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Das Oberverwaltungsgericht in Münster

Prozess

AfD verteidigt sich gegen Verfassungsschutz mit Migranten

Der juristische Schlagabtausch zwischen AfD und Verfassungsschutz geht weiter. Gegen den Vorwurf, die AfD habe einen ethnisch-abstammungsmäßigen Volksbegriff, wehrt sich die rechtsextreme Partei mit drei AfD-Mitgliedern als Zeugen - sie haben Migrationsgeschichte.

Donnerstag, 14.03.2024, 10:32 Uhr|zuletzt aktualisiert: Donnerstag, 14.03.2024, 9:37 Uhr Lesedauer: 4 Minuten  |  

Im Berufungsverfahren um die Einstufung der AfD als rechtsextremistischer Verdachtsfall ist das letzte Wort noch nicht gesprochen. Nach zwei Tagen, die angefüllt waren mit kleinteiligen Erörterungen und zahlreichen Anträgen der Partei, entschied der Vorsitzende Richter, Gerald Buck, am Mittwochabend, die Sitzung zu schließen und die Verhandlung zu einem späteren, noch bekanntzugebenden Termin fortsetzen zu lassen.

Am zweiten Verhandlungstag versuchten Anwälte der Partei, dem Verfassungsschutz Details zu seinen Methoden der Informationsbeschaffung zu entlocken. Sie stellten außerdem einen Antrag, die Verhandlung zu unterbrechen und frühestens in sechs Wochen fortzusetzen – vergeblich.

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Verfassungsschutz: AfD diskriminiert Eingebürgerte als „Passdeutsche“

Der Anwalt des Bundesamtes für Verfassungsschutz (BfV), Wolfgang Roth, hielt der AfD entgegen, Vertreter der Partei hätten Menschen mit Migrationshintergrund zu Menschen zweiter Klasse herabgewürdigt und über eine vermeintliche Zerstörung oder Auslöschung des deutschen Volkes gesprochen. Die Partei diskriminiere eingebürgerte Deutsche als „Passdeutsche“. Trotz rechtlicher Zugehörigkeit zu Deutschland würden diese Menschen von der AfD nicht zum deutschen Volk gezählt. Er zitierte unter anderem Ausführungen des Thüringer AfD-Landeschefs Björn Höcke, des Ehrenvorsitzenden Alexander Gauland und von Christina Baum aus dem AfD-Bundesvorstand.

Reusch sagte, dies seien „Haarspaltereien“, die von AfD-Mitgliedern mit niedrigem Bildungsniveau womöglich gar nicht verstanden würden. Er wies die Einschätzung des Verfassungsschutzes zurück als „Unterstellungen, die aus kleinen Sachverhaltsschnipseln irgendwie zusammengebastelt werden“.

AfD-Zeugen mit Migrationsgeschichte

Auf Vorschlag von Reusch wurden drei AfD-Mitglieder mit Migrationsgeschichte als Zeugen gehört. Eine 46-jährige gebürtige Nigerianerin, die seit 2002 in Deutschland lebte, sagte als von der AfD benannte Zeugin aus, sie sei seit 2022 Mitglied der AfD und Sprecherin eines hessischen Ortsvereins. In die Politik sei sie wegen Veränderungen bei der Kriminalität und hoher Zuwanderungszahlen gegangen. Als weitere Zeugen sprachen der deutsch-griechische hessische AfD-Vorsitzende Robert Lambrou und ein aus dem Iran stammender Mann.

Roth bedankte sich für die Aussagen, verwies aber darauf, dass die Schilderungen nichts an den Erkenntnissen des Verfassungsschutzes ändern würden. Roth warf der AfD zudem vor, Anträge „ins Blaue hinein“ zu stellen mit dem Ziel der „Prozessverschleppung“. Die Anwälte der AfD, Michael Fengler und Christian Conrad, wiesen dies zurück. Auch der Vorsitzende Richter betonte nach mehreren ausführlichen, nahezu wortgleichen Anträgen der AfD zur Benennung von Zeugen, ihm sei an einer effizienten Prozessführung gelegen.

AfD will mehr über Informanten wissen

Am Mittwoch ging es unter anderem um den Einsatz von virtuellen Agenten, also Mitarbeitern des Verfassungsschutzes, die in sozialen Netzwerken mit einer anderen Identität unterwegs sind, und sogenannten V-Leuten – Informanten aus dem Umfeld der Partei. Das BfV hatte am Dienstagabend erklärt, „dass nur zwei der einigen Tausend Belege“, die dem Gericht dazu vorgelegt worden seien, „Äußerungen oder Verhaltensweisen von menschlichen Quellen des Verfassungsschutzes beinhalten“.

Das Bundesamt habe zudem kritisch geprüft, ob während der Bearbeitung der AfD als Verdachtsfall und hinsichtlich ihrer Nachwuchsorganisation während der Bearbeitung der Jungen Alternative als Verdachtsfall und als erwiesen extremistische Bestrebung Mitglieder von Landes- oder Bundesvorständen als Vertrauenspersonen des Verfassungsschutzes eingesetzt wurden, von denen eine „steuernde Einflussnahme“ hätte ausgehen können. Eine solche Einflussnahme sei im relevanten Zeitraum nicht gegeben gewesen.

Verfassungsschutz schließt „Fremdsteuerung“ aus

Am Mittwoch betonte der Verfassungsschutz dann auf Nachfrage, seine Belege zur AfD stammten hauptsächlich aus Reden und Social-Media-Posts von Mandatsträgern und Funktionären. Dass Mitarbeiter oder Informanten des Bundesamtes oder der Landesbehörden für Verfassungsschutz diese provoziert haben könnten, sei auszuschließen. Der Anwalt des BfV warf der Gegenseite vor, sie habe bei ihren Nachfragen zu möglicher Einflussnahme von Informanten keine Anhaltspunkte vorgetragen, die auf eine „Fremdsteuerung“ oder „Manipulation“ hindeuten könnten.

In dem Berufungsverfahren, das am Dienstag begonnen hatte, klärt der 5. Senat, ob das Urteil aus der Vorinstanz am Verwaltungsgericht Köln Bestand hat. Das BfV mit Sitz in Köln hatte die Partei sowie die Jugendorganisation Junge Alternative (JA) als rechtsextremistischen Verdachtsfall eingestuft. Die Richter in Köln hatten diese Sicht im Jahr 2022 bestätigt. Entsprechend dürfen Partei und JA seitdem mit nachrichtendienstlichen Mitteln beobachtet werden. Das OVG muss jetzt klären, ob die Einschätzung laut dem Bundesverfassungsschutzgesetz rechtens ist.

Beim Einsatz von V-Leuten ist man, was Parteien angeht, inzwischen sehr zurückhaltend und vorsichtig. Denn das erste von zwei erfolglosen Verbotsverfahren gegen die rechtsextremistische NPD, die sich heute Die Heimat nennt, war 2003 wegen der zahlreichen V-Leute, die der Verfassungsschutz auch in der Führungsriege der Partei hatte, eingestellt worden. (dpa/epd/mig) Aktuell Panorama

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