Ehegattennachzug

Das Spiel der Bundesregierung mit Familien

Mit einem dreimonatigen Sprachkursbesuch und einem Vokabularschatz von 300 Wörtern könne der Sprachtest für den Ehegattennachzug gemeistert werden, so die Bundesregierung. Die Realität sieht anders aus.

„Es geht der Bundesregierung mit der Neuregelung der Sprachanforderungen beim Ehegattennachzug weder um Integration noch um die Bekämpfung von Zwangsverheiratungen. Es geht um eine soziale Selektion“, so das Resümee von Sevim Dağdelen, migrationspolitische Sprecherin der Linksfraktion, zur aktuellen Antwort der Bundesregierung auf eine entsprechende parlamentarische Anfrage, die dem MiGAZIN vorliegt.

„Denn hoch qualifizierte und erwünschte Migranten müssen keinen Sprachnachweis erbringen, für bildungsfernere oder einkommensschwache Menschen hingegen sollen die geforderten Sprachanforderungen eine möglichst schwer zu überwindende Hürde darstellen“, kritisiert Dağdelen die Regelung.

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2 bis 3 Jahre = überschaubarer Zeitrahmen
In der Tat führen die geforderten Sprachkenntnisse bei vielen Menschen dazu, dass sie über mehrere Jahre vom Ehepartner getrennt leben müssen. Zwar hatte die Bundesregierung zur Legitimierung dieser Regelung im Jahr 2007 vorgebracht, dass sich die geforderten Sprachkenntnisse in einem überschaubaren Zeitraum erlernen ließen, etwa innerhalb von drei Monaten. Doch inzwischen erklärt die Bundesregierung, dass auch ein Spracherwerb in einem „Zeitraum von zwei bis drei Jahren … in aller Regel zumutbar“ sei.

Dass die Bundesregierung vorgebe, sie wolle mit der Neuregelung die Integration der Betroffenen fördern, sei ein Schlag in das Gesicht der mangels Deutschkenntnisse zwangsweise voneinander getrennt lebenden Eheleute, meint Dağdelen und legt Zahlen vor: „Der Ehegattennachzug aus der Türkei ging um 36 Prozent zurück. Insgesamt ist ein Rückgang um 20 Prozent, bezogen auf alle Länder zu verzeichnen. Es gibt Länder, in denen gerade einmal die Hälfte der Prüfungsteilnehmer den Sprachtest im Ausland besteht (Ghana, Äthiopien, Sri Lanka, Irak, Kosovo, Mazedonien) – in der Folge dauert die Zwangstrennung der Eheleute in diesen Fällen dann weiter an.“

200-300 Wörter + Synonyme
Das liegt vor allem an den Anforderungen, die an die Prüfungsteilnehmer gestellt werden. Denn auch die einstigen Bekundungen der Integrationsbeauftragten der Bundesregierung, Maria Böhmer (CDU), oder von Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU), man könne den Sprachtest schon mit einem Wortschatz von 200 bis 300 Wörtern bestehen, entpupte sich als Schönfärberei. Das Goethe-Institut selbst erklärte, dass 300 Wörter in keinem Falle für den Sprachtest ausreichen. Man müsse bedenken, dass Wörter noch dekliniert, konjugiert etc. werden müssten, um ganze Sätze zu verstehen oder zu bilden. Die Aussagen vieler Politiker in diese Richtung seien ein „bewusstes Herunterspielen“ der Anforderungen.

Ein Blick in eine vom Goethe-Institut beispielhaft aufgeführte Prüfungsfrage verdeutlicht den Schwierigkeitsgrad. Da wird den Prüflingen ein Tonband vorgespielt, in der ein Herr Albers während einer Unterhaltung am Arbeitsplatz sagt, dass er am Wochenende seine Verwandten besuchen wird. Auf die anschließende Frage, wohin „Herr Albers“ fährt, müssen die Prüflinge nun die richtige Antwort ankreuzen. Zur Auswahl stehen: „In Urlaub ans Meer“, „zur Arbeit“ und „zur Familie“.

Schutzwürdige Umstände – Fehlanzeige
Konfrontiert mit diesen Gegenargumenten verweist die Bundesregierung gerne auf Ausnahmeregelungen im Visumshandbuch, die Dağdelen als „zynisch“ bezeichnet. Demnach sind „keine besonders schutzwürdigen Umstände“, die eine kürzere Dauer des Spracherwerbs als zwei bis drei Jahre rechtfertigen würden: „die bloße Trennung der Familie“, Sprachkurse, die nur im Nachbarstaat angeboten werden, ein „mehrfaches Nichtbestehen der Sprachprüfung“ sowie „Analphabetismus“. Und selbst wenn besonders schutzbedürftige Umstände vorliegen, wird darauf verwiesen, dass die eheliche Lebensgemeinschaft ja auch im Ausland hergestellt werden kann.

Vier Jahre und immer noch keine Daten
Schließlich, so das Hauptargument der Bundesregierung zur Rechtfertigung dieser Regelung, diene der Spracherwerb zur Verhinderung von Zwangsverheiratungen. Den Nachweis allerdings bleibt sie bis heute schuldig. 2008 teilte die Bundesregierung hierzu noch mit, dass eine Studie „zur näheren Ermittlung des tatsächlichen Ausmaßes von Zwangsehen in Deutschland“ erstellt werden solle. Die Studie liegt mittlerweile vor – Zahlen zum Ausmaß des Phänomens enthält sie nicht.

Im September 2010 wurde zudem eine ministerielle „Evaluierung“ der Auswirkungen der Neuregelung des Ehegattennachzugs vorgelegt. Antworten zu den umstrittenen Fragen ihrer Verhältnismäßigkeit und rechtlichen Zulässigkeit und ob die vorgegebenen Ziele durch die Regelung überhaupt erreicht werden können, gibt sie ebenfalls nicht. (es)