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Christiane Carstensen © privat, Zeichnung: MiG

KI küsst Bildung

Was verändert KI fürs Deutschlernen am Arbeitsplatz? Alles!

Global wird darüber diskutiert, inwieweit Künstliche Intelligenz Berufe bedroht. Dabei tritt das Potenzial in den Hintergrund: KI bietet innovative und bisher undenkbare Ansätze, um sprachliche Barrieren am Arbeitsplatz zu überwinden.

Von Mittwoch, 23.08.2023, 15:00 Uhr|zuletzt aktualisiert: Mittwoch, 23.08.2023, 8:45 Uhr Lesedauer: 4 Minuten  |  

Die ersten KI-gestützten Programme, die von zugewanderten Arbeitnehmern genutzt wurden, waren Übersetzungstools. Während diese Tools früher noch belächelt wurden, haben sie im Laufe der Zeit enorme Fortschritte gemacht und ermöglichen Deutschlernenden, sich effektiver im Berufsalltag zu bewegen. Heute können wir nicht nur schriftliche Texte, sondern auch Audio- und Videodateien in Sekundenschnelle in zahlreiche Sprachen übersetzen, Live-Meetings können dank dieser Technologien untertitelt werden! Natürlich sind diese Systeme (noch) nicht fehlerfrei – aber wer von uns ist das schon?

Dennoch gibt es hier oft noch eine Doppelmoral: Nutzt jemand beispielsweise KI, um geschäftliche E-Mails ins Englische zu übersetzen, wird dies als clever betrachtet. Verwendet jemand denselben Dienst, um sich sicherer auf Deutsch auszudrücken, wird ihm oft Lernunwilligkeit unterstellt.

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Mit dem Aufkommen von sprachgenerierenden Modellen wie Chat GPT erleben wir eine weitere Revolution. Die neuen Tools sind Allrounder in der Anwendung: ob man sie fix und fertige Mails, Fachtexte oder Protokolle erstellen lässt, sich lieber im Austausch mit der KI in einer Art Ping-Pong im Schreibprozess unterstützen lässt oder die Tools nutzt, um unmittelbar aus den konkreten beruflichen Anwendungen heraus ins Deutschlernen zu wechseln – die Übergänge zwischen Sprachenlernen, fachlichem Lernen und Arbeiten sind fließend.

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„Das Revolutionäre daran? Man muss dafür nicht perfekt Deutsch sprechen. Künstliche Intelligenz ist mehrsprachig.“

Das Revolutionäre daran? Man muss dafür nicht perfekt Deutsch sprechen. Künstliche Intelligenz ist mehrsprachig. Man gibt seine Anweisungen in der Muttersprache ein, erhält Antworten auf Deutsch und kann bei Bedarf zusätzliche Erklärungen in seiner Muttersprache anfordern.

Damit stehen wir vor einem Paradigmenwechsel, der tradierte Ansätze der Sprachförderung fundamental auf den Kopf stellt:

Nicht mehr die Deutschkenntnisse, die man nach Feierabend aus Lehrbüchern oder Deutschkursen gewinnt, sind am Arbeitsplatz zentral. Vielmehr geht es darum, ein tiefes Verständnis für den eigenen Kommunikationskontext zu entwickeln und dazu mit Chat GPT und ähnlichen Tools in einen Austausch zu kommen. Um spezifische Redemittel auf Deutsch oder einer anderen Sprache für das kommende Meeting erstellen zu können, greift man nicht mehr nach einem Lehrwerk, sondern fragt zuallererst: Welche Ziele verfolge ich mit dem Meeting? Welche Themen stehen auf der Agenda? Wer nimmt mit welcher Intention teil? Brauche ich Redemittel, um respektvoll eine abweichende Meinung zu äußern, nachzufragen oder um das Rederecht zu erlangen?

„Wir stehen erst am Anfang eines tiefergehenden Transformationsprozess, in dem sich verschiedene Entwicklungen überlagern und gegenseitig verstärken.“

Dies impliziert keineswegs, dass das Erlernen des Deutschen zu einer isolierten Angelegenheit wird, bei der ich ausschließlich mit Künstlicher Intelligenz interagiere. Das Gegenteil ist der Fall. Meine Fähigkeit zur Autonomie steigt, je stärker ich mir meiner beruflichen Rolle und den dazugehörigen kommunikativen Anforderungen bewusst bin. Das gelingt nur, wenn ich Teil eines Teams mit einer konstruktiven Kommunikations- und Feedbackkultur bin.

Wir stehen erst am Anfang eines tiefergehenden Transformationsprozess, in dem sich verschiedene Entwicklungen überlagern und gegenseitig verstärken. Weitere bahnbrechende Innovationen in den Bereichen Augmented Reality (AR), Virtual Reality (VR), 3D-fähigen Sprachmodellen und Robotik zeichnen sich bereits am Horizont ab.

Die abschätzbaren Folgen der technischen und kommunikativen Entwicklungen:

  • Fließende Übergänge zwischen Sprachenlernen, fachlichem Lernen und Arbeiten.
  • Trend zu Visualisierung, sprachliche Anforderungen werden reduziert.
  • Situatives sprachliches und fachliches Lernen direkt am Arbeitsplatz.
  • Etliche sprachliche Anforderungen entfallen, andere kommen hinzu.
  • Wachsendes Verständnis für die Bedeutung von Mehrsprachigkeit in Unternehmen.

„Für zugewanderte Menschen ist es wichtiger, dass Unternehmen umdenken. […] Wir haben im Bereich ‚Deutsch am Arbeitsplatz‘ einen grundlegenden Paradigmenwechsel.“

Die tradierten Bildungsanbieter müssen ihre Geschäftsmodelle von Grund auf überdenken. Problematisch daran ist, dass sie die Revolution, die sich gerade vollzieht, in den eigenen Bubbles nicht wahrnehmen. Wir erleben in unseren Workshops und Keynotes, dass viele noch denken, es sei mit einer Digitalisierung der herkömmlichen Angebote getan. Den Lückentext von Chat GPT generieren zu lassen ist noch kein Change Management!

Für zugewanderte Menschen ist es aber wichtiger, dass Unternehmen umdenken. Es geht nicht mehr um „die müssen einen B2-Deutschkurs nach Feierabend besuchen“. Wir haben im Bereich „Deutsch am Arbeitsplatz“ einen grundlegenden Paradigmenwechsel.

Es geht spätestens jetzt darum, zugewanderten Beschäftigten genau das Gleiche zukommen zu lassen, wie allen anderen auch: Feedback, Begleitung im Re- und Upskilling, Raum für Austausch und Reflexion, Zeit und Begleitung beim Lernen am Arbeitsplatz …

Und dabei Sprache konsequent mitzudenken und nicht in den Feierabend auszulagern! Meinung

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