Schlag ins Kontor
Verfassungsschutz darf AfD weiter als rechtsextremer Verdachtsfall beobachten
Was hat die AfD nicht alles versucht: Sogar Mitglieder mit Migrationshintergrund wurden eigens nach Münster bestellt, um die Vorwürfe des Verfassungsschutzes zu entkräften. Ohne Erfolg. Droht der Partei jetzt der freie Fall?
Von Anne-Béatrice Clasmann Montag, 13.05.2024, 14:18 Uhr|zuletzt aktualisiert: Montag, 13.05.2024, 14:20 Uhr Lesedauer: 6 Minuten |
Für die AfD ist ihre erneute Niederlage gegen den Verfassungsschutz, knapp vier vor der Europawahl, ein Rückschlag. Denn die nun gerichtlich bestätigte Einstufung der Partei als rechtsextremistischer Verdachtsfall durch den Inlandsgeheimdienst ist ein Makel, der im Kampf um Wählerstimmen hinderlich sein kann. „Das befördert den Abstieg“, glaubt der Berliner Autor und Politikwissenschaftler Hajo Funke.
Zudem trifft das Urteil die Partei in einer Zeit, wo die Kurve der bundesweiten Umfragewerte nach einer langen Phase des Aufschwungs nach unten zeigt. Lag die AfD im Herbst 2023 zeitweise stabil über 20 Prozent, so ermittelten die Meinungsforscher zuletzt Werte zwischen 16 und 18 Prozent. Die mutmaßlichen Gründe für den Sinkflug: Erst ließ ein Medienbericht über ein Vernetzungstreffen mit Rechtsextremisten bei einigen Bürgern Zweifel an der Verfassungstreue von AfD-Politikern aufkommen. Auch dass mit dem Bündnis Sahra Wagenknecht (BSW) jetzt ein weiterer Konkurrent auf dem Platz ist, dürfte der AfD geschadet haben. Und dann musste sich die Parteispitze fragen lassen, wie es um den selbsterklärten Patriotismus einiger führender AfD-Politiker bestellt sei.
Denn Jian Guo, ein langjähriger Mitarbeiter des AfD-Spitzenkandidaten für die Europawahl, Maximilian Krah, sitzt inzwischen wegen mutmaßlicher Spionage für China in Untersuchungshaft. Krah selbst geriet ebenso in den Fokus der Aufmerksamkeit wie der Bundestagsabgeordnete Petr Bystron – wegen möglicher Verbindungen zu prorussischen Netzwerken. Bystron ist Zweitplatzierter auf der AfD-Kandidatenliste für die Europawahl am 9. Juni. Nachdem Medien über mögliche Geldzahlungen berichtet hatten, wird außerdem bei beiden Politikern geprüft, ob Ermittlungen aufgenommen werden sollten. Bei Krah wird zudem geprüft, ob es Ermittlungen wegen möglicher chinesischer Zahlungen geben soll.
In dem Gutachten des Verfassungsschutzes, mit dem einst die Einstufung als Verdachtsfall begründet wurde, hatten diese Vorkommnisse, mit denen sich inzwischen die Spionageabwehr-Abteilung der Behörde beschäftigt, noch keine Rolle gespielt.
Was der Verfassungsschutz jetzt macht
Er kann die AfD weiterhin als sogenannter Verdachtsfall beobachten. Das tut der Nachrichtendienst bereits seit März 2021. Allerdings liegt es in der Natur eines Verdachts, dass dieser eines Tages bestätigt oder ausgeräumt werden muss. Nach einem Ende der Beobachtung sieht es zurzeit nicht aus. Schließlich hat Behördenleiter Thomas Haldenwang mehrfach betont, er sehe die Partei weiterhin auf dem Weg nach „rechts außen“.
Normalerweise nimmt sich die Behörde etwa zwei Jahre Zeit, um einem Verdacht nachzugehen. Manchmal, wenn sich gerade viel verändert in einer Partei oder Organisation, warten die Verfassungsschützer aber auch noch länger ab und aktualisieren dann immer wieder ihre Einschätzung. Dass es diesmal deutlich länger dauert, hängt auch mit dem Prozess in Münster zusammen. Denn in der Regel wartet man den Ausgang eines solchen Verfahrens ab. Schließlich finden sich in der Begründung meist wichtige Hinweise darauf, wie stichhaltig bestimmte Argumente aus Sicht der Justiz sind.
So erklärt der Senat in seinem Urteil beispielsweise, die vom Verfassungsschutz präsentierten Hinweise auf eine Missachtung der Menschenwürde von Ausländern und Muslimen durch die AfD seien ausreichend. Die Richter sehen auch Anhaltspunkte für demokratiefeindliche Bestrebungen, allerdings „nicht in der Häufigkeit und Dichte, wie vom Bundesamt angenommen“. Und sie betonen, dass es keinen Automatismus gibt, wenn sie in ihrer Mitteilung schreiben: „Was für einen Verdacht verfassungsfeindlicher Bestrebungen ausreicht, führt aber auch nicht zwangsläufig zur Annahme einer erwiesen extremistischen Bestrebung.“
Die Junge Alternative und die Landesverbände
Formal steht ein laufendes Verfahren einer Entscheidung des Verfassungsschutzes, die dann auch wieder gerichtlich angefochten werden kann, nicht unbedingt entgegen. Das zeigt der Fall der AfD-Nachwuchsorganisation Junge Alternative (JA). Die hat der Verfassungsschutz im April 2023 als gesichert rechtsextremistische Bestrebung eingestuft, wogegen beim Oberverwaltungsgericht in Münster nun auch eine Klage anhängig ist. In Thüringen, Sachsen und Sachsen-Anhalt wurde diese Einstufung bereits für den jeweiligen Landesverband der Partei vorgenommen.
Falls das Bundesamt diesen Schritt auch für die AfD als Gesamtpartei in Erwägung ziehen sollte, wird es wohl vor allem darum gehen, wer in der Partei wie viel Einfluss hat. Denn in der AfD gibt es durchaus noch Überreste der rechtskonservativen beziehungsweise wirtschaftsliberalen Kräfte der Anfangsjahre, als die Alternative für Deutschland noch als „Professorenpartei“ galt. Die Frage ist aber, ob sich diese gegen den Willen der Radikalen überhaupt noch durchsetzen können. Nicht notwendig für eine Einstufung der Bundespartei als gesichert rechtsextremistisches Beobachtungsobjekt ist dagegen, dass erst alle Landesverbände in diese Kategorie fallen müssen.
Was die AfD jetzt macht
Die Partei fährt zweigleisig. Sie kritisiert das Gericht, das ihren Anträgen angeblich nicht genügend Zeit gewidmet habe, und hebt zugleich die Punkte der Urteilsbegründung hervor, in denen der Senat der Argumentation des Verfassungsschutzes nicht hundertprozentig gefolgt ist. Gleichzeitig kündigt sie an, Beschwerde beim Bundesverwaltungsgericht in Leipzig einlegen zu wollen. Eine inhaltliche Prüfung der Vorwürfe ist dort zwar nicht vorgesehen. Für die AfD, die schon während des Verfahrens in Münster gesagt hatte, Revisionsgründe werde es sicher geben, ist es dennoch wichtig, sagen zu können, das letzte Wort in der Sache sei noch nicht gesprochen.
Forderungen nach einem Verbot
Vor allem Politiker der Linken sowie einige Landespolitiker anderer Parteien sind überzeugt, die AfD sollte verboten werden. Die rechtlichen Hürden für ein solches Verbot sind aber hoch, sodass damit vorerst nicht zu rechnen ist. Der Grünen-Rechtspolitiker Till Steffen hatte im April in einem Interview angeregt: „Nach dem Urteil sollten wir eine Debatte im Bundestag über einen AfD-Verbotsantrag führen und weitere Vorbereitungen treffen.“ Bundestag, Bundesrat oder Bundesregierung sind als einzige Verfassungsorgane berechtigt, einen Antrag auf ein Parteiverbot zu stellen. Die Entscheidung über einen solchen Antrag trifft das Bundesverfassungsgericht.
Noch ein Verfahren
Am Dienstag könnte das Landgericht Halle, das über eine Äußerung des Thüringer Landes- und Fraktionsvorsitzenden der AfD, Björn Höcke, zu entscheiden hat, das Urteil verkünden. Hier geht es um eine Rede von Höcke vom Mai 2021 in Merseburg (Sachsen-Anhalt). Dabei soll er einen verbotenen Nazi-Spruch verwendet haben. Er hat dafür maximal eine Geldstrafe zu befürchten. Die Staatsanwaltschaft wirft ihm vor, in der Rede wissentlich eine Parole der Sturmabteilung (SA) der NSDAP verwendet zu haben. Höcke, der vor seinem Einzug in den Thüringer Landtag Geschichtslehrer war, hat dies vor Gericht zurückgewiesen.
Wer gibt bei der AfD den Ton an?
Aus Sicht von Funke, der mehrere Bücher über die AfD veröffentlicht hat, ist Höcke die mächtigste Figur in der Partei. Dabei hat er nie für den Bundesvorstand kandidiert. Die Co-Vorsitzenden, Alice Weidel und Tino Chrupalla, können sich nach Einschätzung des Politologen nur deshalb schon länger an der Parteispitze halten, weil sie sich Höckes Vorgaben nicht widersetzen. Funke sagt, er habe den Eindruck, dass sich „Weidel dabei unwohl fühlt“, Chrupalla dagegen sei „nach rechts flexibler“. (dpa/mig) Leitartikel Recht
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