Kirchenasyl
„Schwer ist nur, nicht hinausgehen zu dürfen.“
Sie haben oft große Entbehrungen auf sich genommen, um nach Deutschland zu gelangen. Wenn Flüchtlinge aber wieder zurückkehren sollen, ist für manche der vorübergehende Schutz in einer Kirche der letzte Hoffnungsschimmer.
Von Jens Bayer-Gimm Donnerstag, 07.12.2023, 20:00 Uhr|zuletzt aktualisiert: Donnerstag, 07.12.2023, 17:56 Uhr Lesedauer: 3 Minuten |
Fofo, wie sie sich nennt, hat über ein Jahr gebraucht, um nach Deutschland zu kommen. Die junge Frau in schwarz-weiß gestreiftem Pulli, Blue Jeans und mit hochgesteckten schwarzen Haaren war im Irak Krankenschwester. Ihr Heimatland habe sie mit dem Ziel Europa verlassen, weil sie in Sicherheit leben wolle, sagt sie. Mit ihrer Mutter, ihrem Bruder und der damals sechsjährigen Schwester flog sie nach Belarus und marschierte zu Fuß nach Litauen. „Es war eine schlimme Zeit“, berichtet Fofo schon gut auf Deutsch. Ein Jahr lang hätten sie in einem geschlossenen Lager hausen müssen ohne ärztliche Versorgung, ohne Schule und nur mit einer Mahlzeit am Tag. „Wir hatten Hunger“, sagt sie.
Im vergangenen Jahr schaffte es die junge Irakerin, nach Hessen zu kommen. Nach der Erstaufnahme in Gießen verbrachte sie zehn Monate in einer Unterkunft in Butzbach, dann lehnte das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (Bamf) die Aufnahme eines Asylverfahrens ab und ordnete ihre Rückreise nach Litauen an. Das will Fofo auf keinen Fall. Ihre Hoffnung auf eine sichere Zukunft in Deutschland setzt sie in die Evangelische Matthäusgemeinde Darmstadt. Die Gemeinde hat sie, ihre Mutter und ihre kleine Schwester im September ins Kirchenasyl aufgenommen.
Kirchengemeinden wollen damit Flüchtlingen, die in ein anderes EU-Land abgeschoben werden sollen oder deren Asylantrag abgelehnt wurde, vor einer Abschiebung bewahren und ihnen zu einer Antragstellung oder erneuten Prüfung ihres Schutzantrags verhelfen. Die Kirchen haben sich darüber mit dem Bamf verständigt. Jeder Gast wird den Behörden gemeldet, diese respektieren in der Regel die Aufnahme. In Deutschland gab es Ende Oktober nach Angaben der „Ökumenischen Bundesarbeitsgemeinschaft Asyl in der Kirche“ 452 Kirchenasyle mit mindestens 629 Personen, davon etwa 97 Kinder.
Flüchtlinge dürfen Grundstück nicht verlassen
Die Darmstädter Matthäusgemeinde hat dafür gute Voraussetzungen: Sie verfügt über zwei Zwei-Zimmer-Wohnungen früherer Gemeindeschwestern und hat engagierte Ehrenamtliche. Seit 2015 hält sie die Wohnungen für Flüchtlinge vor, mehr als 60 haben dort inzwischen vorübergehenden Schutz gefunden. Den Schutzraum des Grundstücks dürfen die Flüchtlinge nicht verlassen. Sie lerne viel Deutsch, putze, helfe anderen, erzählt Fofo. Viele Menschen in der Kirchengemeinde seien freundlich zu ihr, kauften für sie ein oder laden sie zu einem Konzert oder Flohmarkt in die Kirche ein. „Schwer ist nur, nicht hinausgehen zu dürfen.“
Vier Helferinnen begleiten den Alltag der Gäste, wie Elisabeth Biehl-Menzel, die Leiterin des Arbeitskreises Kirchenasyl der Gemeinde, erklärt. Sie kaufen jede Woche für sie ein, begleiten sie zum Arzt, organisieren Besuche. Bei Aufnahme eines Gastes gebe es ein Kennenlerntreffen. Ein 22-Jähriger aus Guinea habe danach gesagt, zum ersten Mal in seinem Leben habe sich jemand für ihn interessiert.
Stadt und Öffentlichkeit unterstützen Kirchenasyl
Das Kirchenasyl verändert die Gäste, hat Biehl-Menzel beobachtet: „Sie kommen in großer Angst, dann merkt man von Tag zu Tag, wie sie zur Ruhe kommen, den Kopf frei kriegen und ihr Herz öffnen.“ Die Gäste verändern auch die Kirchengemeinde. Flüchtlinge gehörten inzwischen zum Gemeindeleben dazu, sagt Biehl-Menzel. Zweimal die Woche gibt es einen Sprachkurs, an dem die Gäste und Flüchtlinge von außerhalb teilnehmen. Für die von außerhalb bietet die Gemeinde auch Ausflüge an und veranstaltet Flohmärkte. Der Gottesdienst wird regelmäßig von Migranten aus Iran, Afghanistan oder Syrien besucht, Flüchtlinge wirken als Helfer beim Abendmahl mit.
In Darmstadt unterstützten die Stadt und die Öffentlichkeit das Kirchenasyl, erklärt Biehl-Menzel. Bei einer befürchteten Abschiebung im Sommer durch eine auswärtige Behörde seien morgens um sieben Uhr 150 Menschen erschienen, um dagegen zu protestieren. Die Abschiebung fand nicht statt, dem Gast wurde ein Asylverfahren versprochen. (dpa/mig) Aktuell Panorama
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