Hessischer Kulturpreis
Roland Koch unter Beschuss
Gestern gab es im Hessischen Landtag eine heftige Debatte über den Eklat um den Hessischen Kulturpreis. Der Preis sollte in diesem Jahr Vertretern verschiedener Glaubensgemeinschaften wegen ihrer Verdienste um den interreligiösen Dialog verliehen werden. Dem muslimischen Preisträger, Namid Kermani, wurde der Preis jedoch auf Druck der christlichen Kandidaten aberkannt. Roland Koch, Hessischer Ministerpräsident und Vorsitzender des Kuratoriums, erntete dafür breite Kritik.
Freitag, 19.06.2009, 6:28 Uhr|zuletzt aktualisiert: Samstag, 21.08.2010, 1:04 Uhr Lesedauer: 8 Minuten |
Polemik schadet dem interreligiösen Dialog
CDU Fraktionsvorsitzende im Hessischen Landtag, Christean Wagner, gab Roland Koch Rückendeckung und warb für eine Versachlichung der Debatte: „Debatten über den interreligiösen Dialog verlangen Nachdenklichkeit und Gründlichkeit. Sie eignen sich nicht für Polemik und vordergründigen Parteienstreit“, sagte Wagner.
Der Fraktionsvorsitzende bekräftigte die Notwendigkeit eines interreligiösen Dialogs und nannte Anforderungen: Die Beteiligten dürften die jeweils andere Religionen nicht mit den Maßstäben der eigenen Religion und des eigenen Glaubens messen oder beurteilen. „Toleranz ist das oberste Gebot. Toleranz verbietet Stellungnahmen, die andere Religion in ihren Gefühlen verletzen können“, betonte Wagner mit Blick auf den am 14. März 2009 von Kermani veröffentlichten Artikel in der Neuen Züricher Zeitung, in dem dieser formuliert:
„Kreuzen gegenüber bin ich prinzipiell negativ eingestellt. Nebenbei finde ich die Hypostasierung des Schmerzes barbarisch, körperfeindlich, ein Undank gegenüber der Schöpfung. Für mich formuliere ich die Ablehnung der Kreuzestheologie drastischer: Gotteslästerung und Idolatrie“
Der Vorwurf der Lästerung ihres eigenen Gottes sei in allen Religionen der schwerste religiöse Vorwurf überhaupt, stellte Wagner fest. Die Reaktion der christlichen Preisträger Kardinal Lehmann und Prof. Steinacker belegten, dass Kermanis Äußerungen religiöse Gefühle verletzt hätten.
Kermani habe anschließend ein zweites Mal gegen die Regeln verstoßen, indem er den Wunsch der beiden christlichen Preisträger ablehnte, eine schriftliche Äußerung zur Klärung abzugeben. „Somit war es Herr Kermani, der als erster den Dialog abgebrochen hat“, stellte Wagner fest. Der Unterschied zum Fall Sezgin, der den Preis wegen einer politischen Äußerung abgelehnt habe, bestehe darin, dass sich Lehmann und Steinacker in ihren religiösen Gefühlen verletzt gefühlt hätten. Lehmann habe die Annahme ausdrücklich nicht verweigert, sondern, wie er in der Frankfurter Allgemeine Zeitung vom 20. Mai 2009schrieb,
„deutlich zum Ausdruck gebracht, dass ich den Preis unter diesen Umständen nicht in Empfang nehmen kann. Vielleicht könnte – so dachte ich Kermani ja auch seine Äußerungen erläutern.“
Als Herrn Kermani die Möglichkeit gegeben wurde, darauf zu reagieren, habe dieser abgelehnt. Dies müsse man ihm vorwerfen. Statt einer Entschuldigung oder des Versuchs einer Erklärung seiner Absichten: Ablehnung und Beleidigungen. Dieses Verhalten hat das Kuratorium dazu veranlasst, auf ihn als Preisträger zu verzichten“, erklärte der CDU-Politiker.
„Dennoch ist die Entscheidung des Kuratoriums, ein Gespräch zwischen den Preisträgern zu organisieren, richtig. Sie dient der Wiederaufnahme des Dialoges. Ministerpräsident Roland Koch und dem Kuratorium gilt unser ausdrücklicher Dank für das Engagement, den Dialog zwischen den Preisträgern zu initiieren und zu moderieren. Richtig ist auch, dass die Landesregierung sich zu den inhaltlich religiösen Fragen nicht äußert und damit neutral bleibt. Wir dürfen aber vor lauter Neutralität und politischer Korrektheit nicht unsere eigenen Wurzeln vergessen. Wenn wir aus Angst davor, Empfindlichkeiten anderer Religions- oder Gesellschaftsformen zu verletzen, unsere eigenen Symbole und Positionen verstecken, machen wir einen Dialog unmöglich“, warnte Wagner.
Es sei daher von großer Bedeutung, sich bewusst zu machen, dass das Grundgesetz Ausdruck des christlich-abendländischen Weltbildes sei. Grundrechte wie Freiheit, Gleichheit aller Menschen, Gleichberechtigung und Schutz von Ehe und Familie seien Ausprägungen des christlichen Menschenbildes. Auch habe die katholische Soziallehre maßgeblichen Einfluss darauf gehabt, dass die bestehende Wirtschaftsordnung eine „soziale“ Marktwirtschaft und das Sozialstaatsprinzip im Grundgesetz verankert worden sei. „Es ist unsere Aufgabe nicht nur als Christen, sondern auch als Politiker, diese Traditionen aufrecht zu erhalten, denn sie haben unseren Staat zu dem gemacht, was er ist. Ein freiheitsliebender offener und sozialer Staat. Ein Staat, der den Menschen in den Mittelpunkt rückt. Es ist ein Staat mit christlich-humanistischen Werten, in dem wir leben. Nur wenn wir uns zu den christlichen Wurzeln unserer Gesellschaft und unseres Staates bekennen, kann ein interreligiöser Dialog gelingen“, sagte Wagner abschließend.
Landesregierung muss sich ihrer Verantwortung stellen
Die Grünen erklärten hingegen, dass die geplante Verleihung und die darauf folgende Aberkennung in einem Eklat endeten, in dem die Landesregierung eine mehr als missliche Rolle gespielt habe. Durch die Aberkennung des Preises sei gerade vom Vorsitzenden des Kuratoriums, Ministerpräsident Roland Koch, die Intention des Preises, den Dialog zwischen den Kulturen und Religionen zu fördern, ganz erheblich zurückgeworfen worden.
„Die Preisverleihung für den interreligiösen Dialog ist an religiöser Intoleranz gescheitert. Und umso unverantwortlicher ist das bis heute andauernde auffällige Schweigen der Landesregierung. Wir fordern einen öffentlichen Dialog über die ganzen Vorgänge rund um die Vergabe des Kulturpreises anstatt sich weiterhin hinter dem Kuratorium zu verstecken und die Verantwortung der Verständigung allein auf die Preisträger abzuwälzen“, so die kulturpolitische Sprecherin der Landtagsfraktion der Grünen, Sarah Sorge.
„Es ist ein Armutszeugnis für das Kuratorium und Roland Koch, dass bislang die Motivation für die Entscheidung verschwiegen wird. Es ist zu befürchten, dass der persönlichen Verletztheit von Lehrmann und Steinacker mehr Gewicht eingeräumt wurde als sachlich und tolerant auf den Stein des Anstoßes zu sehen. Das wird aber nicht nur der Intention des Kulturpreises nicht gerecht, sondern hat zudem diffamierenden und spaltenden Charakter. Diffamierend gegenüber der Person Navid Kermani, einem iranischstämmigen deutschen Intellektuellen, der sich gerade mit interkulturellen und interreligiösen Fragen sehr klug auseinandersetzt und mit seinen Arbeiten schon zahlreiche Preise gewonnen hat. Aber nicht nur diese Leistungen wurden nicht anerkannt, sondern er wurde ungeschützt in der Öffentlichkeit als Christenhasser dastehen lassen und damit seine intellektuelle Integrität diskreditiert. Über einer Million Muslimen in Deutschland wurde damit zu verstehen gegeben ‚Mit uns kann man es ja machen‘.“
Es stehe der Vorwurf im Raum, das Land Hessen lasse sich von den Vertretern der christlichen Kirchen beeinflussen. Auch dazu müsse sich Ministerpräsident Koch endlich erklären. Er müsse auch erklären, wie es zu der äußerst tendenziösen Auswahl der Zitate aus Kermanis Essay in der Presseinformation der Staatskanzlei kam. Und er müsse erklären, ob er die Einschätzung Lehmanns und Steinackers teilt. Auf all diese Fragen, die in der ganzen Republik diskutiert würden, gebe die Landesregierung keine Antwort.
„Beschämend ist, dass sich die FDP in dieser ganzen Debatte wochenlang gar nicht geäußert hat. Weder der Integrationsminister noch die für die Kirchen zuständige Kultusministerin haben sich geäußert, und auch im Wissenschaftsausschuss verhielten sich die drei FDP-Abgeordneten wie die berühmten drei Affen: Nichts sehen, nichts hören, nichts sprechen. Dieses armselige Spiel, das die FDP hier veranstaltet, hätte es mit Ruth Wagner nicht gegeben.“
Runder Tisch eröffnet Möglichkeit, dass der interreligiöse Dialog wieder in Gang kommt
Florian Rentsch, Vorsitzender der FDP-Fraktion im Hessischen Landtag erklärte, dass die Situation beim Kulturpreis relativ verfahren ist: „Gerade die Geschäftsgrundlage des Preises, also der interreligiöse Dialog, ist gestört.“
Zum Setzpunkt der Grünen betreffend dem Hessischen Kulturpreis sagte Rentsch weiter: “Die Äußerungen von Karl Kardinal Lehmann und des langjährigen Kirchenpräsidenten der Evangelischen Kirche in Hessen und Nassau, Peter Steinacker, sind für mich insofern verwunderlich, als dass die Bedeutung des Kreuzes im Islam für die Muslime problematisch ist.
So war in der FAZ vom 21.5.2009 unter der Überschrift ‚Kant hat dasselbe wie Kermani gelehrt’ von dem Theologen Friedrich Wilhelm Graf von der Uni München zu lesen: ‚Navid Kermani ist kein intoleranter Feind des Christentums, der dessen ‚Zentralsymbol’, das Kreuz verunglimpft, sondern ein frommer muslimischer Religionsintellektueller, der seinen Gott auf ganz eigene Weise verehrt und sich dabei einfühlsam auch den inneren Sinnen christlicher Frömmigkeit zu erschließen sucht.’“
Insofern sei für Rentsch auch der Artikel von Herrn Kermani keine Überraschung und kein Aufreger. „Wir warten jetzt den runden Tisch ab und hoffen, dass der interreligiöse Dialog wieder in Gang kommt. Wenn nicht, dann ist auch die Geschäftsgrundlage für den Kulturpreis weggefallen. Man kann keinen Preis für einen interreligiösen Dialog verleihen, den es gar nicht gibt. Dann muss er logischerweise dieses Jahr ausgesetzt werden.“, so Rentsch.
Rentsch endete mit dem Zitat von Avraham Zeev Nussbaum, Rabbiner und Kantor der jüdischen Gemeinde Wiesbaden (FAZ vom 27.5.09): „Ich habe – wie viele andere Juden auch – ein Problem mit dem Kreuz, sowohl theologisch-moralisch als auch emotional. Wer das nicht hören will, darf weghören, wäre aber wohl eher als Preisträger für den Monolog der Religionen geeignet.“
Ministerpräsident Roland Koch (CDU) duckt sich feige weg
Die Vorsitzende der Linksfraktion im Hessischen Landtag, Janine Wissler, griff ebenfalls Roland Koch an und erklärte, dass es „erbärmlich“ sei, dass Roland Koch sich bis zum Ende der Debatte geweigert habe, Auskunft zu seiner Rolle in dem peinlichen Stück zu geben.
Wissler weiter: „Herr Koch trägt als Ministerpräsident und Vorsitzender des Kuratoriums die Verantwortung für das angerichtete Desaster. Statt sich zu dem Fehler zu bekennen und die Verantwortung zu übernehmen, hat er sich in der Debatte heute nur feige weggeduckt.“
Die Linksfraktion forderte Koch auf, sich bei Navid Kermani zu entschuldigen und den Hessischen Kulturpreis in diesem Jahr auszusetzen. Der Preis für interreligiöse Toleranz sei an der Intoleranz der Landesregierung gescheitert. Das Preisgeld sollte jetzt lieber genutzt werden, um Projekte für mehr Toleranz zu fördern. Politik
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„Die Linksfraktion forderte Koch auf, sich bei Navid Kermani zu entschuldigen und den Hessischen Kulturpreis in diesem Jahr auszusetzen. Der Preis für interreligiöse Toleranz sei an der Intoleranz der Landesregierung gescheitert. Das Preisgeld sollte jetzt lieber genutzt werden, um Projekte für mehr Toleranz zu fördern.“
Den ersten Teil der Aussage sollte man korrigieren: Entschuldigen kann nur der Verletzte den Übeltäter, der kann maximal den Beleidigten um Entschuldigung bitten.
Der zweite Teil findet meine volle Unterstützung, als Buße sollte Herr Koch den Betrag aus seiner Privatschatulle verdoppeln.
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