von Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU), man könne den Sprachtest schon mit einem Wortschatz von 200 bis 300 Wörtern bestehen, entpupte sich als Schönfärberei. Das Goethe-Institut selbst erklärte, dass 300 Wörter in keinem Falle für den Sprachtest ausreichen. Man müsse bedenken, dass Wörter noch dekliniert, konjugiert etc. werden müssten, um ganze Sätze zu verstehen oder zu bilden. Die Aussagen vieler Politiker in diese Richtung seien ein „bewusstes Herunterspielen“ der Anforderungen.

Ein Blick in eine vom Goethe-Institut beispielhaft aufgeführte Prüfungsfrage verdeutlicht den Schwierigkeitsgrad. Da wird den Prüflingen ein Tonband vorgespielt, in der ein Herr Albers während einer Unterhaltung am Arbeitsplatz sagt, dass er am Wochenende seine Verwandten besuchen wird. Auf die anschließende Frage, wohin „Herr Albers“ fährt, müssen die Prüflinge nun die richtige Antwort ankreuzen. Zur Auswahl stehen: „In Urlaub ans Meer“, „zur Arbeit“ und „zur Familie“.

Schutzwürdige Umstände – Fehlanzeige
Konfrontiert mit diesen Gegenargumenten verweist die Bundesregierung gerne auf Ausnahmeregelungen im Visumshandbuch, die Dağdelen als „zynisch“ bezeichnet. Demnach sind „keine besonders schutzwürdigen Umstände“, die eine kürzere Dauer des Spracherwerbs als zwei bis drei Jahre rechtfertigen würden: „die bloße Trennung der Familie“, Sprachkurse, die nur im Nachbarstaat angeboten werden, ein „mehrfaches Nichtbestehen der Sprachprüfung“ sowie „Analphabetismus“. Und selbst wenn besonders schutzbedürftige Umstände vorliegen, wird darauf verwiesen, dass die eheliche Lebensgemeinschaft ja auch im Ausland hergestellt werden kann.

Vier Jahre und immer noch keine Daten
Schließlich, so das Hauptargument der Bundesregierung zur Rechtfertigung dieser Regelung, diene der Spracherwerb zur Verhinderung von Zwangsverheiratungen. Den Nachweis allerdings bleibt sie bis heute schuldig. 2008 teilte die Bundesregierung hierzu noch mit, dass eine Studie „zur näheren Ermittlung des tatsächlichen Ausmaßes von Zwangsehen in Deutschland“ erstellt werden solle. Die Studie liegt mittlerweile vor – Zahlen zum Ausmaß des Phänomens enthält sie nicht.

Im September 2010 wurde zudem eine ministerielle „Evaluierung“ der Auswirkungen der Neuregelung des Ehegattennachzugs vorgelegt. Antworten zu den umstrittenen Fragen ihrer Verhältnismäßigkeit und rechtlichen Zulässigkeit und ob die vorgegebenen Ziele durch die Regelung überhaupt erreicht werden können, gibt sie ebenfalls nicht. (es)
Politik

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  1. Sonata sagt:

    Als hier wird wohl ein entscheidender Fehler gemacht. Die Familien müssen ja nicht getrennt leben, gern kann der in Deutschland lebende Ehepartner ja auch den Ehegattennachzug ins Ausland durchführen. Die „Trennungszeit“ wird also nur von dem in Deutschland lebenden Ehepartner verschuldet. Was spricht dagegen, wenn der in Deutschland lebende Partner ins Ausland nachzieht??

  2. hoko sagt:

    Regelungen zum Nachweis von Sprachkenntnissen im Herkunftsland gibt es in Dänemark, Frankreich, den Niederlanden, Großbritannien und auch in Österreich. Auch Belgien wird diese vermutlich bald einführen. Was soll also das Rumgeheule?

  3. Miro sagt:

    Ich finde den Begriff „Ehegattennachzug“ irreführend. Wir haben es doch heutzutage vorallem mit der Situation der Eheschließungen mit einem ausländischen Partner zu tun. D.h. die Familie arrangiert für die hier geborenen und aufgewachsenden Kinder eine Ehe mit einem Partner aus der Türkei oder anderen islamischen Ländern.
    Zahlen aus Wiesbaden aus dem Jahre 2008 besagen das etwa 50% der dort lebenden Türkischstämmigen Eheschließungen mit Partnern aus der Türkei vollziehen.
    Das ist unkontrollierte Einwanderung. Ich wäre dafür die auferlegten Forderungen an diese Einwanderer zu erhöhen, ein paar Worte Deutsch zu können ist da zu wenig. Eine gute akademische Ausbildung sollte eine weitere Voraussetzung sein nach Deutschland einwandern zu dürfen. Bei klassischen Einwanderungsländern ist das üblich.

  4. Anne sagt:

    Jedem von Ihnen beiden ist zu wünschen, einen Partner/Partnerin im Ausland kennezulernen, vielleicht jemanden, der weitab jedes Gotheinstituts wohnt oder dessen Muttersprache keine lateinischen Buchstaben hat. In einem Land, in dem Sie – aus welchem Grund auch immer – nicht leben möchten oder können. Wenn Sie dann etliche Monate mit Behördenschikanen und Getrenntleben hinter sich haben, kommentieren Sie hier noch mal.

  5. Yoko sagt:

    Ich halte die Verantwortlichen dieser Regelung für evident ungeeignet
    die in der Verfassung verankerten Grundwerte zu vertreten und empfinde dies als Zumutung.

    Hintergrund: Meine Frau und ich waren Opfer dieser Regelung.

    Auf direkte Nachfrage bei meinem Bundestagsabgeordneten
    bekam ich die wahre Absicht der Regelung mitgeteilt: sinngemäß:
    es ginge doch nur im die Fernhaltung bildungsferner Zuwanderer,
    das betrifft mich nicht und es würde doch schon irgendwie gehen.
    Manche Politiker äußern sich hierzu ähnlich öffentlich, z.B. in Büchern.

    Tja, der wahre Hintergrund der Regelung würde vor dem BVerG
    nicht standhalten. Also sucht man nach belastbaren Begründungen,
    zu denen dann das BVerG die Maßnahme als „nicht evident ungeeignet“
    bewerten kann. In einem Arbeitszeugnis für die Bundesregierung würde
    es dann entsprechend wahrscheinlich heißen „hat sich steht’s bemüht“.

    Wo lernt man am besten Deutsch? In einem Kurs in Deutschland,
    wo man das Gelernte täglich anwenden muss, oder über Kurzwellenradio
    in Kenia eine Stunde pro Woche? Letzteres würde ich als evident ungeeignet einschätzen.
    Man darf nicht einmal nach Deutschland einreisen um Deutsch zu lernen –
    „mangelnde Rückkerhbereitschaft“.

    Zwangsverheiratungen sind nicht nachweisbar (außer durch Rechtspopulisten ohne Datengrundlage),
    Zwangstrennungen allerdings schon, allerding zuzumuten.

    Ich bin erschüttert wie wenig Grundwerte der Verfassung für unsere Politiker zählen,
    wie man dies öffentlich leugnet und wie leicht sich Grundrechte juristisch aushebeln lassen.

  6. Udo sagt:

    Sonato, wenn alle Länder beschließen, der jeweils hier lebende Partner könne ja in das andere Land auswandern, ist es nicht mehr möglich einen Menschen aus einem anderen Land zu heiraten. Wollen sie das?

    Was spricht gegen eine Auswanderung? Sie sind witzig! Nur mal ein paar Stichwörter: Wirtschaftliche Unsicherheit, sozialer Abstieg, Sprachprobleme, Verlust der Heimat, der Familie, der Freunde u.v.m

  7. Udo sagt:

    Sonato, was spricht dagegen? Sie sind witzig! Nur ein paar Stichwörter:
    -Verlust des Berufes
    -Unsicherheit
    -eventuell sozialer Abstieg
    -Verlust der Familie
    -Verlust der Freunde
    -Verlust der Heimat

    Sie werden jetzt sagen, das betrifft den im Ausland lebenden Partner doch auch, wenn er nach Deutschland zieht. Richtig, aber ein Ehepaar wird sich doch wohl noch frei für einen gemeinsamen Wohnsitz entscheiden dürfen oder?

    Es konnte mir bisher noch niemand einen Vorteil des Sprachkurses im Ausland gegenüber den sowieso verpflichtenden Sprachkurs im Inland erklären.

  8. Sonata sagt:

    @Udo
    Sind ihre Gründe nicht vorgeschoben? Wie sollte jemand seinen Beruf verlieren? Lediglich die Arbeitsstelle müsste gewechselt werden. Unsicherheit ist ja nun kein Argument und was soll das mit dem sozialen Abstieg? Ging es um Geld oder Liebe? Übrigens ist der Lebenspartner die neue Familie, haben sie daran gedacht?

    Was die freie Entscheidung des Wohnsitzes angeht, natürlich kann ein Ehepaar frei den Wohnsitz wählen. Wenn dieser aber Deutschland sein soll, so gibt es da einige Regelungen die einzuhalten sind. Wem die zu schwer sind, der kann seiner Liebe immer noch im Heimatland der Braut ausleben. Zusammenleben ist also kein Problem, außer es geht um Geld und nicht um Liebe. Aber das wollen wir ja auf keinen Fall unterstellen.

    Übrigens ist der Vorteil des Sprachkurses im Ausland klar, der nachziehende Partner muss vor der Einreise über Grundkenntnisse verfügen. Aus meiner Sich ist dies ein enormer Vorteil und schützt vor Missbrauch.

  9. hoko sagt:

    Aus einer in einer BT-Drs. zitierten Untersuchung von Dr. Silke Ghobeyshi:

    66% der Teilnehmer hätten Prüfung nicht gemacht, wenn sie sie nicht für Visum benötigt hätten
    63% sind überzeugt, dass sie in kurzer Zeit viel gelernt haben
    60% hat der Kurs Spaß gemacht
    68% trauen sich, nach der Prüfung Deutsch zu sprechen
    82% wollen in D weiter Deutsch lernen
    79% sind sicher, dass sie mit Deutschkenntnissen bessere Chancen haben
    82% sind überzeugt, dass ihnen die durch den Kurs erworbenen Kenntnisse in D weiterhelfen
    70% finden, dass Deutsch eine schöne Sprache ist

    Die ewigen Jammerer nehmen die Realität nicht zur Kenntnis. Auch der Sachverständigenrat betont, dass „im Steuerungsergebnis de facto die integrative und nicht die restriktive Komponente der Maßnahme in den
    Vordergrund gerückt“ ist (S. 99) und dass „Deutschland (ist) Teil des europäischen Trends (ist), es ist bei der Familienmigrationspolitik weder ein ‚liberaler Musterknabe‘ noch ein ‚restriktiver Außenseiter‘, sondern ein ‚Durchschnittseuropäer‘.“ (S. 110).

    Auch Prof. Karakasoglu, die ja hier auch ab und an schreibt, hat die Nachweispflicht im Herkunftsland begrüßt. (http://www.tagesspiegel.de/politik/ton-steine-sarrazin/4058456.html)

    Einfach mal aufhören zu jammern…..

  10. Manfred O. sagt:

    @Yoko

    Zitat
    Zwangsverheiratungen sind nicht nachweisbar
    Zitat Ende

    Oh doch,wenn eine Frau (selten aber auch ein Mann) den Mut findet, dies über dafür geschaffene Institutionen und Hilfsvereine (Sie finden einige im Internet) publik zu machen.

    Das gros der sog. „arrangierten Ehen“ sind im Prinzip nichts anderes, da meist die Ehepartner zustimmen, „weil es eben bei uns so üblich ist“, oder um „Vater und Mutter nicht zu enttäuschen/nicht zu widersprechen“.

    Die Zahlen sind insges. aber glücklicherweise rückläufig, zum Teil durch die gesetzlichen Vorgaben, zum Teil , weil „die Kinder“, die hier in Deutschland leben, offener und moderner denken, und sich solch eine Indiktrinationen nicht mehr gefallen lassen.