Verbindungen zum NSU?
Verbot und Razzien gegen rechtsextremistische „Artgemeinschaft“
Bundesinnenministerin Faeser verbietet erneut eine rechtsextremistische Gruppe. Sicherheitskräfte durchkämmen daraufhin in zwölf Bundesländern Dutzende Wohnungen und Vereinsräume. Grüne fordern: Verbindungen zum NSU herausarbeiten.
Mittwoch, 27.09.2023, 15:00 Uhr|zuletzt aktualisiert: Mittwoch, 27.09.2023, 13:45 Uhr Lesedauer: 3 Minuten |
Bundesinnenministerin Nancy Faeser (SPD) hat binnen weniger Tage die zweite rechtsextremistische Vereinigung verboten. Einsatzkräfte der Polizei durchsuchten am Mittwochmorgen 26 Wohnungen von 39 Mitgliedern sowie Räume des Vereins „Die Artgemeinschaft – Germanische Glaubens-Gemeinschaft wesensgemäßer Lebensgestaltung“ in zwölf Bundesländern, wie das Innenministerium in Berlin mitteilte.
Das Verbot gegen die Vereinigung, die sich häufig in einem Hotel in Thüringen traf, wurde nach Angaben des Ministeriums seit mehr als einem Jahr vorbereitet. Maßgeblich seien hierbei Erkenntnisse des Verfassungsschutzes gewesen, hieß es. Die Vereinigung, die nach Ministeriums-Schätzungen rund 150 Mitglieder hat, richte sich gegen die verfassungsmäßige Ordnung und den Gedanken der Völkerverständigung.
Faeser: „Zutiefst rassistische und antisemitische Vereinigung“
Ziele der Razzien am frühen Mittwochmorgen seien das „Einfrieren von Vereinsvermögen“ und die Sicherstellung potenzieller Beweismittel wie etwa Orden, Fahnen und Büsten gewesen, die dem Nationalsozialismus zugeordnet werden, hieß es bei einer der Durchsuchungen in Baden-Württemberg von einem Sprecher des Landeskriminalamts.
Faeser beschrieb die „Artgemeinschaft“ in einer Mitteilung als „sektenartige, zutiefst rassistische und antisemitische Vereinigung“. Das Verbot sei ein „weiterer harter Schlag gegen den Rechtsextremismus und gegen die geistigen Brandstifter, die bis heute NS-Ideologien verbreiten.“
Der Verein habe versucht, durch eine „widerwärtige Indoktrinierung von Kindern und Jugendlichen neue Verfassungsfeinde heranzuziehen“, so die Innenministerin. Zu den antisemitisch gefärbten Kinderbüchern, die von der Vereinigung vertrieben wurden, gehörten nach Angaben aus Sicherheitskreisen mehrere Titel aus der Zeit des Nationalsozialismus. Dazu zählt etwa das Buch „Pudelmopsdackelpinscher“.
Durchsuchungen in mehreren Bundesländern
In Baden-Württemberg gab es einem Sprecher des dortigen Landeskriminalamts zufolge Durchsuchungen in mehreren Gebäuden in Kupferzell (Hohenlohekreis). Im benachbarten Bayern wurden laut Innenministerium fünf Wohnungen von insgesamt acht im Freistaat ansässigen Mitgliedern in den Regierungsbezirken Oberbayern, Mittelfranken und Unterfranken durchsucht.
In Hessen waren drei Wohnobjekte in den Landkreisen Gießen und Limburg-Weilburg sowie in Frankfurt am Main Ziel der Durchsuchungen, hieß es vom Landeskriminalamt. Betroffen waren hier zwei Frauen und drei Männer im Alter von 37 bis 84 Jahren. Im nordrhein-westfälischen Essen durchsuchten Ermittler eine Arztpraxis.
Zwei weitere Einsatzorte gab es nach Informationen der Deutschen Presse-Agentur in Schleswig-Holstein. Eine weitere Wohnung von Mitgliedern des Vereins wurde nach Aussage einer Polizeisprecherin im brandenburgischen Landkreis Elbe-Elster durchsucht. Weitere Durchsuchungen gab es zudem in Mecklenburg-Vorpommern, Niedersachsen, Rheinland-Pfalz, Sachsen, Sachsen-Anhalt und Thüringen.
Mihalic: Verbindungen zum NSU herausarbeiten
Laut Bundesinnenministerium umfasst das ausgesprochene Verbot auch alle Teilorganisationen der Bewegung. Dazu gehörten sogenannte „Gefährtschaften“, „Gilden“, „Freundeskreise“ und ein Verein namens „Familienwerk“. Am vergangenen Dienstag hatte Faeser bereits die rechtsextreme Gruppe „Hammerskins Deutschland“ verboten. Vor allem durch die „manipulativ indoktrinierende Erziehung ihrer Kinder“ und den Vertrieb entsprechender Schriften sei die „Artgemeinschaft“ nicht weniger gefährlich als die „Hammerskins“, sagte die Ministerin.
Zur Begründung des Verbots führte ihr Ministerium aus, die Vereinigung verbreite unter dem Deckmantel eines pseudoreligiösen germanischen Götterglaubens ein gegen die Menschenwürde verstoßendes Weltbild. Zentrales Ziel sei die Erhaltung und Förderung der eigenen „Art“, was mit dem nationalsozialistischen Begriff der „Rasse“ gleichzusetzen sei.
Es lohne sich, Verbindungen der „Artgemeinschaft“ zur rechtsextremen Terrorzelle „Nationalsozialistischer Untergrunds“ (NSU) herauszuarbeiten, sagte die Parlamentarische Geschäftsführerin der Grünen-Bundestagsfraktion, Irene Mihalic. Zudem soll der Rechtsextremist Stephan Ernst, der 2019 den Kasseler Regierungspräsidenten Walter Lübcke erschossen hatte, der nun verbotenen Vereinigung zeitweilig angehört haben. Darauf deutet nach Informationen aus Sicherheitskreisen eine alte Mitgliederliste hin.
„Größte deutsche neonazistische Vereinigung“
Die Grünen-Innenpolitikerin Misbah Khan sprach von einem wichtigen Schlag gegen die organisierte rechte Szene. Es brauche aber mehr als Vereinsverbote. Sie sagte: „Wir müssen endlich die Finanzstrukturen der Rechtsextremisten trockenlegen, ihre Entwaffnung voranbringen und eine konsequente Gesamtstrategie gegen Rechts auflegen.“
In einer Publikation des Verfassungsschutzes von 2020 wurde die Gemeinschaft als „die derzeit größte deutsche neonazistische Vereinigung mit völkischer, rassistischer, antisemitischer sowie antichristlicher Ausprägung“ bezeichnet. Ihre Mitglieder werden angehalten, möglichst viele Kinder zu bekommen.
Das „American Jewish Comittee Berlin“ begrüßte das Verbot. In einer Mitteilung hieß es: „Seit seiner Gründung 1951 nahm der Verein eine zentrale ideologische und organisatorische Scharnierfunktion zwischen verschiedenen neonazistischen und rechtsextremistischen Milieus und Organisationen ein, die bis in den Bereich des Rechtsterrorismus reichten.“ (dpa/mig) Aktuell Panorama
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