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Die Fahne von Kamerun © de.depositphotos.com

Nachfahren fordern Aufklärung

Kolonial-Verbrechen der Deutschen in Kamerun

Mehr als zwei Jahrzehnte war Kamerun eine deutsche Kolonie. Widerstand gegen die Fremdherrschaft wurde brutal bestraft. Bei der Aufarbeitung der Verbrechen hinkt Deutschland hinterher, kritisieren Historiker und Nachfahren.

Von Dienstag, 07.11.2023, 16:00 Uhr|zuletzt aktualisiert: Dienstag, 07.11.2023, 11:36 Uhr Lesedauer: 4 Minuten  |  

Die Verbrechen der Deutschen während der Kolonialherrschaft in Kamerun wären heute wohl ein Fall für den Internationalen Strafgerichtshof. Sie haben Dörfer niedergebrannt, Männer, Frauen und Kinder niedergeschossen, Menschen in die Zwangsarbeit entführt und lokale Anführer hingerichtet, die sich gegen die Unterdrückung gewehrt haben. Nie wurde jemand dafür zur Rechenschaft gezogen.

Roland Ndille leitet die Geschichtsfakultät an der Universität von Buea im Südwesten Kameruns. Mehr Wissen sei der erste Schritt für eine Aufarbeitung, sagt der Professor. In der deutschen Debatte werde vor allem über die Kolonialverbrechen in Namibia gesprochen. Es sei an der Zeit anzuerkennen, mit welcher Gewalt Deutschland jahrzehntelang Menschen in all seinen Kolonien geherrscht hat.

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Zwangsarbeit und gewaltsame Niederschlagung von Protesten

Hintergrund: Die deutsche Kolonie in Kamerun dauerte von 1884 bis 1919. Am Anfang standen deutsche Unternehmer, die an der westafrikanischen Küste Handel trieben. Um ihre Interessen zu sichern und auszubauen, wollten Unternehmer eine Handelskolonie errichten. Bismarck erklärte sein Interesse und die Kaufleute verhandelten den „Germano-Douala-Vertrag“. Kamerun war damit „deutsches Schutzgebiet“. Zwei Tage später wurde in Duala die deutsche Flagge gehisst. Mit minimalen Ausgaben, geringer Präsenz, aber brutaler Gewalt festigte die Kolonialverwaltung ihre Macht. Wenn Führungspersonen nicht kooperieren wollten oder protestierten, wurden sie versetzt oder umgebracht. Tausende Männer wurden zur Arbeit rekrutiert und bekamen entweder gar kein Geld oder einen Hungerlohn. Einem Dekret zufolge durften Dörfer abgebrannt werden, wenn sich Männer der Zwangsarbeit entzogen. Für Europäer galt das deutsche Recht, für die Schwarze Bevölkerung das Kolonialrecht. Die häufigste Form der Strafe war Auspeitschen. Auf bewaffneten Widerstand stand die Todesstrafe, die regelmäßig verhängt wurde. Mehr als 30 Jahre erhielten die Deutschen ihr Ausbeutungssystem aufrecht. Dann kam der Erste Weltkrieg. Nach Niederlagen mussten die Deutschen 1916 das Land verlassen. Mit dem Versailler Vertrag 1919 endete dann offiziell die deutsche Kolonialregierung in Kamerun. Großbritannien und Frankreich teilten sich das Land untereinander auf.

Von 1884 bis 1919 war Kamerun sogenanntes deutsches Schutzgebiet, nach dem Ende des Ersten Weltkrieges fiel das Land an Frankreich und Großbritannien. Deutsche Händler legten Kaffee-, Kakao- und Kautschukplantagen an und zwangen die lokale Bevölkerung zur Arbeit. Widerstand und Proteste wurden gewaltsam niedergeschlagen. Offizielle Zahlen zu den Toten gibt es nicht.

Auch die Kamerunerin Marilyn Manga Bell setzt sich seit Jahrzehnten dafür ein, die Verbrechen der deutschen Kolonialverwaltung ins Bewusstsein zu holen, vor allem die Ermordung ihres Urgroßvaters König Rudolf Manga Bell. Wegen Hochverrats wurde König Manga Bell gemeinsam mit seinem Sekretär Ngosso Din nach einem Schnellverfahren am 8. August 1914, in Duala, dem damaligen Verwaltungssitz der deutschen Kolonie, hingerichtet.

Deutschland erkennt Verbrechen offiziell an

Er hatte sich gegen Enteignungspläne gewehrt, Unterstützer im ganzen Land gesammelt, Petitionen an den deutschen Reichstag geschickt und Ngosso Din heimlich nach Berlin geschickt, um dort das Anliegen der Kameruner vorzutragen. In seiner Jugend ging Rudolf Manga Bell in Deutschland zur Schule.

Es ist Marilyn Manga Bells Einsatz zu verdanken, dass die Bundesregierung immerhin dieses Verbrechen offiziell anerkannt hat. Ende 2022 besuchte die Staatsministerin im Auswärtigen Amt, Katja Keul (Grüne), Kamerun. Sie kam, um gemeinsam mit der Familie Manga Bell an Rudolf Manga Bell zu erinnern. „Der Kolonialismus hat unvorstellbares Leid verursacht. Er hat das Leben vieler Menschen in Afrika zerstört“, sagte Keul bei dem Besuch. „König Rudolf Manga Bell war einer von ihnen.“

Experte kritisiert Deutschland: Kaum Eigeninitiative in der Aufklärung

Marilyn Manga Bell hat schon 2014 eine Wanderausstellung konzipiert, die durch Kamerun reist und immer wieder in dem von ihr geleiteten Kunstzentrum „Doual’art“ gezeigt wird. Unter dem Titel „Kamerunstadt“ klärt die Schau darüber auf, wie die Deutschen den Familien in Duala ihr Land abgenommen und auf diesem Land dann eine Stadt nur für weiße Menschen gebaut haben. Erst hinter einer „Pufferzone“ war es den Vertriebenen erlaubt zu siedeln.

Es sei höchste Zeit, daraus Materialien für den Geschichtsunterricht in Kamerun und Deutschland zu gestalten, sagt Ndille. Doch die Aufarbeitung in Deutschland kommt nur langsam voran. Bisher sei alles, was von der deutschen Regierung kommt, eine Reaktion auf Forderungen aus den ehemaligen Kolonien, kritisiert der Professor. Eigeninitiative in der Aufklärung und Anerkennung von Verbrechen gebe es bisher kaum.

Verpasste Chance

In ihrem Reisebericht schreibt Keul, erst nach ihrer Rede in Duala erfahren zu haben, dass mit Manga Bell und Ngosso Din am selben Tag noch „40 weitere traditionelle Führer“ hingerichtet wurden. „Wir wollen deshalb die koloniale Herrschaft besser studieren, um die systematischen Ungerechtigkeiten zu identifizieren und klar zu benennen“, sagte Keul bei ihrem Besuch.

Es sind viele weitere Opfer namentlich bekannt, darunter zum Beispiel Martin-Paul Samba, der erst mit den Deutschen zusammenarbeitete und später Widerstand organisierte, sowie Lamido Omaro im Norden von Kamerun, der sich weigerte, mit den Deutschen bei der Ausbeutung seines Volkes zu kollaborieren. Dazu kämen dokumentierte Massaker in Orten wie Bangwa und Vekovi, die hätten erwähnt werden können, um deutlich zu machen, dass man sich in der deutschen Regierung mit den Kolonialverbrechen auseinandersetzt, sagt Ndille. Er sieht das als verpasste Chance. (epd/mig) Aktuell Panorama

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