Eine Wutschrift
Flutwelle des Rechtsradikalismus
Seit Solingen ist Sippenhaft wieder forderbar – aber nur für „Nicht-Deutsche“. Als gebe es nichts Besseres zu tun, beispielsweise die Rettung unserer Demokratie – vor seinen Feinden. Ich bin wütend.
Von Birgit Knoll Mittwoch, 11.09.2024, 10:12 Uhr|zuletzt aktualisiert: Mittwoch, 11.09.2024, 11:13 Uhr Lesedauer: 5 Minuten |
Solingen und kein Ende. Man wird zugeballert mit immer neuen „Ideen“, wie man denn die Grenzen dichtmachen kann und bloß keinem Bedürftigen mehr Unterstützung gewähren muss. Die Grüne Jugend hat es richtig erkannt: Die Regierung bekämpft Geflüchtete, nicht Terroristen. Im Gegenteil, die Ausgrenzung, Prekarisierung und Abschottung begünstigen im Endeffekt nur noch die Anfälligkeit für Radikalismus.
Dass auch Deutsche mit Messern umzugehen wissen, zeigen zwei ebenfalls brandaktuelle Fälle. In Siegen sticht eine – natürlich „geistig verwirrte“ Deutsche – in einem Bus um sich. Passanten mit Einwanderungsgeschichte schreiten ein. Diese Zivilcourage veranlasst Innenminister Reul zu der Aussage, dass „wir“ – plötzlich „wir“ – etwas richtig gemacht hätten. In Berlin ersticht ein Bio-Deutscher Lehrer seine Schülerin, mit der er mutmaßlich ein Verhältnis hatte.
Wenn aber Deutsche zum Messer greifen, ist das wohl weniger schlimm! Denn diese Vorfälle sind den Medien allenthalben eine Randnotiz wert. Von den vielen Übergriffen auf Geflüchtete in den letzten Jahren ganz zu schweigen. Diese haben sich im Vergleich zu 2022 mit rund 2.400 mehr als verdoppelt! Es wird zwar registriert, aber kaum thematisiert. Wen interessieren auch schon Zahlen in einer Statistik? Das ist das „neue Normal“, wie Rechtsextremismusforscher Matthias Quent feststellt.
„Sippenhaft und Kollektivstrafen, eigentlich längst abgeschafft, gibt es aber nur nach Straftaten von Nicht-Bio-Deutschen.“
Sippenhaft und Kollektivstrafen, eigentlich längst abgeschafft, gibt es aber nur nach Straftaten von Nicht-Bio-Deutschen. Wird jetzt Frauen verboten, mit dem Bus zu fahren? Oder werden alle männlichen Lehrer entlassen? Nein, wäre ja auch ziemlich hirnrissig. Zudem laufen auch noch jede Menge bewaffnete Nazis durchs deutsche Lande. Die hat man aber erst auf dem Schirm, wenn es zu spät ist. In Hockenheim hat ein deutsches Ehepaar eine Ukrainerin und deren Mutter ermordet, um deren Neugeborenes zu entführen und als ihr eigenes Kind auszugeben. Skandal, mediale Breitseite, Information auf allen Kanälen? Fehlanzeige.
Die politisch und juristisch Verantwortlichen sollten sich für ein Verbot des politischen Arms der Rechtsextremen einsetzen, welcher sich gerade im Osten anschickt, die Landesregierungen zu übernehmen. In Thüringen haben sie bereits die Sperrminorität erreicht. Das heißt, sie können über die Ernennung von Richtern entscheiden. Gerade in Thüringen steht in der Justiz eine Pensionierungswelle bevor. Man hat versäumt, die Verfassung vor dem Zugriff rechtsextremer Kräfte zu schützen. Jetzt ist es dafür zu spät!
„Dass die Europäische Union zu einem großen Teil für diese Fluchtbewegungen mitverantwortlich ist – geschenkt.“
Aber klar, man ist ja seit geraumer Zeit nur noch damit beschäftigt, die Fluchtmigration zu bekämpfen. Dass die Europäische Union zu einem großen Teil für diese Fluchtbewegungen mitverantwortlich ist – geschenkt: mit Waffenlieferungen, die in Kriegen eingesetzt werden oder mit Verpestung der Umwelt, die Millionen Menschen im globalen Süden den Lebensraum raubt? Kein Ding, Flucht aufgrund der Klimakrise ist nicht einmal Asylgrund. Und wenn die Menschen dann in den Norden flüchten, abwehren, abschrecken, sterbenlassen. Erst jüngst sind wieder Boote vor England und Italien mit mehreren Toten havariert.
Man kann viel mit Unterlassen anrichten, wie Maximilian Steinbeis beschreibt. Er plädiert für Resilienz durch Antizipation. Denn „wer den Möglichkeitsraum, als den die autoritären Populisten die demokratische Verfassung betrachten, überblickt, wird sich rechtzeitig zu Protest und Widerstand wappnen können, bevor aus Möglichkeiten Wirklichkeiten geworden sind und es für Gegenwehr zu spät ist.“
Deshalb: Alle demokratischen Kräfte sind aufgefordert, zu handeln! Noch befinden sie sich in einer Position, in der sie die politischen Entwicklungen beeinflussen können. Im nächsten Wahlgang wird die Ampel voraussichtlich Geschichte sein, die Rechtsradikalen ihren Einfluss auch im Westen noch ausgebaut haben. Dann geht es an Regierung und Grundgesetz.
„Was passiert nach dem nächsten Anschlag?“
Im Übrigen: So flugs wie die Regierung jetzt Gesetze raushaut, um Schutzsuchenden das Leben zu erschweren, beziehungsweise hier unmöglich zu machen, könnte man meinen, sie hätten sie längst in der Schublade liegen gehabt und nur auf einen Auslöser gewartet. Und was passiert nach dem nächsten Anschlag? Werden dann die Schutzsuchenden aus ihren Unterkünften gezerrt und auf die Straße gesetzt oder gleich zwangsweise deportiert?
Wenn humanitäre Aspekte nicht mehr greifen, dann doch wenigstens arbeitsmarktpolitische, müsste man meinen. Aber wo war eigentlich die Unternehmer-FDP, als diese von Höcke wegen ihrer Kampagne für Vielfalt attackiert wurde? Ostdeutsche Unternehmen fürchten um ihren Wirtschaftsstandort. Zu Recht. Welche ausländische Fachkraft wäre noch bereit, in einem Land voller Rassisten zu arbeiten.
„Den Rechten das Wasser abgraben zu wollen, indem man selbst rechte Politik macht, funktioniert nicht.“
Statt wie wild den Rechtsradikalen im vorauseilenden Gehorsam hinterherzujagen, sollten sie lieber dafür sorgen, dass sie die links-liberalen Teile der Bevölkerung als Wähler nicht auch noch verlieren. Den Rechten das Wasser abgraben zu wollen, indem man selbst rechte Politik macht, funktioniert nicht. Die Vergangenheit hat es gezeigt und die Zukunft wird es wieder zeigen.
Bundesinnenministerin Nancy Faeser sollte sich hüten, mit ihren „konstruktiven“ Unionsgesprächen immer wieder in die gleiche Falle zu tappen und die vermeintlich einfachsten Lösungen zu verfolgen. Irgendwann wacht man auf und die freiheitlich demokratische Grundordnung, die Pressefreiheit oder die unabhängige Justiz gibt es plötzlich nicht mehr. Wenn es so weitergeht, müssen die Nazis gar nicht mehr großartig in Aktion treten, sondern nur auf die nächsten Wahlen warten. Meinung
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Danke! Sie sprechen mir aus der Seele! Die Migrationsdebatte wird mittlerweile völlig verkürzt und beschränkt sich nur noch auf Asyl und Restriktionen. Wenn schon humanitäre Argumente bei so vielen Menschen offenbar nicht mehr greifen, so könnte man doch zumindest über die tausenden Fach- und Arbeitskräfte aus dem Ausland sprechen, ohne die schon lange nichts mehr gehen würde in Bau, Gastronomie, Pflege und Medizin.
Ich hoffe, dass sehr viele seit Jahrzehnten in und für Deutschland schaffende Migranten Deutschland verlassen, keine arbeitsmarkttechnisch benötigten Migranten nach Deutschland kommen und die in der Bürgergeldmatte hängenden AfD-Wähler sich dann selber bücken und all die Arbeiten verrichten müssen!