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Hausbrand (Symbolfoto) © de.depositphotos.com

Experten warnen

Mehr politisch motivierte Straftaten gegen Flüchtlingsheime

Im vergangenen Jahr gab es einen deutlichen Anstieg rechtsextremer Straftaten gegen Flüchtlingsheime. Ataman nennt die aktuelle Debatte über Migration „verstörend“. Die Abstimmung mit der AfD verunsichere die Bevölkerung, warnt sie. Wissenschaftler sind alarmiert.

Sonntag, 02.02.2025, 17:30 Uhr|zuletzt aktualisiert: Sonntag, 02.02.2025, 17:30 Uhr Lesedauer: 5 Minuten  |  

Die Zahl der politisch motivierten Straftaten gegen Geflüchtetenunterkünfte hat nach Angaben der Bundesregierung im Jahr 2024 zugenommen. Die Polizei registrierte im vergangenen Jahr 218 solcher Taten, bei denen Unterkünfte Angriffsziel oder Tatort waren. Im Jahr 2023 waren es noch 167 Straftaten, wie das „RedaktionsNetzwerk Deutschland“ unter Berufung auf eine Antwort des Bundesinnenministeriums auf eine Kleine Anfrage der Linken-Gruppe im Bundestag berichtete.

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Bei 28 der Taten im vergangenen Jahr handelte es sich demnach um Gewaltdelikte. Dadurch wurden laut der Auflistung des Ministeriums 14 Personen verletzt, darunter ein Kind.

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Die Zahl der politisch motivierten Straftaten gegen Geflüchtete außerhalb von Unterkünften ist den Angaben zufolge nach aktuellem Stand etwas gesunken. Die Behörden registrierten bis zum Jahresende 1.905 Straftaten, davon 237 Gewalttaten. Im Jahr 2023 waren es 2.450. Es sei jedoch damit zu rechnen, dass diese Zahl für das Jahr 2024 noch steigt, weil zahlreiche Nachmeldungen der Polizei aus dem vierten Quartal erfolgen dürften.

„Die Zahl der Beleidigungen, Bedrohungen und Angriffe gegen Geflüchtete ist seit Jahren besorgniserregend hoch“, sagte die fluchtpolitische Sprecherin der Linken-Gruppe im Bundestag, Clara Bünger. Es sei empörend, dass dieser Zustand von großen Teilen der Politik und Öffentlichkeit achselzuckend hingenommen werde. Immerhin gehe es bei den Betroffenen um Menschen, die in Deutschland Schutz suchten. „Doch was sie finden, sind rassistische Anfeindungen und Gewalt. Daran dürfen wir uns niemals gewöhnen“, sagte Bünger.

Ataman warnt vor weiterer Zunahme rassistischer Vorfälle

Die Antidiskriminierungsbeauftragte des Bundes, Ferda Ataman, warnte angesichts der aktuellen Debatte über Migrationspolitik vor einer weiteren Zunahme rassistischer Vorfälle gegen Menschen mit Fluchterfahrung. „An unsere Beratungsstelle wenden sich vermehrt Menschen, die rassistische Vorfälle schildern. Sie berichten von Arbeitgebenden, die ausländische Bewerber beschimpfen oder von Ärzten, die Muslimen die Behandlung verweigern“, sagte Ataman der Deutschen Presse-Agentur.

Diskriminierungen würden „offener und härter“, beklagte sie. Aus Magdeburg würden ihr Migranten seit Wochen „auch von körperlichen Angriffen“ berichten. In Magdeburg hatte ein Mann aus Saudi-Arabien kurz vor Weihnachten einen Anschlag auf einen Weihnachtsmarkt verübt und dabei sechs Menschen getötet und zahlreiche verletzt. Die Tat hatte eine öffentliche Debatte über den Umgang mit straffälligen Geflüchteten ausgelöst, die sich seit dem Messerangriff auf eine Kita-Gruppe in Aschaffenburg mit einem afghanischen Verdächtigen deutlich verschärft hat.

Debatte zu Migration schüre „Ressentiments“

An die Adresse von Unionskanzlerkandidat Friedrich Merz (CDU), dessen Fraktion ein Gesetz zur Begrenzung der Migration nach Deutschland in den Bundestag eingebracht und dabei auch die Unterstützung der AfD in Kauf genommen hatte, erklärte Ataman: „Im Parlament mit rechtsextremistischen Kräften abzustimmen, löst keines der bestehenden Probleme, verunsichert aber weite Teile der Bevölkerung.“ Viele Menschen im Land würden sich fragen, „ob sie und ihre Kinder noch eine sichere Zukunft in Deutschland haben“.

Wie die aktuelle Debatte über Migration in Deutschland geführt werde, sei „verstörend“ und schüre Ressentiments, kritisierte sie. Eine verantwortungsbewusste Migrationspolitik dürfe „kein Brandbeschleuniger für Rassismus und Rechtsextremismus sein“.

Heftige Kritik an Abstimmung mit AfD

Der Bundestag hatte am Freitag über das umstrittene „Zustrombegrenzungsgesetz“ der Union entscheiden, mit dem die CDU/CSU unter anderem den Familiennachzug bei Geflüchteten mit eingeschränktem Schutzstatus beenden will. Der Entwurf verfehlte die Mehrheit nur knapp. Dafür hatten mehrheitlich die CDU/CSU- die AfD- und die FDP-Fraktion gestimmt.

Bereits am Mittwoch hatte der Bundestag einem Antrag der Union zugestimmt, der Zurückweisungen von Asylsuchenden an den deutschen Grenzen vorsieht. Zur Mehrheit für den Antrag haben der Union erstmals auch die Stimmen der AfD verholfen – ein Vorgang, der sowohl bei der Opposition als auch zum Teil innerhalb der Union große Empörung ausgelöst hat.

Migrationsforscherin: Politik macht Migranten zu Sündenböcken

Kritik erntet das Vorgehen der Union auch in der Wissenschaft. Die Hildesheimer Migrationsforscherin Danielle Kasparick etwa hält die aktuelle Wortwahl in der Migrationsdebatte für gefährlich. Sie mache Geflüchtete verantwortlich für politische Versäumnisse der vergangenen Jahre, sagte Kasparick dem „Evangelischen Pressedienst“: „Die Sprache vieler Politiker ist extrem ausgrenzend und pauschalisierend, sie schürt Sorgen und Ängste.“

Aussagen von AfD- oder Unions-Politikern suggerierten, dass für Anschläge einzelner psychisch kranker Straftäter pauschal alle Schutzsuchenden verantwortlich seien. Es sei aber Aufgabe des Staates, die Bürger vor der Bedrohung solcher Einzeltäter zu schützen und für Sicherheit zu sorgen, sagte die Leiterin der Forschungs- und Transferstelle Migrationspolitik an der Universität Hildesheim. Die Wissenschaft weise seit Jahrzehnten auf die Engpässe bei der Versorgung von psychisch kranken Menschen hin.

Journalismusprofessor sieht „verbalen Aktionismus“

Auch der Mainzer Journalismusprofessor Tanjev Schultz sieht nach Aschaffenburg ein „großes Versagen“. Von vielen Politikern sei das Geschehen sofort beurteilt, und es seien Stimmungen verstärkt worden, sagte er dem „Evangelischen Pressedienst“. Doch auch die Medien hätten die Pflicht, verantwortungsvoll zu handeln. Ein „verbaler Aktionismus“ sei nach solchen Ereignissen öfter zu beobachten, in Wahlkampfzeiten „natürlich verschärft“, sagte Schultz. „Es wird der Trauer kein Raum gegeben“, kritisierte er. Zudem werde nicht abgewartet, bis der Sachverhalt feststehe: „Es geht sofort in Richtung einer Agenda.“ Die Medien wollten sich nicht dem Vorwurf aussetzen, irgendetwas zu verharmlosen, sagte der Professor, der auch zu Medienethik forscht. Doch es gehe um journalistische Qualität. Berichterstattung dürfe nicht unterkomplex werden und nur Stimmungen reproduzieren, etwa das falsche Narrativ „Wir gegen die Migranten“.

Besser wären seiner Ansicht nach politische Äußerungen gewesen, die nicht spalten, sondern die Gemeinschaft betonen, und dass es ein Täter mit einer individuellen Geschichte war. „Hier ist viel Differenzierung nötig“, sagte der Wissenschaftler. „Sogar wenn ein Politiker einen harten Kurs fahren will, sollte er erst mal die Mitmenschlichkeit in den Vordergrund stellen.“ In dieser aufgeheizten Diskurskultur stelle sich die Frage, ob Politiker noch ethischen Kategorien wie der Menschenwürde gerecht werden – „oder ob sie Menschen Unrecht tun, indem sie sie instrumentalisieren“.

Bundesintegrationsrat kritisiert „Scheindebatten“

Der Bundeszuwanderungs- und Integrationsrat kritisiert eine Instrumentalisierung des Messerangriffs von Aschaffenburg. Solche Attacken würden immer wieder genutzt, um Migranten als „generell gewaltbereit und nicht integrationswillig“ zu zeichnen, erklärte der Rat in Berlin. Das schüre Ängste, spalte die Gesellschaft und stärke extremistische Positionen. Nach den Worten der Vorsitzenden des Integrationsrats, Didem Karabulut, verdecken die wiederkehrenden Diskussionsmuster den eigentlichen Kern des Problems. Im Falle Aschaffenburgs sei das „ein eklatantes strukturelles Versagen auf behördlicher Seite“ gewesen. (epd/dpa/mig) Aktuell Panorama

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