Janna Gutenberg, Bildung, Sprache, Einwanderung, Migration, Integration
Janna Gutenberg © Foto: Mercator-Institut/ A.Etges, Zeichnung MiG

Lehrerzimmer brauchen Vielfalt

Lehrkräftemangel und das ungenutzte Potenzial der Zuwanderung

Der Mangel an Lehrkräften ist aktuell die größte Herausforderung für das deutsche Bildungssystem. Gleichzeitig bleibt ausländischen Lehrkräften der Weg an die Schulen meist verwehrt.

Von Donnerstag, 21.12.2023, 15:00 Uhr|zuletzt aktualisiert: Samstag, 23.12.2023, 14:45 Uhr Lesedauer: 5 Minuten  |  

„Ich versuche wirklich, die Leute nicht zu frustrieren!“ berichtet Orjana Beqaj, Anerkennungsberaterin bei Migration und Arbeitswelt e.V. in Köln. Menschen zu beraten, die mit ausländischen Berufsabschlüssen in Deutschland zurück in den Lehrdienst gehen wollen, erfordert zunächst viel Feingefühl. Viele wissen, dass Deutschland unbedingt Lehrkräfte braucht. Sie kommen voller Hoffnung und scheitern dann am starren System. Der Grund ist meist banal: Im Studienabschluss der Bewerber:innen fehlt ein Fach. Um in Deutschland eine berufliche Anerkennung als Lehrkraft zu bekommen, ist der Nachweis zweier Studienfächer notwendig.

Laut einer Studie der Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft (GEW) beantragten zwischen 2014 und 2019 rund 2.500 Lehrkräfte die Anerkennung ihres Berufs in Deutschland. Nur etwa 300 davon waren direkt oder nach absolvierten Anpassungsmaßnahmen erfolgreich. Insgesamt fallen nur 20 Prozent aller Bescheide positiv aus. Die meisten zugewanderten Lehrkräfte stellen allerdings gar nicht erst den Antrag auf Anerkennung ihres Berufs. „Viele verlässt der Mut wenn sie von der Zwei-Fächer-Reglung hören und sie schlagen andere Wege ein“, berichtet Beqaj aus ihrer siebenjährigen Erfahrung als Anerkennungsberaterin.

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Herr Ay (Mathematiklehrer aus der Türkei) entschied sich im Jahr 2017, den Antrag zu stellen. Auch er blieb aufgrund der Zwei-Fächer-Regelung erfolglos. Und das obwohl Ay neben seinem Universitätsabschluss aus der Türkei auch 30 Jahre Berufserfahrung als Mathematiklehrer nachweisen konnte.

„Unser Bildungssystem ist da leider immer noch sehr unflexibel. Aber irgendwann wird man gezwungen sein, die Zwei-Fächer-Regelung zu überdenken“, so Dr. Ina-Maria Maahs, wissenschaftliche Leitung von LehrkräftePLUS Köln. Denn die Hürde ist aufgrund des massiven Lehrkräftemangels auch ein Nachteil für das deutsche Bildungssystem und einer der Hauptgründe dafür, warum es nur in einem von fünf Fällen gelingt, als zugewanderte Lehrkraft eine Beschäftigung zu finden – ob mit oder ohne Anerkennung. Dabei prognostizieren Bildungsforscher:innen im Rahmen einer Studie der Deutsche Telekom-Stiftung, dass allein in Nordrhein-Westfalen vor allem im MINT-Bereich bis zum Schuljahr 2030/31 nur noch rund ein Drittel der nötigen Lehrkräfte zur Verfügung stehen werden. Besonders Mathematiklehrer:innen in der Sekundarstufe fehlen.

Es braucht mehr Unterstützungsangebote

Sechs Jahre nach seiner Ankunft in Deutschland steht Herr Ay zum ersten Mal wieder vor einer Klasse. Im Rahmen des Programms ILF – Internationale Lehrkräfte Fördern unterrichtet er nun zwei Jahre lang zwölf Unterrichtsstunden die Woche Mathematik an einem Weiterbildungskolleg. Als Vorbereitung auf ILF nahm er bereits an dem einjährigen Programm LehrkräftePLUS in Köln teil. Manchmal wisse er jedoch nicht so recht, wie es weitergehen solle. Denn auch nach diesen drei Jahren stehe ihm die Anerkennung nicht in Aussicht.

„Es ist schon manchmal ein Bürokratiedschungel, in dem wir versuchen, für alle Teilnehmenden trotz der zahlreichen Hürden individuelle Wege zu finden!“, berichtet Petr Frantik, Projektkoordinator von ILF Köln. Ein großes Problem sei der Mangel an Unterstützungsangeboten, die auch Drittstaatler:innen den Weg ins Lehramt ermöglichen würden. Forschung der Universität Potsdam zeigt zudem deutlich, dass Programme wie ILF und LehrkräftePLUS die Brücke für zugewanderte Lehrkräfte zu Ausgleichsmaßnahmen – z. B. in Form eines Seiteneinstiegs bauen können.

Perspektive einer Betroffenen, Frau Kamkar, Englischlehrkraft aus dem Iran, seit 5 Jahren in Deutschland: „In Deutschland wollte ich sofort die Sprache lernen, um schnell wieder arbeiten zu können. Mir war nicht bewusst, wie schwer es ist, die Anerkennung als Lehrkraft zu bekommen. Bisher habe ich bei der Deutschen Post und als Nachhilfelehrerin gearbeitet. Außerdem habe ich LehrkräftePLUS absolviert und nehme jetzt an ILF teil, wo ich nun zum ersten Mal wieder Englisch unterrichte. Die Schule in Deutschland ist sehr anders als in meiner Heimat. Mir gefällt es zum Beispiel, dass hier individuell auf die Bedarfe von Schülerinnen und Schülern eingegangen wird. Neu war für mich, dass die Lehrkräfte hier so viele Aufgaben außerhalb des Unterrichts haben. In meiner Heimat gibt es Kolleg:innen, die sich z.B. um die Aufsicht in der Pause oder die Organisation der IT-Systeme kümmern. Außerdem habe ich mich am Anfang gefragt: Was zur Hölle ist ein Klassenbuch?! (lacht) Ob ich irgendwann ohne die Anerkennung eine Stelle an einer Schule bekomme, weiß ich nicht. Heute denke ich sogar manchmal: Hätte ich lieber in Deutschland nochmal neu studiert, statt immer diese Ungewissheit zu haben!“

Dr. Ina-Maria Maahs sieht eine große Chance in diesen Programmen, die Einzelpersonen und ihre Potenziale in den Mittelpunkt zu stellen und neben den zahlreichen Hürden auch Wege und Perspektiven aufzuzeigen. „Auch wenn jemand, der den Weg zurück ins Lehramt nicht schafft, am Ende aber als Sporttrainer arbeitet, kann das ein Riesenerfolg sein“, so Maahs. LehrkräftePLUS Köln habe allerdings viel mehr Bewerbungen als Plätze und könne den Bedarf nicht annähernd decken – berichtet sie weiter.

Auch Lehrerzimmer brauchen Vielfalt

Dr. Dirk Zorn, Leiter des Bereichs Bildung der Bertelsmann Stiftung, kritisiert in einem Impulspapier, dass Vielfalt im deutschen Schulsystem bislang nur auf die Schüler:innenschaft beschränkt sei. „Während 39 Prozent von ihnen einen Migrationshintergrund haben, sind es bei den Lehrkräften nur 13 Prozent“, so Zorn. Mehrsprachigkeit und kulturelle Diversität können dabei seiner Ansicht nach Kollegien an Schulen sehr bereichern.

Frau Kamkar (39) ist Englischlehrerin aus dem Iran und unterrichtet nun wie Herr Ay zum ersten Mal wieder im Rahmen von ILF an einer Realschule. „Durch meine eigene Zuwanderungserfahrung verstehe ich einige Schüler einfach besser und sie haben schneller Vertrauen zu mir. Manchmal bin ich dann wie eine Mediatorin zwischen Schülern und Kollegen“, berichtet Kamkar.

Andererseits sei es aber auch wichtig, zugewanderte Lehrkräfte nicht in diese Mittlerrolle zu drängen. Vielmehr gehe es darum, eine heterogene Lehrerschaft für eine heterogene Schülerschaft zu schaffen. „Eine internationale Lehrerkraft, z. B. eine Lehrerin aus dem Iran, kann und soll Vorbild für alle Schüler:innen sein, ganz gleich ob und mit welcher Zuwanderungsgeschichte“, so Petr Frantik.

Der vielfältige Erfahrungshorizont eines internationalen Kollegiums kann außerdem Aspekte der politischen Bildung stärken. „Aufgabe von uns Lehrkräften ist es auch, auf die Demokratie aufzupassen!“, sagt Herr Ay. Er werde immer mit der eigenen Erfahrung unterrichten, dass demokratische Werte auch ganz schnell verloren gehen können. Das weiß auch Anerkennungsberaterin Orjana Beqaj und fordert: „Lasst sie endlich zeigen, was sie können!“ Meinung

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