Standpunkt

Wenn der Lehrerberuf interkulturell werden soll

Erst wenn desaströse Situationen wie an der Rütli-Schule in die Öffentlichkeit gelangen, wird der Ruf nach „Lehrern mit Migrationshintergrund“ laut. Die Suche nach ihnen erweist sich vielfach schwieriger. Denn es gibt von ihnen immer noch zu wenige.

Von Musa Bağraç Donnerstag, 05.05.2011, 8:28 Uhr|zuletzt aktualisiert: Montag, 09.05.2011, 0:31 Uhr Lesedauer: 4 Minuten  |  

Während in Deutschland 30% der Schülerschaft einen Migrationshintergrund aufweist, liegt dieser Anteil unter Lehrerkräften bei gerade mal einem Prozent. Die meisten der hierzu gezählten Lehrkräfte sind zudem noch Muttersprachenlehrer, die nicht wirklich als fester Bestandteil des Lehrerkollegiums verstanden werden. Woran liegt es wohl, dass die gesellschaftliche Vielfalt in Lehrerzimmern nicht abgebildet wird? Liegt es eventuell daran, dass unter Migranten der Lehrerberuf auf geringes Interesse stößt oder dass die Bildungsbenachteiligung sogar bis ins Lehrerzimmer hineinwirkt?

Wie die Antwort auch ausfallen mag, das NRW-Schulministerium hat 2006 auf den Punkt gebracht: Die Schulen brauchen mehr Lehrer mit Migrationshintergrund. Sie sollen darin mit ihren interkulturellen Kompetenzen eine Mittlerfunktion übernehmen. Eigens dafür wurde auch das „Netzwerk der Lehrkräfte mit Zuwanderungsgeschichte“ ins Leben gerufen. Dieses Netzwerk soll zum einen die adressierten Lehrer untereinander vernetzten und zum anderen soll es für den Lehrerberuf unter Migranten werben.

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„Ein normaler Lehrer ist ethnisch Deutsch und kommt aus der bürgerlichen Mitte.“

Unlängst wurde die Bedeutung von Lehrern mit Migrationshintergrund auch durch die Wissenschaft bekräftigt. Einer Studie der Freien Universität Berlin geht hervor, dass Lehrer mit Migrationshintergrund, oft ein größeres Vertrauensverhältnis zu ihren Schülern unterhalten. Während sie mit ihren Schülern im Unterricht vorbildhaft Deutsch sprechen, pflegen sie außerhalb des Unterrichts mal auch in ihrer Muttersprache zu sprechen. Diese Schüler erleben, dass ihre Muttersprache und auch sie so wie sie sind anerkannt werden. Vielmals können diese Lehrer ihren Schülern auch praktische Ratschläge zur Überwindung von sprachlichen und kulturellen Problemen mitgeben. Zwischen Elternhaus und Schule fungieren sie zudem noch als willkommene Brücken. Die Studie geht davon aus, dass Lehrer mit Migrationshintergrund langfristig die interkulturelle Öffnung der Schule zufolge haben wird.

Das Land braucht mehr Lehrer mit Migrationshintergrund. In diesem Punkt sind sich Politik und Wissenschaft einig. Dennoch gilt entschieden zu fragen, wie die Anwerbung und Rekrutierung solcher Lehrkräfte tatsächlich aussieht? Diese Frage betrifft den Kern der Aufgabe. Denn letztendlich werden in Studienseminaren, die für die Lehrerausbildung verantwortlich sind darüber entschieden, wer den Zugang zum Lehrerberuf erhält oder wer nicht. Deshalb lässt sich fragen, inwieweit genau diese Institutionen auf den gesellschaftlichen Wandel vorbereitet sind. Bewertet man die Anwesenheit von Referendaren mit Migrationshintergrund als Chance oder als lästige Randerscheinung?

Inzwischen kann ich auf viele Erfahrungsberichte von Lehrern und Referendaren mit Migrationshintergrund aus meinem persönlichen Umfeld zurückgreifen. Diesen Berichten zufolge herrsche in der Vorstellung der Ausbilder das folgende Metamodell vor: Ein normaler Lehrer ist ethnisch Deutsch und kommt aus der bürgerlichen Mitte. Ähnliche Äußerungen teilten auch ehemalige Referendare mit, die letztendlich das Handtuch warfen, weil sie sich unsichtbaren und unüberwindbaren Mauern ausgesetzt fühlten. Vorsichtig könnte man diesen Aussagen zufolge formulieren, dass die Mechanismen der institutionellen Diskriminierung, wie sie von Mechtild Gomolla für die Schule formuliert wurden, auch in der Lehrerausbildung gegenwärtig sind. Wenn dem so ist, dann sind möglicherweise viele Studienseminare keineswegs auf der Höhe der Zeit.

Auf der einen Seite wird der Ruf nach Lehrern mit Migrationshintergrund immer lauter, während anscheinend genau diesen Lehrern das Leben im Referendariat unnötig erschwert wird. Schimmert hier etwa die überwunden geglaubte Defizitperspektive der Ausländerpädagogik durch, die nur so nach Homogenität schreit? Werden etwa Lehrer etwa an der gesellschaftlichen Realität vorbei ausgebildet? Die politische und gesellschaftliche Tragfähigkeit der Lehrerausbildung steht im Raum.

„Allein zu sagen, wir wünschen uns mehr Lehrer mit Migrationshintergrund reicht nicht aus.“

Allein zu sagen, wir wünschen uns mehr Lehrer mit Migrationshintergrund reicht nicht aus. Studienseminare sollten durch interkulturelle Öffnung lukrativer ausgestaltet werden. Nur so werden sie der politischen und gesellschaftlichen Forderung im Dienste der Gesellschaft zu stehen gerecht werden können. Wie ist aber die interkulturelle Öffnung der Studienseminare zu verstehen?

Zunächst gibt die interkulturelle Öffnung eine Umgestaltung der Ausbildungskultur wieder: Weg von der defizitorientierten, hin zu einer potenzialorientierten Ausbildung. Ein Umdenken der verantwortlichen Ausbilder ist von unsäglicher Bedeutung. Doch allein der gute Wille ist noch kein Garant fürs Gelingen. Vielmehr ist eine obligatorische Bestimmung notwendig. Eine solche Lehrerausbildung kann dann Fortbildungen hinsichtlich der interkulturellen Kommunikation, des Religions-, Geschlechterrollen- und Werteverständnisses, usw. als fester Bestandteil der Lehrerausbildung beinhalten. Diese Ausbildung ist für alle Lehrer wichtig, denn der Anteil von Schülern mit Migrationshintergrund steigt stetig. Die interkulturelle Lehrerausbildung würde den gesellschaftlichen Status quo abbilden: Kulturelle Vielfalt ist der Normalfall.

Eine gesetzliche Regelung würde einer Selbstverpflichtung der Ausbilder vorzuziehen sein, damit es nicht in Willkür ausartet. Anwendungen in anglophonen Ländern könnten für Deutschland richtungweisend sein. Denn das Rad braucht nicht neu erfunden werden. Dafür sollten zunächst überholte Kategorien, wie z.B. Homogenität, Defizitperspektive, Anpassung, usw. überwunden werden. Denn sie haben Metamodelle zufolge, die ständig Defizite und Krisen produzieren und der schulische Realität nicht gewachsen sind. Aktuell Meinung

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  1. Sugus sagt:

    @ Efi
    Ich lasse Ihnen ihr Türkentum, aber es ist schon auffällig, daß Kinder von Türken in der dritten Generation hier sich fast ausschließlich immer noch als Türken definieren. Und genau aus diesem Grund ist mir „integration“ so wie Sie es verstehen, zu wenig. Ich will nicht, daß irgenwann in meinem Land – ich bin Deutscher und Deutschland ist mein Land – über 50% der Bevölkerung sich zwar als integriert, aber nicht als deutsch betrachten. Es ist mir daher auch egal, daß Sie 4 andere Fremdsprachen sprechen und eine „interkulturelle Ehe“ führen. Betrachten Sie mich meinetwegen als Nazi und Rassisten – das ist mir herzlich egal und ich denke, daß ich mich in guter Gesellschaft befinde, denn mindestens 80% aller Deutschen denken so wie ich.

  2. KTL sagt:

    @ Leo Brux
    „Die Zeiten der erstickenden, alles “Fremde” ausscheidenden Volksgemeinschaft sind jedenfalls vorbei – wenn auch vielleicht noch nicht in Ihrem Kopf. Oder in dem von KTL.“
    Womit begründen Sie Ihren Vorwurf der Xenophobie, wenn ich fragen dürfte?
    Mal abgesehen von Ihrer tendenziellen Fantasie.

  3. Efi sagt:

    @ Sugus
    Es ist mir schon klar, dass viele Menschen in Deutschland so denken (aber einige auch wieder nicht!!).
    Genau diese Einstellung habe ich eigentlich in meinem Beitrag die ganze Zeit beschrieben. Danke für die Bestätigung.

  4. MoBo sagt:

    @ Sugus: woher haben Sie die 80%?

    (ich mag es nicht wenn man Zahlen benutzt die irgendwoher sind. jedenfalls machen sich die meisten Deutschen die ich kenne keine großen Gedanken darüber, was es ist „Deutsch zu sein“ und die meisten türkischstämmigen Deutschen die ich kenne rennen auch nicht mit der Türkeifahne rum. Hm… 76,4% ???)

  5. Sugus sagt:

    @ Mobo
    -Die 80% sind ein Schätzwert von mir.
    -Um deutsch zu sein, muß man sich keine Gedanken übers Deutschsein machen.
    -Wie viele der „türkischstämmigen Deutschen“ die Sie kennen, haben einen deutschen Vornamen?

  6. MoBo sagt:

    @ Sugus: 1) warum schreiben sie türkischstämmige Deutsche in Anführungsstriche. Kann ein Deutscher bei ihnen nicht türkischstämmig sein? Zur Frage konkret: Martin, Isabell, Marleen, Dennis (ich kenne glaube ich insgesamt 6, aber die anderen Namen fallen mir gerade nicht ein). Gucken Sie mal unter Wikipedia bei Deutschtürken, da sind auch einige mit Deutschen Vornamen.

    Worauf wollen Sie hinaus? Deutsche im Ausland nehmen doch auch nicht ausländische Nachnamen an. Wenn ich mit Nachnamen „Öztürk“ heißen würde, würde ich meinen Sohn auch nicht Hans oder Kevin nennen wollen. Deutsch-Italiener geben ihren Kindern in Deutschland auch meist italienische Namen, nur sehen die oft nicht so „fremd“ aus. Und Russlanddeutsche kriegen meist vom Standesamt einen Namen aufgedrückt (erinnert ein bisschen an die Judenemanzipation, als die Namen aufgedrückt bekommen haben). Ja und? Muss doch nicht jeder Kevin oder Jacqueline heißen (oder Nils und Franziska)…

  7. Sugus sagt:

    @ Mobo
    -Bei mir kann ein Deutscher auch türkischstämmig sein – wenn er sich denn ausdrücklich als Deutscher mit türkischen Wurzeln definiert. Ist mir aber noch nicht untergekommen. Die Betonung liegt immer auf dem Türke-Sein.
    -Ich kenne nur Türken mit türkischen Vornamen. Sie sind sicher, daß ihr „Dennis“ kein „Deniz“ ist ;-) ?
    -Worauf ich hinaus will: in den USA laufen viele Chinesen mit englischen Vornamen rum, und eine große Nähe der angelsächsischen Kultur zur chniesischen kann man wohl nicht unterstellen. Es gibt auch keine Gesetze, die Chinesen zwingen, ihren Kindern englische Vornamen zu geben.
    Viele Türken reiten drauf rum, daß die USA vorbildlich sind in Sachen Integration und so. Warum können diese Türken mal nicht einen Schritt auf uns zugehen, und sei es nur bei der Namensgebung? Max Öztürk, Sabine Özlem? Wär doch mal ein Anfang, oder?

  8. MoBo sagt:

    @ Sugus:

    – Ich denke in diesem Fall spielt auch Selbstselektion eine Rolle. Wenn man sich neutrale Statistiken ansieht wird man sehr wohl Deutschtürken sehen die sich als Deutsche mit türkischen Wurzeln und nicht als Türken in Deutschland definieren. Persönliche Kontakte sind da nur bedingt aussagefähig, ich könnte Ihnen jetzt auch mit meinen anderen Erfahrungen kontern, aber das ist genauso subjektiv.
    – Dennis, da bin ich mir sicher weil ich es auch in einem Formular gesehen habe. Sicherlich, der Name ist genauso aussprechbar wie Deniz.
    – Die Chinesen nennen sich auch in China wenn sie mit Europäern Kontakt haben oft „Steve“ oder „Nancy“ damit man ihre eigentlichen Namen nicht falsch ausspricht. Sie haben dann meist 2 Namen. Türkische Namen sind aber für Deutsche verhältnismäßig leicht auszusprechen. Wenn Sie sich dagegen Italiener in den USA ansehen – die heißen oft nach Generationen noch italienisch.

  9. Mehmet Yörük sagt:

    @ MoBo

    Ob ein Deutscher auch wirklich türkischstämmig sein kann hängt meines Erachtens von den Rahmenbedingungen ab. Solange Türken ausgegrenzt werden oder ihnen zumindest das Gefühl gegeben wird, wird es mit dem Deutschsein der Türken auch nicht funktionieren. Wer möchte sich schon mit seinen Peinigern anfreunden oder sogar identifizieren wollen?

    Der Artikel über die Lehrerausbildung zeigt, so glaube ich eine wunde Stelle, an der aufrichtig gearbeitet werden muss. Ansonsten reden wir hier bloß um den heißen Brei.

  10. Tanja sagt:

    Liebe Sugos,

    ich sage es mit nur wenigen Sätzen, der es auf den Punkt bringen sollen (auch wenn das nicht 100% funktionieren kann):

    Investieren Sie ihre Kraft, Energie, „Einfallsreichstum“, „Analysefähigkeit“ in anderweitige Projekte statt wie in Ihre lächerlichen Argumentationen!

    Sie sind weder up to date, noch haben sie überhaupt die gesellschaftliche bwz. die globale Realität verstanden. Auch Begriffe, wie „multiple Persönlichkeiten“ sind Ihnen mit ihrem sehr eingeschränktem Weltbild mehr als fremd!

    Sie werden vermutlich in der Zukunft mehr als abgeschottet leben und an einer „Angststörung“ leiden, was auch sehr paranoide Erscheinungsformen annehmen kann.