Flüchtlingspakt
EU zahlt Millionen an Tunesien für Grenzschließung
Die EU-Kommission wurde im Sommer stark kritisiert für die Verhandlungen mit Tunesien. Das Land soll Menschen davon abhalten, nach Europa zu flüchten. Nun fließen zig Millionen Euro an das nordafrikanische Land. Die Erwartungen sind hoch. Erste Ergebnisse wurden bereits gemeldet. Menschenrechtler sind alarmiert.
Montag, 25.09.2023, 17:00 Uhr|zuletzt aktualisiert: Montag, 25.09.2023, 15:46 Uhr Lesedauer: 4 Minuten |
Die EU-Kommission will Tunesien rund 127 Millionen Euro auszahlen, um die Flucht nach Europa über das nordafrikanische Land zu verringern. Rund 67 Millionen Euro davon sollen im Zusammenhang mit einem umstrittenen Flüchtlingsdeal der EU-Kommission mit Tunesien bereitgestellt werden, wie eine Sprecherin der Brüsseler Behörde am Freitag mitteilte. Dazu kommen noch 60 Millionen Euro Haushaltsunterstützung, damit sich das Land von der Corona-Krise erholt. Tunesien ist eines der Haupttransitländer für Geflüchtete aus Afrika mit Ziel Europa.
Ein Teil der 67 Millionen Euro fällt unter das bereits im Juni angekündigte Paket von knapp 105 Millionen Euro für neue Schiffe und Wärmekameras, Such- und Rettungsaktionen, Maßnahmen gegen Schleuser und Rückführung von Geflüchteten. Im Gegenzug für die millionenschweren Finanzhilfen sollen die tunesischen Sicherheitsbehörden künftig stärker gegen Schlepper und das Ablegen von Booten vorgehen.
Tunesische Sicherheitskräfte halten 2.500 Menschen ab
Erste Zahlen hatte die tunesische Küstenwache vergangene Woche gemeldet. Nach Angaben der Nationalgarde wurden binnen weniger Tage mehr als 2.500 Menschen von einer Überfahrt nach Europa abgehalten. Darunter sollen knapp 600 Tunesier gewesen sein. Bei den anderen Personen handelte es sich demnach vor allem um Menschen aus den Staaten Afrikas südlich der Sahara.
Die sogenannte Absichtserklärung der EU-Kommission mit Tunesien erntete viel Kritik, weil der tunesischen Regierung Menschenrechtsverletzungen vorgeworfen werden. Präsident Kais Saied hatte im Februar ein härteres Vorgehen gegen Geflüchtete angekündigt. Es folgten Berichte über schwere Menschenrechtsverletzungen im Land und an den Grenzgebieten. Seit Monaten steht das nordafrikanische Land wegen seines Umgangs mit Geflüchteten aus Ländern südlich der Sahara in der Kritik.
EU-Ombudsfrau will Auskunft zu Menschenrechten bei Tunesien-Abkommen
Die Bürgerbeauftragte der Europäischen Union, Emily O’Reilly, forderte deshalb von der EU-Kommission Auskunft über die Achtung von Menschenrechten im vereinbarten Migrationsabkommen mit Tunesien. O Reilly habe die Kommission gefragt, wie sie sicherstellen wolle, dass die Grundrechte bei den Maßnahmen gewahrt werden, die aus dem Abkommen resultieren, teilte die EU-Ombudsstelle am Freitag in Straßburg mit.
Die EU-Ombudsfrau O Reilly wies auf diese Kritik hin und forderte die Kommission auf, zu erklären, ob sie vor der Unterzeichnung eine Abschätzung der Folgen für die Menschenrechte unternommen habe. Darüber hinaus wolle sie wissen, ob die Kommission Kriterien für die Aussetzung der Finanzierung für den Fall festgelegt habe, dass die Menschenrechte nicht respektiert würden. Sie bat die Kommission um eine Antwort bis Mitte Dezember 2023.
Asylanträge in der EU gestiegen
Derweil stieg im Juni die Zahl der erstmaligen Asylanträge in der EU im Vergleich zum Vorjahresmonat deutlich. Wie das Statistikamt Eurostat am Freitag mitteilte, stellten im Juni 83.385 Menschen Asylanträge und damit 25 Prozent mehr als im gleichen Monat 2022. Wie schon in den Monaten zuvor stellten Menschen aus Syrien, Afghanistan, Venezuela und Kolumbien die meisten Anträge. 75 Prozent aller Anträge auf Schutz entfielen demnach auf Deutschland, Spanien, Frankreich und Italien. Im Verhältnis zur Bevölkerung wurden die meisten Asylanträge in Zypern und Österreich gestellt. Trotz des Anstiegs sind die Werte weit unter den Zahlen aus den Jahren 2015 und 2016.
Eine Sprecherin der EU-Kommission sagte am Freitag, die finanzielle Hilfe für Tunesien solle auch helfen, die Situation auf der italienischen Insel Lampedusa zu verbessern. Die meisten Flüchtlinge, die derzeit in Lampedusa ankommen, starten in Tunesien. Lampedusa liegt zwischen Sizilien und Nordafrika und gehört seit Jahren zu den Brennpunkten der Migration nach Europa: Vergangene Woche waren dort Tausende Menschen mit Booten aus Nordafrika gelandet – an einem einzigen Tag mehr als 5.000. Die Behörden riefen den Notstand aus.
Von der Leyens 10-Punkte-Plan
Italiens Ministerpräsidentin Giorgia Meloni hatte zusammen mit EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen die Insel besucht. Von der Leyen kündigte dort einen Zehn-Punkte-Plan an, zu dem die stärkere Überwachung des Mittelmeers und eine bessere Ausbildung der tunesischen Küstenwache gehörten. Sie appellierte auch an die anderen EU-Staaten, freiwillig Menschen aus Italien aufzunehmen. Nahezu zeitgleich setzte Deutschland die Aufnahme von Geflüchteten aus Italien aus.
Den EU-Staaten ist es allerdings bis heute nicht gelungen, eine umfassende Reform des europäischen Asylsystems zu verabschieden. Im Juni wurde zwar ein Kompromiss erzielt, wonach Asylverfahren deutlich verschärft werden sollen. Es braucht aber noch eine Einigung mit dem EU-Parlament. (dpa/epd/mig) Aktuell Politik
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