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MiGAZIN Kolumnist Sven Bensmann © privat, Zeichnung MiG

Nebenan

Von syrischer Freiheit und europäischen Feminazis

Kaum ist Assad weg, wollen wir wissen, wann sich Syrer wieder verpissen aus unserem Land. Das ist Nächstenliebe à la Cdsu. Wer braucht da eigentlich noch die neue AfD-Mutti?

Von Montag, 09.12.2024, 10:12 Uhr|zuletzt aktualisiert: Montag, 09.12.2024, 9:01 Uhr Lesedauer: 7 Minuten  |  

Assad ist tot oder auf der Flucht, Menschen feiern ihr Unwissen darüber, wie die Zukunft aussieht. Wann der Kater einsetzt, wird sich erst noch zeigen müssen.

Es ist eine seltsame Situation. Sehr schnell war das Regime von Assad in Syrien Geschichte. Die Situation ist noch volatil, keiner weiß so recht, was passieren wird und doch feiern die Menschen, die aus Syrien in alle Welt vertrieben wurden, in den Straßen der Städte, jubeln über das Ende eines Tyrannen.

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Gleichzeitig versuchen deutsche Fernsehsender und Politiker bereits den kommenden Narrativ zu setzen. Dazu wird jubelnden Menschen auf der Straße die Frage gestellt, ob sie sich denn nicht jetzt, wo Assad weg ist, so langsam auch wieder aus unserm Land verpissen wollen. Und aus der CDU heißt es, dass jetzt, wo in Syrien religiöse Fanatiker drauf und dran sind, die Macht im Lande an sich zu reißen, niemand mehr bei uns Asyl gewährt bekommen dürfe. Schon in Afghanistan hatte sich schließlich gezeigt, wie gut das für alle, insbesondere aber für Frauen, funktioniert.

Es bietet einen tiefen Einblick in die Seele von Menschen, wie sie auf diese Nachricht reagierten. Es ist nur verständlich, dass jene, die unter Assad gelitten haben, sich einfach freuen wollen. Es steht diesen Menschen zu, dass sie sich heute keine Gedanken darüber machen, wie das Morgen aussieht. Ob ihre Träume für ihr Land wirklich wahr werden, es ist ihnen zu wünschen und wir sollten uns alle verpflichtet fühlen, ihnen jedwede Hilfe zu gewähren, die sie für den Aufbau eines neuen, besseren Syriens erbeten.

Den jubelnden Menschen Mut zuzusprechen, die Flucht Assads und den Neuanfang zu begrüßen und Unterstützung zu signalisieren, ist da wohl die normale, die menschliche Reaktion.

„Die Forderung aus der selbsternannten Partei der christlichen Nächstenliebe ist an Widerlichkeit und Menschenverachtung … kaum zu überbieten.“

Wer andererseits, wie CSU-Fraktionsvize Lindholz an einem solchen Tag als allererstes daran denkt, dass man jetzt doch bitte mit sofortiger Wirkung keinerlei Menschen aus Syrien mehr aufnehmen dürfe, der offenbart die Abgründe, die sich in den Seelen besonders schlechter Menschen auftun. Wenn noch längst nicht klar ist, ob sich die innenpolitische Lage in Syrien nun tatsächlich und nachhaltig verbessert, ist es angemessen, wie das Innenministerium, auf Nachfrage ganz richtig festzustellen, dass längst nicht klar ist, ob sich die Flüchtlingssituation angesichts der aktuellen Lage eher entspannen oder eskalieren wird. Die Forderung aus der selbsternannten Partei der christlichen Nächstenliebe ist an Widerlichkeit und Menschenverachtung, gerade in der Weihnachtszeit, die für diese Leute ja eigentlich eine besondere Rolle spielt, daher kaum zu überbieten.

Und: Wer an einem Tag wie dem Sonntag Weltpolitik einzig durch die Brille der Flüchtlingspolitik zu sehen in der Lage ist, der braucht keine Brandmauer zur AfD, er ist die AfD – und weil wir kurz vor der Winterpause stehen, will ich auch noch auf die kurz eingehen.

„In Europa haben abgehalfterte Hofschranzen, die sich … zumindest einmal rechtsextremem Gedankengut gegenüber nicht vollständig verschließen, gerade Oberwasser.“

Denn ob Marine Le Pen in Frankreich, Georgia Meloni in Italien, Ursula von der Leyen in Brüssel – oder jetzt Alice Weidel: in Europa haben abgehalfterte Hofschranzen, die sich – sagen wir es einmal vorsichtig, weil es nicht für alle in gleichem Maße gilt – zumindest einmal rechtsextremem Gedankengut gegenüber nicht vollständig verschließen, gerade Oberwasser. Auch in den USA steht ab nächstem Monat an der Spitze der rechtsextremen Bewegungen weithin sichtbar Donald Trump. Keine Männer weit und breit also.

Und das, wo doch das Nazipack so sehr von heterosexueller Cis-Männlichkeit besessen ist und non-stop davon faselt, sich die eigene Männlichkeit zurückholen zu müssen – was natürlich schon immer etwas von Überkompensation hat. Immerhin kann man nur zurückholen, was man bereits verloren hat.

„Es wäre nun allzu einfach und sicher auch ein großer Spaß, eine seitenlange Tirade über die neuen Feminazis niederzuschreiben.“

Es wäre nun allzu einfach und sicher auch ein großer Spaß, eine seitenlange Tirade über die neuen Feminazis niederzuschreiben, über verweiblichte, verschwulte Kameraden in Lack-Springerstiefeln, die bis über die Knie und fast bis ans kurze Röckchen heranreichen. Aber erstens wäre es eine Gratwanderung, dass die hierfür nötige Sprache dann nicht doch einmal vom nur Zynischen ins Homophobe abdriftete, und zum anderen ist doch die Frage viel interessanter, was das eigentlich mit all den minderbepimmelten Jungs macht, die sich aus lauter Angst vor den Mädels in den Rechtsextremismus flüchteten. Die hatten dort schließlich einen männlichen safe space gesucht, und nun wird ihnen auch da plötzlich eine Schweizer Kampflesbe mit Migrantenkindern als Kanzlerkandidatin vor die Nase gesetzt, die ihnen das Geschlechtsteil erst plätten und dann panieren will: Weidel hat das Schnitzel als Symbol der Emaskulation, dass ihr niemand wegnehmen dürfe, in ihrer gespielten, arg gekünstelt wirkenden Empörung, nichtsdestotrotz zu einer Ikone gemacht.

Stellen wir uns also einmal (wenig) ernsthaft die Frage, warum ausgerechnet die Merkel-muss-weg-Partei sich eine eigene Merkel zur Kanzlerkandidatin erwählt hat, eine Frau, die wie Merkel keine eigene Agenda hat, sondern einfach nur ganz oben stehen will, der es egal ist, wohin die Reise geht, solange sie nur das Ruder halten darf und die, wie es Volker Pispers einmal so vortrefflich formulierte, wenn alle von vorn auf sie einschreien, sich einfach umdreht und erklärt: „Die stehen alle hinter mir“ – und ob aus Faschos jetzt wirklich Feminazis werden.

„Was Mutti sagt, das gilt – auch in der AfD.“

Nun, zunächst einmal scheint es so, als ersetze Alice Weidel vielen in der AfD schlicht die Mutti. Jene Mutti, die für ein bisschen Nestwärme und für Ruhe sorgt und vor der selbst sich als gestandene Männer inszenierende Jammerlappen wie Landolf Ladig den geschnitzelten Schwanz einziehen. Denn was Mutti sagt, das gilt – auch in der AfD. Mutti weiß nämlich, was gut ist für Partei und Deutschland, da wird gegessen, was auf den Tisch kommt. Mutti widerspricht man nicht – schon gar nicht, wenn man noch in ihrem Keller wohnt und andere Frauen nur aus dem Internet kennt. Vielleicht hegt der ein oder andere sogar die Hoffnung, dass Mutti ihm an der sexuellen Resterampe im Stile einer Inka Bause unter die Arme greift. Wie bei echten Alpha-Männern eben.

Da muss es an ihnen nagen, dass einerseits ledige Männlichkeits-Coaches im geliehenen Lambo davon schwadronieren, dass sie sich nur nehmen sollen, was sie wollen, weil es ihnen als Männern zusteht (Komm in die Gruppe, ich zeig dir wie!), während sich eine Frau einfach ihre ganze Partei genommen hat – ohne dass sich ein Mann fände, der ihr auch nur das Wasser reichen dürfte. Das alles, während gleichzeitig der so sanft auftretende heterosexuelle Familienvater, Kinderbuchautor und Frauenschwarm Robert Habeck die Spitzenkandidatur der Grünen übernommen hat – und zwar, obwohl laut Satzung eigentlich kein Weg an Annalena Baerbock vorbei ginge, wenn die nur wollte. Dabei ist er nicht nur allgemein beliebter als Feminazi Weidel, sondern auch drauf und dran, trotz der schwierigen Ausgangssituation, die AfD bis zur Wahl noch zu überholen.

Ein echter Kerl eben. Einer, an dem sich zu orientieren junge Männer auf der Suche nach sinnstiftenden männlichen Vorbildern sicher besser bedient wären, als mit den Lappen der AfD, die höchstens als Vorbild fürs Vollersagen taugen. Dann müsste man auch nicht mehr Tag für Tag die eigene Männlichkeit beweinen oder, dass man als anständiger rechter Bub, der doch nur eine Frau unterdrücken will, keine mehr abkriegt, weil jene Frauen sich lieber mit all diesen linksverschwulten Männern einlassen, die sie ernsthaft respektieren und deshalb an jedem Finger eine andere haben. Wann dieser spezifische Groschen wohl fallen wird? Meinung

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  1. Martin Stenzel sagt:

    Guten Tag,

    wunderbar und exakt formuliert – dem gibt es nichts hinzuzufügen!

  2. Gerrit sagt:

    Einfach nur klasse. Kompliment für diesen Artikel.